Lieber Montgelas,
da hast Du ja meinen Text hin und her gewendet und beleuchtet, wie man sich das als Autor nur wünschen kann.
Ja, der antike Mensch glaubte, dass er selbst keinerlei Handlungsspielraum habe, sondern dem unterworfen sei, was die Götter über ihn bestimmt haben. Und so ist es ganz folgerichtig, dass dann auf der Bühne die Gottheit in aller Schlichtheit auftauchen konnte, um dem Menschen ganz faktisch und praktisch aus seinen Schwierigkeiten heraus zu helfen.
Der moderne Mensch hat sich von allem Göttlichen herausgelöst und meint die Schwierigkeiten auf eigene Faust lösen zu können.
Wenn man das als Souffleur mit ansehen muss, wie da Leid produziert wird anstatt Leid zu lindern, wie man den eingeübten Text den Darstellern zuflüstern muss, obgleich man weiß, das er das Stück keiner Lösung zutreibt, weder Katharsis noch einen akzeptablen Aktschluss herbeiführen kann, dann bleibt nichts als ein Seufzer.
Und auch der Trick mit dem Mitspieltheater funktioniert nicht, weil das Publikum aus den Erfahrungen all solcher
Spiele weiß, dass zwar Vorschläge angenommen werden, aber dann wieder in eine längst vorgedachte Richtung umgeleitet werden. Und so denkt sich jeder bei dem Ganzen:"Hauptsache mich trifft es nicht." Und er überblickt mal eben, was ihm das Leben bis jetzt geschenkt hat und hofft, es zu behalten.
Die Hauptdarsteller, Fädenzieher, können die eigene Ratlosigkeit nur noch durch Schminke übertünchen.
Ich denke viele Ereignisse, die sich zur Zeit in der Welt zutragen sind so geprägt.
Die Verfahrenheit der Situationen ist durch menschliche Schwäche entstanden: Engstirnigkeit, Gleichgültigkeit, Habgier, was auch immer. Aber dem Menschlichen wohnen auch die andren Seiten inne: Erbarmen, Güte, Weitsicht ein gewisses Maß an Selbstlosigkeit und vieles mehr.
Der Soffleur hofft auf den Gott der plötzlich aus der Versenkung auftaucht vergeblich, gewiß, aber durch sein langes Bühnenleben weiß er, wozu der Mensch eigentlich fähig ist, und dass er die Kraft besitzt, sich mit dem Göttlichen innerhelb seines Selbst wieder zu verbinden, und deshalb geht dieser Seufzer für ihn nicht wirklich ins Leere.
Lieber Montgelas, das ist der längste Text, den ich bisher als Antwort auf eine Interpretation geschrieben habe, aber Du hast mich so sehr bestärkt, in dem was mein Gedicht beinhaltet, dass ich Dir das nun auch deutlich unterbreiten wollte.
Ich danke Dir ganz herzlich.
Wenn ich mich mit dem Souffleur identifiziere, dann ist mein Herz zur Hälfte voller Trauer und zur anderen Hälfte voller Hoffnung.
Und ich freue mich, dass auch Du das Wort Hoffnung zum Schluss verwendest.
Ganz liebe Grüße von Vera-Lena