Der Thron

memo

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Sophie war 8 Jahre alt, als sie sich ihre erste Geschichte ausdachte.
Ihr Leben schien ihr nicht sehr aufregend, darum geschahen ihren Phantasiegestalten Dinge, die sie selbst gern erlebt hätte.
Zufällig fand ihre Mama das Mädchen beim Schreiben und fragte, um was es in ihrer Geschichte ging.
Sie erzählte kurz, dass es darin keine Mutter gab und sich nur der Vater um ein Kind kümmerte. Da war ihre Mama traurig, da es in ihrem realen Leben genau umgekehrt war. Seit diesem Zeitpunkt erzählte Sophie ihr nichts mehr von ihren spannenden Abenteuern, da die Mutter wahrscheinlich über ihre Hirngespinste ziemlich erstaunt gewesen wäre.
Denn Sophie war ein sehr stilles Kind.
Übrigens wusste auch niemand von ihrem Pferd und dem Hund, die sie schon begleiteten, seit sie etwa 4 Jahre alt war. Auch ihr großer, mächtiger Adler war ein Geheimnis.
Sophie brachte ihre Tiere abends in die Bienenhütte des Großvaters und musste sie täglich füttern. Es war nicht immer einfach sie zu halten. Es war etwas eng, und sie brauchten Auslauf. Auch mussten sie trainiert werden, so wie sie es einmal im Zirkus gesehen hatte.
Wenn sie mit dem Zug in die nächste Stadt fuhren, wollte Sophie immer beim Fenster sitzen, damit sie wusste, ob ihr Pferd auch nachkam. Es lief sehr schnell, das schwarze Fell schimmerte und die Mähne flog im Wind.
Manchmal setzte sich der Schäferhund auf dessen Rücken, weil er müde war.
Für den Adler war das alles kein Problem.
Er konnte auch zu dem wunderbaren Thron fliegen, den es oben in der Wand einer tiefen Schlucht, in der Nähe des Hauses gab. Die Wurzelhöhle eines großen Baumes bildete eine Vertiefung, vielleicht durch einen starken Regen ausgeschwemmt. Für die größeren Kinder war dies ein beliebtes Ziel und sie kletterten gerne in das Versteck.
Sophie hatte dazu zu große Angst und sie hörte die Stimme ihrer Mama in ihrem Kopf, die um große Vorsicht bat, wenn sie im Wald spielten. So beobachtete sie nur den Vogel, der mit seinen riesigen Schwingen erhaben seine Kreise zog.
Auch wollte sie während dessen den Waldboden untersuchen. Es gab seltsame Pilze und knorrig gewachsene Bäume, die wie Kobolde aussahen. Das Mädchen war sich sicher, es gab eine Stadt unter der weichen Erde und sie guckte in die kleinen, runden Löcher zwischen den Sträuchern, um einen Blick in diese unterirdische Welt zu erhaschen.

Eines Tages war Sophie alleine zu Hause. Sie saß auf der Fensterbank und blickte auf die Straße. Es war schon spät und ihre Mama war noch nicht da. Das machte sie unruhig. Selbst wenn die Mutter in einem anderen Zimmer zu tun hatte, musste sie singen, damit das Mädchen sie hören konnte.
Die Stille trieb Sophie hinaus. Sie schlich zur Schlucht und untersuchte die verschiedenen Möglichkeiten von oben hinab zu steigen. Es war nicht einfach, da es kaum Halt gab und die Steine teilweise mit feuchtem Moos bedeckt waren. Sie versuchte die alten, etwas zu großen Turnschuhe schräg zu stellen, um nicht abzurutschen. Sophie hielt sich an einem Strauch fest und hoffte, dass die Äste hielten. Da sah sie plötzlich kleine Stufen, teilweise aus Erde ausgetreten, teilweise zufällig in den Felsen geformt.
Sie führten schmal, aber begehbar zu dem Königssitz, der hoch am Rand der Schlucht thronte. Ihr Herz pochte und sie sah die Wand hinab. Nie zuvor, war sie ihr so steil erschienen. Nie zuvor hatte sie gewagt, ihr so nahe zu kommen.
Es war ganz anders als sonst.
Plötzlich durchströmte Sophie eine unbekannte Kraft, als sie die letzten Schritte zur erdigen Höhle kletterte. Sie fühlte sich auf einmal ganz sicher, als sie sich schließlich auf den schmutzigen Boden setzte. An allen Seiten waren Wurzelarme, die eine kunstvolle Umrandung bildeten. Marie passte perfekt in die kleine Einbuchtung und ließ ihre Beine ins Freie baumeln. Niemand würde glauben, dass das Mädchen gewagt hatte, allein in die Schlucht zu klettern. Sie überblickte das Tal mit ihren rätselhaften Pflanzen und entdeckte einen kleinen Teich mit vielen saftig gelben Sumpfdotterblumen. Sie lehnte sich zurück und seufzte tief. So glücklich saß sie in dem Thron, der nun nur ihr allein gehörte. Sophie kam sich aber nicht wie eine Königin vor. Es war viel schöner. Nie zuvor hatte sie sich so frei gefühlt.
 



 
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