Der Tante Emma-Laden

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Es war einmal ein kleiner Tante Emma-Laden. So einer wie es heute fast keine mehr gibt. In seinen Regalen fanden sich sämtliche Waren des täglichen Bedarfs. Dazu zählen bekanntlich nicht nur Lebensmittel und Getränke, sondern natürlich auch Artikel für die persönliche Hygiene. Die Auswahl war nicht riesig, denn auch die Ladenfläche auf der die Ware dargeboten werden konnte, war halt eben so, wie es sich für einen Tante Emma-Laden gebührt. Die Inhaberin des Ladens hiess Rosa Müller. Kein besonders spektakulärer Name, so wie halt auch der Laden nicht besonders spektakulär war. Auf den ersten Blick jedenfalls war er es nicht. Des Nachts taten sich nämlich sonderliche Dinge in dem Laden. Doch der Kundschaft und auch der Inhaberin blieben sie verborgen. Ab und an geschah es zwar, dass Rosa Müller wenn sie des Morgens den Laden aufschloss, etwas irritiert darüber war, dass die blauen Zahnbürsten gemeinsam mit den roten in einem Fach lagen, obwohl sie sich sicher war, dass sie am Abend vorher die Ordnung in den Regalen peinlich genau wiederhergestellt hatte, aber sie erklärte sich das damit, dass auch sie nicht unfehlbar war.

Des Nachts, wenn es ganz still war im Laden, keine Kunden in den Regalen stöberten und Dinge verlegten, die Menschen friedlich schlummernd in ihren Betten lagen, träumten die Waren des täglichen Bedarfs, respektive die Artikel für die persönliche Hygiene. Sie träumten natürlich bei vollem Bewusstsein, oder sind Sie, lieber Leser, schon mal einem schlafenden Deo oder einer schnarchenden Zahnpastatube begegnet?

Das Deo träumte davon, einer blonden Schönheit die Achselnässe eindämmen zu dürfen, die Zahnpastatube, die nicht gar so anspruchsvoll war, in einem ordentlich aufgeräumten Badezimmer stehen zu dürfen, mit zugedrehtem Verschluss, versteht sich. Die Zahnbürsten, ja die hatten besonders viel Fantasie. Die eine, eine rote, träumte davon, eine berühmte Schauspielerin würde sie kaufen und dann malte sie sich aus, was sie in ihrer Hand alles erleben würde. Die Sache mit den Speiseresten aus den Zahnzwischenräumen entfernen, blendete sie dabei aus. Die blaue Zahnbürste schwärmte davon, wie sie am Fenster stehend, aus einem luxuriösen Zahnglas ragend, den Blick über einen wunderbaren Sandstrand würde gleiten lassen können. Die Sache, dass in dem Laden ausschliesslich Menschen mit tiefem Budget ein und ausgingen, übersah sie dabei.

Das Deo, die Zahnpastatube und die Zahnbürsten sprachen verschiedene Sprachen. Und auch wenn sie sich ihre Träume untereinander gerne erzählt hätten, so liessen sie es bleiben, weil sie einander nicht verstanden. Die Deo's, die Zahnpastatuben, die Zahnbürsten, alle blieben sie unter sich. Wechselten höchstens mal vom Fach ihrer einen Sorte in ein Fach ihrer anderen.

So waren die Zahnbürsten doch ziemlich erstaunt, als sie eines Nachts aus dem untersten Regal eine Stimme in ihrer Sprache vernahmen. "Welch wunderbare Träume ihr doch habt", hörten sie sie sagen. Verwundert hielten die Zahnbürsten in ihren Erzählungen inne und schauten sich verdutzt an. "Wo bist du denn?", fragten sie. "Wir Zahnbürsten liegen doch alle hier oben." Die Stimme blieb ihnen eine Erklärung schuldig, fragte aber, ob sie ihnen auch ihren Traum erzählen dürfe. Die Zahnbürsten waren natürlich sehr neugierig, weshalb sonst haben sie so viele Borsten um damit in jede noch so kleine Ecke vordringen zu können? Und so sagten sie eifrig: "Oh ja, gerne!" Und die Stimme begann zu erzählen wie sie in der Satteltasche eines Kamels über goldene Dünen in den Sonnenuntergang geschaukelt werden würde, wie sie im Gepäck eines Abenteurers in die weite Wildnis Alaskas vorstossen würde, wie sie gut behütet auf einer Safari wilden Tieren begegnen würde, wie sie im Rucksack eines eifrigen Bergsteigers auf die höchsten Gipfel getragen werden würde... all dies beschrieb die Stimme in so eindrucksvollen Bildern, dass die Zahnbürsten die ganze Nacht wie gebannt zuhörten und die Zeit wie im Fluge verging.
Und als es langsam Tag wurde, das Tageslicht immer mehr in den Laden drang, suchten die Zahnbürsten im untersten Regal nach der ihren, die sie so wunderbar unterhalten hatte. Und verdutzt mussten sie erkennen, dass da gar keine wie sie lag.

Im untersten Regal lag nämlich:

eine WC-Bürste

Tja, was ich damit eigentlich sagen will, lieber Leser, behandeln Sie Ihre WC-Bürste mit dem ihr gebührenden Respekt, denn auch sie hatte mal andere Pläne als... na Sie wissen schon... ... ...
 
G

Gelöschtes Mitglied 17359

Gast
Hallo Claudia!

Ich habe deine Geschichte mit einem Schmunzeln gelesen.
Zuerst fühlte ich mich an die Heinzelmännchen erinnert, die des nachts zu Werke gehen, dann aber hatte ich das Gefühl, eine märchenhafte Kindergeschichte zu lesen, die die kindliche Fantasie beflügeln soll, und erst zum Schluss verstand ich die Moral der Geschichte, durch den deutlichen Appell an uns Erwachsene.
Tja, das ist so eine Sache mit den unerfüllten Träumen.
Nicht nur für Zahnbürsten.

Gruß, Hyazinthe
 
Hallo Hyazinthe

Vielen Dank für Deinen Kommentar :)

Der Weg Deiner Gedanken über die Heinzelmännchen, zu märchenhafter Kindergeschichte und zu guter Letzt dem Apell gefällt mir.

Für die Erfüllung des ein oder anderen WC-Bürsten-Traumes wäre ich gerne zu haben. Ich mag es, mir vorzustellen wovon Dinge träumen könnten ;-)

Viele Grüsse und danke für's Lesen.

Claudia
 



 
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