Der Termin

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arielleira

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Ich starrte angespannt auf den Sekundenzeiger der alten, grauen Bahnhofsuhr. Wenn ich könnte würde ich ihn am liebsten anhalten. Die Zeit stoppen, zurück spulen zu dem Zeitpunkt an dem ich den Termin zu dem ich gerade fuhr absagen. Menschen mit versteinerten, gelangweilten und abwesenden Gesichtern eilten an mir vorbei, rempelten mich an und versuchten mich aus ihrer Laufrichtung zu drängen. Doch ich blieb stehen, mitten in der Eingangshalle des Kölner Hauptbahnhofs. Zugegeben hatte ich mir einen denkbar schlechten Zeitpunkt ausgesucht um im Getümmel während der Rushhourer einfach stehen zu bleiben.

Ich wendete meinen Blick ab, blickte um mich herum auf der Suche nach einem aufmunterndes Lächeln, eine nette Geste oder ein freundliches Gesicht. Nichts. Nur ein grauer Haufen. Ich stiefelte zum Bahnsteig. In meinem Kopf schwirrten tausend Gedanken um ein und die gleiche Sache: Mein Termin. Verunsichert und nervös kramte ich oben am Bahnsteig in meiner Tasche nach meinen Zigaretten. Ich hatte sie schon stunden zuvor penibel genau gepackt, nicht wollte ich dem Zufall überlassen, nichts wollte ich vergessen.

Eigentlich hatte ich vor Wochen mit dem Rauchen aufgehört. Das gefühlt hundertste Mal. Das letzte Mal war ich ziemlich sicher endlich davon losgekommen zu sein doch ich habe es wieder nicht durch gezogen. Gierig zog ich ein paar Mal hintereinander an der Zigarette auf der Hoffnung der Qualm würde auch meine Gedanken vernebeln. Diesen Gefallen gönnte er mir jedoch nicht. Ich malte mir alle nur erdenklichen Szenerien aus, legte mir Sätze parat, verinnerlichte mir meinen falschen Lebenslauf, meine erfunden Hobbies und Vorlieben.

Der Zug erhielt Einfahrt. Nun gab es kein Zurück mehr. Ich musste einsteigen. Ich hatte den Termin zugesagt und konnte ihn so kurzfristig auf keinen Fall absagen. Gleichzeitig wollte ich es auch nicht. Es reizte mich und ich brauchte das Geld. Ich war mit meiner Miete schon zwei Monate im Verzug und die nächsten Rechnungen würden auch in ein paar Tagen meinen Briefkasten erreichen. Ich stieg ein.

Beunruhigt und aufgelöst ließ ich mich auf meinen Sitz am Fenster fallen. Die Bahn war voll. Hektisch unterhielt sich das Pärchen welches mir gegenüber saß lautstark über Nichtigkeiten. Sie regte sich über ihren Mitbewohner auf, da er nie den Toilettendeckel runter klappte. Wenn sie wüsste mit welch Problemen ich mich gerade rumschlage würde sie sich mit Sicherheit erschießen. Vielleicht würde eine wie sie sich auch nie in solch eine prekäre Lage begeben. Ich tat es. Ob ich es bereuen würde dessen war ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Versunken in meine verstrickten Gedanken musterte ich die triste Landschaft. Die Zeit schien nicht verstreichen zu wollen.

Nach dreißig endlos erscheinenden Minuten erreichte ich Düsseldorf. Ich redete mir gut zu, versuchte meinen Puls zu kontrollieren, einen klaren Gedanken zu fassen, mich zu konzentrieren. Aussichtslos. Meine Beine zitterten, nur mit Mühe konnte ich in meinen Pumps auf dem unebenen Boden gerade aus laufen. Mein Herz pochte mir bis zum Hals als ich in das Taxi einstieg. Noch hatte ich eine Möglichkeit dem alten Herren am Steuer eine andere Adresse zu nennen. Die entsetzliche Musik die aus den längst überholten Lautsprechern ertönte raubte mir meinen letzten Nerv. „Da musst du jetzt durch!“ murmelte ich vor mich hin.

Ich überprüfte mein Make-up, richtete meine Frisur zurecht, zupfte meinen Rock zurecht, ordnete meinen Tascheninhalt, las mir die belanglosen Posts in Facebook durch, kaute hektisch auf meinem Kaugummi und starrte apathisch zwischen den beiden Sitzen durch die Windschutzscheibe ins verregnete Grau. Meine Nervosität brachte mich noch um. Ich war aufgeregter als vor meiner Abiturprüfung. Nichts konnte mich nun mehr beruhigen. Nichts aufmuntern.

Der Taxifahrer stoppte abrupt.

„Wir sind da! 7,90 € macht das. Brauchste ne Quittung?“ fragte er mich und drehte sich zu mir um.

„Das packste schon!“ fügte er hinzu. Ihm schienen meine aufgeregten Bewegungen nicht entgangen zu sein. Ich reichte ihm einen zehn Euro Schein.

„Danke!“, mehr brachte ich nicht heraus.

Unbeholfen stieg ich in meinem engen kurzen Bleistiftrock aus, schloss die Tür und stöckelte über das Kopfsteinpflaster des Vorplatzes zur überdimensional großen Eingangstür des Hotels. Ich fühlte mich wie versteinert, völlig gefühls- und emotionslos. Da war ich nun. Das Hotel wurde anscheinend erst vor kurzen auf den neusten Stand gebracht, sehr moderne Wandgestaltung und interessante Dekorationen schmückten den Eingangsbereich. Ich lief rüber zur Bar und setzte mich ans Fenster an einen abgelegen Tisch.

Um mich abzulenken studierte ich die Getränkekarte. Eine interessante Auswahl an Cocktails, Longdrinks, Bieren, Wein und Spirituosen. Ich hob meinen Kopf und da stand er. Er musste es sein. Die Bar war vollkommen leer und ich merkte in seiner Art mich anzusehen, dass er mich von meinen Fotos her auch erkannt. Sein dunkelbraunes Haar war glatt zur Seite gekämmt, seine braunen Augen lächelten müde und in seinem perfekt passenden Anzug kam er auf mich zu.

„Du musst Alicia sein, oder?“ fragte er mich währenddessen er mich von oben bis unten musterte.

„Die bin ich!“

„Schön dass es doch so spontan noch geklappt hat mit uns. Ich bin Klaus. Du kannst mich auch Klausi nennen wenn du magst. Wollen wir schnell das geschäftliche regeln bevor wir uns entspannt vergnügen können?“

Er reichte mir einen weißen Briefumschlag. Ich zählte den Stapel aus fünfzig Euroscheinen. Es stimmte. Soviel war also ein Abend in der Bar und Erotik auf dem Hotelzimmer mit mir wert. Erschüttert brachte mich diese Tatsache auf den Boden der Realität zurück. Das war nun ab heute mein neues Leben, mein neuer Job, mein neues Geheimnis.
 



 
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