Der Saxophonist

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Warne Marsh

Mitglied
An ein Wunder grenzend, dass der schwarze Flügel, an dem die Jahre keineswegs spurlos vorbeigelebt haben; ganz zu schweigen vom Schlagzeugset und dem auf dem Boden liegenden Kontrabass – an ein Wunder grenzt, all dies auf einer derart kleinen Bühne versammelt zu sehen.

Der Schlagzeuger sitz an seinem Set, schraubt an der Hi-Hat herum. Zip zip! Zip zip! Er scheint zufrieden. Bum bum! Bum bum! Das Basspaukenpedal funktioniert offensichtlich. Ein kurzer Wirbel auf der Snare. Zip zip! Bum bum! Zip zip! Bum bum. Kurzes Zwiegespräch von Hi-Hat, Pauke und Snarewirbel – gefolgt vom Zischen des Ride-Beckens. Yeah! Murmelt der Bassist, welcher das Griffbrett seines Instrumentes mit einem weissen Tuch abwischt. Der Schlagzeuger stoppt das Zischen des Beckens mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand, grinst breit, three, four ; und er swingt ab, treibt das Becken mit heftigen Schlägen vor sich her, als wär er mitten im intensivsten Exorzismus, peitsch mit scharfen, rhythmischen Schlägen seine Snaredrum, so wie John Wayne seinen Pferden die Sporen gibt, wenns hart auf hart kommt. Das ZipzipBumBum der Firma „Snare&Hihat“ mischt sich ein. Der Bassist beginnt die Saiten zu zupfen. Ein Gesicht, als wie vom Teufel geritten. Die Musik zündet die Nachbrennstufe. Knallend, wie Fehlzündungen wirft der Pianist, welcher sich vorhin schlendernd zu seinem Instrument begeben hat, Akkordfetzen über die Bühne. Teilnahmsloses, allwissendes Gesicht.

Dann steht er da. Begleitet vom Johlen des Publikums stieg er die vier Stufen zur Bühne hoch. Schüchtern, als würd er am liebsten im Erdboden verschwinden. Schwarzer Sakko; offen – zweiknöpfig. Schwarze Bundfaltenhose und Socken. Schwarze Lederschuhe glänzen. Das Sakko ist am Rücken zerknittert, so als wäre damit geschlafen oder zulange backstage auf der Couch herumgelümmelt worden. Weisses Hemd; oberster Knopf nicht zugeknöpft; der Kragen legt sich deswegen leicht über das Revers – und auch, weil um den Hals ein Saxophongurt gelegt ist dessen silbriger Haken auf dem Bauch ruht. Das Tenorsax trägt er mit seiner rechten Hand. Ein Tenorsax der Marke Selmer. Ein goldiges Balanced Action; leicht zu erkennen am S-Bogen, welcher als Bindeglied zwischen Saxophon und Mundstück dient. Er hakt das Instrument ein und geht in die Hocke, als wären weder Musiker, noch das Publikum anwesend. Leicht löst er die Fixierschraube am Otto Linck Metallmundstück, spannt so das Rohrblatt aus, welches er in seinem Mund nochmals anfeuchtet und sorgfältig wieder einspannt. Wieder aufrecht stehend, hebt er das Saxophon mit seiner linken Hand leicht an, wodurch er den Gurt entlastet und denselben etwas kürzer ziehen kann. Das Instrument hängt nun am Gurt in richtiger Höhe.

Dann: ein erster Ton; testeshalber geblasen nur. Lauschend steht er da. Afroamerikaner mit kurzem Haarschnitt und hellem Teint. Ein Gesicht von der Form her offenbarend, dass seine Vorfahren genetisch mal mit Europäern zu tun gehabt hatten. Auf den Oberlippen nur skizzierter Bartwuchs. Darüber eine grosse, rundliche Nase. Seine Augenlider werfen Schatten, weswegen das Weiss der Augen nicht zu leuchten vermag. Und die Welt hebt an zu swingen, triffst du nur das Zauberwort. Ansatzlos beginnt er zu spielen. Überraschend. Notensplitter, welche sich zu Take The Coltrane fügen, einer für ihn komponierten Bluesmelodie. Badibadaba! Badibadabaduah! Duah! Duah! Badibadaba! Badibadabaduah! Duah! Duah! Die Snaredrum weigert sich, den einfachen Melodierhythmus mitzuspielen, sträubt sich, windet sich und konterkariert unter dem Stöhnen des Schlagzeugers die Melodie, spielt Pausen, wo keine Pausen sind und überlässt das Ausziselieren der treibenden Vierteln dem Ridebecken, welches von der Basspauke unterstützt wird und dadurch, durch diesen Widerspruch der Snare, baut sich eine Spannung auf. Der Bass geht unbeirrbar den Weg der Viertel, schreitet ihn ab, den Blues – immer und immer und immer wieder. Bumbumbumbumbumbum; unermüdlich und wohlwissend, nur so dem Snare die Freiheit des Widerspruches zu ermöglichen. Als hätte er kapituliert, verzichtet der Pianist, Akkorde zu liefern.

Der Saxophonist schaut über die Köpfe des Publikums hinweg ins Nichts. Ruhiger, in die Ferne gerichteter Blick, welcher ab und an über die Gesichter der Zuhörenden zu tasten scheint, ohne jedoch dieselben wahrzunehmen. Seine langen Finger bewegen sich kaum. Er beginnt die Melodie umzukrempeln. So, wie Schriftsteller ihre Sätze unzählige Male umkrempeln, beginnt er, an der Melodie zu arbeiten. Da eine zusätzliche Pause. Hier eine Note etwas länger ausgehalten. Plötzlich ein neuer Satz angefügt. Allmählich beginnt das Bild des Schriftstellers demjenigen eines Predigers zu weichen. Er steht da, wie ein Prediger in einer Baptisenkirche. Spricht immer mehr und immer intesiver und schneller. Seine Stirn beginnt nicht nur von Schweissperlen zu glänzen, sondern er schliesst seine Augen und von Schläfe zu Schläfe wandern Falten, als fühlte er Schmerzen. Mit dem Wiedereinsetzen des Pianisten, den scharfen Akkorden, scheint sich John Wayne in einen Rennwagen umgesessen und die ganze Band sich darauf geeinigt zu haben, vom Teufel besessen zu sein.

Der Saxophonist steht unbeweglich da; bläst und spielt; neigt seinen Oberkörper nur bei ungewöhnlich wilden Noteneskapaden leicht nach vorne - öffnet seine Augen kurz, wenn er Atem holt – als vergewisserte er sich über die Anwesenheit von Mitmusikern und Publikum.

Wie Orpheus spielt er
auf den Saiten des Lebens den Tod
und in die Schönheit der Erde
und seiner Augen, die den Himmel verwalten,
weiss er nur dunkles zu sagen.
 



 
Oben Unten