Der Rivale

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
„Küss mich, ich bin ein Prinz!“
Sandra machte einen Satz zur Seite. Sie spähte in das verwelkte Schilf, das den Weg säumte. „Alex?“
„Küss mich endlich!“
Einen Windstoß raschelte leise mit den Schatten.
„Ey Alter, lass den Scheiß!“
Wolken schoben sich vor den Vollmond und sie fror plötzlich. Sie schlang die Arme um den Körper.
„Mirko?“
„Nein, ich, dein Prinz!“
Als es wieder hell wurde, saß er vor ihr. Braungrün, feuchtschleimig glänzend, ein vermoderter Blattrest klebte an seinem Rücken. Er hatte sich ein wenig aufgerichtet und sah herausfordernd zu ihr auf.
„Ja, spinnst 'n jetzt totaaal!“ Sie sagte es weniger aus Überzeugung, aber ihr fiel im Moment einfach nichts Besseres ein. Außerdem war das seit zwei Wochen ihr Lieblingssatz. Angewidert starrte sie auf das glitschige Ding. Ekelhaft. Sie drückte die Arme fester um sich und zog die Schultern hoch.
Er schwieg einen Moment irritiert.
„Aber ich bin echt! Ein richtiger Prinz! Nur verwunschen, deshalb musst du mich küssen.“ Er versuchte sich auf seine Hinterbeine aufzurichten und plumpste zur Seite.
„Hör mal, du blöde Kröte! Hältst du mich für ein kleines Kind? Ich werde in vier Wochen sechzehn! Mit Deinen Kindermärchen kannst du dir den Arsch abwischen!“ Sie holte mit dem Fuß aus.
Er hüpfte ein wenig beiseite, dann fuhr er unbeirrt fort: „Wenn du mich küsst, werde ich wieder ein Prinz. Dann heiraten wir, ich werde König, du meine Königin und wir werden glücklich sein bis an unser Lebensende.“
Mühsam fand sie ihr Gleichgewicht auf den ungewohnten Absätzen von Petras Stiefeln wieder. Königin. Auch nicht schlecht. Und wenn da doch was dran war? Sie kaute nachdenklich auf ihrer Lippe. Eigentlich gab es ja auch keine sprechenden Frösche, nicht wahr?
Der angebliche Prinz hatte sich vor ihr zusammengekauert.
Sie fasste einen Entschluss und griff in den Mantel.
„Was tust du da?“ Misstrauisch verfolgte er ihre Bewegungen.
„Ich rufe Petra ein. Und jetzt halt mal die Klappe! Hey, Tusse! Pennst du schon? Ach, Scheiße, South Park hat schon angefangen? Das wollte ich doch sehen!“ Sie lauschte eine Weile in ihr Handy. „Nee, mit Jannek habe ich gestern Schluss gemacht. Ich rufe dich nachher von Zuhause an, jetzt muss ich dir erst was total Irres erzählen. Vor mir sitzt ein Typ, der behauptet, ein Prinz zu sein. Also, nicht richtig ein Typ, mehr so ein Frosch. Nein! Ich bin nicht besoffen! Auf jeden Fall hat er zu mir gesagt, er wird ein Prinz, wenn ich ihn küsse und dann macht er mich zur Königin.“
Sie schwieg und der Prinz hüpfte näher, um zu horchen. Mit einem Ruck wandte sie sich ab und ging ein paar Schritte zur Seite. „Petra? Süße, bist du noch dran? Mist! Ausgerechnet jetzt ist meine Karte alle!“ Wütend stopfte sie das Handy zurück in die Manteltasche. Er wagte ein paar Sprünge in ihre Richtung.
„Was hat sie gesagt?“
„Ich soll die Augen zumachen und mir vorstellen, du seiest ein geiler Nigger“, murmelte sie und sah mit gerunzelter Stirn auf ihn herab.
Er machte einen hoffnungsfrohen Hopser. Sie seufzte.
„Also gut. Aber wenn du mich beschissen hast, nehm' ich dich mit zum Physikunterricht. Wir nehmen gerade Galvano durch.“
„Kein Beschiss. Ich bin schließlich von königlichem Geblüt und ein Ehrenmann!“ Er hörte sich ein wenig beleidigt an.
„Momentan bist du nur eine glibberige Kröte“, meinte sie, ging aber trotzdem in die Hocke und hielt ihm die offene Hand hin. „Aber versau' mir mein Makeup nicht. Hab' keinen Bock, wegen dir morgen 'ne Stunde früher aufstehen zu müssen.“ Sie zuckte zusammen, als er mit einem nassen Klatschen in ihrer Handfläche landete.
„Du musst mich an Dein Gesicht heben.“ Mit mäßigem Erfolg versuchte er sein Breitmaul zu spitzen.
„Igitt! Du bist ja kälter als 'ne frigide Fotze.“
Er stutzte. „An Deiner Ausdrucksweise werden wir aber noch arbeiten müssen, bevor du meine Königin wirst.“
Sie richtete sich ruckartig auf und wenn er sich nicht mit aller Kraft angeklammert hätte, wäre er abgestürzt.
„Jetzt fängst du schon genauso an wie meine Eltern! Erst ist alles klar, dann doch eine Bedingung und noch eine und noch eine! Erst darf ich raus, dann soll ich vorher mein Zimmer aufräumen! Und mein Bad putzen! Und den Vogel sauber machen! Ey Scheiße Alter, ich find' das so zum Kotzen! Und außerdem rede ich, wie ich will, meine Kollegen verstehen mich, auch wenn mein Vater ständig rummotzt, ich soll 'anständig' reden, der kapiert auch nicht, dass ich gar nicht so schlau rumlabern will wie er, meine Kollegen würden mich für gestört halten, wenn ich so labern würde!“ Ihr ging die Luft aus.
Geduckt hatte er den Wortschwall über sich ergehen lassen. „Hör zu, wir sprechen später darüber, ja? Jetzt küss mich endlich.“
Sie zog die Nase hoch. „Aber kein Zungenkuss, klar?“ Sie nahm ihn wieder vor das Gesicht.
„Ich weiß es nicht genau, aber ich denke, das wird nicht erforderlich sein“, beeilte er sich zu sagen. Seine Haut wurde ein bisschen dunkler. „Wenn es nicht gleich funktioniert, können wir das immer noch probieren.“
Er wartete, bis sie als Erste die Augen geschlossen hatte, schob seine Nickhaut vor und versuchte sich erneut am Kussmund.
„Wie siehst du eigentlich aus?“
Ertappt entspannte er seine überanstrengten Gesichtsmuskeln und blinzelte. Sie hatte die Lider so fest zusammen gepresst, dass sich vor Anstrengung ihre Nase krauste. Richtig niedlich sah das aus.
„Ich meine als Prinz und so.“
„Ach so. Ähm, wie soll ich sagen, edel eben. Auf den Hofbällen habe ich stets die Aufmerksamkeit der Damenwelt auf mich gezogen.“
„Geht es auch genauer?“ Zu den Kräuseln auf der Nase gesellte sich eine senkrechte Stirnfalte. „Vielleicht waren die nur auf die Krone scharf und du siehst aus wie ein Pickel am Arsch.“
„Pickel?“ Seine Kehlblase schwoll vor Entrüstung. „Ich hatte einen zarten Teint, eine Haut wie Milch und Honig!“ Seine Stimme bekam einen sehnsüchtigen Klang. „Meine blonden Locken fielen in anmutigen Wellen auf meine Schultern. Meine Mama hat immer gesagt, mit meinen Pausbäckchen sähe ich aus wie ein kleiner Engel.“ Er plinkerte vor Rührung mit den Augen.
„Ist ja echt süß.“ Sie musterte ihn aufmerksam und lächelte sogar ein wenig. Dann wurde sie ernst. „Aber ich glaube, wir passen einfach nicht zusammen.“
Sie holte aus.
„Ich stehe nämlich mehr auf Nigger mit Sixpacks.“
Ein ferner Platscher drang aus dem Schilf. Sie nickte befriedigt und stöpselte den Player in die Ohren.
„So wie Tupac!“
Dann trug sie der Hiphop nach Hause.
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Rumpelsstilzchen,

der Einfall gefällt mir und schreckt mich gleichzeitig ab. Du schilderst stimmig und in präzisen Worten den "clash of times", verbiedermeierst aber die Vergangenheit und brutalisierst die Gegenwart; für meine Begriffe zwar ein extrem wirkungsvoller Kontrast, aber eben auch ein bissel Konstrukt, da dieses "Kampfpaar" in solchem Aufeinandertreffen an Glaubwürdigkeit verliert.

Aber das ist meine persönliche Meinung. Anbei ein Gedanke: unterscheiden sich die Zeiten in ihrer Brutalität wesentlich?

Ein paar Korrekturen wären angebracht:
"Hälst du mich ein kleines Kind?" - Da fehlt sicher "für".
"Misstrauich verfolgte er ihren Bewegungen." Verfolgte er ihre
"Sie richtete sich ruckartig auf Komma und wenn..."
"Hör zu, wie reden..."
Warum schreibst du in manchen Sätzen Punkte statt Kommas? Z.B.: "...aber ich denke, das wird nicht erforderlich sein.", beeilte..."


LG

P.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Anbei ein Gedanke: unterscheiden sich die Zeiten in ihrer Brutalität wesentlich?
Rhetorisch gefragt? ;-)
Sag's mal so: Der Unterschied liegt in der Differenz.
Genauer gesagt, in der differenzierten Empfindung von Gewalt in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten. Oder würde Dich beispielsweise die drohende Tiefspülung einer Bibelseite zu einem Geständnis zwingen können?

Der 'clash of times', wie Du es so treffend genannt hast, ist durchaus gewollt. Nach meiner persönlichen Erfahrung als Frosch mit siebzehnjähriger Tochter auch nicht überzeichnet.

Die gefundenen Unsauberkeiten und noch ein paar andere habe ich bereinigt.
Danke für die Aufmerksamkeit!

Polierte am Fleck: Jetzt ist er selber weg!
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Rumpelsstilzchen,

du hast wahrscheinlich Recht, die Geschichte ist nicht überzeichnet. Das war vor allem mein erster subjektiver Eindruck.
Den ich hier noch ein bißchen konkretisieren will. Der Begriff "clash of times" erschien mir nach der ersten schnellen Überlegung als passend. Mein Gehirn hat nun ein bißchen weitergearbeitet, es ist zu dem Schluß gekommen, einen nicht sonderlich konkreten Begriff gefunden zu haben (eigentlich sind Begriffe nie konkret resp.: es gibt keine Definitionen, aber das weißt du sicher auch).
Besser wäre: "Zusammenprall eines märchenhaften Mythos mit der 'uns Realität'" (sorry, hab grad "Bild" gelesen).

Was mir noch einfällt: Du schreibst: "Der Unterschied liegt in der Differenz..." Das ist so, als schriebe man vom Vermögen, vermöge dem man dies und das vermag...

LG

P.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
differenzierte Unterschiede

Was mir noch einfällt: Du schreibst: "Der Unterschied liegt in der Differenz..." Das ist so, als schriebe man vom Vermögen, vermöge dem man dies und das vermag...
Hihi.
Klar, ist eine 'klassische' Tautologie. Deshalb steht sie auch so da.
Wenn's Dich stört, am besten einfach garnicht ignorieren... ;-))

Da packte ihn der Schabernack, jetzt ist er im Sack
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Muss noch was nachschieben:

Ich denke schon, dass 'clash of times' die Sache trifft. Der verwunschene Prinz ist doch nichts Anderes als ein Abbild der Wunschvorstellungen vergangener Zeiten. Nicht einmal sooo lange her. So ein Prinz war sicher bis in die Sechziger und frühen Siebziger des letzten Jahrhunderts der unerfüllbare und heimlich geteilte Traum so mancher Tochter und Tochtermutter.
Ich finde, das hat schwer nachgelassen...

Hat sich wieder frei gemacht und nachgedacht
 



 
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