Der Sommer . . . und du

Fredy Daxboeck

Mitglied
Susan und Kyle saßen am frühen Morgen dieses Wochenendes, das sie gemeinsam an dem Ufer ihres Lieblingsflusses verbrachten, auf ihren zusammengerollten Schlafsäcken, knabberten an den Überresten ihres Abendessens, Rippchen, mehr verbrannt als gebraten, und lauschten schweigend den Geräuschen der Natur und dem Flüstern und Murmeln des Wassers. Das Schweigen lag zwischen ihnen, dehnte sich aus und wirkte doch beruhigend. Es war nicht das Schweigen das man unbedingt brechen wollte weil es peinlich war, sondern ein Schweigen das Vertrauen und Geborgenheit vermittelte. Es ist so ruhig hier, dachte Susan und schloss einen langen Moment die Augen. Sie genoss diese Stille. Weit weg von jeglicher Zivilisation wie es schien. Eingehüllt in einem zart gesponnenen Kokon des Friedens und der Ruhe. Nichts schien hier noch wichtig zu sein. Sorgen, Probleme, schwerwiegende Entscheidungen die gefällt werden mussten, und verschiedene Überlegungen die sie in ihrem Hinterkopf mitgenommen hatte; hier verblassten sie zu ihren wahren Werten die sie in Wirklichkeit waren. Zu einem nichtssagendem Schein. Trivial, durchsichtig und fadenscheinig.
Ein sanfter, warmer Wind kam von Süden und flüsterte hinter ihr in den Blättern der Bäume. Er raunte ihr leise seine Geschichten von der Freiheit und den weiten Unendlichkeiten die er bereist hatte, ins Ohr.
Lange Minuten saß sie nur da, betrachtete versonnen die Nebelfetzen, die, von den ersten Strahlen der Sonne beschienen, rot und golden, wie der sichtbar gewordene Atem des Flusses weich über dem Wasser hingen, und ließ ihre Gedanken treiben.
Geräuschlos, beinahe wie eine Geistererscheinung, tauchten nacheinander vier Reiher aus dem Nebel auf. Ihr weißes Federkleid verschmolz nahezu völlig mit dem Dunst, der über dem Wasser hing. Mit seltsam anmutenden, hölzernen Schritten staksten sie den Fluss entlang und senkten hin und wieder die Köpfe, um nach Nahrung zu suchen. Susan hielt den Atem an. Die scheuen Tiere schienen sie entweder nicht zu bemerken, oder einfach zu ignorieren. Nach wenigen Augenblicken waren sie wieder im Dunst verschwunden; lautlos, nur ein gelegentliches Klappern der Schnäbel verriet ihr, dass sie nicht geträumt hatte. Sie rückte näher an Kyle und die Wärme seines Körpers hüllte sie augenblicklich ein und ein sanftes Kribbeln kroch über ihren Rücken. Sie schmiegte sich eng an ihn. Eine Weile saßen sie schweigsam nebeneinander, genossen nur die Nähe des anderen, ohne den Blick vom Fluss zu nehmen. Schließlich drückte sich Susan noch enger an Kyle und legte ihren Arm unter der Decke um seine Taille. Sie seufzte leicht. Ein leises Ausatmen, dem sanften Schnurren einer Katze, die ihre Zufriedenheit verriet, nicht unähnlich.
"Ich habe noch nie ein Bild von so vollkommener Harmonie gesehen", flüsterte Susan. Sie fürchtete die Stille des Morgens mit ihrer Stimme zu stören.
"Hmmh", stimmte ihr Kyle zu. "Dieses Bild kann man nicht fotografieren oder malen, man kann es nicht erklären oder beschreiben; man muss es einfach erleben."
Er wandte leicht den Kopf und der Duft von Susans Haar stieg ihm in die Nase, vertraut und doch betörend. Sie sah heute genauso zerknautscht aus wie damals, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Kyle musste unwillkürlich lächeln. So verletzlich sie am Morgen auch wirkte: klein, schmal, und beinahe zerbrechlich, schien sie im Laufe des Tages über sich selbst hinauszuwachsen.
"Bist du manchmal einsam?" fragte sie, zögernd, jedes Wort abwägend. Sie wollte ihm nicht zu nahe treten oder ihn verletzen indem sie an alten Wunden rührte, und sah zu der breitgefächerten Weide die vor ihnen stand, nahe am Ufer, und ihre Zweige tief herunter hängen ließ, so dass sie beinahe das Wasser berührten. Eine große Wasseramsel saß auf einem dieser Zweige und wippte verschlafen trällernd auf und ab.
"Sind wir nicht alle manchmal einsam?" antwortete Kyle, steckte die rechte Hand unter der Decke hervor, zupfte sich einen langen Grashalm aus und kaute nachdenklich darauf herum. Ohne dass es ihm bewusst wurde, strich seine linke Hand über Susans Taille, zog sanfte Kreise und streichelte sie zärtlich. "Wie sollte ich einsam sein? Ich habe mein Leben, ich habe meine Welt, ich habe mich selbst. Ich habe mehr als die meisten Menschen." Er fühlte den sanften Druck von Susans Arm an seinem Körper, lehnte sich ein wenig zurück und folgte ihrem Blick.
Susan lächelte wehmütig. Ein zitterndes Beben stieg in ihrer Brust hoch und sie bog den Kopf zurück, sah in den heller werdenden Morgen und dem Himmel über ihr, in dem die Sterne längst verblasst waren und das Grau der Dämmerung dem strahlenden Blau des neuen Tages gewichen war.
"Komm", sagte sie und erhob sich von dem Baumstamm. Ihre Hand hielt die seine fest umschlossen ohne loszulassen und sie zog ihn hinter sich her. Die Decken rutschten zu Boden und blieben unbeachtet liegen.
Susan führte Kyle zu ihrem Zelt, schloss sorgfältig den Reißverschluss und kniete sich ihm gegenüber hin. Sie legte ihre Hände in die seinen und sah ihm in die Augen. Endlos lange wie ihr schien, sahen sie einander nur an.
"Du bist so wunderschön", murmelte Kyle.
"Küss mich endlich, dummer Junge", flüsterte Susan, hob ihre Arme und legte sie um seinen Nacken. Behutsam drückte er seinen Mund auf ihre Lippen, staunte über ihre zarte Weichheit und kostete den süßen Geschmack der Liebe.
Ihr Busen drückte sachte gegen seine Brust und er konnte ihre Erregung spüren, die wie eine heiße Woge über ihr zusammenschlug. Sie drückte ihn heftiger an sich, öffnete den Mund und ließ ihre Zunge ihn erforschen, saugte an seinen Lippen und presste ihn fester und fester an sich. Ihre Finger verkrallten sich in seinen Haaren und ihr Körper schien mit seinem Eins werden zu wollen. Seine Hände waren überall, schienen sich zu verdoppeln und verdreifachen. Er streichelte sie. Zitternd suchend und verlangend nehmend. Wie ein junges Raubtier, das nach langem Hungern endlich einen blutigen Happen Fleisch zwischen seine Zähne bekommt. Susan genoss diese Vorstellung. Ihr Körper fieberte nach seiner Leidenschaft und ihre Haut brannte von seinen Berührungen. Aus zaghaft geflüsterten Worten wurden Versprechungen, aus hastig gemurmelten Wünschen wurden Forderungen, und aus dargebotenen Sehnsüchten wurde - endlich - grenzenloses Verlangen, dass über sie hinweg spülte wie eine riesige Woge aus reiner Sinnlichkeit.
Die Leidenschaft riss die beiden hinab in den Strudel aus gegenseitigem Nehmen und Geben, aus Streicheln und Kratzen, aus Küssen und Beißen. Ihre verschlungenen Körper kämpften miteinander und lösten sich, fielen wieder übereinander her, verlangten und verschlangen einander; und sie liebten sich mit der Urgewalt der Verzweiflung, die weiß, dass es vielleicht kein Morgen mehr gibt. Die Erde schien zu beben und das kleine Zelt verwandelte sich in einen brodelnden, kochenden Ofen aus Hitze und Glut.
Lange noch, nachdem die beiden in einem berauschenden Gipfel zu ihrem Höhepunkt gefunden hatten, lagen sie ineinander verknäuelt, schwitzend und keuchend da und lauschten dem Dröhnen ihres Bluts in den Adern und dem wilden Schlag ihres Herzens. Ein Moment in dem die Seele bloß zu liegen schien, so weit und so offen. Verletzlich wie der junge Morgen.
"Du bist meine Göttin ..." flüsterte Kyle in die weiche feuchte Haut zwischen Susans Brüsten und seine Hände wühlten in ihrem Haar.
"Psst, nicht sprechen, nicht jetzt. Sei einfach bei mir. Sei einfach in mir. Sei einfach ein Teil von mir." Susan schlang ihre Arme und Beine um seinen Körper und wand sich zärtlich unter ihm. Ihre Hände suchten und fanden, streichelten und forderten, reizten und verlangten; und sie wiederholten ihr lustvolles Spiel der Liebe. Diesmal aber wesentlich langsamer, intensiver und bewusster, bis sie die Leidenschaft füreinander wieder mit seinem wilden Strudel in ihre unersättlichen Tiefen riss.
Später, sehr viel später, die Sonne war längst über die Wipfel der Bäume am Fluss gestiegen und wärmte das kleine Zelt unangenehm auf, lösten sie sich, rollten über den Boden, lachten und balgten miteinander. Sie küssten und streichelten sich, glücklich einander zu haben, neckten sich und spielten wie zwei kleine Kätzchen. Susan konnte sich nicht erinnern, jemals so ausgelassen und fröhlich, innerlich so frei gewesen zu sein.
 



 
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