Ohrenschützer
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Der Tod des Fürsten
Als die letzte Stunde seines Lebens gekommen war, ließ der kinderlose und vereinsamte Fürst seinen treuen, mit ihm gealterten Diener rufen, um ihm zu danken und ihm seinen letzten Willen zu eröffnen. Er fühlte, dass ihm nur noch wenig Zeit gegeben war, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, fand aber inmitten seiner erdrückend werdenden Schmerzen nicht die rechten Worte. So nahm er die Hand des knienden Dieners und drückte sie mit seinen ermattenden Kräften, sah ihm in die Augen und erkannte betroffen dessen Lebensenergie, die im Gegensatz zu seiner unermesslich groß schien. “Bete Er für mich”, flüsterte der Fürst und versuchte, es nicht kläglich klingen zu lassen. Der Diener nickte ernst und verneigte sich nochmals ehrfürchtig vor seinem Herrn.
Seine Augen spielten dem Fürsten bereits Streiche, bunte Farben durchflossen diabolisch das bleiche Gesicht des Dieners. Der Fürst musste die schweren Lider, die ihm nach unten sinken wollten, angestrengt offen halten. Jedoch die Trägheit seines Körpers und die verlängerte Aufnahmezeit widersprachen seinem noch immer recht klaren Geist, der sich mühte, die bei ihm eintreffenden Bilder richtig zu stellen, um des Fürsten äußerlichen Verfall nicht allzu offen zu legen. Die Zeit verstrich. Der Fürst blinzelte durch seinen Farbenschleier dem Diener entgegen und schien ihm langsam zu entschwinden.
“Vergebt mir, o Herr”, hörte der Fürst eine Stimme, die wie durch eine riesige Kathedrale hallte, “ich bitte untertänigst um die Gnade, als Euer gehorsamer Diener Euch für Eure grenzenlose Güte zu danken.” Es war die Stimme des Dieners, tatsächlich, er hatte gesprochen. Wie ungläubig, in Wirklichkeit aber alles beschwerlich einsammeln müssend, wandte sich der Fürst mit geöffnetem Munde seinem Untertan zu. Der Diener senkte den Blick und ergraute, als spiegle sich sein Gebieter in ihm, und wilde Striche und Zeichen tanzten um seine Stirn, die trotz aller Anstrengung nicht zu entziffern waren.
“In Gottes Namen, hoher Herrscher, erhört nun die bescheidenen Dankesworte Eurer ehrfürchtigen Gefolgschaft, die Euch voller Liebe und Hingabe dienen durften.” Die Arme des Dieners entkegelten sich, streckten sich zum Unmaß, wiesen auf die Tür am Ende des weiten Schlafgemachs und öffneten sie. Wie an Fäden gezogen, wurde eine Reihe Menschen vom Diener hereingeführt und vor dem brechenden Auge des Fürsten ausgebreitet. Der Sterbende erkannte niemanden mehr, er sah nur eine Wand von Leibern, eine bunte, sich verbeugende Wand. Keine Veränderung seiner Gesichtszüge konnte seinen Dank noch ausdrücken, wie nach innen gewandt starrte er durch den Farbenfluss vor seinen Augen auf eine immer unbekannter wirkende Welt.
“Da sind jene, die einst das Wasser von den edelsten Gewässern der ganzen Erde in Eimern ins Gebirge trugen und dort ausschütteten, damit Ihr Euch bei der Jagd mit der kühlenden Nässe eines Bachs erfrischen konntet.” Die Augen des Fürsten weiteten sich, er stöhnte auf und wand sich, langsam erstarrend, wie ein morscher Baum im anwachsenden Herbstwind. Die Leichtigkeit fiel an ihm herab wie einzelne, welke Blätter, und immer mehr beengt von einer unbestimmbar drückenden Last klammerte er sich an sein letztes Erdengespräch. Es erinnerte ihn an die Vorstellung einer Schaustellertruppe, wie der Diener behände die einen aus dem Zimmer bugsierte und mit beneidenswerter Eleganz die nächsten fast malerisch vor das Angesicht des Fürsten brachte.
“Vor Euch, o gerechter Herrscher, verneigen sich nun diejenigen, welche die Euch genehme Uhrzeit errieten und ihre Knechte in alle Teile des Landes schickten, um die Zeitmesser danach auszurichten.” Des Fürsten Augen tränten emotionslos, die Gestalten zerflossen weiter, er fühlte sich erschauern und bot seinen Rest an Stärke auf, um dem Sog stand zu halten, der ihn aus dem Leben reißen wollte. Es war, als stünde er im Inneren seiner Burg und müsste das bleierne Fallgitter beim Tor mit allen Kräften offen halten, um den Diener jenseits des Burggrabens noch sehen zu können. Beide Arme stemmte er gleichsam gegen das Gewicht seiner Lider, das seine Füße in den Boden trieb. Sein Ächzen begleitete jeden Atemzug, wie auch das wallende Auf und Ab seines Brustkorbs, mehr Energie auspressend als schöpfend.
“Nun danken Euch in Ehrfurcht all jene, die sich Geschichten ausdachten, welche man Euch erzählen konnte, und jene, die sämtliche Konversationspartner auf die richtigen Themen vorbereiteten. Und daneben alle, die Euren Tagesablauf planten und alle scheinbaren Zufälligkeiten einberechnet haben.” Der Diener führte eine Unzahl an Menschen herein, vielmehr leitete er sie durch das Schlafgemach hindurch. Dem Fürsten schien es, als ob sie über seinen Leib stiegen, manche fielen darüber und blieben als Last auf ihm, bis der getreue Untertan sie flugs wegzerrte. Wie aus Geisterwelten tauchten sie auf und entschwanden mit ihren Niemandsgesichtern, zurück in unbekannte Versenkungen, Menschen wie Götter, mit Schicksalsfäden zwischen den Fingern, vernetzt mit dem Fürsten, eine Marionette für das Spiel vor sich selbst, dem einzigen Zuschauer einer vergänglichen Vorführung, nun dem letzten Vorhang nahe, wo der Schauspieler sein Spielen erkennt, da sich neben ihm alle Helfer und Helfershelfer mitverbeugen, verneigen bis in die Tiefen der Entkräftung, Aushauchen des letzten Dankes...
“Ich höre tief ergebendst, mein Fürst”, hauchte der Diener, “vergebens” echote es im Gehirn des Kämpfenden, die Augen nun geschlossen, der seinen Untertan vor sich kniend erriet. Der Moment war gekommen. Der Fürst erkannte es und ließ ab von seiner Umklammerung des Lebens. Die Gewissheit, dass es bald überstanden war, ließ ihn nun doch noch ein letztes Mal erstarken und er konnte, wenn er nicht darüber nachdachte, flüstern: “Quält mich nicht weiter.” Wurde er verstanden oder nicht? Der Diener kam näher, hielt sein Ohr dicht an die Lippen seines Herrn, um kein Wort sinnlos zerstäuben zu lassen in der todgeschwängerten Luft. “Ich habe - niemals gewusst - dass man - meinetwegen hat - Berge abgetragen - Lügen erzählt - Hähne krähen lassen - Wieso - alles - nicht - gewusst - bemerkt”.
Der Fürst stöhnte und entschwand, sein Griff lockerte sich, während der Diener ihm Antwort gab, er fiel zurück, rücklings in daunenweiche Atmosphären, und das eindringende Wohlbehagen befand sich im Widerstreit mit den pfeilspitzen Worten des Dieners, die seine Seele trafen und sein ganzes Leben rückblickend in ein sinnentleertes Nichts zogen.
“Mein Fürst! Ihr habt Eurem Stande gemäß leben können. Das war die Aufgabe, die Euch mit auf den Weg gegeben worden ist. Davon durftet ihr nichts wissen. Niemals solltet Ihr Euch schuldig gefühlt haben, dass andere für Euch sorgen mussten, das Paradies war Euch zugedacht. Denn wenn wir es alle nicht erreichen können, dann soll zumindest einer aus unserer Mitte einem Gott gleich aus den Tiefen des Glücks schöpfen können. So glücklich wie ihr hat sich niemand aus unserer Mitte je fühlen können.”
Der leblose Körper des Fürsten zeigte nichts davon, wie er lachte, wie er „Ihr Idioten“ brüllte, wie sich die Silben von „sinnlos“ und „aber“ überschnitten, wie seine Worte „ihr Glücklichen habt gewusst, wofür ihr lebt“ von der bedächtigen Stille wie mit Deckweiß übermalt wurden...
Als die letzte Stunde seines Lebens gekommen war, ließ der kinderlose und vereinsamte Fürst seinen treuen, mit ihm gealterten Diener rufen, um ihm zu danken und ihm seinen letzten Willen zu eröffnen. Er fühlte, dass ihm nur noch wenig Zeit gegeben war, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, fand aber inmitten seiner erdrückend werdenden Schmerzen nicht die rechten Worte. So nahm er die Hand des knienden Dieners und drückte sie mit seinen ermattenden Kräften, sah ihm in die Augen und erkannte betroffen dessen Lebensenergie, die im Gegensatz zu seiner unermesslich groß schien. “Bete Er für mich”, flüsterte der Fürst und versuchte, es nicht kläglich klingen zu lassen. Der Diener nickte ernst und verneigte sich nochmals ehrfürchtig vor seinem Herrn.
Seine Augen spielten dem Fürsten bereits Streiche, bunte Farben durchflossen diabolisch das bleiche Gesicht des Dieners. Der Fürst musste die schweren Lider, die ihm nach unten sinken wollten, angestrengt offen halten. Jedoch die Trägheit seines Körpers und die verlängerte Aufnahmezeit widersprachen seinem noch immer recht klaren Geist, der sich mühte, die bei ihm eintreffenden Bilder richtig zu stellen, um des Fürsten äußerlichen Verfall nicht allzu offen zu legen. Die Zeit verstrich. Der Fürst blinzelte durch seinen Farbenschleier dem Diener entgegen und schien ihm langsam zu entschwinden.
“Vergebt mir, o Herr”, hörte der Fürst eine Stimme, die wie durch eine riesige Kathedrale hallte, “ich bitte untertänigst um die Gnade, als Euer gehorsamer Diener Euch für Eure grenzenlose Güte zu danken.” Es war die Stimme des Dieners, tatsächlich, er hatte gesprochen. Wie ungläubig, in Wirklichkeit aber alles beschwerlich einsammeln müssend, wandte sich der Fürst mit geöffnetem Munde seinem Untertan zu. Der Diener senkte den Blick und ergraute, als spiegle sich sein Gebieter in ihm, und wilde Striche und Zeichen tanzten um seine Stirn, die trotz aller Anstrengung nicht zu entziffern waren.
“In Gottes Namen, hoher Herrscher, erhört nun die bescheidenen Dankesworte Eurer ehrfürchtigen Gefolgschaft, die Euch voller Liebe und Hingabe dienen durften.” Die Arme des Dieners entkegelten sich, streckten sich zum Unmaß, wiesen auf die Tür am Ende des weiten Schlafgemachs und öffneten sie. Wie an Fäden gezogen, wurde eine Reihe Menschen vom Diener hereingeführt und vor dem brechenden Auge des Fürsten ausgebreitet. Der Sterbende erkannte niemanden mehr, er sah nur eine Wand von Leibern, eine bunte, sich verbeugende Wand. Keine Veränderung seiner Gesichtszüge konnte seinen Dank noch ausdrücken, wie nach innen gewandt starrte er durch den Farbenfluss vor seinen Augen auf eine immer unbekannter wirkende Welt.
“Da sind jene, die einst das Wasser von den edelsten Gewässern der ganzen Erde in Eimern ins Gebirge trugen und dort ausschütteten, damit Ihr Euch bei der Jagd mit der kühlenden Nässe eines Bachs erfrischen konntet.” Die Augen des Fürsten weiteten sich, er stöhnte auf und wand sich, langsam erstarrend, wie ein morscher Baum im anwachsenden Herbstwind. Die Leichtigkeit fiel an ihm herab wie einzelne, welke Blätter, und immer mehr beengt von einer unbestimmbar drückenden Last klammerte er sich an sein letztes Erdengespräch. Es erinnerte ihn an die Vorstellung einer Schaustellertruppe, wie der Diener behände die einen aus dem Zimmer bugsierte und mit beneidenswerter Eleganz die nächsten fast malerisch vor das Angesicht des Fürsten brachte.
“Vor Euch, o gerechter Herrscher, verneigen sich nun diejenigen, welche die Euch genehme Uhrzeit errieten und ihre Knechte in alle Teile des Landes schickten, um die Zeitmesser danach auszurichten.” Des Fürsten Augen tränten emotionslos, die Gestalten zerflossen weiter, er fühlte sich erschauern und bot seinen Rest an Stärke auf, um dem Sog stand zu halten, der ihn aus dem Leben reißen wollte. Es war, als stünde er im Inneren seiner Burg und müsste das bleierne Fallgitter beim Tor mit allen Kräften offen halten, um den Diener jenseits des Burggrabens noch sehen zu können. Beide Arme stemmte er gleichsam gegen das Gewicht seiner Lider, das seine Füße in den Boden trieb. Sein Ächzen begleitete jeden Atemzug, wie auch das wallende Auf und Ab seines Brustkorbs, mehr Energie auspressend als schöpfend.
“Nun danken Euch in Ehrfurcht all jene, die sich Geschichten ausdachten, welche man Euch erzählen konnte, und jene, die sämtliche Konversationspartner auf die richtigen Themen vorbereiteten. Und daneben alle, die Euren Tagesablauf planten und alle scheinbaren Zufälligkeiten einberechnet haben.” Der Diener führte eine Unzahl an Menschen herein, vielmehr leitete er sie durch das Schlafgemach hindurch. Dem Fürsten schien es, als ob sie über seinen Leib stiegen, manche fielen darüber und blieben als Last auf ihm, bis der getreue Untertan sie flugs wegzerrte. Wie aus Geisterwelten tauchten sie auf und entschwanden mit ihren Niemandsgesichtern, zurück in unbekannte Versenkungen, Menschen wie Götter, mit Schicksalsfäden zwischen den Fingern, vernetzt mit dem Fürsten, eine Marionette für das Spiel vor sich selbst, dem einzigen Zuschauer einer vergänglichen Vorführung, nun dem letzten Vorhang nahe, wo der Schauspieler sein Spielen erkennt, da sich neben ihm alle Helfer und Helfershelfer mitverbeugen, verneigen bis in die Tiefen der Entkräftung, Aushauchen des letzten Dankes...
“Ich höre tief ergebendst, mein Fürst”, hauchte der Diener, “vergebens” echote es im Gehirn des Kämpfenden, die Augen nun geschlossen, der seinen Untertan vor sich kniend erriet. Der Moment war gekommen. Der Fürst erkannte es und ließ ab von seiner Umklammerung des Lebens. Die Gewissheit, dass es bald überstanden war, ließ ihn nun doch noch ein letztes Mal erstarken und er konnte, wenn er nicht darüber nachdachte, flüstern: “Quält mich nicht weiter.” Wurde er verstanden oder nicht? Der Diener kam näher, hielt sein Ohr dicht an die Lippen seines Herrn, um kein Wort sinnlos zerstäuben zu lassen in der todgeschwängerten Luft. “Ich habe - niemals gewusst - dass man - meinetwegen hat - Berge abgetragen - Lügen erzählt - Hähne krähen lassen - Wieso - alles - nicht - gewusst - bemerkt”.
Der Fürst stöhnte und entschwand, sein Griff lockerte sich, während der Diener ihm Antwort gab, er fiel zurück, rücklings in daunenweiche Atmosphären, und das eindringende Wohlbehagen befand sich im Widerstreit mit den pfeilspitzen Worten des Dieners, die seine Seele trafen und sein ganzes Leben rückblickend in ein sinnentleertes Nichts zogen.
“Mein Fürst! Ihr habt Eurem Stande gemäß leben können. Das war die Aufgabe, die Euch mit auf den Weg gegeben worden ist. Davon durftet ihr nichts wissen. Niemals solltet Ihr Euch schuldig gefühlt haben, dass andere für Euch sorgen mussten, das Paradies war Euch zugedacht. Denn wenn wir es alle nicht erreichen können, dann soll zumindest einer aus unserer Mitte einem Gott gleich aus den Tiefen des Glücks schöpfen können. So glücklich wie ihr hat sich niemand aus unserer Mitte je fühlen können.”
Der leblose Körper des Fürsten zeigte nichts davon, wie er lachte, wie er „Ihr Idioten“ brüllte, wie sich die Silben von „sinnlos“ und „aber“ überschnitten, wie seine Worte „ihr Glücklichen habt gewusst, wofür ihr lebt“ von der bedächtigen Stille wie mit Deckweiß übermalt wurden...