Der Tag, an dem ich Bob Marley traf

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

nemo

Mitglied
(überarbeitete Fassung)

Bestimmte Tage eines Lebens brennen sich derart in das Gedächtnis ein, dass man sogar dreißig Jahre später noch meint, man würde die Ereignisse wie ein 8-Millimeter-Film vor Augen haben.
Einer dieser Tage war der 12 September 1974.
Es war ein verdammt heißer und verdammt schwüler Tag.
Eigentlich nichts Ungewöhnliches auf Jamaika für diese Jahreszeit, aber als Nordeuropäer hatte ich mit diesem Klima zu kämpfen.
Damals war ich mit einer Freundin in Urlaub und da ich zur der Zeit gutes Geld verdiente, hatte ich sie im Zustand geistiger Umnachtung - ich war stockbesoffen und scharf wie eine geladene Pistole - zu einem Wochentrip nach Jamaika eingeladen.
Mona hieß das Mädchen – die Abkürzung für Ramona, glaube ich. Sie war gerade erst achtzehn geworden und hatte einen Körper, der mir heute noch Schweißperlen auf die Stirn treibt. Kennen gelernt hatte ich sie in der Kneipe, in der sie kellnerte und es war Geilheit auf den ersten Blick.
Wie das aber so ist, lässt die Geilheit irgendwann nach und macht Platz für Gefühle. Soweit denn welche vorhanden sind. Bei Mona war das nicht der Fall.
An diesem einen Tag hatte ich mich mit Mona gestritten.
Sie hatte mir vorgeworfen, dass ich mich nicht um sie kümmere, sie nur fürs Bett mitgenommen hätte.
Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Diskussionen, und so verließ ich das Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu.
Außerdem hatte sie ja recht.
Ich stampfte wutentbrannt durch die Hotellobby und setzte mich in einen der Touristenbusse nach Kingston.
Damals steckte die Tourismusbranche in Jamaika noch in den Kinderschuhen und es waren vor allem Amerikaner, mit Hang zum Abenteuer, die es dorthin verschlug.
In dem Bus war die Luft so dick, dass man mit ihr Brote hätte belegen können. Vor mir saß ein fetter Amerikaner, dessen verschwitzter, roter Nacken mich an ein Stück Kasseler erinnerte und direkt neben mir nahm ein junges Pärchen platz, das sobald sie saßen, mit einem neckischen Fingerspielchen begann.
Während der Fahrt öffnete ich das Fenster und genoss den kühlenden Wind, der den penetranten Schweißgeruch aus meinem Gesichtsfeld wehte.
Der Bus hielt in Downtown, Kingston und man gab uns in gebrochenem Englisch zu verstehen, dass wir um spätesten Sieben Uhr wieder am Treffpunkt zu sein hätten.
Ich trennte mich von dem Rest der Gruppe und schlenderte durch das geschäftige Treiben in den Strassen der jamaikanischen Hauptstadt.
Ich genehmigte mir einige Patties, eine einheimische Spezialität, die aus einem Teigröllchen mit einer verdammt scharfen Fleischfüllung bestand und dann entschied ich mich dazu nach Port Royal - einer alten Piratenfestung - zu wandern, um mich dort eine kleine gemütliche Kneipe vollaufen zu lassen.
Während sich mein Gemüt langsam beruhigte, wanderte ich vorbei an Victorias Garden und verweilte einen Augenblick, um mir eine einheimische Tanztruppe anzusehen.
Da ich keinen Stadtplan besaß und meine Ortskenntnisse von Kingston von dem halbherzigen durchblättern des Reiseführers stammten, verlief ich mich und landete in einem dieser Stadteile, von denen der Reiseleiter eindringlich gewarnt hatte.
Vor mir eröffnete sich plötzlich das wahre Gesicht Jamaikas, fernab von Hotelsuiten und Touristengeschäfte.
An beiden Seiten der Strasse standen weiße Blechbaracken, wo ein Rudel Kinder lautstark spielte. Sie trugen abgetragene Kleidung und kletterten barfuss an der Karosserie eines alten Pick-Ups herum.
Die Hitze machte mir zu schaffen und ich zog mein Hemd aus, um es an meinen Hüften zusammen zu knoten.
Die Kinder starrten mich neugierig an und ich ging lächelnd auf sie zu. Aus meiner Hosentasche kramte aus ich ein Packung Kaugummis hervor.
Eine Flut von Hände streckte sich mir entgegen und ich tat mein Bestes, um die Kaugummis gerecht zu verteilen. Als der Chor der Kinderstimmen etwas leiser wurde, vernahm ich hinter den Baracken, das Typische Geräusch eines Fußballspiels.
Es ist schon seltsam, aber egal in welchem Land gespielt, und welche Sprache auf dem Feld gesprochen wird, ein Fußballspiel hat eine unverwechselbare Geräuschkulisse, die jeder der sich für den Sport interessiert, sofort wieder erkennt.
Ich bahnte mir den Weg durch die primitiven Blechbehausungen und erblickte hinter einem Berg aus altem Schrott einen Fußballplatz.
Eigentlich war es nur ein Stück plattgetretener Rasen auf dem zwei behelfsmäßige Tore standen.
Keine gab keine ersichtlichen Außenlinien, und die Tore hatten keine Netze, aber es gab einen Ball, ein paar Jungs und eine Leidenschaft und das genügte, um mein Herz sofort höher schlagen zu lassen.
Fasziniert näherte ich mich dem Bolzplatz und beobachtete das Spiel.
Ich kann heute nicht sagen, wie lange ich da stand.
Einer der Jungs hatte mich aber bemerkt und trabte in meine Richtung.
Er war recht klein und dünn, aber ich sah das Spiel seiner Muskeln unter der schwarzen Haut.
Er hatte lange schwarze Rastalocken und trug eine alte Adidas Hose.
„Hey ya!“, rief er.
Ich drehte mich um, um zu sehen ob er mit jemanden anderen redete, aber da war nur ich.
„Yeah, I mean you!!” sagte er und lächelte.
Ich zeigte mit dem Finger auf meine Brust und sah ihn fragend an.
Er nickte nur und sein Lächeln wurde noch breiter.
„Oh yes... Sir“, stotterte ich.
„Not Sir, just Bobby!“, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen.
„Where you from?“, fragte er.
„I’m from Germany“ antwortete ich
„Oh, Germany...“
Es hörte sich an wie jöörmaahny und diesmal musste ich grinsen.
„You have some good Player! No artist but good guys!”, sagte er.
Ich spielte damals in der dritten Mannschaft von Eintracht Herne in der Kreisliga. Ich hatte zwar Anfragen von höherklassigen Mannschaften bekommen, mir fehlte allerdings der Antrieb drei bis viermal die Woche zu trainieren, so dass ich es vorzog im Fußball Keller ein wenig zu kicken.
Ich war einer dieser typischen Straßenfußballer. Einer der Jungs, die in ihrer Kindheit mehr Zeit mit dem Leder als mit Schulbüchern verbracht hatte.
Ich war ein feiner Techniker mit gutem Auge und einem linke Hammer, allerdings war ich nicht der schnellste und ziemlich Lauffaul.
Ehe ich mich versah, wurde ich einem Team zugewiesen und Bobby, der in meiner Mannschaft war, klopfte mir auf die Schulter.
Anfangs war ich ziemlich nervös und spielte einige Fehlpässe, doch nach und nach wuchs mein Selbstvertrauen und damit auch mein fußballerisches Können.
Ich drehte auf und schlug Flanken, die Punkt genau auf den Fuß meiner Mitspieler landeten, dribbelte meine Gegner gekonnt aus und spielte Doppelpässe durch die gegnerische Abwehr. Ich lief, schwitzte und war glücklich.
Nachdem wir eine gute Stunde gespielt hatten, wurde mir signalisiert, dass der nächste Treffer entscheiden würde, wer das Spiel gewinnt.
Mein Mitspieler, ein schwarzes Muskelpaket, den alle nur King nannten, spitzelte dem Gegner den Ball von dem Fuß, verharrte und sah mich in eine Lücke starten.
Mit einem Fußspitzengefühl, dass ich solch einem Brocken niemals zugetraute hätte, spielte er mir den Ball genau in den Lauf. Ich legte ihn mir vor, zog an einem Gegenspieler vorbei und sprintete, meine letzten Kraftreserven nutzend, Richtung Tor.
Ich keuchte wie ein asthmatischer Hund und meine Lunge war kurz davor zu explodieren.
Nur noch ein Spieler stand zwischen mir und dem Tor.
Ich täuschte rechts an und er ging einen Schritt mit.
Ich versuchte den Ball zwischen seine Beine zu spielen, doch er reagierte blitzschnell und schob die Beine zusammen. Er berührte den Ball mit der Hacke und legte Ihn mir genau Links in den Lauf. Was für ein Glück!
Ich hörte ihn noch fluchen und trat mit voller Wucht gegen den Ball.
Im ersten Augenblick, dachte ich er würde am Tor vorbeifliegen doch wie in Zeitlupe drehte sich das Leder noch in den Winkel hinein.
Der Torwart musste sich verdammt lang machen.
Er sprang, griff über, streckte den Arm und mit den Fingerspitzen kam er an den Ball.
Doch der Schuss war zu fest und es gelang dem Torwart nicht die Flugbahn des Balls noch abzulenken.
Er landete im Tor.
Ich fiel auf die Knie, riss die Arme in die Höhe und auf einmal lag ich unter einem Berg schwarzer Körper.
Noch Minuten später lag ich, immer noch Luft schnappend, am Boden, als eine Hand sich nach mir streckte.
Ich ergriff sie und Bobby half mir wieder auf die Beine. Er legte mir seinen Arm um die Schultern und sagte:
„It was a great Shoot. C’mon now guy, let’s smoke some Ganja.”
Wir tranken gekühlten Tee und rauchten Grass.
Bobby kramte seine Gitarre raus, fing an zu spielen und sang dabei Lieder über die Liebe und über das Leben.
Ich war dermaßen dicht, dass ich nur noch die Musik wahrnahm, in ihr aufging, wie eine Blume im Sonnenlicht.
Später erfuhr ich von King, dass Bobby eigentlich Bob Marley hieß und der angesagteste Reggae Musiker der Stadt war. Ich konnte mit dem Begriff Reggae nicht all zu viel anfangen, nahm es aber mit einem bewundernden Nicken zu Kenntnis.
Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, blickte ich auf meine Uhr. Es war schon kurz nach Sechs, also Zeit sich auf den Weg zum Bus zu machen.
Ich bedankte mich bei Bobby für den netten Nachmittag.
Er zwinkerte mir kurz zu und sagte: „Football is peace“
Dann lächelte er, lehnte sich zurück in seinen Korbstuhl und zog genüsslich an seinem Joint.
 

knychen

Mitglied
obwohl das ende durch den titel keine überraschung war, ist der text sehr diszipliniert in locker flockigem stil durchgezogen. das "bewundernde nicken" kann ich mir sehr genau vorstellen, den schweiß im bus riechen und die schlechten vibes beim zuknallen der zimmertür am anfang dieser schönen geschichte spüren.
gruß aus berlin
knychen
 

nemo

Mitglied
Hi Knychen.

Erst mal Danke für die netten Worte.
Glaubst du, dass die Geschichte mit einem anderen, weniger verratenden Titel besser wirken würde?
 
O

Orangekagebo

Gast
Hallo nemo,

und ob der Titel geändert werden sollte. Unbedingt. Die ganze Pointe ist ja dadurch hin.

Insgesamt gefällt mir Dein Text.
Was mir persönlich aber fehlt, sind Higlights. Spannung. So ist eigentlich schon klar, das der Prot. das letzte Tor schießen wird. Zu erzählerisch und ohne tragende Spannungsbögen.

Auch

hatte ich sie im Zustand geistiger Umnachtung - ich war stockbesoffen und scharf wie eine geladene Pistole
passt irgendwie nicht. Die ganze Passage mit Mona halte ich für zu lang, da sie ja mit dem eigentlichen Kick Deines Textes nichts zu tun hat.
Okay, Du warst mit Mona dort. Liebe würdest Du es nicht nennen. Eher Spass und so .... Ende.

LG, orange...
 



 
Oben Unten