Der Riss

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Drake Falkon

Mitglied
Vor mir schwebte ein Riss.
Mitten in der Luft und ohne Anstalten zu machen zu einem festen Gegenstand zu gehören, außer der Welt an sich. Ich lag in meinem Bett und blinzelte. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, deren Strahlen durch unverhangene Fenster auf mein Gesicht fielen, musste es gegen 11 Uhr gewesen sein.
Sicher war ich mir dessen aber nicht und so griff ich nach meinem Handy. Es lag, wie immer, auf der Lehne des Sofas, das im rechten Winkel zum Bett stand. Es klappte auf und mit vor Schlaf schwimmendem Blick sah ich etwas mit 10. Zwei-, dreimal blinzelte ich erneut und rieb mir die Nacht aus den Augen. 10:32.
Wie lange hatte ich geschlafen? Wann war ich eingeschlafen? Beide Fragen fielen von mir ab und schufen genügend Platz für eine sich ausbreitende Verwirrung und eine andere Frage, als ich den Riss sah.
Schlafe ich immer noch?
Bestimmt ist dies einer dieser Träume, dieser besonders hinterhältigen Träume, in denen man glaubt man sei aufgewacht und die Sphären des Unterbewussten lägen wieder hinter einem, tief schlummernd, in einem.
Doch auf beunruhigend überzeugende Weise schien eben dieser Riss realer zu sein als alles andere, aus dem die Welt bestand.
Er war vermutlich 8cm hoch, späteres Nachmessen brachte ihn auf 9,5 cm doch vielleicht hatte er die Zeit genutzt, um zu wachsen.

Vielleicht hatte er noch etwas vor.

Seine Breite konnte ich, immer noch der Länge nach im Bett liegend, auf ziemlich genau 1cm schätzen. Dies jedoch nur in der Mitte, da er sich nach oben und unten verjüngte, bis er sich an beiden Enden in einem spitzen Winkel schloss.
Seine Tiefe lag, wenn man ihn, nicht wie ich von vorn, von der Seite betrachtet hätte, bei weniger als Haaresbreite und es ist fraglich, ob man ihn überhaupt bemerkt hätte! Vermutlich hätte man ihn unbeobachtet gelassen, ungehindert dessen, was er war und was er werden wollte.
Und er wollte etwas werden.

Er schien es mir entgegen zu schreien, direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über die Ohren. Was es sein sollte, konnte ich nicht erahnen, denn was sollte ein Riss schon werden als nur größer? Doch dieser Gedanke überfiel und bedrängte mich mit mehr Angst und Arglist als alles, was bisher geschehen war.
Er wollte wachsen.
Er wollte größer werden.
Er wollte leben.
Er wollte sein.
Und er war. Und vor allem war er viel tiefer, als man hätte erraten können, wenn man nicht, wie ich, direkt in ihn sah. Fast war mir, als starre er zurück. Als starre diese unauslotbare, unschätzbare Tiefe, welche mit absoluter, leerer Schwärze völlig falsch beschrieben wäre, aber diesem noch am nächsten kam, zwischen den zerrissenen und ausgefransten Rändern durch meine Augen in mich hinein.
Etwas schien zu flüster: "Sieh mich an!"
Es war keine Bitte, eher ein Wunsch.
Mein Wunsch.

Nichts auf der Erde oder über ihr hinaus schien noch Bedeutung für mich zu haben.
Nichts, außer der Wunsch nach der Aufmerksamkeit dieses Etwas, welches hinter diesem Tor lag.

Doch noch war es zu klein. Nichts konnte mich erreichen als der Blick, der Wunsch, das Verlangen.
Tastende Finger drangen an den Spitzen hindurch, krümmten sich um den Rand und rissen ihn weiter auf. Zerrten und pressten, drückten und drängten Millimeter um Millimeter.
Der Riss wuchs.
Scharfe Kanten schnitten sich in mein Fleisch, Blut troff in die andere Welt und auf das Bett. Größer und immer größer wurde die Öffnung, bis mein Kopf hindurch zu passen schien.
Keine Sekunde länger konnte ich warteten.
Ich schob und drängte ihn hinein in die Dunkelheit, ohne auf die Ränder zu achten, die mir das Gesicht zerrissen.
Was ich dann sah, war nicht im geringsten das, was ich erwartet hatte.
Nichts in der Welt hätte mich darauf vorbereiten können, was sich dort meinen Augen darbot.

Vor mir lag ich in meinem Bett, blinzelte und sah einen Riss.
 

Drake Falkon

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Vor mir schwebte ein Riss.
Mitten in der Luft und ohne Anstalten zu machen zu einem festen Gegenstand zu gehören, außer der Welt an sich. Ich lag in meinem Bett und blinzelte. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, deren Strahlen durch unverhangene Fenster auf mein Gesicht fielen, musste es gegen 11 Uhr gewesen sein.
Sicher war ich mir dessen aber nicht und so griff ich nach meinem Handy. Es lag, wie immer, auf der Lehne des Sofas, das im rechten Winkel zum Bett stand. Es klappte auf und mit vor Schlaf schwimmendem Blick sah ich etwas mit 10. Zwei-, dreimal blinzelte ich erneut und rieb mir die Nacht aus den Augen. 10:32.
Wie lange hatte ich geschlafen? Wann war ich eingeschlafen? Beide Fragen fielen von mir ab und schufen genügend Platz für eine sich ausbreitende Verwirrung und eine andere Frage, als ich den Riss sah.
Schlafe ich immer noch?
Bestimmt ist dies einer dieser Träume, dieser besonders hinterhältigen Träume, in denen man glaubt man sei aufgewacht und die Sphären des Unterbewussten lägen wieder hinter einem, tief schlummernd, in einem.
Doch auf beunruhigend überzeugende Weise schien eben dieser Riss realer zu sein als alles andere, aus dem die Welt bestand.
Er war vermutlich 8cm hoch, späteres Nachmessen brachte ihn auf 9,5 cm doch vielleicht hatte er die Zeit genutzt, um zu wachsen.

Vielleicht hatte er noch etwas vor.

Seine Breite konnte ich, immer noch der Länge nach im Bett liegend, auf ziemlich genau 1cm schätzen. Dies jedoch nur in der Mitte, da er sich nach oben und unten verjüngte, bis er sich an beiden Enden in einem spitzen Winkel schloss.
Seine Tiefe lag, wenn man ihn, nicht wie ich von vorn, von der Seite betrachtet hätte, bei weniger als Haaresbreite und es ist fraglich, ob man ihn überhaupt bemerkt hätte! Vermutlich hätte man ihn unbeobachtet gelassen, ungehindert dessen, was er war und was er werden wollte.
Und er wollte etwas werden.

Er schien es mir entgegen zu schreien, direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über die Ohren. Was es sein sollte, konnte ich nicht erahnen, denn was sollte ein Riss schon werden als nur größer? Doch dieser Gedanke überfiel und bedrängte mich mit mehr Angst und Arglist als alles, was bisher geschehen war.
Er wollte wachsen.
Er wollte größer werden.
Er wollte leben.
Er wollte sein.
Und er war. Und vor allem war er viel tiefer, als man hätte erraten können, wenn man nicht, wie ich, direkt in ihn sah. Fast war mir, als starre er zurück. Als starre diese unauslotbare, unschätzbare Tiefe, welche mit absoluter, leerer Schwärze völlig falsch beschrieben wäre, aber diesem noch am nächsten kam, zwischen den zerrissenen und ausgefransten Rändern durch meine Augen in mich hinein.
Etwas schien zu flüster: "Sieh mich an!"
Es war keine Bitte, eher ein Wunsch.
Mein Wunsch.

Nichts auf der Erde oder über ihr hinaus schien noch Bedeutung für mich zu haben.
Nichts, außer der Wunsch nach der Aufmerksamkeit dieses Etwas, welches hinter diesem Tor lag.

Doch noch war es zu klein. Nichts konnte mich erreichen als der Blick, der Wunsch, das Verlangen.
Tastende Finger drangen an den Spitzen hindurch, krümmten sich um den Rand und rissen ihn weiter auf. Zerrten und pressten, drückten und drängten Millimeter um Millimeter.
Der Riss wuchs.
Scharfe Kanten schnitten sich in mein Fleisch, Blut troff in die andere Welt und auf das Bett. Größer und immer größer wurde die Öffnung, bis mein Kopf hindurch zu passen schien.
Keine Sekunde länger konnte ich warten.
Ich schob und drängte ihn hinein in die Dunkelheit, ohne auf die Ränder zu achten, die mir das Gesicht zerrissen.
Was ich dann sah, war nicht im geringsten das, was ich erwartet hatte.
Nichts in der Welt hätte mich darauf vorbereiten können, was sich dort meinen Augen darbot.

Vor mir lag ich in meinem Bett, blinzelte und sah einen Riss.
 



 
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