LudmillaKulikova
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Noch nie hatte ich das offene Meer gesehen. Hier am Kai, erstreckte es sich silbern glänzend, als übersichtlicher Streifen- Die Uferzone war mit trostloser Bebauungen, halb abgesoffenen verrosteten Kähnen und noch lebendigen kleinen Schiffe zugepappt. Mehrmals am Tag wurde der Streifen von den riesigen anlegenden Schiffen zerschnitten. Sie blieben Wochen lang, lagen am Ufer, versperrten die Sicht aufs Wasser. Ich bin an der Küste aufgewachsen und beobachtete das Meer, in seine Grenzen eingezwängt. Selbst sein äußerstes Ende, spaltete sich durch den Horizont von der Unendlichkeit ab, wie eine Bühne durch den eisernen Vorhang während eines Brandes im Theater. Und der Vorhang lodert von der Sonne.
Ein großer Geröllhaufen, der sich am Tag aufgewärmt hatte, war mein Beobachtungspunkt. Ich saß darauf, berührte die Erde nicht mit den Füßen. Man konnte sich wie ein Erstklässler fühlen und leichten Herzens mit den Beinen wackeln, die in den vermeintlichen Mädchensandalen steckten. Eben das tat ich, selbstvergessen kindlich, ganz sicher, dass mich niemand dabei beobachtete. Die Möwen schrieen. So schreien Verletzte vor Schmerzen oder Frauen beim Koitus. Was ließ sie nicht schweigen? Was beunruhigte sie so? Im Geröll konnte ich über nichts nachdenken. Hier fühlte ich mich außerhalb der Menschen, fern von zu Hause und der Familie, ohne Vergangenheit oder Zukunft. Das Geröll stahl mir sämtliche Wünsche.
Ich hatte ziemlich lange gesessen, war schon aufgewärmt von der Sonne und begann zu schmelzen wie eine matt-transparente Qualle, die mit einer wilden Welle auf das steinige Ufer geworfen worden war. Ich musste gehen. Zum letzten Mal sah ich nach der Sonne und sprang, durch sie erblindet vom Geröll und traf auf einen Mann.
„Huch!“ stieß er aus und hielt mich am Arm fest.
„Entschuldigung“ ich blickte in sein Gesicht, doch stattdessen sah ich einen runden leuchtenden Fleck. Die Reflektion der Sonne beeilte sich nicht, aus der Netzhaut meiner Augen zu verschwinden.
Wir kreuzten einander. Ich lief nicht den üblichen Weg, sondern entlang des Ufers, schaute in Wasser. Der Sonnenfleck in den Augen verband sich mit den Wogen der Wellen und erzeugte einen unglaublichen Effekt: ihr Funkeln, regenbogenfarbig bunt verwöhnte den Blick und erzeugte eine urtümliche Euphorie. So lief ich verhältnismäßig weit. Die Orte hier waren menschenleer und still, sodass man das Wellen-Sonnen-Mosaik in Ruhe beobachten konnte, ohne abgelenkt zu sein. Plötzlich stolperte ich über etwas. Ich sah hinunter und dachte zuerst, dass ich an einen mit Kleidern gefüllten Sack gestoßen war. Als meine Augen sich aber an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte ich, dass es ein Mensch war. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht den Steinen zugewendet, mit verrenkten Armen und zerschlagenem Kopf. Ich beugte mich über ihn und begutachtete die Wunde. Es lief Blut daraus, welches unverzüglich gerann. Ich beschmutzte meine Hände und kam nicht darauf, das Blut mit Meerswasser abzuwaschen.
Abends kamen sie, um mich zu holen. Am Ärmel meiner Bluse fanden sich getrocknete Blutflecken, vorn an den Knöpfen klebte ebenfalls Blut. Es hatte sich ein Zeuge gefunden, der beobachtet hatte, wie ich versuchte, den Getöteten umzudrehen und die Wunde an seinem Kopf berührte. Den Ermittlern sagte ich nichts, denn ich wusste nicht, was am Ufer geschehen war. Niemand glaubte mir. Man sagte, dass es einen Zeugen gebe und Blutspuren, das seien ausreichend Beweise. Ich schwieg, doch sie schrieben und schrieben. Dann baten sie mich, eine Unterschrift zu leisten. Ich weigerte mich. Sie schlugen mich und ich schrie wie eine Möwe, nur markerschütternder. Dann forderten sie ein psychiatrisches Gutachten an. Nun bin ich hier.
Spezielle Wünsche habe ich nie gehegt, doch bevor man mich wegfährt, möchte ich mich vom Meer verabschieden.
***
Es ging auf den Abend zu. Das Meer verband sich mit der Nacht, saugte die Abendsonne aus dem Horizont. Zwei Menschen schlenderten am Ufer entlang. Die Frau wickelte sich in den Schal und schaute auf den Horizont, der Mann hielt die Hände in den Taschen und sah zu seinen Füßen. Der junge Psychotherapeut der städtischen Klinik und seine Patientin schritten schon seit einer Stunde so. Der Arzt begleitete die Patientin, blickte auf die Kieselsteine unterschiedlicher Größe und seine Gedanken schweiften weit weg von diesem Ort. Die Wellen schläferten, sich in gleichmäßigen Formen heran wälzend, die Einbildungskraft ein, lösten sie von der Realität ab. Die Frau verlangsamte den Schritt und geriet hinter ihren wie ein Kranich schreitenden Begleiter. Sie griff einen größeren Stein, zielte und warf den Stein mit aller Wucht an den Kopf des Mannes. Der stöhnte schwach und fiel hinten über. Die Frau versetzte dem liegenden noch einige Stöße, warf den Stein fort und erstarrte über dem Ermordeten.
„Es ist nicht wahr! Nicht wahr!“ flüsterte sie wild. „Verwundeten von der Möwe schreien nicht!“
Ein großer Geröllhaufen, der sich am Tag aufgewärmt hatte, war mein Beobachtungspunkt. Ich saß darauf, berührte die Erde nicht mit den Füßen. Man konnte sich wie ein Erstklässler fühlen und leichten Herzens mit den Beinen wackeln, die in den vermeintlichen Mädchensandalen steckten. Eben das tat ich, selbstvergessen kindlich, ganz sicher, dass mich niemand dabei beobachtete. Die Möwen schrieen. So schreien Verletzte vor Schmerzen oder Frauen beim Koitus. Was ließ sie nicht schweigen? Was beunruhigte sie so? Im Geröll konnte ich über nichts nachdenken. Hier fühlte ich mich außerhalb der Menschen, fern von zu Hause und der Familie, ohne Vergangenheit oder Zukunft. Das Geröll stahl mir sämtliche Wünsche.
Ich hatte ziemlich lange gesessen, war schon aufgewärmt von der Sonne und begann zu schmelzen wie eine matt-transparente Qualle, die mit einer wilden Welle auf das steinige Ufer geworfen worden war. Ich musste gehen. Zum letzten Mal sah ich nach der Sonne und sprang, durch sie erblindet vom Geröll und traf auf einen Mann.
„Huch!“ stieß er aus und hielt mich am Arm fest.
„Entschuldigung“ ich blickte in sein Gesicht, doch stattdessen sah ich einen runden leuchtenden Fleck. Die Reflektion der Sonne beeilte sich nicht, aus der Netzhaut meiner Augen zu verschwinden.
Wir kreuzten einander. Ich lief nicht den üblichen Weg, sondern entlang des Ufers, schaute in Wasser. Der Sonnenfleck in den Augen verband sich mit den Wogen der Wellen und erzeugte einen unglaublichen Effekt: ihr Funkeln, regenbogenfarbig bunt verwöhnte den Blick und erzeugte eine urtümliche Euphorie. So lief ich verhältnismäßig weit. Die Orte hier waren menschenleer und still, sodass man das Wellen-Sonnen-Mosaik in Ruhe beobachten konnte, ohne abgelenkt zu sein. Plötzlich stolperte ich über etwas. Ich sah hinunter und dachte zuerst, dass ich an einen mit Kleidern gefüllten Sack gestoßen war. Als meine Augen sich aber an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte ich, dass es ein Mensch war. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht den Steinen zugewendet, mit verrenkten Armen und zerschlagenem Kopf. Ich beugte mich über ihn und begutachtete die Wunde. Es lief Blut daraus, welches unverzüglich gerann. Ich beschmutzte meine Hände und kam nicht darauf, das Blut mit Meerswasser abzuwaschen.
Abends kamen sie, um mich zu holen. Am Ärmel meiner Bluse fanden sich getrocknete Blutflecken, vorn an den Knöpfen klebte ebenfalls Blut. Es hatte sich ein Zeuge gefunden, der beobachtet hatte, wie ich versuchte, den Getöteten umzudrehen und die Wunde an seinem Kopf berührte. Den Ermittlern sagte ich nichts, denn ich wusste nicht, was am Ufer geschehen war. Niemand glaubte mir. Man sagte, dass es einen Zeugen gebe und Blutspuren, das seien ausreichend Beweise. Ich schwieg, doch sie schrieben und schrieben. Dann baten sie mich, eine Unterschrift zu leisten. Ich weigerte mich. Sie schlugen mich und ich schrie wie eine Möwe, nur markerschütternder. Dann forderten sie ein psychiatrisches Gutachten an. Nun bin ich hier.
Spezielle Wünsche habe ich nie gehegt, doch bevor man mich wegfährt, möchte ich mich vom Meer verabschieden.
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Es ging auf den Abend zu. Das Meer verband sich mit der Nacht, saugte die Abendsonne aus dem Horizont. Zwei Menschen schlenderten am Ufer entlang. Die Frau wickelte sich in den Schal und schaute auf den Horizont, der Mann hielt die Hände in den Taschen und sah zu seinen Füßen. Der junge Psychotherapeut der städtischen Klinik und seine Patientin schritten schon seit einer Stunde so. Der Arzt begleitete die Patientin, blickte auf die Kieselsteine unterschiedlicher Größe und seine Gedanken schweiften weit weg von diesem Ort. Die Wellen schläferten, sich in gleichmäßigen Formen heran wälzend, die Einbildungskraft ein, lösten sie von der Realität ab. Die Frau verlangsamte den Schritt und geriet hinter ihren wie ein Kranich schreitenden Begleiter. Sie griff einen größeren Stein, zielte und warf den Stein mit aller Wucht an den Kopf des Mannes. Der stöhnte schwach und fiel hinten über. Die Frau versetzte dem liegenden noch einige Stöße, warf den Stein fort und erstarrte über dem Ermordeten.
„Es ist nicht wahr! Nicht wahr!“ flüsterte sie wild. „Verwundeten von der Möwe schreien nicht!“