Der Ruf des Todes

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krokotraene

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Ich spüre wie ich rot werde, mein Herz zu rasen beginnt und mein Kreislauf in ungeahnte Höhen sich wieder findet. Das darf doch nicht wahr sein? Ich zittere am ganzen Körper. Trotz des heißen Wassers, das der Duschhahn frei gibt, habe ich Schüttelfrost. Ich muss mich geirrt haben. Ja, genau, ich bin felsenfest überzeugt, dass ich mich getäuscht habe.

Ich versuche meinen Herzschlag zu reduzieren. Meinen Puls herunterzufahren. Ich rede mir ein, alles ist nur ein böser Albtraum. Es kann gar nicht sein. Freunde, ich bin siebzehn. Da kann ich nicht dem Tod geweiht sein. Das geht nicht. Das darf nicht sein.

Mein Herzschlag pulsiert. Meine Atmung wird nervös und hektisch. Ich spüre wie ich unweigerlich nach Luft ringe und das Gefühl des Erstickens mich fest im Griff hält. Mein Kopf glüht, während ein kalter Schauer meinen Rücken ergreift. Meine Haare auf den Unterarmen stehen in Reih und Glied wie Zinnsoldaten in der Armee. Nicht einmal das warme Wasser der Dusche lässt sie sich entspannen. Meine Hände zittern. Ich rede mir sanft ein, dass alles nur ein dummes Missverständnis ist. Es wird sich alles aufklären, da bin ich mir sicher. Alles ein Versehen schreien die Alarmglocken in das noch immer fließende Wasser.

Mein Shampoofläschchen scheint mich anzugrinsen. Mit hämischen Lächeln scheint es dem Flascherl mit dem Duschgel zuzuschreien, dass es ab morgen frei hat. Heute Nacht würden sie mich endlich loswerden. Sie haben ohnehin genug von meinen stundenlangen Duschorgien. Meiner Schaumleidenschaft. Ich beobachte die beiden Flaschen. Es hat den Anschein, als hätten sie mich schon längst vergessen. Als würden sie ihr eigenes, zukünftiges Leben ohne mich planen.

Am liebsten würde ich schreien. Aber was sollte ich schreien? Einfach "Hilfe"? Nein, dass wäre zu aufsehenerregend. Einfach "Das kann es doch nicht geben?" Weiß nicht, ob meine Mutter davon Notiz nehmen würde und herbeigelaufen kommen würde?

Meine Gedanken schießen durch den Kopf wie Kugeln im Flipperautomaten. Bitte sucht euch ein Loch und ordnet euch, schreie ich in meinen Körper.

Es scheint niemand von mir Kenntnis zu nehmen. Niemand sich um mein Leid zu kümmern. Der Alltag läuft für die anderen normal weiter, während meiner gerade in Begriff zu sterben ist.

Sterben! Das Wort, das ich vermeiden wollte. Hier war es. Ich hatte es ohne weiteres Überlegen einfach in meine Gedanken aufgenommen. Adoptiert. Wie scheußlich es klang. Wieso sollte ich in jungen Jahren einfach aus der Welt scheiden? Ich hatte doch noch so viele Pläne.

Meine Knie sind wie Pudding. Ich kann mich nur mit Mühe aufrecht halten, während meine Gedanken um mich wie um ein Aas kreisen. Die Party morgen! Morgen war Samstag und Partynacht! Das Shampoofläschchen grinst mich noch immer hämisch an. Es scheint sagen zu wollen, dass morgen ohne mich gefeiert werden wird. Aber das können die doch nicht machen! Ich bin doch die Party Queen. Ohne mich läuft da gar nichts.

Mein Puls schlägt bis zum Hals. Bald wird er meinen Körper verlassen. Was wird mit meiner Seele passieren? Verdammt, ich bin noch zu jung um zu sterben! Nein, Tod, nicht mit mir! Ich habe mir doch noch keine Gedanken über das Leben danach gemacht! Was sollte ich anstellen? Komme ich in den Himmel oder die Hölle? Wird es dort auch von Partys wimmeln? Und gibt es da irgendwo eine Einkaufsmeile? Wird im Jenseits mit Kreditkarte bezahlt? Und wo werde ich meine ganzen Kleider und vor allem meine Schuhe unterbringen? Kann ich meine CD-Sammlung mitnehmen? Und mein Schminkköfferchen brauche ich auf alle Fälle.

Wie sollte ich mir die Zeit vertreiben? Gibt es dort auch Fitnessstudios? Oder wird dort ohnehin nichts gegessen? Und meine Freunde? Wird mir jemand nachfolgen? Ich kann doch nicht ohne meine Freunde aus dieser Welt scheiden!

Die Zeit ist noch zu früh. Meine Uhr noch nicht abgelaufen. Nein, mein Leben hingegen beginnt doch erst. Tod, ich bin noch nicht bereit, schreie ich in das noch immer laufende warme Wasser.

Meine Haut hat schon leichte Dellen. Aufgeweicht wie eine Wasserleiche grinst das Duschgelflascherl! Also doch! Ich merke wie meine Wangen rot werden, mein Herz aus meinem Körper entfliehen will, mein Magen rebelliert. Da höre ich von weitem den Ruf des Todes: "Linda".

Nochmals überlege ich, ob ich schreien soll. Vielleicht kann mir Mutti helfen? Sie hat immer einen Rat und eine Lösung. Aber in diesem Fall? Ich bin dem Tode geweiht. Ich spüre schon die Hand des schwarzen Mannes auf meiner solariumgebräunten Haut. Sein heißer Atem legt sich in meinem Nacken, spielt mit meinen blonden Locken, die sich im warmen Wasser gekräuselt haben. Bald werde ich das kalte Gefühl der Sense auf meiner formvollendeten, warmen Haut spüren. Ich höre schon von weitem sein Lachen. So ein junges Fleisch bekommt er selten in seine dunklen Gemächer.

Wieder ertönt der immer lauter werdende Ruf: "Linda!" Und abermals, diesmal schon energischer: "Linda!" Ich spüre, er steht vor der Tür. Gleich wird er sie öffnen und mich mitnehmen. Schon fühle ich den Luftzug durch das Öffnen der Tür, höre hinter mir die Schritte und vernehme noch einmal eindringlich das Rufen: "Linda". Nach einem Zögern folgt ein energisches: "Kommst Du?"

Zuerst wispere ich noch fast unhörbar, "Nein, es geht nicht!". Schlußendlich nehme ich allen Mut zusammen und schreie der Figur hinter dem Duschvorhang entschlossen entgegen: "NEIN! Ich bin noch zu jung zum Sterben!"

Kurzes Schweigen erfasst das kleine Badezimmer. Ein kurzer Moment betretener Stille umschließt mich und Meister Tod hinter dem dunkelblauen Duschvorhang mit den roten Punkten. Für einen Bruchteil von Sekunden werden wir eins, verschmelzen wir zu einer Einheit.

Dann bricht ein tobendes Lachgewitter aus. Ich fühle mich auf den Arm genommen. Oder sollte ich stolz sein? War ich der erste Mensch im Leben, der sich gegen den Tod gestellt hat? Der ihn nicht kleinbeigab? Ich fühle mich in diesem Moment wie Schwarzenegger in Terminator. Mein Selbstvertrauen schnellt in meinen Körper zurück.

Das Grinsen der Duschfläschchen erstarrt im selben Augenblick. Ich bin felsenfest entschlossen, `mich bekommst Du nicht!`
Nein, nur wegen dem Pickel am Hals würde ich diese Welt noch nicht verlassen. Den Pickel werde ich gleich nach dem Verlassen der Dusche ausdrücken und mein Leben geht weiter. Ätsch, lieber Tod, mit mir nicht. Dazu bin ich einfach noch zu jung. Und bis morgen auf der Party ist der Pickel auch abgeheilt!

"So, lieber Mister Tod! Willst Du nicht Oma abholen? Hast Dich wohl in der Tür geirrt? Wegen eines Pickels gehe ich sicher nicht mit Dir", meine Stimme ist wie aus Granit als ich diese Worte hinter den Duschvorhang schleudere. Ich bin mir sicher, die schlagen wie eine Abrißbirne das geplante Kartenhaus des Todes zusammen. Ich werde sicher nicht mit ihm in dieses Häuschen aus Papier einziehen. Ich spüre wie sich mein Herz beruhigt, mein Puls langsamer wird. Nein, wegen des hässlichen Pickels werde ich nicht sterben. Ich taste noch einmal zaghaft meinen Hals ab. Da ist er wieder. Ich habe den kleinen Attentäter fest im Griff. Er fühlt sich weich an. Das viele Wasser hat ihm schon ziemlich zugesetzt. Ich habe das Gefühl, als wäre er schon kleiner. Ich muss schmunzeln. Beim ersten Ertasten hatte ich mir doch eingebildet, er wäre so groß wie ein Gemeindebau. Aber jetzt? Ich fühle nicht einmal eine Hundehütte. Bis morgen bei der Party war meine Haut wieder lupenrein. Eines der unzähligen Wässerchen gegen Pickel in meinem Frauen-Geheime-Chemie-Notfall-Schrank würde schon dafür sorgen.

Das Lachen hinter dem Duschvorhang ist verstummt. Ich habe gewonnen. Mit stolzgeschwellter Brust stehe ich für die letzten Sekunden unter dem warmen Wasser. Ich ziehe die Siegerluft tief in meine Lungen ein. Einmal noch das warme Wasser genießen, ehe ich der Dusche entsteigen werde. Einen geübten Handgriff später werde ich wieder einen perfekt gepflegten Hals aufweisen.

Da schiebt eine Hand den Duschvorhang zu einem Faltenrock zusammen und eine erboste Stimme ist zu vernehmen: "Warum soll ich mit Oma ins Kino?" Irgendwie klingt die Stimme nach meinem Freund. Oh, wie peinlich war das jetzt?
 
Hallo Krokotraene!

Ich muss zugeben, am Anfang war ich mir nicht ganz sicher, wo Ihre Geschichte hingehen würde.
Dann habe ich gehofft, die Shampoo und Duschgelflascherl würden dem oberflächlichen Erzähler-Ich entgegen springen. Mit der Mutter, die die Tochter ruft (Erzähler-Ich), um sich dann als Freund heraus zu stellen, haben Sie noch eine weitere Zutat zum gut gelungenen Spannungsbogen hinzugefügt.

Außerdem mag ich Ihren flüssigen Sprachfluss, ganz besonders
Meine Haare auf den Unterarmen stehen in Reih und Glied wie Zinnsoldaten in der Armee.
In meinen Augen eine gelungene Beschreibung, obwohl ich mich gefragt habe, warum die Haare nur auf den Unterarmen abstehen.

Noch eine letzte Anmerkung:
Ich rede mir sanft ein, dass das alles nur ein dummes Missverständnis ist.
Der Satz würde meiner Meinung nach besser klingen, wenn Sie sanft streichen würden.

Herzliche Grüße
Drachenprinzessin
 



 
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