Der Schlaf

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Jens Rohrer

Mitglied
Als ich das Café betrat, saß er bereits an einem der Tische. Ich hob die Hand zur Begrüssung und setzte mich ihm gegenüber an den kleinen Zweiertisch. Kaum hatte ich mich gesetzt, stand schon die Kellnerin neben mir. Ich bestellte einen Kaffee und schob mir eine Zigarette in den Mund.
„Also was ist los?“, fragte er mich.
„Ich stehe schon den ganzen Tag komplett neben mir.“
„Schlecht geschlafen, oder was?“
„Eher schlecht geträumt.“
„Hattest du einen Alptraum?“
„Kann man sagen. Das befremdlichste an dem Traum, den ich letzte Nacht hatte, war das mir alles völlig real vorkam. Du kennst das vielleicht. Du wachst morgens auf, und weißt für einige Augenblicke nicht, ob du wach bist oder noch träumst und es dauert ein paar Minuten, bis du wieder voll in die Realität zurückfindest.“
„Hmmh, ja.“
„Nur geht das bei mir nun seit sechseinhalb Stunden so. Ich fühle mich wie in Watte gepackt, alles kommt mir eine wenig surrealistisch vor. Ich tappe schon den ganzen Tag in einem Dämmerzustand vor mich her. Als wäre ich nicht aus einem Traum heraus, sondern in einen Traum hinein erwacht. Irgendwie erschreckend, oder?“
„Worum ging es denn in deinem Traum?“
„Tja. Anfangs war er beinahe langweilig. Absolut banal. Abgesehen von dem beängstigendem Realismus, den der Traum barg. Ich wachte auf. Ging ins Bad. Duschte. Putzte mir die Zähne. Machte mir einen Kaffee. Und so weiter. Alles völlig normal. Irgendwann machte ich mich auf zu einem Café um jemanden zu treffen. Ich schnappte mir meine Jacke und ging auf die Straße. Auch dies war die tatsächliche Straße vor meinem Haus. Es gab nichts, was sich von der Wirklichkeit unterschied. Alles sah exakt so aus wie es immer aussah. Das war ja das befremdliche. In Träumen ist doch immer irgendetwas anders, irgendwas verändert.“
„Du willst sagen, es ist überhaupt nichts passiert.“
„Erst als ich in dem Café war. Es war übrigens genau dieses Café. Aber das ist auch nicht verwunderlich, schließlich komme ich immer hierher.“
Ich ersetzte die herunter gebrannte Zigarette durch eine neue.
„Jedenfalls saß mir jemand gegenüber und wir unterhielten uns. Genauso wie eben jetzt gerade. Nur das ich mich an meinen Gesprächspartner überhaupt nicht erinnern kann. Ich habe alles noch ganz klar vor mir, kann alles beschreiben. Die Farbe der Wände, die Form der Zuckerstreuer, die Schuhe der Kellnerin. Allein mein Gegenüber bleibt blass. Auch das Gespräch an sich ist mir deutlich in Erinnerung. Und jetzt wird es interessant.“
Ich nippte an meinem bis dahin unberührtem Kaffee und rieb mir mit der Handfläche die Stirn.
„Was ist?“
„Ich glaube, ich werde verrückt oder so was. Das ist einfach zu seltsam.“
„Inwiefern?“
„In meinem Traum erzähle ich meinem Gegenüber von einem Traum den ich hatte. Und es ist der exakt selbe Traum, den ich dir gerade erzähle.“
Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette.
„Jedenfalls.“, nahm ich den Faden wieder auf, „frage ich dann meinen Gesprächspartner, ob ihm auch kalt sei. Und dieser entgegnet: „Das liegt daran, das du tot bist.“ Dann bin ich aufgewacht.“
Er hob an, etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor.
„Du weißt ja, man sagt, wenn man im Traum stirbt, ist man in der Wirklichkeit auch tot. Und ich glaube, das wir das beide für Quatsch halten. Aber was mir Angst macht, ist der Gedanke, das, wenn so viele Dichter den Schlaf oft mit Tod gleichsetzen, das da doch irgendwas dran ist.“
„Shakespeare zum Beispiel.“
„Genau.“
„... und zu wissen, das ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
die unsers Fleisches Erbteil - ´s ist ein Ziel
Aufs innigste zu wünschen. Sterben –schlafen-
Schlafen! Vielleicht auch träumen! –Ja da liegt´s:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir den Drang des Ird´schen abgeschüttelt....“

Zitierte ich .
„Oder :
„Der Schlaf befährt der Zeit Gezeiten
Die trockene Sargossasee des Grabes
Gibt dieser See die zeugt die Toten hin;
Der Schlaf rollt über diese Betten stumm,
Wo man die Schatten Fischfraß füttert,
Die himmelwärts durch Blumen sehen.“
Konterte mein Gegenüber.
„Von wem ist das?“
„Dylan Thomas.“
„Jetzt aber mal wieder weg von den großen Dichtern. Was denkst du?“
„Du bist tot.“ antwortete er.
„Was? Jetzt mach keine Scherze.“, ich lachte auf.
„Nein wirklich, du bist tot.“
Ich wurde ernster. Und zugleich wütend.
„Lass den Scheiß, du Arsch!“, fuhr ich ihn an.
Er blieb völlig ruhig.
„Welche Haarfarbe habe ich?“, fragte er nur.
 

Haruki

Mitglied
Interessante Story. Gut geschrieben.
Da könntest Du eine längere Erzählung draus machen.
Du zitierst Dylan Thomas. Dann weisst Du sicher, was er in der Einleitung zum Dialog der Toten in einem seiner bekanntesten Stücke sagt. "Sieh. Es ist Nacht, sie windet sich stumm und königlich durch die Kronjubiläums-Kirschbaumallee, sie geht durch den Friedhof von Bethesda, mit Handschuhen an den gefalteten Winden, mit abgenommenem Tau, und torkelt zur Seefahrerschenke. Die Zeit vergeht. Horch, die Zeit vergeht.
Komm nur her."

Die Zeit vergeht und die Toten sind da und sie sind nicht so blass, wie Du sie machst.
Davon abgesehen bunt geschildert. Du verstehst es, den Leser mitzunehmen. Eine gelungene Geschichte.

Gruß

Haruki
 



 
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