Melancholia
Hallo Lapis,
ach, das kann ich richtig vor mir sehen! Etliche gute Bilder treffe ich da. Stimmung kommt an, zäh, grau, trocken - trotz der schwebenden Staubpartikel in der Luft. Das brechende Glas mit dem Nass bringt nicht Lösung, nicht Erfrischung gegen den trockenen Rachen, vielmehr neues, anderes Chaos. Der Akteur bleibt, als sei der Griff nach dem Glas die letzte verantwortbare Anstrengung des Tages gewesen, jetzt entschieden hinter seinem Vorhang. Melancholie, insofern stimmt das Bild auch, blüht und fesselt still für sich.
Das Fensterkreuz, verhangene Scheiben, ein polierter Tisch unter Staub: schöne Bilder.
Auch das Glas ... es "verliert" sich. Schön!!
Wobei ich zu diesem indifferenten "verlieren" dem Glas den unbestimmten Artikel mitgäbe, etwas in dieser Art:
Ein Wasserglas verliert sich
auf dem spiegelglatten Tisch.
Später dann das brechende Glas, das ein Einschnitt sein könnte, sich aus der Lethargie zu befreien, aber nur zur Bestätigung führt.
(hier müsstest Du vielleicht die Kausalitäten überprüfen? Bricht das Glas ohne die Hand? - Und: wer oder was leckt das Staubnest?)
Staubnest - auch ein schönes Bild! Neben dem leidigen Putzfaktor schwingt außerdem das gemütliche Nest mit, wo es nicht um Schmutz oder Reinlichkeit, sondern Geborgenheit, Intaktheit, Familie geht.
Für Melancholie oder dunkle Stimmung, frühling- und lichtscheuend, ist mir der Text aber ein bisschen zu wortopulent. Ich fände gern eine Parallele zur Melancholie, ihrem Fehlen an Freude, Antrieb usw. in strengerer Sprache, auch trocken, wie die Blume, ein Minimieren an gewissen Vokabeln - wie die Schwermut am Fehlen der Ansprechbarkeit, der Freude krankt.
Am Beispiel der Blume z. B. fällt mir auf: dass sie trocknet, alleine diese Aussage bereits, zeigt, dass sie stirbt. Mit dem Verb "trocknet" ist auch der Zustand "welk" bereits eingeschlossen. (Verhangen sind die Fenster, / Staub schwebt in der Luft. / Im Fensterkreuz verborgen
trocknet eine Blume.)
Auch der Staub könnte für mich "eingekürzt" werden. "schweben" ist bereits ein leichter, keinesfalls zielstrebiger und schneller Vorgang. Braucht es da noch ein "zögernd"? - Letztlich sind das natürlich mal wieder Geschmacksfragen. Und ich bin nur ein Leser unter vielen, kann nur meine Sprachauffassung, meine Ansprechbarkeit vertreten. Weshalb ich hier Wörter wie "fast - doch - schon" noch einmal unter die Lupe nehmen würde. "Beständig"? Mir würde es reichen: ich atme den Staub ein. Auch die Frage, da der "Staub" ja bereits benannt ist, ob man die "Staubgewebe" evtl. anders formuliern könnte.
Entschuldige Lapis, versteh mich nicht falsch, mir gefällt das Bild, das Du entwirfst wirklich sehr gut!! Weswegen ich mir Mühe gebe, das zu vermitteln, was es in meinen Augen und für mein Lesegefühl sprachlich noch perfekter machen könnte. Subjektiv meine Lesevorliebe befriedigend.
Allerdings - sind manche Melancholien auch opulente Gesellen, breiten sich aus und wabern ... und man lässt sich hineinfallen und einweben und leidet. Das tut manchmal für begrenzte Zeit der Seele gut.
Lieben Gruß vom Jongleur,
an staubigem Glastisch sitzend, Wasserglas (halbvoll), Rotweinglas (fast leer), über der schrecklichen Arbeit des Abräumens, Ordnens sinnend, bis Staub gewicht werden könnte. Hoffentlich geht kein Glas zu Bruch ... Und: keine Vorhänge vor den Fenstern, freier Blick in die Nacht