Der Tanzfelsen

Es waren jene Tage, die uns im Grunde unverdient vorkamen und außerdem so völlig verschieden von unseren üblichen Tagen waren, daß wir das Gefühl hatten, etwas Unschickliches, ja beinahe sogar etwas Verbotenes zu tun und zu erleben. Von morgens bis abends lag über allem, trotz glasklarem Wetter, ein Schleier der Unwirklichkeit - ungewöhnlich und daher gewöhnungsbedürftig, aber schön!

Bei unseren täglichen visuellen Begegnungen, beim Essen und bei sonstigen Veranstaltungen im Hotel, war uns das Paar von Anfang an aufgefallen. Wir hatten uns gefragt, ob der Sohn
seine alte Mutter noch einmal mit in Urlaub genommen hatte, bevor ihr Abschied von dieser Welt beschlossene Sache werden sollte. Als andere Variante dachten wir uns eine reiche Witwe aus, die sich mit ihrem schlecht werdenden Geld noch einmal die Kraft und die Elastizität der Jugend eingekauft hatte.

Abends hatten wir nach dem Abendessen und vor unserem Dämmerschoppen in dem Restaurant am Meer einen bevorzugten Platz am Strand, von dem aus wir, bei klarem Wetter den Sonnenuntergang über der äußersten Spitze der Insel beobachten konnten. Das waren eigentlich die schönsten Augenblicke des Tages. Die rote Sonne färbte den Abendhimmel und die Farbe schien in das Meer zu fließen und machte es zu einem Sonnenmeer.

In das Meer hinein ragte ein hoch aufsteigender Felsen, von dessen glatter und großer Oberfläche man einen wunderbaren Blick auf das Meer, den Strand und große Teile der Insel hatte.

Wir kamen an diesem Abend etwas später zu unserem Sonnenuntergangs-Platz am Stand. Von weitem sahen wir, daß sich 2 Personen mühten, den Felsen zu erklimmen, um, wie wir dachten, von oben einen besseren Blick auf die abendliche Idylle zu haben. Näher gekommen sahen wir, daß es sich bei den Personen um unser Paar aus dem Hotel handelte. Wir sahen es gerade in dem Augenblick, in dem der Mann die Frau bei der Hand nahm und sie mit einem
energischen und, wie es schien, doch behutsamen Schwung neben sich auf die glatte Fläche des Felsens hob. In diesem Augenblick wehte von einer nahe gelegenen Bar die Musik herüber und vermischte sich mit der Brandung des Meeres, dem Kreischen der Möwen - und dem Lachen des Paares auf dem Felsen. Die Klangmischung schien eine geheimisvolle und wunderschöne Wirkung auf das Paar auf dem Felsen zu haben. Von unserer Entfernung aus betrachtet, schien die Frau auf einmal viel jünger und, ja, auch viel schöner geworden zu sein. Wir hatten nicht gesehen, von wem der erste Schritt ausging, aber auf einmal begann das Paar nach der Meeresmusik zu tanzen. Erst langsam und vorsichtig, beinahe tastend, dann jedoch mit dem Rhythmus der Musik immer schneller und mutiger werdend. Mit einem Mal hob der Mann seine erblühte Partnerin in den Himmel und plötzlich meinte man, der Tanz habe sich verlangsamt, um jedermann die Gelegenheit zu geben, zu sehen, was sich jetzt ereignete. Der Kopf der in den Himmel gehobenen Frau zerschmolz praktisch in dem am Horizont stehenden
roten Sonnenball, wurde zu einer Erscheinung, lichtdurchdrungen, pulsierend und lebensbejahend. In einer langsamen Bewegung setzte der Mann seine Frau wieder ab, so behutsam und leicht, als sei sie eine Feder. In diesem Augenblick erlosch die Musik und Mann und Frau blieben noch eine geraume Zeit eng aneinandergeschmiegt in dem langsam verblassenden Licht auf dem Felsen stehen.
 

gladiator

Mitglied
Hallo Elmar...

Schöner Text, hier meine Anmerkungen:

Bei unseren täglichen visuellen Begegnungen, beim Essen und bei sonstigen Veranstaltungen im Hotel, war uns das Paar von Anfang an aufgefallen. - "Visuell" klingt streng. "Sonstige Veranstaltungen" klingt nicht zuende gedacht. Vielleicht: "Bei unseren zufälligen Begegnungen, beim Essen oder beim Shuffleboard am Pool, war uns das Paar sofort aufgefallen."

Als andere Variante dachten wir uns eine reiche Witwe aus, die sich mit ihrem schlecht werdenden Geld noch einmal die Kraft und die Elastizität der Jugend eingekauft hatte. - "gekauft hatte"...

Abends hatten wir nach dem Abendessen und vor unserem Dämmerschoppen in dem Restaurant am Meer einen bevorzugten Platz am Strand, von dem aus wir, bei klarem Wetter den Sonnenuntergang über der äußersten Spitze der Insel beobachten konnten. - Liest sich gespreizt. Verschachtelt und "bevorzugt" ist auch doof. Vielleicht: "Abends setzen wir uns nach dem Abendessen oft an den Strand, an einer Stelle, von der aus wir..."

Wir kamen an diesem Abend etwas später zu unserem Sonnenuntergangs-Platz am Stand. - "An diesem Abend kamen wir allerdings ein bißchen später als sonst an den Strand." Es geht ja nun um den Anlaß der Erzählung (DIESEN bestimmten Abend), und das muß auch deutlich werden.

Von weitem sahen wir, daß sich 2 Personen mühten, den Felsen zu erklimmen, um, wie wir dachten, von oben einen besseren Blick auf die abendliche Idylle zu haben. Näher gekommen sahen wir, daß es sich bei den Personen um unser Paar aus dem Hotel handelte. - "2 Personen", "handelte"...alles so steif in der Wortwahl. Vielleicht: "Von weitem sahen wir ein Paar, das mühsam den Felsen erklomm, um, wie wir dachten, einen besseren Blick zu haben. Als wir dann näher kamen, erkannten wir "unser" Paar aus dem Hotel."

Die Klangmischung schien eine geheimisvolle und wunderschöne Wirkung auf das Paar auf dem Felsen zu haben. Von unserer Entfernung aus betrachtet, schien die Frau auf einmal viel jünger und, ja, auch viel schöner geworden zu sein. - "scheinen", "scheinen"...Du erzählst aus Deiner Sicht. Wenn es für Dich so war, dann war es auch so. Also: "Die Klänge und Geräusche verbanden sich wunderschön auf das Paar. Aus der Ferne wirkte die Frau auf einmal viel jünger..."

Der Kopf der in den Himmel gehobenen Frau zerschmolz praktisch in dem am Horizont stehenden
roten Sonnenball, wurde zu einer Erscheinung, lichtdurchdrungen, pulsierend und lebensbejahend.
- Und theoretisch? Ich würde "praktisch" streichen...

Gruß
Gladiator
 



 
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