Der Tod des Poeten, Auszug aus Kap.8

George Polly

Mitglied
Rabe:

Hold und süß nun war dein Traum
erfüllt von jener traurigen Schwere,
die einem Poeten zu eigen sein mag,
der den purpurnen Samtvorhang
zum Reiche der Engel für einen
kurzen Moment gelüftet und ein
Paradies erspäht hat, ein fernes,
dessen Duft und Schönheit ihn umfängt,
wie ein Schwall von Wasser, in das
er eintaucht und sich selbst auf
ewig vergißt und nur das Verlangen
spürt, das an ihm zehrt und nagt,
dass er diesen Duft noch einmal
atmen, dieses unfaßbare Antlitz noch
einmal schauen darf, bevor er gehen
mag, still und von Erinnerung
durchdrungen.

Aber nein, dem ist nicht so.
Hat auch deine nachtgetränkte Seele,
edler Mensch, den Vorhang just geteilt
und mit gleißend aufkeimender Hoffnung
ein Licht erblickt, das dich berauschte,
so war es vielleicht das Reich der Engel,
das einen Schatten warf in deine stille Nacht,
vielleicht war es aber auch nur das
grausam rote Schimmern des Hades
und sein flackernder Trug, der dich erfaßte,
denn oft treibt er solch täuschendes
Spiel mit den Kindern der Menschen
und sein Lachen, das aus den tiefsten Grotten
seiner Boshaftigkeit aufsteigt,
ist das Lachen eines Fauns,
der den Wäldern entsteigt um
teilzuhaben an dem Erleben,
wie die Hoffnung eines Menschen
langsam erlischt und seine
Seele Vergessen sucht am Rausche
des süßen Weines und der Ausschweifung.

Denn eines ist gewiß:
Beides zu erblicken, das hohe
Licht oder die Tiefe ist für die
Psyche eines Menschen verderblich,
sein Nachhall wärt ewig und ist
in jedem Moment des Daseins
gegenwärtig.

Oh Kinder der Nacht, was sucht
ihr in silbernen Spiegeln und
rotem Wein, ein leiser Aufschrei
der Vergänglichkeit,
ein leiser Seufzer in dunkler Stille, und
unbeachtet ausgehaucht
vergeht sein Klang mit eurem
Tod.
 

George Polly

Mitglied
Ich finde, dieser Beitrag sollte nicht so untergehen.
Es würde mich freuen, wenn ihr mir dazu eure Meinung
schreibt. Ist das nicht etwas, das jeden von uns be-
trfft - als Dichter, der immer auf der Suche ist nach
einer Vollendung, oder wie immer ihr das auch nennen
wollt?
 

nally

Mitglied
Hallo George

ich denke es haben sich nicht viele auf deinen Beitrag geäußert weil er fast vollkommen ist, er ist von Anfang bis Ende - Eins.

Um ehrlich zu sein habe ich den Auszug sehr schnell, dann nochmal langsam gelesen und es hat Spaß gemacht soviel Magie dazwischen zu fühlen,
jedoch vermag ich die Interpretation nicht vornehmen,
da ich es nicht ganz durch leuchtete.

"Psyche eines Menschen verderblich"
da stimmt wohl jeder mit ein,
jedoch ist der Weg bis zur Verderblichkeit ein langer und es wehen viele weiße Rettungsfahnen.
 

George Polly

Mitglied
Vielen Dank für deine Antwort, Nally.
Weißt du, im Prinzip ist dieser Text
gar nicht soo schwer.
In der Hauptsache geht es um das Leid
des Poeten, eine sehr mystische Sache.
In seinem Werk findet er etwas Besonderes,
und dieses Besondere versucht er wieder-
zufinden und festzuhalten (Reich der Engel).
Der Rabe aber spielt mit seiner Wahrnehmung
und sieht das Erhebende der Dichtung als
weiteren Schritt zur Leideserfahrung -
je größer man das Schöne zu sehen vermag,
desto deutlicher wird auch die Traurigkeit,
die in ihrer Vergänglichkeit liegt.
Die beiden scheinbaren Gegensätze sind gänzlich
miteinander verwoben, wie die Begriffe
Leben und Tod.
Der silberne Spiegel kann wohl für Selbst-
betrachtung stehen, der Wein für den
Rausch des Dichters.

Was fühlst du, wenn du einen Text schreibst,
Nally?
Warum schreibst du?
 



 
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