Der Seitensprung

3,50 Stern(e) 8 Bewertungen

Ilona B

Mitglied
Der Seitensprung

„Liebling! Aufstehen! Es ist zwar Samstag und erst kurz nach 10.00 Uhr, aber du wolltest doch noch ins Büro.“
„Mein Gott, warum schreist du so?“ erklingt ein dumpfes Stöhnen. Wenn nicht alles täuscht, ist das Pierre Latour, der Sonnyboy vom Dienst und Schwarm aller lebenden Frauen. Am Bettende schiebt sich langsam ein schwarzhaariger Lockenkopf unter der Decke hervor. „Wo bin ich? Und vor allem, was bin ich?“
Unerbittlich erhellen die Sonnenstrahlen, die sich durch die Jalousien mogeln, ein blasses Katergesicht.
„Na, du siehst aus wie eine zerrupfte Vogelscheuche, die mit einem Kopfsprung in unserem kuscheligen Bett gelandet ist. Übrigens, unsere Wohnung ist in Paris, falls du das auch nicht mehr weist. Paris in Frankreich.“
Nadine schnappt sich mit einem Ruck die Bettdecke. „Ach Pierre! Konntest du die Klamotten nicht ausziehen.“
Pierre setzt seinen treuherzigen Dackelblick ein. „Aber meine Schuhe habe ich ordentlich vors Bett gestellt.“
„Soll ich dich dafür noch loben? - Wahrscheinlich!“
Nadine versucht ernst zu bleiben, aber sie kann ihm einfach nicht lange böse sein. „Komm geh duschen, ich mache uns inzwischen Frühstück.“
„Du bist ein Schatz!“ Pierre richtet sich vorsichtig auf. Was ist nur los? Jeder einzelne Knochen tut ihm weh. Der Vergleich mit der Vogelscheuche ist gar nicht so verkehrt, denn im Moment fühlt er sich deutlich älter als neununddreißig Jahre. Steifbeinig stelzt er ins Bad. Eine Dusche wird ihn schon wieder auf Vordermann bringen. Als er das Hemd über den Kopf zieht, fällt sein Blick in den Spiegel und er stockt mitten in der Bewegung. „Um Himmels Willen, was ist das?“ Er starrt auf ein paar leuchtend rote Kratzer, die quer über seine Brust verlaufen. Tastend fährt er mit den Fingern darüber.
Nein, das ist keine Halluzination. Ein flüchtiger Gedanke an einen verführerischen Rotschopf schießt im durch den Kopf. Ich glaube, ich muss dringend mit Raoul reden. Hoffentlich weiß er, was das zu bedeuten hat. Der Duft von frischem Kaffee treibt Pierre endlich unter die Dusche, und fünfzehn Minuten später betritt er die Küche. Nadine sitzt am Tisch, hat die Ellbogen aufgestützt und umfasst mit beiden Händen ihren großen Kaffeebecher. Zufrieden lächelt sie ihn an. „Da bist du ja. Komm setzt dich noch ein bisschen zu mir.“ Pierre entspannt sich etwas und gießt sich einen Kaffee ein. Was will man mehr an einem Samstagmorgen. Er verdrängt alle üblen Gedanken, drückt Nadine ein Küsschen auf die Nasenspitze und macht es sich neben ihr gemütlich. „Na, nun erzähl doch mal. War es gestern Abend nett?“ Sofort wieder unruhig, rutscht Pierre auf der Eckbank herum. „Och ja, so wie immer. Wir haben in dem neuen Restaurant „Chez Louis“ gegessen und ein paar Flaschen Wein geköpft. Wie üblich sind anschließend die meisten verschwunden und der Rest ist in irgendeiner Bar gelandet. Ich glaube wir haben sogar getanzt.“
Nadine spöttelt. „Du glaubst? Kann es sein, dass du ein klein wenig zuviel Rotwein getrunken hast?“ Eigentlich braucht Nadine nicht zu fragen, denn Pierre tanzt nur, wenn er stark angeheitert ist. „Übrigens, ist die neue rothaarige Sekretärin mit dabei gewesen?“
Pierre verschluckt sich und muss husten. „Möglich. So genau kann ich mich nicht daran erinnern.“ Ein Blick zur Küchenuhr und Pierre springt auf. „Ich geh jetzt. Raoul wartet sicher schon.“ Er schnappt sich seine Autoschlüssel und sitzt fünf Minuten später im schwarzen Mercedes-Kabriolett. Beinahe wäre er noch über die Katze von nebenan gestolpert, die plötzlich um seine Beine schlich.
Blödes Vieh. Sonst ignorierte sie ihn doch auch immer.

Die Stille im Büro ist wohltuend und hilft Pierre seinen leichten Anfall von Panik zu bekämpfen. Schwungvoll öffnet sich die Tür und Raoul steht im Rahmen. „Morgen mein Freund! Wie geht’s?“
„Frag nicht!“ Pierre richtet sich auf und hebt langsam die Augenlider. „Mein Schädel brummt, und der restliche Körper kann nicht mir gehören.“
„Verständlich, so wie du gestern gezecht hast. Wie in alten Tagen. Soll ich dir vielleicht einen kalten Lappen besorgen oder hättest du lieber eine süße Krankenschwester?“
„Danke! Danke! Nicht nötig. Sag mir nur was ich gestern angestellt habe und es geht mir sofort besser.“
„Das weiß ich doch nicht“, entgegnet Raoul erstaunt.
„Was soll das heißen. Waren wir nicht den ganzen Abend zusammen?“ Pierre runzelt die Augenbrauen.
„Schon, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als mich unser Neuzugang bat, mit dir allein bleiben zu können.“
„Und da gehst du einfach. Schöner Freund!“
„Na hör mal, ich bin nicht dein Aufpasser, und außerdem behauptest du immer, keine Frau könnte dich mehr rumkriegen, seit du mit Nadine liiert bist.“
„Richtig! Recht hast du! Es ist bestimmt nichts passiert. - Aber sieh dir das mal an.“ Mit bedrücktem Gesicht knöpft Pierre sein Hemd auf und beeindruckt stößt Raoul einen lauten Pfiff aus.
„Donnerwetter! Hat Nadine die schon gesehen?“
„Bist du verrückt! Ich kann sie ihr nicht zeigen, ohne eine plausible Erklärung parat zu haben. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern.“ Pierre schließt erneut die Augen und konzentriert sich. Also da war das Restaurant, und alle Angestellten der Anwaltskanzlei saßen im Kerzenschein um einen runden Tisch herum. Nach ein paar Gläsern Wein herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Neue saß neben ihm, in einem grünen Kleid mit einem sündhaft tiefen Dekolleté. Bei jeder Gelegenheit beugte sie sich weit zu ihm, so dass ihr Parfüme seine Nase kitzelte. Früher hätte er keine Minute gezögert und ihre offensichtliche Einladung angenommen. Doch jetzt. Es wunderte ihn selbst. Bei jedem Tanz schmiegte sie sich eng an ihn, so dass er die Üppigkeit ihres Körpers nicht nur zu erahnen brauchte, und dann ... .
Verdammt, was passierte dann?
Entmutigt schüttelt Pierre den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr entsinnen, als ob ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. - Das ist es! Ich behaupte einfach, ich bin überfallen worden.“
„Mach keinen Blödsinn. Nadine ist nicht dumm. Dein Hemd war nicht zerrissen, wie soll der Gangster das wohl angestellt haben.“
„Mmmh! - Dann bin ich eben gefoltert worden oder weiß der Henker.“ Raoul klopft seinem Freund beruhigend auf die Schulter. „Was hältst du davon Nadine die Wahrheit zu erzählen. Sie liebt dich und vertraut dir.“ Pierre stutzt. Raoul hat recht. Das ist die Lösung. Nadine würde ihm glauben, dass er nichts Unrechtes getan hatte, auch wenn er sich leider nicht an die gestrige Nacht erinnern konnte. „Am besten, ich sage es ihr gleich, bevor mich der Mut verlässt. Arbeiten kann ich sowieso nicht mehr.“ Er springt auf und eilt zur Tür. Raoul sieht seinem Freund hinterher. „Armer Pierre, hoffentlich geht das gut.“

Pierre kramt nach seinem Haustürschlüssel, als Nadine auch schon die Tür aufreißt. „Hallo, ich wollte gerade in die Küche, da hab ich dich gehört. Was machst du denn schon wieder hier. Bist du fertig für heute? Ach egal! Es ist gut, dass du kommst. Du hast nämlich Besuch.“
„Ich? Ich habe Besuch!? Wer sollte das wohl sein?“
„Stell dir vor, eine hübsche junge Dame.“ Nadines Stimme zittert. Pierre gefriert das Blut in den Adern, und zögernd hebt er den Kopf. Ihre Augen schwimmen in Tränen. „Ich kann dir alles erklären!“ stammelt Pierre. „Hör mir bitte erst zu, bevor sie dir etwas Falsches erzählt.“
„Ich finde, es hört sich sehr realistisch an, und man kann sich alles lebhaft vorstellen. Schade, dass ich das nicht miterlebt habe.“
Oh mein Gott! Jetzt wird sie hysterisch. „Nadine, meine Süße, so schlimm ist es nicht gewesen. Sie hat bestimmt sehr viel erfunden und dazugedichtet. Vertrau mir.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Kinder übertreiben gern, aber so bist du für sie ein richtiger Held, und wann hat man dazu schon einmal die Möglichkeit.“
„Kinder!? Held!!? - Wovon sprichst du?“
„Na, von gestern Abend. Die Katze von Lucille, du weißt das kleine, blonde Mädchen von nebenan, ist auf die riesige Eiche vor unserem Haus geklettert und kam nicht mehr herunter. Trotzdem steckten Lucilles Eltern das Kind ins Bett, und natürlich ist die Kleine dann später ans Fenster geschlichen, um von dort auf Sammy aufzupassen. Da hat sie dich gesehen, wie du torkelnd unter dem tiefsten Ast stehen geblieben bist, und dann ... und dann ...“
Nadine holt tief Luft und wischt sich die Lachtränen von den Wangen. „Tja, dann hast du deine Sachen ausgezogen und bist auf den Baum geklettert, um die Katze zu retten.“
Sprachlos öffnet Pierre den Mund. Jetzt dämmert ihm etwas. Er erinnert sich an ein fauchendes Bündel Fell, mit langen scharfen Krallen, das sich wie wild gewehrt hat. Ihm fällt eine Last von den Schultern und mit vor Stolz geschwellter Brust richtet er sich um einige Zentimeter auf. Ich wusste doch gleich, dass ich treu bin.
 
Hallo Ilona B!

Ich finde Deine geschichte sehr überraschend! Die Besorgnis des einstigen Latin-Lovers Pierre ist glaubwürdig geschildert, dennoch frage ich mich, seit wann sich jemand zuerst auszieht, um auf Bäumen zu klettern (...na gut, er war ja auch betrunken).
Vielleicht ist die totale Amnesie am Morgen etwas übertrieben, aber wenn es Nadine gelungen ist, Pierre zu "zähmen", dann war er wohl auch bei ihrem Anblick abgelenkt.
Dein Schreibstil ist sehr flüssig, und ich konnte Pierres Gedanken gut bis zum Ende folgen.

Schöne Grüße!

Raphael Vercott
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Raphael Vercott,
vielen, lieben Dank für Deine Anmerkungen.
Du hast Recht, außer mit dem Grad der Trunkenheit, ist es nicht zu erklären warum Pierre sich auszieht. Vielleicht fällt mir noch eine Erklärung ein, dann ändere ich die Geschichte.
Einen totalen Filmriss hatte ich zum Glück noch nicht, aber ich stelle es mir so vor und denke man kann es stehen lassen. Vielleicht meldet sich noch ein Gewohnheitstrinker und klärt mich auf, dann ... ;)
Nur sollte ich Pierre nach so einer Nacht nicht unbedingt Auto fahren lassen. Restalkohol!
Liebe Grüsse Ilona
 

poetix

Mitglied
Hallo Ilona B.,
deine Geschichte liest sich wie eine Komödie mit Happy End. Eine plausible Erklärung fürs Ausziehen fehlt allerdings schon noch. Sonst hat es mir gut gefallen.
Viele Grüße
poetix
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Poetix,
vielen Dank für Deinen Beitrag.
Ich arbeite noch an der Sache mit dem "Ausziehen".
Bis jetzt ist der Geistesblitz noch nicht eingeschlagen.
Liebe Grüsse Ilona
 

Ilona B

Mitglied
Der Seitensprung

„Liebling! Aufstehen! Es ist zwar Samstag und erst kurz nach 10.00 Uhr, aber Du wolltest doch noch ins Büro.“
„Mein Gott, warum schreist Du so?“ erklingt ein dumpfes Stöhnen. Wenn nicht alles täuscht, ist das Pierre Latour, der Sonnyboy vom Dienst und Schwarm aller lebenden Frauen. Am Bettende schiebt sich langsam ein schwarzhaariger Lockenkopf unter der Decke hervor. „Wo bin ich? Und vor allem, was bin ich?“
Unerbittlich erhellen die Sonnenstrahlen, die sich durch die Jalousien mogeln, ein blasses Katergesicht.
„Na, Du siehst aus wie eine zerrupfte Vogelscheuche, die mit einem Kopfsprung in unserem kuscheligen Bett gelandet ist. Übrigens, unsere Wohnung ist in Paris, falls Du das auch nicht mehr weist. Paris in Frankreich.“
Nadine schnappt sich mit einem Ruck die Bettdecke. „Hier ist also mein Morgenmantel! Ich hab ihn schon überall gesucht.“
Pierre setzt seinen treuherzigen Dackelblick ein. „Ich muss mich wohl einsam gefühlt haben und Deinen Morgenmantel anzuziehen, war fast wie eine Umarmung von Dir. - Aber hast Du gesehen, meine Schuhe habe ich ordentlich vors Bett gestellt.“
„Soll ich Dich dafür noch loben? - Wahrscheinlich!“
Nadine versucht ernst zu bleiben, aber sie kann ihm einfach nicht lange böse sein. „Komm geh duschen, ich mache uns inzwischen Frühstück.“
„Du bist ein Schatz!“ Pierre richtet sich vorsichtig auf. Was ist nur los? Jeder einzelne Knochen tut ihm weh. Der Vergleich mit der Vogelscheuche ist gar nicht so verkehrt, denn im Moment fühlt er sich deutlich älter als neununddreißig Jahre. Steifbeinig stelzt er ins Bad. Eine Dusche wird ihn schon wieder auf Vordermann bringen. Als er den Bademantel auszieht, fällt sein Blick in den Spiegel. Er stockt mitten in der Bewegung. „Um Himmels Willen, was ist das?“ Er starrt auf ein paar leuchtend rote Kratzer, die quer über seine Brust verlaufen. Tastend fährt er mit den Fingern darüber.
Nein, das ist keine Halluzination. Ein flüchtiger Gedanke an einen verführerischen Rotschopf schiesst im durch den Kopf. Ich glaube, ich muss dringend mit Raoul reden. Hoffentlich weiß er, was das zu bedeuten hat. Der Duft von frischem Kaffee treibt Pierre endlich unter die Dusche, und fünfzehn Minuten später betritt er die Küche. Nadine sitzt am Tisch, hat die Ellbogen aufgestützt und umfasst mit beiden Händen ihren großen Kaffeebecher. Zufrieden lächelt sie ihn an. „Da bist Du ja. Komm setzt Dich noch ein bisschen zu mir.“ Pierre entspannt sich etwas und gießt sich einen Kaffee ein. Was will man mehr an einem Samstagmorgen. Er verdrängt alle üblen Gedanken, drückt Nadine ein Küsschen auf die Nasenspitze und macht es sich neben ihr gemütlich. „Na, nun erzähl doch mal. War es gestern Abend nett?“ Sofort wieder unruhig, rutscht Pierre auf der Eckbank herum. „Och ja, so wie immer. Wir haben in dem neuen Restaurant „Chez Louis“ gegessen und ein paar Flaschen Wein geköpft. Wie üblich sind anschließend die meisten verschwunden und der Rest ist in irgendeiner Bar gelandet. Ich glaube wir haben sogar getanzt.“
Nadine spöttelt. „Du glaubst? Kann es sein, dass Du ein klein wenig zuviel Rotwein getrunken hast?“ Eigentlich braucht Nadine nicht zu fragen, denn Pierre tanzt nur, wenn er stark angeheitert ist. „Übrigens, ist die neue rothaarige Sekretärin mit dabei gewesen?“
Pierre verschluckt sich und muss husten. „Möglich. So genau kann ich mich nicht daran erinnern.“ Ein Blick zur Küchenuhr und Pierre springt auf. „Ich geh jetzt. Raoul wartet sicher schon.“ Er schnappt sich seine Schlüssel und sitzt fünf Minuten später auf seinem Luxus-Carbon-Rennrad. Beinahe wäre er noch über die Katze von nebenan gestolpert, die plötzlich um seine Beine schlich.
Blödes Vieh. Sonst ignorierte sie ihn doch auch immer.

Die Stille im Büro ist wohltuend und hilft Pierre seinen leichten Anfall von Panik zu bekämpfen. Schwungvoll öffnet sich die Tür und Raoul steht im Rahmen. „Morgen mein Freund! Wie geht’s?“
„Frag nicht!“ Pierre richtet sich auf und hebt langsam die Augenlider. „Mein Schädel brummt, und der restliche Körper kann nicht mir gehören.“
„Verständlich, so wie Du gestern gezecht hast. Wie in alten Tagen. Soll ich Dir vielleicht einen kalten Lappen besorgen oder hättest Du lieber eine süße Krankenschwester?“
„Danke! Danke! Nicht nötig. Sag mir nur was ich gestern angestellt habe und es geht mir sofort besser.“
„Das weiß ich doch nicht“, entgegnet Raoul erstaunt.
„Was soll das heißen. Waren wir nicht den ganzen Abend zusammen?“ Pierre runzelt die Augenbrauen.
„Schon, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als mich unser Neuzugang bat, mit dir allein bleiben zu können.“
„Und da gehst Du einfach. Schöner Freund!“
„Na hör mal, ich bin nicht Dein Aufpasser, und außerdem behauptest Du immer, keine Frau könnte Dich mehr rumkriegen, seit Du mit Nadine liiert bist.“
„Richtig! Recht hast Du! Es ist bestimmt nichts passiert. - Aber sieh dir das mal an.“ Mit bedrücktem Gesicht knöpft Pierre sein Hemd auf und beeindruckt stößt Raoul einen lauten Pfiff aus.
„Donnerwetter! Hat Nadine die schon gesehen?“
„Bist Du verrückt! Ich kann sie ihr nicht zeigen, ohne eine plausible Erklärung parat zu haben. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern.“ Pierre schließt erneut die Augen und konzentriert sich. Also da war das Restaurant, und alle Angestellten der Anwaltskanzlei saßen im Kerzenschein um einen runden Tisch herum. Nach ein paar Gläsern Wein herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Neue saß neben ihm, in einem grünen Kleid mit einem sündhaft tiefen Dekolleté. Bei jeder Gelegenheit beugte sie sich weit zu ihm, so dass ihr Parfüme seine Nase kitzelte. Früher hätte er keine Minute gezögert und ihre offensichtliche Einladung angenommen. Doch jetzt. Es wunderte ihn selbst. Bei jedem Tanz schmiegte sie sich eng an ihn, so dass er die Üppigkeit ihres Körpers nicht nur zu erahnen brauchte, und dann ... .
Verdammt, was passierte dann?
Entmutigt schüttelt Pierre den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr entsinnen, als ob ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. - Das ist es! Ich behaupte einfach, ich bin überfallen worden.“
„Mach keinen Blödsinn. Nadine ist nicht dumm. Soll der Gangster eine Frau gewesen sein, die Dich gekratzt hat weil Du zu wenig Geld dabei hattest!"
„Mmmh! - Dann bin ich eben gefoltert worden oder weiß der Henker.“ Raoul klopft seinem Freund beruhigend auf die Schulter. „Was hältst Du davon Nadine die Wahrheit zu erzählen. Sie liebt Dich und vertraut Dir.“ Pierre stutzt. Raoul hat recht. Das ist die Lösung. Nadine würde ihm glauben, dass er nichts Unrechtes getan hatte, auch wenn er sich leider nicht an die gestrige Nacht erinnern konnte. „Am besten, ich sage es ihr gleich, bevor mich der Mut verlässt. Arbeiten kann ich sowieso nicht mehr.“ Er springt auf und eilt zur Tür. Raoul sieht seinem Freund hinterher. „Armer Pierre, hoffentlich geht das gut.“

Pierre kramt nach seinem Haustürschlüssel, als Nadine auch schon die Tür aufreißt. „Hallo, ich wollte gerade in die Küche, da hab ich Dich gehört. Was machst Du denn schon wieder hier. Bist Du fertig für heute? Ach egal! Es ist gut, dass Du kommst. Du hast nämlich Besuch.“
„Ich? Ich habe Besuch!? Wer sollte das wohl sein?“
„Stell dir vor, eine hübsche junge Dame.“ Nadines Stimme zittert. Pierre gefriert das Blut in den Adern, und zögernd hebt er den Kopf. Ihre Augen schwimmen in Tränen. „Ich kann Dir alles erklären!“ stammelt Pierre. „Hör mir bitte erst zu, bevor sie dir etwas Falsches erzählt.“
„Ich finde, es hört sich sehr realistisch an, und man kann sich alles lebhaft vorstellen. Schade, dass ich das nicht miterlebt habe.“
Oh mein Gott! Jetzt wird sie hysterisch. „Nadine, meine Süße, so schlimm ist es nicht gewesen. Sie hat bestimmt sehr viel erfunden und dazugedichtet. Vertrau mir.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Kinder übertreiben gern, aber so bist Du für sie ein richtiger Held, und wann hat man dazu schon einmal die Möglichkeit.“
„Kinder!? Held!!? - Wovon sprichst Du?“
„Na, von gestern Abend. Die Katze von Lucille, du weißt das kleine, blonde Mädchen von nebenan, ist auf die riesige Eiche vor unserem Haus geklettert und kam nicht mehr herunter. Trotzdem steckten Lucilles Eltern das Kind ins Bett, und natürlich ist die Kleine dann später ans Fenster geschlichen, um von dort auf Sammy aufzupassen. Da hat sie Dich gesehen, wie Du torkelnd unter dem tiefsten Ast stehen geblieben bist, und dann ... und dann ...“
Nadine holt tief Luft und wischt sich die Lachtränen von den Wangen. „Tja, nachdem Du drei Mal vergeblich versucht hast auf den Baum zu kommen, hast Du die Mülltonne herbei geschleift und so konntest Du endlich auf den Baum steigen um die Katze zu retten.“
Sprachlos öffnet Pierre den Mund. Jetzt dämmert ihm etwas. Er erinnert sich an ein fauchendes Bündel Fell, mit langen scharfen Krallen, das sich wie wild gewehrt hat. Ihm fällt eine Last von den Schultern und mit vor Stolz geschwellter Brust richtet er sich um einige Zentimeter auf. Ich wusste doch gleich, dass ich treu bin.
 
Hallo Ilona!

Hier die etwas verspätete Revanche:

Unerbittlich erhellen die Sonnenstrahlen, die sich durch die Jalousien mogeln, ein blasses Katergesicht.
Hier kommt dein schöner, fröhlicher Sprachfluss ein wenig ins Stocken. Wie wäre es z.B. mit: Unerbittlich erhellen die sich durch die Jalousien mogelnden Sonnenstrahlen ein blasses Katergesicht. Das ist auch noch nicht perfekt, aber musst Du ja auch nicht übernehmen ;)

Steifbeinig stelzt er ins Bad.
Das ist wahrlich ein Bild für die Götter :D

„Verständlich, so wie Du gestern gezecht hast(,) (w)ie in alten Tagen. Soll ich Dir vielleicht einen kalten Lappen besorgen oder hättest Du lieber eine süße Krankenschwester?“
Ich würde hier tatsächlich ein Komma setzen, weil ich mit dem Punkt beim Lesen ins Stocken geraten bin.

Im Großen und Ganzen hat mir deine Geschichte sehr gut gefallen, allerdings wundere ich mich über die Rettung der Katze. Wie kann Pierre in sternhagelvollem Zustand es schaffen, auf einen Baum zu klettern um eine sich sträubende Katze zu retten? Vielleicht funktioniert das ja wirklich? Ich war noch nie so besoffen, daher kann ich das auch nicht wirklich beurteilen.

Ich hoffe, ich konnte dir trotzdem helfen :D

Herzliche Grüße
Drachenprinzessin
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Geschichte ist zwar lustig, aber vollkommen unglaubwürdig. Der gute Pierre erinnert sich morgens an nichts, hat einen Filmriss, wie er nur nach - nun, sehr viel - Alkohol vorkommen kann, ist aber in der Lage, nach einer Dusche gemütlich Kaffee zu trinken, dann mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und dort erfährt er, dass der "Neuzugang" mit ihm alleine bleiben wollte - aber danach ist eine Riesenlücke, auch in der Geschichte, denn was passierte dann?

Ich glaube kaum, dass sich ein "Gewohnheitstrinker" hier melden wird, um Realistisches von sich zu geben. Ich finde es gefährlich, solche Filmrisse in harmlose Geschichten zu kleiden.

Dein Erzählstil ist flüssig, nutze ihn für bessere Ideen!

LG Doc
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Drachenprinzessin und hallo DocSchneider,
vielen Dank für das Lesen meiner Geschichte und für Eure berechtigten Einwände. Ich werde sie mir zu Herzen nehmen und meine nächste Geschichte besser recherchieren.
Die Änderung des Textes bzgl. der Anregungen erfolgt in den nächsten Tagen.
Liebe Grüsse sendet Ilona
 

Ilona B

Mitglied
Der Seitensprung

„Liebling! Aufstehen! Es ist zwar Samstag und erst kurz nach 10.00 Uhr, aber Du wolltest doch noch ins Büro.“
„Mein Gott, warum schreist Du so?“ erklingt ein dumpfes Stöhnen. Wenn nicht alles täuscht, ist das Pierre Latour, der Sonnyboy vom Dienst und Schwarm aller lebenden Frauen. Am Bettende schiebt sich langsam ein schwarzhaariger Lockenkopf unter der Decke hervor. „Wo bin ich? Und vor allem, was bin ich?“
Vereinzelte Sonnenstrahlen mogeln sich durch die Jalousien und erhellen ein blasses Katergesicht.
„Na, Du siehst aus wie eine zerrupfte Vogelscheuche, die mit einem Kopfsprung in unserem kuscheligen Bett gelandet ist. Übrigens, unsere Wohnung ist in Paris, falls Du das auch nicht mehr weist. Paris in Frankreich.“
Nadine schnappt sich mit einem Ruck die Bettdecke. „Hier ist also mein Morgenmantel! Ich hab ihn schon überall gesucht.“
Pierre setzt seinen treuherzigen Dackelblick ein. „Ich muss mich wohl einsam gefühlt haben und Deinen Morgenmantel anzuziehen, war fast wie eine Umarmung von Dir. - Aber hast Du gesehen, meine Schuhe habe ich ordentlich vors Bett gestellt.“
„Soll ich Dich dafür noch loben? - Wahrscheinlich!“
Nadine versucht ernst zu bleiben, aber sie kann ihm einfach nicht lange böse sein. „Komm geh duschen, ich mache uns inzwischen Frühstück.“
„Du bist ein Schatz!“ Pierre richtet sich vorsichtig auf. Was ist nur los? Jeder einzelne Knochen tut ihm weh. Der Vergleich mit der Vogelscheuche ist gar nicht so verkehrt, denn im Moment fühlt er sich deutlich älter als neununddreißig Jahre. Steifbeinig stelzt er ins Bad. Eine Dusche wird ihn schon wieder auf Vordermann bringen. Als er den Bademantel auszieht, fällt sein Blick in den Spiegel. Er stockt mitten in der Bewegung. „Um Himmels Willen, was ist das?“ Er starrt auf ein paar leuchtend rote Kratzer, die quer über seine Brust verlaufen. Tastend fährt er mit den Fingern darüber.
Nein, das ist keine Halluzination. Ein flüchtiger Gedanke an einen verführerischen Rotschopf schiesst im durch den Kopf. Ich glaube, ich muss dringend mit Raoul reden. Hoffentlich weiß er, was das zu bedeuten hat. Der Duft von frischem Kaffee treibt Pierre endlich unter die Dusche, und fünfzehn Minuten später betritt er die Küche. Nadine sitzt am Tisch, hat die Ellbogen aufgestützt und umfasst mit beiden Händen ihren großen Kaffeebecher. Zufrieden lächelt sie ihn an. „Da bist Du ja. Komm setzt Dich noch ein bisschen zu mir.“ Pierre entspannt sich etwas und gießt sich einen Kaffee ein. Was will man mehr an einem Samstagmorgen. Er verdrängt alle üblen Gedanken, drückt Nadine ein Küsschen auf die Nasenspitze und macht es sich neben ihr gemütlich. „Na, nun erzähl doch mal. War es gestern Abend nett?“ Sofort wieder unruhig, rutscht Pierre auf der Eckbank herum. „Och ja, so wie immer. Wir haben in dem neuen Restaurant „Chez Louis“ gegessen und ein paar Flaschen Wein geköpft. Wie üblich sind anschließend die meisten verschwunden und der Rest ist in irgendeiner Bar gelandet. Ich glaube wir haben sogar getanzt.“
Nadine spöttelt. „Du glaubst? Kann es sein, dass Du ein klein wenig zuviel Rotwein getrunken hast?“ Eigentlich braucht Nadine nicht zu fragen, denn Pierre tanzt nur, wenn er stark angeheitert ist. „Übrigens, ist die neue rothaarige Sekretärin mit dabei gewesen?“
Pierre verschluckt sich und muss husten. „Möglich. So genau kann ich mich nicht daran erinnern.“ Ein Blick zur Küchenuhr und Pierre springt auf. „Ich geh jetzt. Raoul wartet sicher schon.“ Er schnappt sich seine Schlüssel und sitzt fünf Minuten später auf seinem Luxus-Carbon-Rennrad. Beinahe wäre er noch über die Katze von nebenan gestolpert, die plötzlich um seine Beine schlich.
Blödes Vieh. Sonst ignorierte sie ihn doch auch immer.

Die Stille im Büro ist wohltuend und hilft Pierre seinen leichten Anfall von Panik zu bekämpfen. Schwungvoll öffnet sich die Tür und Raoul steht im Rahmen. „Morgen mein Freund! Wie geht’s?“
„Frag nicht!“ Pierre richtet sich auf und hebt langsam die Augenlider. „Mein Schädel brummt, und der restliche Körper kann nicht mir gehören.“
„Verständlich, so wie Du gestern gezecht hast, wie in alten Tagen. Soll ich Dir vielleicht einen kalten Lappen besorgen oder hättest Du lieber eine süße Krankenschwester?“
„Danke! Danke! Nicht nötig. Sag mir nur was ich gestern angestellt habe und es geht mir sofort besser.“
„Das weiß ich doch nicht“, entgegnet Raoul erstaunt.
„Was soll das heißen. Waren wir nicht den ganzen Abend zusammen?“ Pierre runzelt die Augenbrauen.
„Schon, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als mich unser Neuzugang bat, mit dir allein bleiben zu können.“
„Und da gehst Du einfach. Schöner Freund!“
„Na hör mal, ich bin nicht Dein Aufpasser, und außerdem behauptest Du immer, keine Frau könnte Dich mehr rumkriegen, seit Du mit Nadine liiert bist.“
„Richtig! Recht hast Du! Es ist bestimmt nichts passiert. - Aber sieh dir das mal an.“ Mit bedrücktem Gesicht knöpft Pierre sein Hemd auf und beeindruckt stößt Raoul einen lauten Pfiff aus.
„Donnerwetter! Hat Nadine die schon gesehen?“
„Bist Du verrückt! Ich kann sie ihr nicht zeigen, ohne eine plausible Erklärung parat zu haben. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern.“ Pierre schließt erneut die Augen und konzentriert sich. Also da war das Restaurant, und alle Angestellten der Anwaltskanzlei saßen im Kerzenschein um einen runden Tisch herum. Nach ein paar Gläsern Wein herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Neue saß neben ihm, in einem grünen Kleid mit einem sündhaft tiefen Dekolleté. Bei jeder Gelegenheit beugte sie sich weit zu ihm, so dass ihr Parfüme seine Nase kitzelte. Früher hätte er keine Minute gezögert und ihre offensichtliche Einladung angenommen. Doch jetzt. Es wunderte ihn selbst. Bei jedem Tanz schmiegte sie sich eng an ihn, so dass er die Üppigkeit ihres Körpers nicht nur zu erahnen brauchte, und dann ... .
Verdammt, was passierte dann?
Entmutigt schüttelt Pierre den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr entsinnen, als ob ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. - Das ist es! Ich behaupte einfach, ich bin überfallen worden.“
„Mach keinen Blödsinn. Nadine ist nicht dumm. Soll der Gangster eine Frau gewesen sein, die Dich gekratzt hat weil Du zu wenig Geld dabei hattest!"
„Mmmh! - Dann bin ich eben gefoltert worden oder weiß der Henker.“ Raoul klopft seinem Freund beruhigend auf die Schulter. „Was hältst Du davon Nadine die Wahrheit zu erzählen. Sie liebt Dich und vertraut Dir.“ Pierre stutzt. Raoul hat recht. Das ist die Lösung. Nadine würde ihm glauben, dass er nichts Unrechtes getan hatte, auch wenn er sich leider nicht an die gestrige Nacht erinnern konnte. „Am besten, ich sage es ihr gleich, bevor mich der Mut verlässt. Arbeiten kann ich sowieso nicht mehr.“ Er springt auf und eilt zur Tür. Raoul sieht seinem Freund hinterher. „Armer Pierre, hoffentlich geht das gut.“

Pierre kramt nach seinem Haustürschlüssel, als Nadine auch schon die Tür aufreißt. „Hallo, ich wollte gerade in die Küche, da hab ich Dich gehört. Was machst Du denn schon wieder hier. Bist Du fertig für heute? Ach egal! Es ist gut, dass Du kommst. Du hast nämlich Besuch.“
„Ich? Ich habe Besuch!? Wer sollte das wohl sein?“
„Stell dir vor, eine hübsche junge Dame.“ Nadines Stimme zittert. Pierre gefriert das Blut in den Adern, und zögernd hebt er den Kopf. Ihre Augen schwimmen in Tränen. „Ich kann Dir alles erklären!“ stammelt Pierre. „Hör mir bitte erst zu, bevor sie dir etwas Falsches erzählt.“
„Ich finde, es hört sich sehr realistisch an, und man kann sich alles lebhaft vorstellen. Schade, dass ich das nicht miterlebt habe.“
Oh mein Gott! Jetzt wird sie hysterisch. „Nadine, meine Süße, so schlimm ist es nicht gewesen. Sie hat bestimmt sehr viel erfunden und dazugedichtet. Vertrau mir.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Kinder übertreiben gern, aber so bist Du für sie ein richtiger Held, und wann hat man dazu schon einmal die Möglichkeit.“
„Kinder!? Held!!? - Wovon sprichst Du?“
„Na, von gestern Abend. Die Katze von Lucille, du weißt das kleine, blonde Mädchen von nebenan, ist auf die riesige Eiche vor unserem Haus geklettert und kam nicht mehr herunter. Trotzdem steckten Lucilles Eltern das Kind ins Bett, und natürlich ist die Kleine dann später ans Fenster geschlichen, um von dort auf Sammy aufzupassen. Da hat sie Dich gesehen, wie Du torkelnd unter dem tiefsten Ast stehen geblieben bist, und dann ... und dann ...“
Nadine holt tief Luft und wischt sich die Lachtränen von den Wangen. „Tja, nachdem Du drei Mal vergeblich versucht hast auf den Baum zu kommen, hast Du die Mülltonne herbei geschleift und so konntest Du endlich auf den Baum steigen um die Katze zu retten.“
Sprachlos öffnet Pierre den Mund. Jetzt dämmert ihm etwas. Er erinnert sich an ein fauchendes Bündel Fell, mit langen scharfen Krallen, das sich wie wild gewehrt hat. Ihm fällt eine Last von den Schultern und mit vor Stolz geschwellter Brust richtet er sich um einige Zentimeter auf. Ich wusste doch gleich, dass ich treu bin.
 

Amarinya

Mitglied
Ich finde die Geschichte recht kurzweilig zu lesen. Ein paar Klischees sind drin - ok, geschenkt, die kann man hier auch als stilistisches Mittel ansehen.

Aber eines finde ich schade:
Die Auflösung des "Seitensprungs" müsste erst ganz zum Schluss, im allerletzten oder vorletzten Satz erfolgen. Das gäbe meiner Meinung nach einen noch besseren Überraschungseffekt (dass das schwer umzusetzen ist, ist natürlich klar! :) )

Und da ich gerade dabei bin:
Die Katze von Lucille, du weißt das kleine, blonde Mädchen von nebenan, ist auf die riesige Eiche vor unserem Haus geklettert und kam nicht mehr herunter. Trotzdem steckten Lucilles Eltern das Kind ins Bett, und natürlich ist die Kleine dann später ans Fenster geschlichen, um von dort auf Sammy aufzupassen.
Ich habe den Eindruck, dass Du das dem Leser als Auflösung der Geschichte mittteilen willst - dass Du es aber Nadine sagen lässt, die damit die gesamte logische Kette der Ereignisse erzählt, kommt (bei mir) nicht so realistisch rüber.

Aber das ist - wie stets - nur meine eigene, unmaßgebliche Meinung!
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Amarinya,
vielen Dank für die Bewertung und die Anregungen. Du hast Recht, ich habe dem Leser wohl nicht zugetraut die Schlüsse selber zu ziehen.
Ich bin noch nicht so lang bei der Leselupe und habe vorher noch Keinem meine Geschichten gezeigt. Es ist erstaunlich was ich so Alles nicht registriert habe. Wie schon erwähnt bedenke ich meine nächste Erzählung besser und lasse den Seitensprung so wie er jetzt ist, sonst wäre die Erzählung langsam nicht mehr von mir.
Herzliche Grüße Ilona
 

Ilona B

Mitglied
Der Seitensprung

„Liebling! Aufstehen! Es ist zwar Samstag und erst kurz nach 10.00 Uhr, aber Du wolltest doch noch ins Büro.“
„Mein Gott, warum schreist Du so?“ erklingt ein dumpfes Stöhnen. Wenn nicht alles täuscht, ist das Pierre Latour, der Sonnyboy vom Dienst und Schwarm aller lebenden Frauen. Am Bettende schiebt sich langsam ein schwarzhaariger Lockenkopf unter der Decke hervor. „Wo bin ich? Und vor allem, was bin ich?“
Vereinzelte Sonnenstrahlen mogeln sich durch die Jalousien und erhellen ein blasses Katergesicht.
„Na, Du siehst aus wie eine zerrupfte Vogelscheuche, die mit einem Kopfsprung in unserem kuscheligen Bett gelandet ist. Übrigens, unsere Wohnung ist in Paris, falls Du das auch nicht mehr weist. Paris in Frankreich.“
Nadine schnappt sich mit einem Ruck die Bettdecke. „Hier ist also mein Morgenmantel! Ich hab ihn schon überall gesucht.“
Pierre setzt seinen treuherzigen Dackelblick ein. „Ich muss mich wohl einsam gefühlt haben und Deinen Morgenmantel anzuziehen, war fast wie eine Umarmung von Dir. - Aber hast Du gesehen, meine Schuhe habe ich ordentlich vors Bett gestellt.“
„Soll ich Dich dafür noch loben? - Wahrscheinlich!“
Nadine versucht ernst zu bleiben, aber sie kann ihm einfach nicht lange böse sein. „Komm geh duschen, ich mache uns inzwischen Frühstück.“
„Du bist ein Schatz!“ Pierre richtet sich vorsichtig auf. Was ist nur los? Jeder einzelne Knochen tut ihm weh. Der Vergleich mit der Vogelscheuche ist gar nicht so verkehrt, denn im Moment fühlt er sich deutlich älter als neununddreißig Jahre. Steifbeinig stelzt er ins Bad. Eine Dusche wird ihn schon wieder auf Vordermann bringen. Als er den Bademantel auszieht, fällt sein Blick in den Spiegel. Er stockt mitten in der Bewegung. „Um Himmels Willen, was ist das?“ Er starrt auf ein paar leuchtend rote Kratzer, die quer über seine Brust verlaufen. Tastend fährt er mit den Fingern darüber.
Nein, das ist keine Halluzination. Ein flüchtiger Gedanke an einen verführerischen Rotschopf schiesst im durch den Kopf. Ich glaube, ich muss dringend mit Raoul reden. Hoffentlich weiß er, was das zu bedeuten hat. Der Duft von frischem Kaffee treibt Pierre endlich unter die Dusche, und fünfzehn Minuten später betritt er die Küche. Nadine sitzt am Tisch, hat die Ellbogen aufgestützt und umfasst mit beiden Händen ihren großen Kaffeebecher. Zufrieden lächelt sie ihn an. „Da bist Du ja. Komm setzt Dich noch ein bisschen zu mir.“ Pierre entspannt sich etwas und gießt sich einen Kaffee ein. Was will man mehr an einem Samstagmorgen. Er verdrängt alle üblen Gedanken, drückt Nadine ein Küsschen auf die Nasenspitze und macht es sich neben ihr gemütlich. „Na, nun erzähl doch mal. War es gestern Abend nett?“ Sofort wieder unruhig, rutscht Pierre auf der Eckbank herum. „Och ja, so wie immer. Wir haben in dem neuen Restaurant „Chez Louis“ gegessen und ein paar Flaschen Wein geköpft. Wie üblich sind anschließend die meisten verschwunden und der Rest ist in irgendeiner Bar gelandet. Ich glaube wir haben sogar getanzt.“
Nadine spöttelt. „Du glaubst? Kann es sein, dass Du ein klein wenig zuviel Rotwein getrunken hast?“ Eigentlich braucht Nadine nicht zu fragen, denn Pierre tanzt nur, wenn er stark angeheitert ist. „Übrigens, ist die neue rothaarige Sekretärin mit dabei gewesen?“
Pierre verschluckt sich und muss husten. „Möglich. So genau kann ich mich nicht daran erinnern.“ Ein Blick zur Küchenuhr und Pierre springt auf. „Ich geh jetzt. Raoul wartet sicher schon.“ Er schnappt sich seine Schlüssel und sitzt fünf Minuten später auf seinem Luxus-Carbon-Rennrad. Beinahe wäre er noch über die Katze von nebenan gestolpert, die plötzlich um seine Beine schlich.
Blödes Vieh. Sonst ignorierte sie ihn doch auch immer.

Die Stille im Büro ist wohltuend und hilft Pierre seinen leichten Anfall von Panik zu bekämpfen. Schwungvoll öffnet sich die Tür und Raoul steht im Rahmen. „Morgen mein Freund! Wie geht’s?“
„Frag nicht!“ Pierre richtet sich auf und hebt langsam die Augenlider. „Mein Schädel brummt, und der restliche Körper kann nicht mir gehören.“
„Verständlich, so wie Du gestern gezecht hast, wie in alten Tagen. Soll ich Dir vielleicht einen kalten Lappen besorgen oder hättest Du lieber eine süße Krankenschwester?“
„Danke! Danke! Nicht nötig. Sag mir nur was ich gestern angestellt habe und es geht mir sofort besser.“
„Das weiß ich doch nicht“, entgegnet Raoul erstaunt.
„Was soll das heißen. Waren wir nicht den ganzen Abend zusammen?“ Pierre runzelt die Augenbrauen.
„Schon, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als mich unser Neuzugang bat, mit dir allein bleiben zu können.“
„Und da gehst Du einfach. Schöner Freund!“
„Na hör mal, ich bin nicht Dein Aufpasser, und außerdem behauptest Du immer, keine Frau könnte Dich mehr rumkriegen, seit Du mit Nadine liiert bist.“
„Richtig! Recht hast Du! Es ist bestimmt nichts passiert. - Aber sieh dir das mal an.“ Mit bedrücktem Gesicht knöpft Pierre sein Hemd auf und beeindruckt stößt Raoul einen lauten Pfiff aus.
„Donnerwetter! Hat Nadine die schon gesehen?“
„Bist Du verrückt! Ich kann sie ihr nicht zeigen, ohne eine plausible Erklärung parat zu haben. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern.“ Pierre schließt erneut die Augen und konzentriert sich. Also da war das Restaurant, und alle Angestellten der Anwaltskanzlei saßen im Kerzenschein um einen runden Tisch herum. Nach ein paar Gläsern Wein herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Neue saß neben ihm, in einem grünen Kleid mit einem sündhaft tiefen Dekolleté. Bei jeder Gelegenheit beugte sie sich weit zu ihm, so dass ihr Parfüme seine Nase kitzelte. Früher hätte er keine Minute gezögert und ihre offensichtliche Einladung angenommen. Doch jetzt. Es wunderte ihn selbst. Bei jedem Tanz schmiegte sie sich eng an ihn, so dass er die Üppigkeit ihres Körpers nicht zu erahnen brauchte, und dann ... .
Verdammt, was passierte dann?
Entmutigt schüttelt Pierre den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr entsinnen, als ob ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. - Das ist es! Ich behaupte einfach, ich bin überfallen worden.“
„Mach keinen Blödsinn. Nadine ist nicht dumm. Soll der Gangster eine Frau gewesen sein, die Dich gekratzt hat weil Du zu wenig Geld dabei hattest!"
„Mmmh! - Dann bin ich eben gefoltert worden oder weiß der Henker.“ Raoul klopft seinem Freund beruhigend auf die Schulter. „Was hältst Du davon Nadine die Wahrheit zu erzählen. Sie liebt Dich und vertraut Dir.“ Pierre stutzt. Raoul hat recht. Das ist die Lösung. Nadine würde ihm glauben, dass er nichts Unrechtes getan hatte, auch wenn er sich leider nicht erinnern konnte. „Am besten, ich sage es ihr gleich, bevor mich der Mut verlässt. Arbeiten kann ich sowieso nicht mehr.“ Er springt auf und eilt zur Tür. Raoul sieht seinem Freund hinterher. „Armer Pierre, hoffentlich geht das gut.“

Pierre kramt nach seinem Haustürschlüssel, als Nadine die Tür aufreißt. „Hallo, ich wollte gerade in die Küche, da hab ich Dich gehört. Was machst Du denn schon wieder hier. Bist Du fertig für heute? Ach egal! Es ist gut, dass Du kommst. Du hast nämlich Besuch.“
„Ich? Ich habe Besuch!? Wer sollte das wohl sein?“
„Stell dir vor, eine hübsche junge Dame.“ Nadines Stimme zittert. Pierre gefriert das Blut in den Adern, und zögernd hebt er den Kopf. Ihre Augen schwimmen in Tränen. „Ich kann Dir alles erklären!“ stammelt Pierre. „Hör mir bitte erst zu, bevor sie dir etwas Falsches erzählt.“
„Ich finde, es hört sich sehr realistisch an, und man kann sich alles lebhaft vorstellen. Schade, dass ich das nicht miterlebt habe.“
Oh mein Gott! Jetzt wird sie hysterisch. „Nadine, meine Süße, so schlimm ist es nicht gewesen. Sie hat bestimmt sehr viel erfunden und dazugedichtet. Vertrau mir.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Kinder übertreiben gern, aber so bist Du für sie ein richtiger Held, und wann hat man dazu schon einmal die Möglichkeit.“
„Kinder!? Held!!? - Wovon sprichst Du?“
„Na, von gestern Abend. Lucille ist hier, du weißt das kleine, blonde Mädchen von nebenan. Du hast doch ihre Sammy gerettet."
Nadine holt tief Luft und wischt sich die Lachtränen von den Wangen. „Tja, nachdem Du drei Mal vergeblich versucht hast auf den Baum zu steigen, hast Du mit erheblichem Radau die Mülltonne herbei geschleift."
Sprachlos öffnet Pierre den Mund. Jetzt dämmert ihm etwas. Er erinnert sich an ein fauchendes Bündel Fell, mit langen scharfen Krallen, das sich wie wild gewehrt hatte. Ihm fällt eine Last von den Schultern und mit vor Stolz geschwellter Brust richtet er sich um einige Zentimeter auf. Ich wusste doch gleich, dass ich treu bin.
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Amarinya,
ich habe mich etwas bei der Leselupe umgesehen und bin immer wieder darauf gestossen, dass es Hauptsächlich um die Arbeit an unseren Geschichten geht. Deswegen habe ich meine Erzählung im Hinblick auf Deine Anregungen doch noch mal geändert. :)
 



 
Oben Unten