Der Stubenwagen

Wir saßen niedergeschmettert da. Christoph hatte es uns gestanden. Als erster unserer Rasselbande, einer Ansammlung von glorreichen sechs Haudegen aus längst verblichenen Gymnasialzeiten, sollte er unter die Haube kommen. Wir brachen in Schweigen aus und versanken in Nachdenklichkeit. Wir konnten nicht mal mehr unsere Biergläser stemmen.

Sein armseliges und verlottertes Junggesellenleben fand endlich ein Ende. Er würde nun beweibt sein Glück finden können, während wir weiterhin sinnlos vor uns hinsaufen würden. Die Trübsal blies wie ein Wirbelwind durch unsere Köpfe. Das entstehende hohle Summen klang bedrückend.

Aber Grübeln machte keinen Sinn, es wurde nun anderes von uns verlangt. Ein Geschenk mußte her. Eines, das repräsentativ für den erlesenen Geschmack, das außerordentliche Niveau und den immensen Intellekt der Schenkenden stand. Kaum hatten wir Christoph aus der Bierstube bugsiert und nach Hause verabschiedet, begannen wir das heitere Gehirnstürmen und warfen die Ideenbrocken genüßlich in die Runde.

...
„Playboy-Abo“ – „Hat er schon!“
„Heckspoiler für seinen Golf“ – „Zu Prolo für seine Angetraute“
„Meerschaumpfeife“ – „Selber!“
...

Mit größter Ernsthaftigkeit bemühten wir uns, allein, es wollte uns nichts Passendes einfallen. Es fiel uns nur auf, daß die geleerten Biermengen ihren Tribut forderten und wir fielen in geschlossener Formation über die Herrentoilette her. Nach erfolgreichem Abschluß des Geschäfts streute jemand den Satz „Sollen wir uns wieder in die Bierstube wagen?“ in das Gurgeln der Abflüße ein.

Die Zeit blieb stehen, der Raum faltete sich, vor Schreck klemmte ich mir was Delikates im Hosenschlitz ein. Ich krächzte hochstimmig „Stube – wagen?“. „Stube wagen!“ echoete es aus den Mündern meiner Freunde zurück. Das gleißende Licht der Erkenntnis brannte sich in unsere Hirne ein, der Gral war gefunden. Ein Stubenwagen mußte her, koste es, was es wolle.

Die lästige Aufgabe, den Stubenwagen zu besorgen, fiel undankbarerweise mir zu. Die Begründung dafür war bemerkenswert deppert: Ich hatte bei der Matura am schlechtesten von uns abgeschnitten, ergo war ich am besten dafür geeignet. Diesen Schuften werde ich es schon noch heimzahlen.

Das bekannte Möbelgeschäft auf der Mariahilferstraße hatte ein Stubenwagensortiment, das selbst der hartgesottensten Hebamme die Tränen in die Augen trieb. Ich wählte ein tiefergelegtes Modell mit 100 PS, Internetanschluß und eingebautem Plasmafernseher. Teddybären waren was für Lulus.

Ich schulterte den Stubenwagen und marschierte wackelig zum Ausgang. Die Verkäuferin winkte mir fröhlich nach. Die Kußhändchen, die sie mir ebenfalls noch zuwarf, irritierten mich allerdings. Ich maß dem keine größere Bedeutung zu und betrat die Straße.
An der Kreuzung bremste sich quietschend ein knallgelber Volkswagenkäfer ein und die zwei junge Damen darin ließen mich passieren. Sie lächelten unentwegt und warfen mir eine Sonnenblume aus der eingebauten VW-Käfervase durch das Schiebedach zu. Diese Hippies!

Der Stubenwagen fühlte sich etwas schwerer an, aber ich hatte glücklicherweise nur 2 Straßen zu gehen. Dies allerdings entlang der samstags äußerst geschäftigen Einkaufstraße.

Eine mir entgegenkommende ältere Dame lächelte mich entzückt an. Ich lächelte höflich zurück. Hinter ihr schickte mir eine junge, kinderwagenschiebende Mutter sehnsüchtige Blicke nach. Ich nickte freundlich. Zwei gutaussehende Frauen um die zwanzig schmolzen mit ihren Blicken vor mir dahin. Ich schlug verschämt die Augen nieder. Eine aufgetakelte Geschäftsfrau, sah mich durch vor Freude tränende Augen an.

Ich wurde nervös. Was ging da vor? Nicht daß ich all diese Blicke nicht genoß, aber normalerweise waren diese eher verhalten, um nicht zu sagen in die von mir abgewandte Richtung weisend.
Meine Grübelei wurde durch eine offensichtliche Hysterikerin unterbrochen, die vor meine Füße fiel und mir schluchzend Gratulationen nachsandte. Zwei Mädchen stürmten in meine Richtung und quietschten entzückt. Ich beschleunigte meine Schritte. Der Stubenwagen wurde immer schwerer in meinen Armen. Verzweifelt versuchte ich den mit tiefen Seufzern von vor mir regelrecht zerfließenden Frauen jeden Alters auszuweichen. Einige klammerten sich beglückt an meine Beine, andere legten sich mir in den Weg, etliche berührten meine Arme und küßten den Stubenwagen. Jemand riß die Bluse vor mir auf, ein Ohnmachtsanfall von fünf Mädchen im Teenageralter lenkte mich davon ab. Alle zeigten Symptome von schweren Entzückungsentstellungen in ihren Gesichtern. Entweder war eine Seuche ausgebrochen oder die Drogenpreise rapide verfallen.

Ich lief nun den Stubenwagen im wilden Slalom vor mir herschiebend durch die Massen an entzückten Furien, stubste dabei jene um, zerriß dieser das Kleid, wirbelte eine andere zur Seite. Es ließ sich nicht vermeiden. Mit dem Stubenwagen formte ich einen Rammbock, um mich durch den Pöbel an freudig kreischenden Weibern in den Hauseingang zu retten. Gerade rechtzeitig stieß ich die Haustür zu, als auch schon die mir hinterherlaufenden Hexen dagegenknallten.

Ich verschnaufte. Der Schweiß rann mir zwischen den Kleidungsfetzen herunter. Der Stubenwagen war heil geblieben, abgesehen von den Lippenstiftresten am Stoff und dem Schoßhündchen einer Bankiersgattin, das sich zwischen den Speichen verkeilt hatte.

Am Nachmittag, auf der ganzen Fahrt zur Hochzeit, flirtete die Taxifahrerin durch den Rückspiegel mit mir. Krampfhaft sah ich durch die Seitenscheibe auf die Häusermauern. Kaum waren wir beim Restaurant mit der Hochzeitstafel angekommen, eilte ich in den bereits festlich geschmückten Veranstaltungsraum und schob unauffällig den Stubenwagen zur Hochzeitstorte. Aus den Seiteneingängen kicherten mich schelmisch die jungen Kellnerinnen an. Die Wirtsfrau kniff mich verzückt in den Po, der rehäugige Kochlehrling bot mir lüstern an, mich „einzukochen“. Errötend stolperte ich hastig hinaus und mich immerzu nervös umsehend machte ich mich auf den Weg zur Trauung in der Kirche.

Um es kurz zu machen: der weibliche Teil der Hochzeitsgesellschaft litt noch Tage nach dem Fest an Seufzeritis und vor Glück geweiteten Augen angesichts des Stubenwagens. Die frisch Angetraute ließ sich gleich vor Ort von ihrem jungen Gemahl scheiden und machte mir umgehend einen Heiratsantrag. Mit Bedauern lehnte ich ihr Ansinnen ab und ließ am nächsten Tag meine Telefonnummer ändern, um den Unmengen an wenig zweideutigen Anträgen zu entfleuchen: „Wollen wir den Stubenwagen füllen?“

Mein Leben hat sich unwiderruflich geändert. Mit der Weitergabe meiner Telefonnummer bleibe ich nach wie vor vorsichtig, allerdings bin ich viel selbstsicherer geworden und nehme Probleme gelassener in Angriff. Vom schüchternen Langweiler stieg ich zur begehrten Partykanone auf. Immerhin eilt mir bei der holden Weiblichkeit seit einiger Zeit der Ruf meiner umfangreichen Stubenwagenkollektion voraus.
 



 
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