Der Sinn

Tobi

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DER SINN


Eines Sonntag morgens klingelte es um halb sieben an Herbert Ks Türe, bis er sie verschlafen öffnete. „Wir kommen von der Firma“ sagten die zwei Männer in schwarzen Anzügen. „Sind sie Herbert K?“ „Ja“ sagte K noch immer verschlafen. „Sie sollen sich morgen um neun in der Firma melden“ fuhren die Männer fort. „Wahrscheinlich werden sie für uns arbeiten, aber genau wissen wir es nicht.“ „Gut“ sagte K., schloss die Türe und legte sich wieder ins Bett.

Am nächsten Morgen erschien K wie gewohnt um acht zur Arbeit. Er betrat sein Büro, und wollte sich gerade an die Arbeit machen, als ein anderer Mitarbeiter ohne zu klopfen eintrat. „Sie sollen sich beim Chef melden“ sagte er. „Sofort!“ K. verließ das Zimmer und ging zum Arbeitszimmer seines Vorgesetzten. Als er es betreten hatte, wurde er sofort aufgefordert Platz zu nehmen. „K“ sagte der Vorgesetzte „sie werden ab heute nicht mehr bei uns arbeiten. Die Firma braucht sie. Sie erwarten sie in einer Stunde, machen sie sich also gleich auf den Weg.“ K, der den lächerlichen Vorfall von Sonntag morgen nicht allzu ernst genommen und an einen üblen Scherz geglaubt hatte, war unangenehm überrascht. „Wo genau ist die Firma denn?“ fragte er den Vorgesetzten. „Gehen sie mit Blecher“ sagte dieser, „er kennt den Weg und wird ab heute auch für die Firma arbeiten.“
K ging zu Blechers Büro, klopfte an, wartete, bis Blecher heraus kam und ging mit ihm zum Aufzug. „Sie müssen also auch für die Firma arbeiten?“ fragte K. „Ja“ sagte Blecher. „Aber das ist nichts ungewöhnliches. Fast jeder muss das irgendwann“ K war erstaunt. „Was für eine Firma ist das eigentlich? Was tut sie?“ „Sinnvolles!“ K verstand gar nichts mehr und sie betraten den Aufzug. „Ist es weit?“ fragte er schließlich, um das unangenehme Schweigen zu brechen. „Nein“ antwortete Blecher. „Es ist im Keller.“ K hatte seit zwanzig Jahren in diesem Gebäude gearbeitet, aber noch nie etwas von einer zweiten Firma in diesem Haus gehört. „In diesem Gebäude?“ fragte er ungläubig. „In diesem und in fast jedem anderen Gebäude auch. Es ist eine sehr große Firma, international sozusagen. Sie finden sie überall auf der ganzen Welt.“ K spürte, wie sich der Aufzug abwärts bewegte und bekam ein sehr ungutes Gefühl in der Magengegend. „Muss man für die Firma arbeiten?“ „Aber natürlich“ „Und was, wenn man sich weigert?“ „Weigert?“ Blecher sah ihn ungläubig an. „Das ist noch nie vorgekommen. Das wäre doch sinnlos, es ist eine einmalige Chance. Die Arbeit ist interessant, sie verdienen gut und obendrein ist es die sicherste Arbeitsstelle die sie sich vorstellen können. In der langen Firmengeschichte wurde fast noch nie jemand entlassen.“

Der Lift hielt und die schweren Metalltüren glitten auseinander. Vom Lift führte ein gerader mit Neonlicht erleuchteter Gang bis an eine schlichte, schwarze Holztüre mit der Aufschrift „Personalabteilung“. K und Blecher klopften und traten ein. Das Zimmer, das hinter der Türe lag, war quadratisch, ebenfalls von kaltem Neonlicht erleuchtet und wies nur Fünf Sesseln und einen Schreibtisch auf, hinter dem ein normal aussehender Mann in schwarzem Anzug saß. „Nehmen sie bitte Platz“ sagte der normal aussehende Mann. „Sie werden sich noch ein wenig gedulden müssen.“ „Aber es ist doch keiner da“ beschwerte sich K., „warum sollten wir uns also gedulden?“ „Tut mir leid, das ist die Vorschrift, jeder, der hier hereinkommt, muss sich etwas gedulden. Sie müssen überall warten, wieso also hier nicht?“
K. der nicht in der Stimmung für eine längere Diskussion war, folgte der Anweisung und setzte sich auf den mittleren der fünf Stühle. „Was machen sie da?“ fuhr ihn der normal aussehende Mann an, „sie müssen sich ordentlich hinsetzten, in einer Reihe, wie soll ich sonst wissen, wer als nächstes drankommt!“ K wollte etwas erwidern, erhob sich jedoch schließlich und setzte sich auf den zweiten Stuhl neben Blecher, der ihn mitleidig musterte. K. fiel auf, dass er ihn noch nie leiden konnte.
Nachdem sie etwa eine halbe Stunde schweigend nebeneinander gesessen hatten, fing K an, ärgerlich zu werden, und gerade als er sich erneut beschweren wollte, sah der normal aussehende Mann auf. „Ich habe nun Zeit für sie“ sagte er und starrte Blecher an“ Wer ist der erste?“ Blecher erhob sich und ging zum Schreibtisch. „Ich“ sagte er. „Was kann ich für sie tun?“ „Ich soll ab heute für die Firma arbeiten“ Der normal aussehende Mann öffnete eine Lade seines Schreibtisches und holte eine dicke schwarze Mappe hervor. „Name?“ „Leopold Blecher.“ Der Mann schlug seine Mappe auf und begann darin zu blättern. „Ah ja, da haben wir sie ja. Es scheint alles in Ordnung zu sein“ Er verstaute die Mappe wieder, griff abermals in die Schublade und holte ein sauberes Blatt Papier heraus, das er Blecher übergab. Bitte gehen sie durch die Türe, füllen sie das an dem kleinen Tisch auf der rechten Seite aus, gehen sie dann den Gang hinunter und nehmen sie die dreiundzwanzigste Türe links. Das ist die Buchhaltung, Sektion 23 Abteilung 4. Dort werden sie in Zukunft arbeiten.“ Blecher nickte und verschwand durch eine Türe hinter dem Schreibtisch, die K. bis jetzt nicht aufgefallen war. Die Türe, durch die sie das Büro betreten hatten, öffnete sich und zwei weitere Männer und eine Frau betraten den Raum. Der normal aussehende Mann am Schreibtisch senkte den Blick wieder und ignorierte die Neuankömmlinge. K wartete weitere fünf Minuten, bis er genug hatte. „Entschuldigen sie, aber wie lange soll ich mich noch gedulden?“ fuhr er den Mann hinter dem Schreibtisch an.
„Es gibt nichts zu tun“ sagte dieser ruhig, „der Platz des Nächsten ist leer, keiner da, der zu bearbeiten wäre.“ K starte fassungslos auf den Mann und brauchte ein paar Minuten bis er begriffen hatte. Wütend erhob er sich und setzte sich auf Blechers leeren Platz worauf die drei Neuen, die auch schon Platz genommen hatten ebenfalls Sessel wechselten. „Der nächste bitte“ sage der normal aussehende Mann und starrte K an. K erhob sich und ging zum Schreibtisch. „Was kann ich für sie tun?“ Der Mann sah ihn mit leerem Blick an. „Ich soll ab heute für die Firma arbeiten.“ „Name?“ „Herbert K“ Der Mann holte abermals die große schwarze Mappe heraus, schlug sie auf und fing an darin zu blättern. „Scheint alles in Ordnung zu sein“ sagte er, sehr zur Enttäuschung K.s , der bis jetzt gehofft hatte, es könnte sich um ein bedauerliches Missverständnis handeln. „Gehen sie durch die Tür, füllen sie das hier an dem kleinen Tisch rechts aus, gehen sie dann den Gang hinunter und nehmen sie die achtzehnte Türe auf der linken Seite. Das ist die Verwaltung, Sektion 8 Abteilung 23. Dort werden sie in Zukunft arbeiten.“ Er drückte K ein Blatt Papier in die Hand und deutete auf die Türe hinter seinem Schreibtisch.

K. blickte den langen Gang mit den vielen Türen hinunter und konnte erst nach ein paar Sekunden den Tisch an der rechten Wand entdecken, der sich in seinem Grau kaum von der Tapete unterschied. „Gut“ dachte K., „dies ist also mein neuer Arbeitsplatz“ und während er sich sorgen machte, zuwenig Tageslicht zu bekommen, setzte er sich an den Tisch und wendete das Blatt, um es auszufüllen. Es war leer.
Der verwunderte K. wendete es weitere 3 Male, bis er schließlich resignierte, sich erhob, und den langen Gang bis zur achtzehnten Türe auf der linken Seite hinabschritt. Ein großes Schild mit der Aufschrift „Verwaltung, Sektion 8 Abteilung 23“ zierte die Türe. K. klopfte und betrat einen riesigen Raum, in dem mindestens 50 Leute in blauen Anzügen an Schreibtischen saßen, hektisch telephonierten und auf ihre Computer einschlugen. Er wollte gerade, in der sicheren Überzeugung, die falsche Türe erwischt zu haben, umdrehen, als einer der hektischen Leute aus der schier endlosen Reihe an Schreibtischen auf ihn zukam.
„Sie müssen Herbert K. sein“ sagte er, „Willkommen in der Firma. Ich bin ab heute ihre Vertrauensperson und werde dafür sorgen, dass sie sich schnell hier zurechtfinden“. „Danke “ sagte K., „haben sie mich bereits erwartet?“ Der Mann nickte. „Der Informationsdienst der Firma arbeitet sehr präzise und zuverlässig. Vor allem, wenn es um Informationen für die Verwaltung geht, die Verwaltung ist schließlich das Herzstück der Firma. Sie haben Glück hier gleich am Anfang zu landen. Die meisten von uns mussten erst lange für die Firma arbeiten, bis wir endlich hier landeten. Die Bezahlung ist sehr gut, müssen sie wissen.“ „Das habe ich bereits gehört“ sagte K., „aber es scheint mir das einzig positive an der Firma zu sein!“ Der Mann sah K. ungläubig an. „Das einzig positive? Man merkt, sie sind neu, sonst würden sie nicht so über die Firma sprechen. Als ich hier anfing dachte ich auch so wie sie, aber mittlerweile weiß ich, dass die Firma das Beste ist, was mit je passiert ist. Sie bietet einem unzählige Vorteile. Aber darüber werde ich ihnen später mehr erzählen, jetzt werden wir sie erst einmal passend einkleiden“
„Vielleicht können sie mir weiterhelfen“ sagte K. schließlich, als sie das große Büro verlassen hatten, und den langen Gang hinabgingen, „Ich habe leider bis jetzt nicht verstanden, was die Firma tut, und da ich ja ab jetzt für sie arbeiten soll, wäre es hilfreich, dass zu wissen.“
„Hat man sie nicht aufgeklärt?“ Der andere wirke erstaunt. „Dabei ist es so einfach. Die Firma tut Sinnvolles.“ „Das hat man mir auch schon gesagt, aber Sinnvolles tun ist doch keine Beschäftigung!“ beharrte K. „Wieso nicht? Es ist sogar die einzig sinnvolle die es gibt!“ K. beschloss, es anders zu versuchen. „Aber wie tut die Firma das? Woher bekommt sie ihr Geld?“ Der andere zuckte mit den Achseln. „Woher soll ich das wissen. Ich arbeite nur in der Verwaltung. Meine Aufgabe ist es, von der Druckerei der Firma die Formulare zu kaufen, die die Firma an jeden neuen Angestellten zum Ausfüllen austeilt. Übrigens, haben sie ihres noch?“
K. wurde die ganze Sache unheimlich. „Ja“ sagte er schließlich. „Aber ich habe es nicht ausgefüllt. Es war leer!“ „Ich weiß“ antwortete sein Begleiter. „Ob sie es ausfüllen oder nicht ist unwichtig. Das einzig wichtige ist das sie eines bekommen haben. Wenn sie wollen können sie es wegwerfen oder auch aufheben, als Erinnerung sozusagen, sie brauchen es auf jeden Fall nicht mehr.“
Sie waren bei einer Türe angelangt auf der eine Tafel mit der Aufschrift „Kleiderausgabe“ prangte. Sein Begleiter hielt an. „Da wären wir“ sagte er, „jetzt müssen wir nur noch ein paar Minuten warten, dann bekommen sie ihren neuen Anzug.“ „Ist die Kleiderausgabe beschäftigt?“ fragte K., der sich mit Schrecken an sein Einstellungsgespräch erinnerte. „Das bezweifle ich, heute sind in dieser Abteilung außer ihnen kaum neue Leute eingestellt worden.“ „Wieso müssen wir dann warten?“ „Das ist so in der Firma, eine der Regeln sozusagen, egal in welche Abteilung sie kommen, sie müssen warten, je höher die Abteilung, desto länger die Wartezeit.“ Der Mann schwieg und starrte die Türe an. K.s kurzzeitige Angst hatte sich nun wieder in die anfängliche Wut verwandelt, und er beschloss zu kündigen.
Als er seinen Begleiter darauf ansprechen wollte, öffnete er die von ihm angestarrte Türe und zog K. mit sich in den dahinterliegenden Raum.
Nach seinen Erfahrungen mit dem Büro überraschte es K. nicht, sich in einer Lagerhalle wiederzufinden, in der auf schier endlosen Stangen ein blauer Anzug nach dem anderen hing. Als sie die Türe wieder geschlossen hatten, tauchte ein Mann mit einer langen Stange in der Hand auf, die offensichtlich dazu diente, die einzelnen Anzüge herunterzuholen. „Welche Größe haben sie“ rief er K. entgegen. „32“ antwortete K., „aber ich würde gerne meine Kleidung behalten, wenn es ihnen nichts ausmacht“. „Mich persönlich stört das nicht“ entgegnete der Mann, „aber wozu soll das gut sein? Ihre Kleidung wird nur unnötig schmutzig und abgenutzt. Außerdem ist die Firma eine große Familie. Hier sind alle gleich.“ Ohne weitere Proteste K.s abzuwarten hantierte der Mann geschickt mit seiner Stange an den Anzügen, bis er ein Modell in K.s Größe zum Vorschein brachte. „Hier“ sagte er, „Wenn er schmutzig sein sollte, bringen sie ihn hierher und erhalten umgehend einen sauberen.“ Damit verschwand er wieder hinter den Anzügen.
K. und sein Begleiter verließen die Lagerhalle wieder. Sein Begleiter begann wieder zu sprechen. „Jetzt wo sie eingekleidet sind, K., können wir zu den wichtigeren Dingen kommen. Zunächst einmal die Arbeitszeiten. Sie fangen an mit 7 Stunden täglich und steigern sich dann jedes Jahr, bis sie bei einem Maximum von 18 Stunden angelangt sind...“ Bevor der Andere fortfahren konnte, schnitt ihm K. das Wort ab. „Ich werde kündigen“ sagte er entschlossen, „noch heute. An welche Abteilung muss ich mich wenden?“ „Kündigen?“ Der Andere lachte. „Wieso kündigen? Sie haben sich doch eben erst bei uns beworben!“ K. schöpfte wieder Hoffnung. „Hier muss es sich um ein Missverständnis handeln, ich habe mich nie bei ihnen beworben, man hat mich regelrecht genötigt!“ „Das ist unmöglich, sagte der Andere. „Die Firma stellt niemanden ein, der sich nicht schriftlich um einen Posten beworben hätte, und ein Missverständnis ist auszuschließen. Die Firma macht keine Fehler.“ „Ob Missverständnis oder nicht“ fuhr K. sachlich fort, nicht geneigt, diese sinnlose Unterhaltung fortzusetzen „sagen sie mir bitte an welche Abteilung ich mich mit meiner Kündigung wenden muss, und beeilen sie sich, ich möchte es möglichst schnell hinter mich bringen.“ Sein Begleiter war außer sich. „Das weiß ich nicht, so etwas ist meines Wissens nach noch nie vorgekommen. Es ist absolut unvorstellbar, dass ein Mitarbeiter der Firma kündigt. Ich glaube nicht, dass es so eine Abteilung überhaupt gibt; Sie wäre sinnlos!“
K. sah ein, das er auf diesem Weg nichts erreichen würde und beschloss, seinen Begleiter zu überlisten. „Bringen sie mich zu ihrem Vorgesetzten“ sagte er in einem ruhigeren Ton „ich möchte einen Vorschlag machen, wie man die Firma noch sinnvoller gestalten könnte.“ Sein Begleiter beruhigte sich augenblicklich und schien höchst erfreut. „Das ist natürlich etwas ganz anderes. Ich werde sie gleich zu ihm führen, machen sie sich allerdings auf eine lange Wartezeit gefasst, als Chef der Verwaltung ist er ein wichtiger Teil in der Hierarchie der Firma“

Nach einen schier endlosen Marsch und einer kurzen Verabschiedung fand sich K. alleine vor einer weiteren Türe wieder. Als sein Begleiter um die nächste Ecke gebogen war, beschloss K. wider der Vorschrift einfach einzutreten und öffnete entschlossen die Türe. Er betrat ein kleines schmuckloses Büro, das dem Empfang zum verwechseln ähnlich war, mit dem kleinen Unterschied, das hinter dem Schreibtisch eine Frau saß.
Die Sekretärin nahm von K.s Eintreten keinerlei Notiz. K., der gehofft hatte durch sein barsches Eintreten einer weiteren, womöglich noch längeren Wartezeit zu entgehen, nahm enttäuscht und zunehmend verstimmt über die ganze Angelegenheit auf dem ersten der fünf Stühle platz.
Da K. bereits wusste, das Proteste und logische Einwände an diesem Ort absolut ungehört verhallten, verbrachte er die nächsten zwei Stunden mit geduldigem Warten, bis die Sekretärin, die auf K.s Begriffe furchtbar langweilig aussah, schließlich von ihrem Schreibtisch aufsah. „Der nächste bitte“ sagte sie mit ihrer langweiligen Stimme und sah zu K. auf, der sich bereits von seinem Platz erhoben hatte. „Ich möchte mit dem Chef der Verwaltungsabteilung sprechen“ sagte K. entschlossen „ich habe einen sinnvollen Vorschlag zu machen.“ Die Sekretärin zögerte einen Moment und K. befürchtete bereits, er könnte einfach abgewiesen werden, doch schließlich schien sie K.s entschlossenes Auftreten doch überzeugt zu haben. „Gehen sie durch diese Türe“ sagte sie und deutete auf die Türe hinter ihr „er wird sie sofort empfangen:“
Hinter der Türe lag ein weiteres kleines Büro in dem K. allerdings nichts entdecken konnte außer einem riesigen Schreibtisch auf dem sich Unmengen an fein säuberlich geordneten Akten befanden und der offensichtlich einem kleinen stämmigen Mann um die fünfzig gehörte, der K. verärgert musterte. „Sie wünschen?“ fuhr K. unfreundlich an.
„Ich werde sie nicht lange aufhalten“ begann K. schnell, um den kleinen Mann nicht weiter zu verärgern „ich möchte nur meine sofortige Kündigung bei ihrer Firma einreichen.“ Es war offensichtlich, das K. den kleinen Mann überrascht hatte. „Nehmen sie Platz“ befahl er verwirrt und deutete auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch. „Würden sie ihr Anliegen wohl noch einmal wiederholen“ fuhr er fort, sobald K. sich gesetzt hatte „ich fürchte ich habe sie vorhin nicht ganz verstanden.“ „Ich möchte Kündigen“ sagte K., stolz, seinen Gegenüber so aus der Fassung gebracht zu haben. Der kleine Mann schüttelte ungläubig den Kopf und starrte K. fassungslos an. „Wie heißen sie?“ brachte er schließlich hervor. „Herbert K.“ antworte K. Der kleine Mann war nun endgültig aus der Fassung gebracht. „Aber ich habe doch erst vor einer Woche ihr vorzügliches Bewerbungsschreiben gelesen, und daraufhin selbst veranlasst, dass sie in meiner Abteilung eingestellt werden!“ „Hierbei muss es sich um einen Irrtum handeln, ich habe mich nie bei ihrer Firma beworben, ja ich wusste bis heute nicht einmal dass es sie gibt. Dürfte ich diesen verleumderischen Brief einmal sehen?“ „Ausgeschlossen“ empörte sich der kleine Mann „hierbei handelt es sich um strenge Firmengeheimnisse, aber ich kann ihnen versichern, dass es ihn gibt, ein Irrtum ist auszuschließen. Warum in alles in der Welt wollen sie kündigen? Es gibt keine angenehmere Arbeitsstelle als die Firma, unsere Mitarbeiter sind durchwegs zufrieden. Ich selbst arbeite seit 30 Jahren hier, und habe noch keinen Tag daran gedacht aufzuhören!“ „Wie lange arbeiten sie am Tag?“ erkundigte sich K. „18 Stunden und das schon seit 19 Jahren.“ „Und was tun sie?“ „Sinnvolles!“ K. verlor nun die Geduld. „Wie können sie bei solchen Bedingungen nur von einer angenehmen Arbeitsstelle sprechen? Es ist mir vollkommen egal, was für Briefe sie von mir erhalten haben wollen und ob noch nie jemand gekündigt hat oder nicht, ich tue es jedenfalls hiermit!“ fuhr er seinen Gegenüber an. Der kleine Mann schien mittlerweile seine Fassung wiedergewonnen zu haben. „Das ist ausgeschlossen“ antwortete er kühl. „So etwas ist nicht vorgesehen und ganz und gar unmöglich. Bitte gehen sie jetzt und stehlen mir nicht weiter meine Zeit.“ Er erhob sich und führte den entsetzten K. zur Türe.
K. stand ratlos wieder in dem kleinen Büro der Sekretärin. Er zitterte am ganzen Körper und der Schweiß stand im auf der Stirn. Er sah zu der Frau hinter dem Schreibtisch und beschloss, einen letzten Anlauf zu nehmen. „Entschuldigen sie“ sagte er höflich, „könnten sie mir wohl sagen, wo ich jemanden finden könnte, der nicht für die Firma arbeitet?“ „Wieso wollen sie denn so jemanden finden?“ Die Sekretärin schien nicht im geringsten interessiert an diesem Gespräch. „Ich hoffe, vielleicht von ihm Informationen zu erhalten, wie ich aus dieser Firma ausscheiden könnte.“ K. war überrascht über seine Ehrlichkeit. „Das ist einfach“ meinte die desinteressierte Sekretärin. „Es gibt in dieser Stadt nur einen Mann, der nicht für die Firma arbeitet oder nicht zumindest schon ein Bewerbungsschreiben geschrieben hat. Sein Name ist Anton Frai. Er ist Schriftsteller.“ Glücklich über diese Nachricht erkundigte sich K. noch nach dem nächsten Ausgang und verließ voll Hoffnung das Büro.

Nachdem K. die Kabine des Fahrstuhls verlassen hatte, den er im von der Sekretärin empfohlenen Ausgang bestiegen hatte, stellte er mit großer Überraschung fest, dass er sich in seinem eigenen Haus befand. „Die Firma geht also auch hier ihren unheimlichen Geschäften nach“ dachte er erschaudernd, doch hielt er sich nicht lange mit diesem beunruhigenden Gedanken auf, sondern beschloss, gleich mit Hilfe eines Telefonbuches die Adresse Anton Frai´s festzustellen und sich sogleich auf den Weg zu machen.
Als er bei dem großen Haus am anderen Ende der Stadt angekommen war, war es bereits dunkel. Er betätigte kurz die Glocke neben dem Gartentor und kurz darauf öffnete sich die Türe des hell erleuchteten Hauses. „Sie wünschen?“ rief ihm die Haushälterin entgegen. „Ich würde gerne mit Herrn Frai sprechen“ sagte K: „Ich hoffe, er hat Zeit.“ „Herr Frai hat immer Zeit“ antwortete die Haushälterin. „Kommen sie herein, ich führe sie gleich zu ihm.“
Sie führte K. durch ein freundliches Vorzimmer in einen Raum an der Rückseite des Hauses durch dessen große Fenster man in den großzügigen Garten sehen konnte und der ganz offensichtlich das Arbeitszimmer des Schriftstellers war. In der Mitte des Raumes stand ein großer Schreibtisch direkt vor einem Kamin, in dem ein Feuer loderte und die Wände des Raumes waren durchgehend mit Bücherregalen verstellt. Als K. eintrat, las der Schriftsteller in einem dicken Buch, dass er sofort bei Seite legte. „Kommen sie näher und nehmen sie platz“ forderte er K. auf „was kann ich für sie tun?“ K. setzte sich auf den ihm zugewiesenen Stuhl. „Ich“ begann K. und wurde von dem Schriftsteller unterbrochen. „Möchten sie vielleicht etwas trinken?“ K. überlegte kurz. „Einen Scotch bitte“ sagte er schließlich. „Ich habe einen harten Tag hinter mir.“ „Eine gute Idee“ meinte der Schriftsteller „ich liebe Scotch. Möchten sie Eis?“ K. nickte. Der Schriftsteller ging zu einer kleinen Bar in der Ecke des Raumes und kam mit zwei gefüllten Gläsern zurück, eichte K. eines und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem eigenen, bevor er es vor sich auf den Tisch stellte. „So. Wie kann ich ihnen helfen?“ „Ich bin ihnen wirklich dankbar, dass sie mich zu dieser späten Stunde noch empfangen“ begann K. „ich brauche nämlich dringend ihre Hilfe. Ich befinde mich in einer verzwickten Lage und sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung. Die Firma will von mir. Dass ich für sie arbeite, doch ich denke nicht daran, dass zu tun. Ich habe versucht zu kündigen, doch man teilte mir mit dass dies unmöglich sei.“ Der Schriftsteller lachte laut auf. Leicht verunsichert fuhr K. fort. „Meines Wissens nach sind sie der einzige in dieser Stadt, der nicht für die Firma arbeitet. Sie müssen mir verraten, wieso die Firma sie nicht wollte. Nimmt sie keine Schriftsteller?“ Der Schriftsteller lachte abermals. „Oh doch, die Firma beschäftigt auch Schriftsteller. Sehr viele sogar, die meisten meiner Kollegen sind früher oder später in ihren Dienst getreten.“ K. war überrascht. „Und wieso ausgerechnet sie nicht?“ „Weil ich das schreiben geliebt habe und es immer noch liebe. Es erfüllt mich.“ „Das hilft mir nicht weiter“ meinte K. „Was kann ich tun, um von dort wieder weg zu kommen?“ Der Schriftsteller schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, dass ist fast unmöglich, sie haben den entscheidenden Augenblick verpasst. Sie müssten etwas tun, was ihnen Spaß macht.“ K. ließ vor Schreck sein noch halbvolles Scotchglas fallen und wurde kreideweiß vor entsetzten. Der Schriftsteller sah ihn mitleidig an. „Ich sehe, sie haben begriffen!“ sagte er und erhob sich. „Meine Haushälterin wird sie hinausbegleiten. Sie wird mir übrigens von der Firma zu Verfügung gestellt, und sie scheint damit ganz glücklich zu sein. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend und kommen sie gut nach Hause.“

Am nächsten Morgen erschien K. nicht zur vereinbarten Zeit in der Firma. Die beiden Angestellten die losgeschickt wurden, um nach ihm zu sehen, fanden ihn mit einer Pistole in der Hand und einem Loch im Kopf in seinem Schlafzimmer. „Was für ein Genie“ meinte der eine. „Nach nur einem Tag hat er es bereits zu höchsten Firmenehren gebracht. Man wird ihm bestimmt ein Denkmal setzten!“
 

gladiator

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Hallo Tobi...

...witzige Geschichte, hier meine Anmerkungen:

Deine Geschichte scheint deutlich von Kafka inspiriert zu sein. Das Problem: Der Name "K." ist schon so eindeutig besetzt durch Kafka, daß ich es für schlecht halte, diesen Namen zu wählen. Wenn ich irgendwo den Namen "K." lese, weiß ich sofort, wo es lang geht. Außerdem halte ich es für unmöglich, in Kafkas Fußstapfen zu treten. Du solltest einen anderen Namen wählen, auf jeden Fall einen harten Vokal (T. oder M. vielleicht). So bleibt Deine Geschichte Plagiat und kann nur verlieren.

Türe - Das e (kommt häufiger bei Dir vor) ist veralteter Sprachgebrauch und weist erneut auf Kafka hin. Ich würde das "e" überall streichen.

Anton Frai Der Nachname weist zu deutlich auf die Haupteigenschaft des Schriftstellers hin, nämlich seine Freiheit.

K. ist zur Firma gekommen, weil seine vorherige Tätigkeit ihm keinen Spaß gemach hatte. Das kommt am Ende, es fehlt aber der Hinweis zu Anfang der Geschichte.
Zudem läßt das "Bewerbungsschreiben" unbefriedigt zurück. Welches Dokument interpretierte die Firma als Bewerbung? Klar ist das alles sinnlos, aber vergiß nicht, in Deiner Geschichte bewegst Du Dich in einer eigenen, wenn auch bizarren, Logik. Da paßt das Bewerbungsschreiben nicht hinein.

K. fiel auf, dass er ihn noch nie leiden konnte. Tempusfehler - "noch nie hatte leiden können".

Das Ende ist nun vollends unbefriedigend. Wieso wird ihm ein Denkmal gesetzt? War sein Freitod etwa sinnvoll? Wieso sah er keinen Ausweg, und das schon nach einem Tag?

Gruß
Gladiator
 
S

Sanne Benz

Gast
hi tobi,
nun doch ein kommentar..von mir
ich habe die geschichte ANGEFANGEN zu lesen..
aber ich kann sie nicht weiter lesen..
ausser den schluss ein wenig..
das mit kafka könnte hin hauen..
von geschichten versteht der gladiator was,so viel weiss ich wenigstens von ihm.

ich wüsste zu gern,wie du es geschafft hast mit EINER geschichte, einziger eigener Post, die jury zu überzeugen,diese lange story in die antho zu nehmen.
Und die Begründung..denn hier sind viele andere,die gute geschichten schreiben..viele,nicht nur eine.
ok,mit gedichtchen ists schwieriger,von denen gibts einfach zu viel..

naja..ich gönns dir dennoch..
wobei selbst-hochposten auch nicht so dolle ist ;)
salut
sanne
 

Tobi

Mitglied
wie ich das geschafft habe? da fragst du wohl den falschen, verspreche dir, das ich keine intimeren beziehungen zu mact oder den jury-mitgliedern (wer sind die überhaupt) pflege!
Zu dem "Kafka-vorwurf" sollte ich wohl langsam Stellung nehmen: Erstens hat schon Patrik Süßkind geschrieben "ohne Plagiat kein Original" und zweitens sind gewisse Änlichkeiten (die, die mir selbst aufgefallen sind, "Türe" schreibe ich immer)durchaus beabsichtigt!
Was mich an der Kritik noch interessieren würde: wieso konntest du nicht weiterlesen? Zeitmangel oder so unlesbares Geschmiere?

mfg
Tobi
 
S

Sanne Benz

Gast
moin tobi,
es war mit kafka von meiner seite..eher kein vorwurf..
habe gestern abend vom kollegen beiswenger ein buch gelesen..selbst er hat sich offen bekannt,an verschiedene autoren sich angelehnt zu haben.
das ist ja auch ok..sol lange es nicht völlig abgekupfert ist.:)
mir hat gestern einer von ner anderen lyrikseite einen kommentar gesendet..dazu etwas sehr wahres gesagt..(kannte ich aber schon)das,wenn man immer in ANDERER ihre fusstapfen tritt,man niemals EIGENE hinterlässt.
In meinem fall ging es um gedichte,die er lobte.
ja,seinen eigenen stil entwickeln..
Gestern so spät wars nicht die zeit für mich "schweres"(für mich schweres) zu lesen..
wünsch dir weiterhin noch frohes schaffen
lg
sanne
 

gladiator

Mitglied
Nur so am Rande...

Sich an Autoren anzulehnen, kann durchaus sinnvoll sein, ich weiß zwar nicht, wieso, und ich sehe es auch anders, aber na gut. Aber hier war es mir halt ZU angelehnt, mithin abgekupfert. Die Themenkomplexe "fehlende Lebensorientierung", "Anonymität" und "Bürokratie" u.a. zu verbinden, hat Kafka einfach zur Vollendung gebracht. Ich halte den Weg, dem nachzueifern, für eine Sackgasse.

Gruß
Gladiator
 



 
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