Der Traummann

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Maribu

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Der Traummann

Drei Jahre hatte er sich gequält; jetzt war es an der Zeit, an sich zu denken. Er war nicht so veranlagt, über einen längeren Zeitraum allein zu leben.'Sabine hätte bestimmt Verständnis für ihn gehabt', war er sich sicher. Er war froh, dass sie nur ihn und keine Kinder hinterlassen hatte. So musste er niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen.
Sie hatten es sich anders vorgestellt, wollten gemeinsam alt werden. Aber in weltlicher Hinsicht, nicht so wie der Pastor es predigt. 'Bis der Tod euch scheidet'.- Wie soll man es akzeptieren und einer "höheren Macht" verzeihen können, dass sie ausgerechnet eine Frau mit 45 Jahren sterben ließ? Die Frage, die sich wahrscheinlich viele Hinterbliebene stellten: 'Warum gerade sie oder warum gerade er? Und warum muss gerade ich allein bleiben'? Sie wurde auch ihm nicht beantwortet.
Vor zwölf Jahren hatten sie sich beim Hineinfeiern in den 1. Mai kennengelernt. Er hatte mit mehreren Frauen getanzt, aber die letzten drei Stunden bis zum Morgengrauen nur noch mit ihr.
Es war Liebe auf den ersten Blick! Das klingt abgedroschen, vielleicht sogar kitschig, aber trotzdem blieb er dabei!
Es war in einem Dorf in Niedersachsen, in dem noch heute ihre Eltern wohnen. Durch einen Freund, der da aufgewachsen war, hatte er an dieser Veranstaltung teilgenommen und damit das Schicksal seinen Lauf genommen, wie seine Frau manchmal lachend erzählt hatte. Er hielt nichts davon, dachte eher, dass es Zufall gewesen war.

Eine Partneragentur wirbt mit: 'ALLE 11 MINUTEN VERLIEBT SICH EIN SINGLE ÜBER UNS'. Gezeigt werden Fotos von jungen hübschen Frauen. Wer von denen hätte es nötig, bei einer Vermittlung einen Mann zu finden? Alles Schwindel! Sie waren Models, die für ihre, oft noch retuschierten Fotos, gut bezahlt wurden.
Darauf viel er nicht herein!
Auf eine Anzeige im Internet hatte er neun Zuschriften erhalten. Vier davon waren von schwulen Männern, eine von einem Bisexuellen. Selbst wenn es seit einiger Zeit
'Die Ehe für alle gab', war er nicht umzupolen. Er war hetero und blieb ein Hetero! Mit den vier verbleibenden Frauen gab es nur ein kurzes Zusammentreffen. Auf beiden Seiten waren die Vorstellungen und die Wirklichkeit zu weit auseinander.
Da man im 'Wochenblatt' für ein paar Euro eine Kleinanzeige unter der Rubrik 'Von Herz zu Herz' aufgeben konnte, wollte er es da auch mal versuchen. Aber in einem anderen Stadtteil, weil er nicht zufällig eine Frau aus der Nachbarschaft treffen wollte. Die von Männern aufgegebenen Gesuche sah er sich besonders genau an. Es waren fast alles ältere, über siebzig.
Da er im nächsten Monat fünfzig werden wird, war er am Überlegen, welche Angabe wohl erfolgreicher werden könnte, 49 oder 50. Da er sich aber sowieso von den 'Greisen' abheben und wenig Persönliches von sich preisgeben wollte, entschied er sich für diesen Text:

'HAMBURGER, 40 PLUS, SUCHT PARTNERIN FÜR ALLES MÖGLICHE UND VORSTELLBARE. NUR ERNSTGEMEINTE ANRUFE UNTER DER TELEFONNUMMER...'

Am Erscheinungstag rief abends eine Frau an. Aber ihre Stimme war so schrill, dass er sagte, es wäre nicht seine Anzeige. Es hätten sich schon mehrere Frauen gemeldet. Die Telefonnummer sei von der Zeitung verdruckt worden.
Sehr früh am Donnerstag, er war gerade erst aufgestanden, kam der nächste Anruf. Eine eher männliche Stimme fragte, ob es unbedingt eine Hamburgerin sein müsste, sie stamme aus MeckPomm.
"Das spielt keine Rolle", antwortete er. 40 plus sei ja eine große Spanne, er solle doch mal sein wahres Alter verraten, bevor sie über sich erzählen würde. Er fand das unverschämt und antwortete: "Wenn ich das gewollt hätte, wäre es aus dem Text hervorgegangen." Dann forderte sie ihn auf, ein paar Dinge zu benennen, die er unter alles 'Mögliche' und 'Vorstellbare' verstünde. Er sagte, dass wolle er ihr persönlich erklären. Wütend entgegnete sie: "Ich glaube, Sie wollen gar keine Frau kennenlernen, sondern nur testen, wie viele sich auf Ihre bescheuerte Annonce melden!"
Er drückte auf die Taste mit dem roten Telefon.

Als er am Samstagvormittag am Überlegen war, ob er die gleiche
Kleinanzeige noch einmal aufgeben oder den Text verändern und das nächst größere Format wählen sollte, nahm ihm das Klingeln des Telefons die Entscheidung ab.
"Mein Name ist Kießling", sagte eine sympathisch klingende und alterslos wirkende Stimme. "Spreche ich mit dem Mann, der sich alles vorstellen kann?" Sie lachte.
Da er darauf nicht gefasst war, flüchtete er sich auch ins Lachen, bevor er antwortete: "Ja, ich habe diesen Text aufgegeben, aber Sie wissen doch, Papier ist geduldig! Man müsste sich erstmal kennenlernen."
"Deshalb rufe ich an! Wie wäre es mit heute Abend in der Marmsdorfer Straße 37 ? Statt Blumen bitte Schlafanzug und Zahnbürste mitbringen!"
Als er nicht sofort antwortete, fragte sie: "Sind Sie jetzt geschockt? Fällt das nicht unter Ihr Stichwort Vorstellbares?" Sie lachte wieder.
"Doch, doch, antwortete er zögerlich, weil ihm schlagartig klar wurde, dass die MeckPomm-Frau recht hatte: Sein Text war wirklich bescheuert! Aber kneifen wollte er auch nicht. "Gut, heute Abend um acht bin ich bei Ihnen."
"Einverstanden! Dann bis heute Abend. Ich lege jetzt auf."

Die bis dahin verbleibenden Stunden beschäftigte er sich mit der Frage, warum er sich darauf eingelassen hatte. Er versuchte, sich diese Frau mit der kessen Lippe und dem unbekümmerten Lachen vorzustellen. Komischerweise hatte er nur die hübschen Modells von der Partneragentur vor Augen, lachte über seine Illusion, die Antwort hatte er sich ja schon gegeben.

Er war gut durchgekommen, und hatte sogar einen Parkplatz in der Nähe gefunden. Das Haus mit der Nummer 37 lag in der Mitte eines Wohnblocks mit fünf Eingängen. Kurz vor acht Uhr klingelte er. Der Summer ertönte sofort, als hätte sie sein Kommen aus dem Fenster im dritten Stock beobachtet. Bei den ersten zwei Etagen nahm er zwei Stufen auf einmal, die letzte Treppe ging er wie ein Fünfzigjähriger.
Frau Kießling stand in der Tür und sagte spöttisch: "Kondition scheinen Sie ja noch zu haben, Herr Winterberg. Sie sind gar nicht ausser Atem."
Bevor sie sich die Hand gaben, wickelte er umständlich die roten und gelben Tulpen aus dem mit Tesafilm stümperhaft verklebten Papier und erwiderte: "Ich wohne in einem Hochhaus im 16. Stock, in dem meistens der Fahrstuhl durch Vandalismus streikt. Deshalb sind Ihre lächerlichen drei Etagen kein Problem für mich!" Danach sah er sie herausfordernd an.
Vielleicht ein Meter siebzig groß, schwarze Haare (gefärbt?)
über einen ovalen, fast faltenlosen, leicht gebräunten Gesicht. Er schätzte sie auf vierzig Jahre.
Sie lachte so unbekümmert wie am Telefon und sagte: "Wenn Sie mit mir zufrieden sind, dürfen Sie hereinkommen. Ich hatte zwar eine etwas andere Vorstellung, bin aber angenehm enttäuscht." Sie lächelte. "Ihr Bart passt gut zu Ihrem modernen Kurzhaarschnitt und dem grau melierten Haar. Normalerweise habe ich etwas gegen Drei-Tage-Bärte, wenn sie nur die spärlichen Kopfhaare kompensieren sollen, oder wenn ich das Gefühl habe, dass der Mann nur zu faul zum Rasieren ist."
Die erste Hürde hatte er genommen! Er hatte etwas anderes befürchtet. Er war ungefähr 5 Zentimeter kleiner als sie.
Entweder hatte sie das nicht bemerkt, oder es störte sie nicht.
Sie führte ihn ins Wohnzimmer, das für eine Wohnung in dieser 'Mietskaserne' erstaunlich groß war. Er schätzte es auf 28 Quadratmeter. Sie bot ihm den Sessel mit grün bezogenem Epinglé an. Wahrscheinlich ein Stück einer älteren Einrichtung, von dem sie sich nicht trennen wollte.
Sie nahm ihm gegenüber in einer Ecke einer dreisitzigen Couch Platz,die mit schwarzem Leder bezogen war. Davor stand ein Glastisch und seitlich davon ein zweiter Sessel, passend zur Couch. Einen Schrank gab es nicht, dafür unter dem Fenster ein nussbaumfarbenes Sideboard. Ein riesiger Flachbildfernseher, der ihn schon beim Hereinkommen gestört hatte und wie ein Fremdkörper wirkte, hing an der Wand.
"Hätten Sie Lust, sich mit mir auf 'arte' eine sehenswerte Wiederholung eines Liebesfilms anzusehen?"
"Warum nicht?"
Auf dem Sideboard hatte sie eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern deponiert, bat ihn einzuschenken und sagte, er müsse dann zu ihr herüberkommen, da er das Gerät im Rücken habe.
Er setzte sich in die andere Ecke. Sie schaltete das Gerät ein, ging zuerst auf 'Text', damit er sich informieren konnte.
Er überflog den Inhalt und die Schauspieler. Clint Eastwood kannte er nur als Westernhelden.
Sie prosteten einander zu, und Herr Winterberg wünschte Frau Kießling viel Spaß, obwohl sie den Film ja bereits kannte.
"So viel Spaß werde ich wohl nicht haben", entgegnete sie. "Ich befürchte, ich werde wieder weinen müssen!"
Schweigend verfolgten sie den Film. Nur einmal fragte sie, ob er etwas knabbern möchte. Er lehnte aber ab und verteilte den Rest aus der Flasche auf die Gläser.
Wenn ihm der Fernseher auch nicht gefiel, waren die Bilder in Größe und Klarheit ein Genuss! Es war fast wie im Kino, wenn er sich vorstellte, dass die vorderen Reihen nicht besetzt waren und er mit Frau Kießling allein in der Loge saß.
Als der Film mit Überlänge zu Ende war, bemerkte er, wie sie sich verstohlen über die Augen wischte. Er rückte auf den Mittelsitz, legte den Arm um ihre Schultern und sagte mitfühlend: "Wenn man es sich auch wünschte, wird der Ausgang in der Wiederholung nicht anders. Ich sehe 'Dirty Harry' noch immer mit dem Colt in der Hand, einen tödlichen Herzschuss abfeuernd. In diesem Film betört er das Herz mit seinem Charme, seiner Kamera-Kunst und den schönen Aufnahmen der alten und gediegenen Brücken. Eastwood war wirklich beeindruckend und der großen Meryl Streep durchaus ebenbürtig." Er machte eine kurze Pause und ergänzte: "Ich hätte den beiden auch ein Happy-End gewünscht!"
"Ich danke Ihnen", flüsterte sie gerührt. "Jetzt geht es mir viel besser! - Soll ich noch eine Flasche Wein holen?"
"Nein, danke! Dann müsste ich meinen Wagen ja stehen lassen und ein Taxi nehmen!"
"Sie glauben doch nicht, dass ich Sie jetzt noch nach Hause lasse? Mein Angebot von heute Morgen steht. Wozu hat man ein Gästezimmer? Das Handtuch auf der Heizung im Bad können Sie benutzen. Eine Frage habe ich aber noch und hoffe, dass Sie mich nicht für zu neugierig halten: Was machen Sie beruflich? Bevor Sie antworten, möchte ich wissen, ob meine Vermutung richtig ist. Ich glaube, Sie sind Ingenieur oder Informatiker."
Er lachte. "Ganz falsch! Ich bin bei einem Bestatter angestellt."
Entsetzt öffnete sie den Mund. "Sargverkäufer in einem Bestattungsinstitut?"
"Nein, das macht der Inhaber selber. Ich wasche die Toten, schminke sie, ziehe ihnen ihre Lieblingskleidung an und lege sie behutsam in den Sarg, den ich vorher liebevoll dekoriert und ausgepolstert habe."
Frau Kießling wurde leichenblass und griff zum Weinglass, das aber inzwischen leer war.
Im selben Augenblick fing Herr Winterberg an zu lachen. "Jetzt habe ich Sie ebenso schockiert wie Sie mich heute Morgen mit dem Übernachtungsangebot. Keine Panik! Ich bin Prokurist in einer Hamburger Reederei, verwitwet und kinderlos."
Schmunzelnd stand er auf, um ins Bad zu gehen und wünschte ihr eine gute Nacht.
Sie erhob sich ebenfalls. Ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen und sie antwortete ernst, immer noch schockiert, "wie soll ich eine gute Nacht haben, nach Ihrer geschmacklosen Lüge?!"

Er schlief erst gegen Morgen ein.Ihm war nicht klar, weshalb sie ihm die Übernachtung angeboten hatte. Vielleicht hatte er sie mit seinem blöden Text provoziert, oder wollte sie ihn testen, ob er nur an einem One-Night-Stand interessiert war?
Möglich war auch, dass Sie dachte, er würde sich ins Schlafzimmer schleichen und über sie herfallen. Oder dachte sie es nicht nur, sondern erwartete und erhoffte es?
Er verwarf diese Gedanken sofort. Nach der Unterhaltung und ihrer Ergriffenheit während des Films war sie ein romantischer Typ, der erobert werden wollte!

Geschirrklappern weckte ihn. Er huschte ins Bad und begnügte sich mit 'Katzenwäsche', da er abends geduscht hatte.
Um halb neun setzte er sich an den gedeckten Tisch. Er konnte wählen zwischen Müsli, Marmelade, Honig, Wurst und Käse.
"Guten Morgen, Herr Winterberg!", erwiderte sie seinen Gruß und schenkte ihm Kaffee ein. "Ich hoffe, dass ich jetzt richtig liege und Sie Kaffee- und kein Teetrinker sind. Gestern abend hat meine Intuition ja vollkommen versagt. Das war ja nicht so schlimm, Sie beschrieben es so ernst und real, dass ich wirklich dachte, Sie seien Leichenfledderer!" Wieder hörte er ihr unbekümmertes Lachen, das er so an ihr mochte.
"Entschuldigung! Ich meinte natürlich Leichenversorger!"

Er fragte schmunzelnd: "Wieso sind Sie auf meine Anzeige im Wochenblatt hereingefallen?"
"Weil Sie der jüngste von diesen alten 'Knackern' waren. Eigentlich ungewöhnlich für einen Mann in den Mittvierzigern.
Unser Alter und jünger nutzt doch das Internet!"
"Und wie fanden Sie den Text?"
"Ich hätte anders formuliert! Er war viel zu kurz und hat überhaupt nichts über Sie ausgesagt. Frauen möchten etwas anderes hören!"
"So, da bin ich aber gespannt! Können Sie das mal konkretisieren?"
Sie stand auf, holte einen Schreibblock und entwarf einen Text.
Er genoss inzwischen das Frühstück. Nachdem er drei Scheiben Brot mit verschiedenem Aufschnitt bezwungen und mit zwei Tassen Kaffee hinuntergespült hatte, fragte er, kommen Sie gut voran?"
Sie nickte nur und schrieb den Text in Reinschrift, damit er ihn lesen konnte. Bevor sie ihn ihm vor die Nase legte, sagte er ironisch und unüberlegt: "Egal, wie sich das noch entwickeln wird, heute habe ich wenigstens das Geld für die Wochenblatt-Anzeige wieder heraus!"
Sie nahm es für bare Münze und konterte sofort: "Und Sie sind kein Hamburger, sondern ein 'Nassauer'!"
Er ging nicht darauf ein und begann zu lesen:

'END-VIERZIGER, LIEBEVOLLER, SPORTLICHER MANN SUCHT LEBENSPARTNERIN. (HEIRAT NICHT AUSGESCHLOSSEN!)
INTERESSEN: THEATER, KINO, SENTIMENTALE LIEBESFILME IM FERNSEHEN, LIEST UND DISKUTIERT GERNE.
DA ER VON DER KÜSTE IST, BEVORZUGT ER IM URLAUB ALS GEGENSATZ DIE BERGE.
IDEEN ODER AMBITIONEN DER NEUEN PARTNERIN GEGENÜBER AUFGESCHLOSSEN UND KOMPROMISSFÄHIG. DAS ALTER SOLLTE UNGEFÄHR PASSEN, OBWOHL DREI ODER VIER JAHRE NACH UNTEN ODER OBEN NICHT INS GEWICHT FALLEN WÜRDEN. ANRUFE UNTER DER TELEFONNUMMER...
MÖGLICHST NACH 19 UHR ODER AM WOCHENENDE.'

Regungslos faltete Herr Winterberg die Seite und steckte sie in die Hosentasche. Dann stand er auf und sagte: "Seien Sie nicht böse Frau Kießling, aber ich muss jetzt gehen. Ich habe heute Nachmittag noch eine Verabredung. - Vielen Dank für Logis und das Frühstück wie in einem Vier-Sterne-Hotel!
Und ich möchte mich noch entschuldigen für meine Bemerkung nach dem Essen. Ich habe nicht geahnt, dass Sie mir zutrauen, das ernst gemeint zu haben. Egal, was diese verfluchte Anzeige gekostet hätte, Ihre Gastfreundschaft war viel mehr wert!"
Das tat ihr gut und sie war ihm auch nicht mehr böse, im Gegenteil sogar ein bisschen eifersüchtig, weil sie vermutete, dass er bei einer anderen Frau zum Kaffee eingeladen war.
Wortlos begleitete sie ihn zur Flurgarderobe und wollte ihm in die Jacke helfen. Verärgert riss er sie ihr aus der Hand und sagte: "Ich bin doch kein alter Knacker!"
Ihr Gesicht hatte fast die Blässe vom Vorabend erreicht und leise fragte sie: "Bekomme ich eine zweite Chance?"
Jetzt konnte er wieder lachen. "Nicht nur Sie, sondern wir beide! Sie kennen doch noch den berühmten Song von Mike& The Mechanics: 'Everybody gets a second chance.'
Trotzdem wirkte Frau Kießling traurig. Er merkte es. Schweigend gab sie ihm die Hand. Auf einmal tat sie ihm leid und einer plötzlichen Regung folgend küsste er sie spontan auf die linke Wange.
Noch in der Tür stehend sagte er: "Wenn Sie die Annonce, die Sie für Ihren Traummann verfasst haben, im Wochenblatt veröffentlicht finden, sollten sie ihn sofort anrufen. Bei dem genialen Text, den die Frauen so gerne hören oder lesen wollen, wird Ihre weibliche Konkurrenz sehr groß sein!"
Sie lächelte schwach und blickte ihm nach, wie er übermütig wie ein Junge die Stufen hinuntersprang. Er blickte sich aber nicht mehr um.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Maribu,

witzige Geschichte, die anders ausgeht als man denkt!

Die Formulierung

"Nein, das macht der Inhaber selber. Ich wasche die Toten, schminke sie, ziehe ihnen ihre Lieblingskleidung an und lege sie behutsam in den Sarg, den ich vorher liebevoll dekoriert und ausgepolstert habe."
Frau Kießling wurde leichenblass und griff zum Weinglass, das aber inzwischen leer war.
ist mir besonders aufgefallen. Die Gute wird leichenblass :) als er von seinem (angeblichen) Job erzählt. Ich weiß jetzt nicht, ob das Absicht war, aber wirkt schon fast satirisch.

Glas mit einem s ... ein paar andere Flüchtigkeitsfehler sind auch noch drin.

Die Großbuchstaben bitte umwandeln. Liest sich schlecht und gilt im Internet als Anschreien.

Viele Grüße,

DS
 

Maribu

Mitglied
Der Traummann

Drei Jahre hatte er sich gequält; jetzt war es an der Zeit, an sich zu denken. Er war nicht so veranlagt, über einen längeren Zeitraum allein zu leben.'Sabine hätte bestimmt Verständnis für ihn gehabt', war er sich sicher. Er war froh, dass sie nur ihn und keine Kinder hinterlassen hatte. So musste er niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen.
Sie hatten es sich anders vorgestellt, wollten gemeinsam alt werden. Aber in weltlicher Hinsicht, nicht so wie der Pastor es predigt. 'Bis der Tod euch scheidet'.- Wie soll man es akzeptieren und einer "höheren Macht" verzeihen können, dass sie ausgerechnet eine Frau mit 45 Jahren sterben ließ? Die Frage, die sich wahrscheinlich viele Hinterbliebene stellten: 'Warum gerade sie oder warum gerade er? Und warum muss gerade ich allein bleiben'? Sie wurde auch ihm nicht beantwortet.
Vor zwölf Jahren hatten sie sich beim Hineinfeiern in den 1. Mai kennengelernt. Er hatte mit mehreren Frauen getanzt, aber die letzten drei Stunden bis zum Morgengrauen nur noch mit ihr.
Es war Liebe auf den ersten Blick! Das klingt abgedroschen, vielleicht sogar kitschig, aber trotzdem blieb er dabei!
Es war in einem Dorf in Niedersachsen, in dem noch heute ihre Eltern wohnen. Durch einen Freund, der da aufgewachsen war, hatte er an dieser Veranstaltung teilgenommen und damit das Schicksal seinen Lauf genommen, wie seine Frau manchmal lachend erzählt hatte. Er hielt nichts davon, dachte eher, dass es Zufall gewesen war.

Eine Partneragentur wirbt mit: 'Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über uns.' Gezeigt werden Fotos von jungen hübschen Frauen. Wer von denen hätte es nötig, bei einer Vermittlung einen Mann zu finden? Alles Schwindel! Sie waren Models, die für ihre, oft noch retuschierten Fotos, gut bezahlt wurden.
Darauf viel er nicht herein!
Auf eine Anzeige im Internet hatte er neun Zuschriften erhalten. Vier davon waren von schwulen Männern, eine von einem Bisexuellen. Selbst wenn es seit einiger Zeit
'Die Ehe für alle gab', war er nicht umzupolen. Er war hetero und blieb ein Hetero! Mit den vier verbleibenden Frauen gab es nur ein kurzes Zusammentreffen. Auf beiden Seiten waren die Vorstellungen und die Wirklichkeit zu weit auseinander.
Da man im 'Wochenblatt' für ein paar Euro eine Kleinanzeige unter der Rubrik 'Von Herz zu Herz' aufgeben konnte, wollte er es da auch mal versuchen. Aber in einem anderen Stadtteil, weil er nicht zufällig eine Frau aus der Nachbarschaft treffen wollte. Die von Männern aufgegebenen Gesuche sah er sich besonders genau an. Es waren fast alles ältere, über siebzig.
Da er im nächsten Monat fünfzig werden wird, war er am Überlegen, welche Angabe wohl erfolgreicher werden könnte, 49 oder 50. Da er sich aber sowieso von den 'Greisen' abheben und wenig Persönliches von sich preisgeben wollte, entschied er sich für diesen Text:

'Hamburger, 40 plus, sucht Partnerin für alles Mögliche und
Vorstellbare. Nur ernstgemeinte Anrufe unter der Telefonnummer...'

Am Erscheinungstag rief abends eine Frau an. Aber ihre Stimme war so schrill, dass er sagte, es wäre nicht seine Anzeige. Es hätten sich schon mehrere Frauen gemeldet. Die Telefonnummer sei von der Zeitung verdruckt worden.
Sehr früh am Donnerstag, er war gerade erst aufgestanden, kam der nächste Anruf. Eine eher männliche Stimme fragte, ob es unbedingt eine Hamburgerin sein müsste, sie stamme aus MeckPomm.
"Das spielt keine Rolle", antwortete er. 40 plus sei ja eine große Spanne, er solle doch mal sein wahres Alter verraten, bevor sie über sich erzählen würde. Er fand das unverschämt und antwortete: "Wenn ich das gewollt hätte, wäre es aus dem Text hervorgegangen." Dann forderte sie ihn auf, ein paar Dinge zu benennen, die er unter alles 'Mögliche' und 'Vorstellbare' verstünde. Er sagte, dass wolle er ihr persönlich erklären. Wütend entgegnete sie: "Ich glaube, Sie wollen gar keine Frau kennenlernen, sondern nur testen, wie viele sich auf Ihre bescheuerte Annonce melden!"
Er drückte auf die Taste mit dem roten Telefon.

Als er am Samstagvormittag am Überlegen war, ob er die gleiche
Kleinanzeige noch einmal aufgeben oder den Text verändern und das nächst größere Format wählen sollte, nahm ihm das Klingeln des Telefons die Entscheidung ab.
"Mein Name ist Kießling", sagte eine sympathisch klingende und alterslos wirkende Stimme. "Spreche ich mit dem Mann, der sich alles vorstellen kann?" Sie lachte.
Da er darauf nicht gefasst war, flüchtete er sich auch ins Lachen, bevor er antwortete: "Ja, ich habe diesen Text aufgegeben, aber Sie wissen doch, Papier ist geduldig! Man müsste sich erstmal kennenlernen."
"Deshalb rufe ich an! Wie wäre es mit heute Abend in der Marmsdorfer Straße 37 ? Statt Blumen bitte Schlafanzug und Zahnbürste mitbringen!"
Als er nicht sofort antwortete, fragte sie: "Sind Sie jetzt geschockt? Fällt das nicht unter Ihr Stichwort Vorstellbares?" Sie lachte wieder.
"Doch, doch, antwortete er zögerlich, weil ihm schlagartig klar wurde, dass die MeckPomm-Frau recht hatte: Sein Text war wirklich bescheuert! Aber kneifen wollte er auch nicht. "Gut, heute Abend um acht bin ich bei Ihnen."
"Einverstanden! Dann bis heute Abend. Ich lege jetzt auf."

Die bis dahin verbleibenden Stunden beschäftigte er sich mit der Frage, warum er sich darauf eingelassen hatte. Er versuchte, sich diese Frau mit der kessen Lippe und dem unbekümmerten Lachen vorzustellen. Komischerweise hatte er nur die hübschen Modells von der Partneragentur vor Augen, lachte über seine Illusion, die Antwort hatte er sich ja schon gegeben.

Er war gut durchgekommen, und hatte sogar einen Parkplatz in der Nähe gefunden. Das Haus mit der Nummer 37 lag in der Mitte eines Wohnblocks mit fünf Eingängen. Kurz vor acht Uhr klingelte er. Der Summer ertönte sofort, als hätte sie sein Kommen aus dem Fenster im dritten Stock beobachtet. Bei den ersten zwei Etagen nahm er zwei Stufen auf einmal, die letzte Treppe ging er wie ein Fünfzigjähriger.
Frau Kießling stand in der Tür und sagte spöttisch: "Kondition scheinen Sie ja noch zu haben, Herr Winterberg. Sie sind gar nicht ausser Atem."
Bevor sie sich die Hand gaben, wickelte er umständlich die roten und gelben Tulpen aus dem mit Tesafilm stümperhaft verklebten Papier und erwiderte: "Ich wohne in einem Hochhaus im 16. Stock, in dem meistens der Fahrstuhl durch Vandalismus streikt. Deshalb sind Ihre lächerlichen drei Etagen kein Problem für mich!" Danach sah er sie herausfordernd an.
Vielleicht ein Meter siebzig groß, schwarze Haare (gefärbt?)
über einen ovalen, fast faltenlosen, leicht gebräunten Gesicht. Er schätzte sie auf vierzig Jahre.
Sie lachte so unbekümmert wie am Telefon und sagte: "Wenn Sie mit mir zufrieden sind, dürfen Sie hereinkommen. Ich hatte zwar eine etwas andere Vorstellung, bin aber angenehm enttäuscht." Sie lächelte. "Ihr Bart passt gut zu Ihrem modernen Kurzhaarschnitt und dem grau melierten Haar. Normalerweise habe ich etwas gegen Drei-Tage-Bärte, wenn sie nur die spärlichen Kopfhaare kompensieren sollen, oder wenn ich das Gefühl habe, dass der Mann nur zu faul zum Rasieren ist."
Die erste Hürde hatte er genommen! Er hatte etwas anderes befürchtet. Er war ungefähr 5 Zentimeter kleiner als sie.
Entweder hatte sie das nicht bemerkt, oder es störte sie nicht.
Sie führte ihn ins Wohnzimmer, das für eine Wohnung in dieser 'Mietskaserne' erstaunlich groß war. Er schätzte es auf 28 Quadratmeter. Sie bot ihm den Sessel mit grün bezogenem Epinglé an. Wahrscheinlich ein Stück einer älteren Einrichtung, von dem sie sich nicht trennen wollte.
Sie nahm ihm gegenüber in einer Ecke einer dreisitzigen Couch Platz,die mit schwarzem Leder bezogen war. Davor stand ein Glastisch und seitlich davon ein zweiter Sessel, passend zur Couch. Einen Schrank gab es nicht, dafür unter dem Fenster ein nussbaumfarbenes Sideboard. Ein riesiger Flachbildfernseher, der ihn schon beim Hereinkommen gestört hatte und wie ein Fremdkörper wirkte, hing an der Wand.
"Hätten Sie Lust, sich mit mir auf 'arte' eine sehenswerte Wiederholung eines Liebesfilms anzusehen?"
"Warum nicht?"
Auf dem Sideboard hatte sie eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern deponiert, bat ihn einzuschenken und sagte, er müsse dann zu ihr herüberkommen, da er das Gerät im Rücken habe.
Er setzte sich in die andere Ecke. Sie schaltete das Gerät ein, ging zuerst auf 'Text', damit er sich informieren konnte.
Er überflog den Inhalt und die Schauspieler. Clint Eastwood kannte er nur als Westernhelden.
Sie prosteten einander zu, und Herr Winterberg wünschte Frau Kießling viel Spaß, obwohl sie den Film ja bereits kannte.
"So viel Spaß werde ich wohl nicht haben", entgegnete sie. "Ich befürchte, ich werde wieder weinen müssen!"
Schweigend verfolgten sie den Film. Nur einmal fragte sie, ob er etwas knabbern möchte. Er lehnte aber ab und verteilte den Rest aus der Flasche auf die Gläser.
Wenn ihm der Fernseher auch nicht gefiel, waren die Bilder in Größe und Klarheit ein Genuss! Es war fast wie im Kino, wenn er sich vorstellte, dass die vorderen Reihen nicht besetzt waren und er mit Frau Kießling allein in der Loge saß.
Als der Film mit Überlänge zu Ende war, bemerkte er, wie sie sich verstohlen über die Augen wischte. Er rückte auf den Mittelsitz, legte den Arm um ihre Schultern und sagte mitfühlend: "Wenn man es sich auch wünschte, wird der Ausgang in der Wiederholung nicht anders. Ich sehe 'Dirty Harry' noch immer mit dem Colt in der Hand, einen tödlichen Herzschuss abfeuernd. In diesem Film betört er das Herz mit seinem Charme, seiner Kamera-Kunst und den schönen Aufnahmen der alten und gediegenen Brücken. Eastwood war wirklich beeindruckend und der großen Meryl Streep durchaus ebenbürtig." Er machte eine kurze Pause und ergänzte: "Ich hätte den beiden auch ein Happy-End gewünscht!"
"Ich danke Ihnen", flüsterte sie gerührt. "Jetzt geht es mir viel besser! - Soll ich noch eine Flasche Wein holen?"
"Nein, danke! Dann müsste ich meinen Wagen ja stehen lassen und ein Taxi nehmen!"
"Sie glauben doch nicht, dass ich Sie jetzt noch nach Hause lasse? Mein Angebot von heute Morgen steht. Wozu hat man ein Gästezimmer? Das Handtuch auf der Heizung im Bad können Sie benutzen. Eine Frage habe ich aber noch und hoffe, dass Sie mich nicht für zu neugierig halten: Was machen Sie beruflich? Bevor Sie antworten, möchte ich wissen, ob meine Vermutung richtig ist. Ich glaube, Sie sind Ingenieur oder Informatiker."
Er lachte. "Ganz falsch! Ich bin bei einem Bestatter angestellt."
Entsetzt öffnete sie den Mund. "Sargverkäufer in einem Bestattungsinstitut?"
"Nein, das macht der Inhaber selber. Ich wasche die Toten, schminke sie, ziehe ihnen ihre Lieblingskleidung an und lege sie behutsam in den Sarg, den ich vorher liebevoll dekoriert und ausgepolstert habe."
Frau Kießling wurde leichenblass und griff zum Weinglas, das aber inzwischen leer war.
Im selben Augenblick fing Herr Winterberg an zu lachen. "Jetzt habe ich Sie ebenso schockiert wie Sie mich heute Morgen mit dem Übernachtungsangebot. Keine Panik! Ich bin Prokurist in einer Hamburger Reederei, verwitwet und kinderlos."
Schmunzelnd stand er auf, um ins Bad zu gehen und wünschte ihr eine gute Nacht.
Sie erhob sich ebenfalls. Ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen und sie antwortete ernst, immer noch schockiert, "wie soll ich eine gute Nacht haben, nach Ihrer geschmacklosen Lüge?!"

Er schlief erst gegen Morgen ein.Ihm war nicht klar, weshalb sie ihm die Übernachtung angeboten hatte. Vielleicht hatte er sie mit seinem blöden Text provoziert, oder wollte sie ihn testen, ob er nur an einem One-Night-Stand interessiert war?
Möglich war auch, dass Sie dachte, er würde sich ins Schlafzimmer schleichen und über sie herfallen. Oder dachte sie es nicht nur, sondern erwartete und erhoffte es?
Er verwarf diese Gedanken sofort. Nach der Unterhaltung und ihrer Ergriffenheit während des Films war sie ein romantischer Typ, der erobert werden wollte!

Geschirrklappern weckte ihn. Er huschte ins Bad und begnügte sich mit 'Katzenwäsche', da er abends geduscht hatte.
Um halb neun setzte er sich an den gedeckten Tisch. Er konnte wählen zwischen Müsli, Marmelade, Honig, Wurst und Käse.
"Guten Morgen, Herr Winterberg!", erwiderte sie seinen Gruß und schenkte ihm Kaffee ein. "Ich hoffe, dass ich jetzt richtig liege und Sie Kaffee- und kein Teetrinker sind. Gestern abend hat meine Intuition ja vollkommen versagt. Das war ja nicht so schlimm, Sie beschrieben es so ernst und real, dass ich wirklich dachte, Sie seien Leichenfledderer!" Wieder hörte er ihr unbekümmertes Lachen, das er so an ihr mochte.
"Entschuldigung! Ich meinte natürlich Leichenversorger!"

Er fragte schmunzelnd: "Wieso sind Sie auf meine Anzeige im Wochenblatt hereingefallen?"
"Weil Sie der jüngste von diesen alten 'Knackern' waren. Eigentlich ungewöhnlich für einen Mann in den Mittvierzigern.
Unser Alter und jünger nutzt doch das Internet!"
"Und wie fanden Sie den Text?"
"Ich hätte anders formuliert! Er war viel zu kurz und hat überhaupt nichts über Sie ausgesagt. Frauen möchten etwas anderes hören!"
"So, da bin ich aber gespannt! Können Sie das mal konkretisieren?"
Sie stand auf, holte einen Schreibblock und entwarf einen Text.
Er genoss inzwischen das Frühstück. Nachdem er drei Scheiben Brot mit verschiedenem Aufschnitt bezwungen und mit zwei Tassen Kaffee hinuntergespült hatte, fragte er, kommen Sie gut voran?"
Sie nickte nur und schrieb den Text in Reinschrift, damit er ihn lesen konnte. Bevor sie ihn ihm vor die Nase legte, sagte er ironisch und unüberlegt: "Egal, wie sich das noch entwickeln wird, heute habe ich wenigstens das Geld für die Wochenblatt-Anzeige wieder heraus!"
Sie nahm es für bare Münze und konterte sofort: "Und Sie sind kein Hamburger, sondern ein 'Nassauer'!"
Er ging nicht darauf ein und begann zu lesen:

'End-Vierziger, liebevoller, sportlicher Mann sucht Lebenspartnerin (Heirat nicht ausgeschlossen!)
Interessen: Theater, Kino, sentimentale Liebesfilme im Fernsehen. Er liest und diskutiert gerne.
Da er von der Küste ist, bevorzugt er im Urlaub, als Gegensatz, die Berge.
Ideen und Ambitionen der neuen Partnerin gegenüber aufgeschlossen und kompromissfähig.
Das Alter sollte ungefähr passen, obwohl drei oder vier Jahre nach oben oder unten nicht ins Gewicht fallen würden.
Anrufe unter der Telefonnumer ... (Möglichst nach 19 Uhr oder am Wochenende.)

Regungslos faltete Herr Winterberg die Seite und steckte sie in die Hosentasche. Dann stand er auf und sagte: "Seien Sie nicht böse Frau Kießling, aber ich muss jetzt gehen. Ich habe heute Nachmittag noch eine Verabredung. - Vielen Dank für Logis und das Frühstück wie in einem Vier-Sterne-Hotel!
Und ich möchte mich noch entschuldigen für meine Bemerkung nach dem Essen. Ich habe nicht geahnt, dass Sie mir zutrauen, das ernst gemeint zu haben. Egal, was diese verfluchte Anzeige gekostet hätte, Ihre Gastfreundschaft war viel mehr wert!"
Das tat ihr gut und sie war ihm auch nicht mehr böse, im Gegenteil sogar ein bisschen eifersüchtig, weil sie vermutete, dass er bei einer anderen Frau zum Kaffee eingeladen war.
Wortlos begleitete sie ihn zur Flurgarderobe und wollte ihm in die Jacke helfen. Verärgert riss er sie ihr aus der Hand und sagte: "Ich bin doch kein alter Knacker!"
Ihr Gesicht hatte fast die Blässe vom Vorabend erreicht und leise fragte sie: "Bekomme ich eine zweite Chance?"
Jetzt konnte er wieder lachen. "Nicht nur Sie, sondern wir beide! Sie kennen doch noch den berühmten Song von Mike& The Mechanics: 'Everybody gets a second chance.'
Trotzdem wirkte Frau Kießling traurig. Er merkte es. Schweigend gab sie ihm die Hand. Auf einmal tat sie ihm leid, und einer plötzlichen Regung folgend, küsste er sie spontan auf die linke Wange.
Noch in der Tür stehend sagte er: "Wenn Sie die Annonce, die Sie für Ihren Traummann verfasst haben, im Wochenblatt veröffentlicht finden, sollten sie ihn sofort anrufen! Bei dem genialen Text, den die Frauen so gerne hören oder lesen wollen, haben Sie ein Eigentor geschossen: Ihre weibliche Konkurrenz wird sehr groß sein!"
Sie lächelte schwach und blickte ihm nach, wie er übermütig wie ein Junge die Stufen hinuntersprang. Er blickte sich aber nicht mehr um.
 

Wipfel

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Hi Maribu, auch ich fand sie lustig, deine Geschichte zur Paarfindung. Eine Sache hab ich gefunden:
"Hätten Sie Lust, [strike]sich[/strike] mit mir auf 'arte' eine sehenswerte Wiederholung eines Liebesfilms anzusehen?"
Grüße von wipfel
 

Maribu

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Der Traummann

Drei Jahre hatte er sich gequält; jetzt war es an der Zeit, an sich zu denken. Er war nicht so veranlagt, über einen längeren Zeitraum allein zu leben.'Sabine hätte bestimmt Verständnis für ihn gehabt', war er sich sicher. Er war froh, dass sie nur ihn und keine Kinder hinterlassen hatte. So musste er niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen.
Sie hatten es sich anders vorgestellt, wollten gemeinsam alt werden. Aber in weltlicher Hinsicht, nicht so wie der Pastor es predigt. 'Bis der Tod euch scheidet'.- Wie soll man es akzeptieren und einer "höheren Macht" verzeihen können, dass sie ausgerechnet eine Frau mit 45 Jahren sterben ließ? Die Frage, die sich wahrscheinlich viele Hinterbliebene stellten: 'Warum gerade sie oder warum gerade er? Und warum muss gerade ich allein bleiben'? Sie wurde auch ihm nicht beantwortet.
Vor zwölf Jahren hatten sie sich beim Hineinfeiern in den 1. Mai kennengelernt. Er hatte mit mehreren Frauen getanzt, aber die letzten drei Stunden bis zum Morgengrauen nur noch mit ihr.
Es war Liebe auf den ersten Blick! Das klingt abgedroschen, vielleicht sogar kitschig, aber trotzdem blieb er dabei!
Es war in einem Dorf in Niedersachsen, in dem noch heute ihre Eltern wohnen. Durch einen Freund, der da aufgewachsen war, hatte er an dieser Veranstaltung teilgenommen und damit das Schicksal seinen Lauf genommen, wie seine Frau manchmal lachend erzählt hatte. Er hielt nichts davon, dachte eher, dass es Zufall gewesen war.

Eine Partneragentur wirbt mit: 'Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über uns.' Gezeigt werden Fotos von jungen hübschen Frauen. Wer von denen hätte es nötig, bei einer Vermittlung einen Mann zu finden? Alles Schwindel! Sie waren Models, die für ihre, oft noch retuschierten Fotos, gut bezahlt wurden.
Darauf viel er nicht herein!
Auf eine Anzeige im Internet hatte er neun Zuschriften erhalten. Vier davon waren von schwulen Männern, eine von einem Bisexuellen. Selbst wenn es seit einiger Zeit
'Die Ehe für alle gab', war er nicht umzupolen. Er war hetero und blieb ein Hetero! Mit den vier verbleibenden Frauen gab es nur ein kurzes Zusammentreffen. Auf beiden Seiten waren die Vorstellungen und die Wirklichkeit zu weit auseinander.
Da man im 'Wochenblatt' für ein paar Euro eine Kleinanzeige unter der Rubrik 'Von Herz zu Herz' aufgeben konnte, wollte er es da auch mal versuchen. Aber in einem anderen Stadtteil, weil er nicht zufällig eine Frau aus der Nachbarschaft treffen wollte. Die von Männern aufgegebenen Gesuche sah er sich besonders genau an. Es waren fast alles ältere, über siebzig.
Da er im nächsten Monat fünfzig werden wird, war er am Überlegen, welche Angabe wohl erfolgreicher werden könnte, 49 oder 50. Da er sich aber sowieso von den 'Greisen' abheben und wenig Persönliches von sich preisgeben wollte, entschied er sich für diesen Text:

'Hamburger, 40 plus, sucht Partnerin für alles Mögliche und
Vorstellbare. Nur ernstgemeinte Anrufe unter der Telefonnummer...'

Am Erscheinungstag rief abends eine Frau an. Aber ihre Stimme war so schrill, dass er sagte, es wäre nicht seine Anzeige. Es hätten sich schon mehrere Frauen gemeldet. Die Telefonnummer sei von der Zeitung verdruckt worden.
Sehr früh am Donnerstag, er war gerade erst aufgestanden, kam der nächste Anruf. Eine eher männliche Stimme fragte, ob es unbedingt eine Hamburgerin sein müsste, sie stamme aus MeckPomm.
"Das spielt keine Rolle", antwortete er. 40 plus sei ja eine große Spanne, er solle doch mal sein wahres Alter verraten, bevor sie über sich erzählen würde. Er fand das unverschämt und antwortete: "Wenn ich das gewollt hätte, wäre es aus dem Text hervorgegangen." Dann forderte sie ihn auf, ein paar Dinge zu benennen, die er unter alles 'Mögliche' und 'Vorstellbare' verstünde. Er sagte, dass wolle er ihr persönlich erklären. Wütend entgegnete sie: "Ich glaube, Sie wollen gar keine Frau kennenlernen, sondern nur testen, wie viele sich auf Ihre bescheuerte Annonce melden!"
Er drückte auf die Taste mit dem roten Telefon.

Als er am Samstagvormittag am Überlegen war, ob er die gleiche
Kleinanzeige noch einmal aufgeben oder den Text verändern und das nächst größere Format wählen sollte, nahm ihm das Klingeln des Telefons die Entscheidung ab.
"Mein Name ist Kießling", sagte eine sympathisch klingende und alterslos wirkende Stimme. "Spreche ich mit dem Mann, der sich alles vorstellen kann?" Sie lachte.
Da er darauf nicht gefasst war, flüchtete er sich auch ins Lachen, bevor er antwortete: "Ja, ich habe diesen Text aufgegeben, aber Sie wissen doch, Papier ist geduldig! Man müsste sich erstmal kennenlernen."
"Deshalb rufe ich an! Wie wäre es mit heute Abend in der Marmsdorfer Straße 37 ? Statt Blumen bitte Schlafanzug und Zahnbürste mitbringen!"
Als er nicht sofort antwortete, fragte sie: "Sind Sie jetzt geschockt? Fällt das nicht unter Ihr Stichwort Vorstellbares?" Sie lachte wieder.
"Doch, doch, antwortete er zögerlich, weil ihm schlagartig klar wurde, dass die MeckPomm-Frau recht hatte: Sein Text war wirklich bescheuert! Aber kneifen wollte er auch nicht. "Gut, heute Abend um acht bin ich bei Ihnen."
"Einverstanden! Dann bis heute Abend. Ich lege jetzt auf."

Die bis dahin verbleibenden Stunden beschäftigte er sich mit der Frage, warum er sich darauf eingelassen hatte. Er versuchte, sich diese Frau mit der kessen Lippe und dem unbekümmerten Lachen vorzustellen. Komischerweise hatte er nur die hübschen Modells von der Partneragentur vor Augen, lachte über seine Illusion, die Antwort hatte er sich ja schon gegeben.

Er war gut durchgekommen, und hatte sogar einen Parkplatz in der Nähe gefunden. Das Haus mit der Nummer 37 lag in der Mitte eines Wohnblocks mit fünf Eingängen. Kurz vor acht Uhr klingelte er. Der Summer ertönte sofort, als hätte sie sein Kommen aus dem Fenster im dritten Stock beobachtet. Bei den ersten zwei Etagen nahm er zwei Stufen auf einmal, die letzte Treppe ging er wie ein Fünfzigjähriger.
Frau Kießling stand in der Tür und sagte spöttisch: "Kondition scheinen Sie ja noch zu haben, Herr Winterberg. Sie sind gar nicht ausser Atem."
Bevor sie sich die Hand gaben, wickelte er umständlich die roten und gelben Tulpen aus dem mit Tesafilm stümperhaft verklebten Papier und erwiderte: "Ich wohne in einem Hochhaus im 16. Stock, in dem meistens der Fahrstuhl durch Vandalismus streikt. Deshalb sind Ihre lächerlichen drei Etagen kein Problem für mich!" Danach sah er sie herausfordernd an.
Vielleicht ein Meter siebzig groß, schwarze Haare (gefärbt?)
über einen ovalen, fast faltenlosen, leicht gebräunten Gesicht. Er schätzte sie auf vierzig Jahre.
Sie lachte so unbekümmert wie am Telefon und sagte: "Wenn Sie mit mir zufrieden sind, dürfen Sie hereinkommen. Ich hatte zwar eine etwas andere Vorstellung, bin aber angenehm enttäuscht." Sie lächelte. "Ihr Bart passt gut zu Ihrem modernen Kurzhaarschnitt und dem grau melierten Haar. Normalerweise habe ich etwas gegen Drei-Tage-Bärte, wenn sie nur die spärlichen Kopfhaare kompensieren sollen, oder wenn ich das Gefühl habe, dass der Mann nur zu faul zum Rasieren ist."
Die erste Hürde hatte er genommen! Er hatte etwas anderes befürchtet. Er war ungefähr 5 Zentimeter kleiner als sie.
Entweder hatte sie das nicht bemerkt, oder es störte sie nicht.
Sie führte ihn ins Wohnzimmer, das für eine Wohnung in dieser 'Mietskaserne' erstaunlich groß war. Er schätzte es auf 28 Quadratmeter. Sie bot ihm den Sessel mit grün bezogenem Epinglé an. Wahrscheinlich ein Stück einer älteren Einrichtung, von dem sie sich nicht trennen wollte.
Sie nahm ihm gegenüber in einer Ecke einer dreisitzigen Couch Platz,die mit schwarzem Leder bezogen war. Davor stand ein Glastisch und seitlich davon ein zweiter Sessel, passend zur Couch. Einen Schrank gab es nicht, dafür unter dem Fenster ein nussbaumfarbenes Sideboard. Ein riesiger Flachbildfernseher, der ihn schon beim Hereinkommen gestört hatte und wie ein Fremdkörper wirkte, hing an der Wand.
"Hätten Sie Lust, mit mir auf 'arte' eine sehenswerte Wiederholung eines Liebesfilms anzusehen?"
"Warum nicht?"
Auf dem Sideboard hatte sie eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern deponiert, bat ihn einzuschenken und sagte, er müsse dann zu ihr herüberkommen, da er das Gerät im Rücken habe.
Er setzte sich in die andere Ecke. Sie schaltete das Gerät ein, ging zuerst auf 'Text', damit er sich informieren konnte.
Er überflog den Inhalt und die Schauspieler. Clint Eastwood kannte er nur als Westernhelden.
Sie prosteten einander zu, und Herr Winterberg wünschte Frau Kießling viel Spaß, obwohl sie den Film ja bereits kannte.
"So viel Spaß werde ich wohl nicht haben", entgegnete sie. "Ich befürchte, ich werde wieder weinen müssen!"
Schweigend verfolgten sie den Film. Nur einmal fragte sie, ob er etwas knabbern möchte. Er lehnte aber ab und verteilte den Rest aus der Flasche auf die Gläser.
Wenn ihm der Fernseher auch nicht gefiel, waren die Bilder in Größe und Klarheit ein Genuss! Es war fast wie im Kino, wenn er sich vorstellte, dass die vorderen Reihen nicht besetzt waren und er mit Frau Kießling allein in der Loge saß.
Als der Film mit Überlänge zu Ende war, bemerkte er, wie sie sich verstohlen über die Augen wischte. Er rückte auf den Mittelsitz, legte den Arm um ihre Schultern und sagte mitfühlend: "Wenn man es sich auch wünschte, wird der Ausgang in der Wiederholung nicht anders. Ich sehe 'Dirty Harry' noch immer mit dem Colt in der Hand, einen tödlichen Herzschuss abfeuernd. In diesem Film betört er das Herz mit seinem Charme, seiner Kamera-Kunst und den schönen Aufnahmen der alten und gediegenen Brücken. Eastwood war wirklich beeindruckend und der großen Meryl Streep durchaus ebenbürtig." Er machte eine kurze Pause und ergänzte: "Ich hätte den beiden auch ein Happy-End gewünscht!"
"Ich danke Ihnen", flüsterte sie gerührt. "Jetzt geht es mir viel besser! - Soll ich noch eine Flasche Wein holen?"
"Nein, danke! Dann müsste ich meinen Wagen ja stehen lassen und ein Taxi nehmen!"
"Sie glauben doch nicht, dass ich Sie jetzt noch nach Hause lasse? Mein Angebot von heute Morgen steht. Wozu hat man ein Gästezimmer? Das Handtuch auf der Heizung im Bad können Sie benutzen. Eine Frage habe ich aber noch und hoffe, dass Sie mich nicht für zu neugierig halten: Was machen Sie beruflich? Bevor Sie antworten, möchte ich wissen, ob meine Vermutung richtig ist. Ich glaube, Sie sind Ingenieur oder Informatiker."
Er lachte. "Ganz falsch! Ich bin bei einem Bestatter angestellt."
Entsetzt öffnete sie den Mund. "Sargverkäufer in einem Bestattungsinstitut?"
"Nein, das macht der Inhaber selber. Ich wasche die Toten, schminke sie, ziehe ihnen ihre Lieblingskleidung an und lege sie behutsam in den Sarg, den ich vorher liebevoll dekoriert und ausgepolstert habe."
Frau Kießling wurde leichenblass und griff zum Weinglas, das aber inzwischen leer war.
Im selben Augenblick fing Herr Winterberg an zu lachen. "Jetzt habe ich Sie ebenso schockiert wie Sie mich heute Morgen mit dem Übernachtungsangebot. Keine Panik! Ich bin Prokurist in einer Hamburger Reederei, verwitwet und kinderlos."
Schmunzelnd stand er auf, um ins Bad zu gehen und wünschte ihr eine gute Nacht.
Sie erhob sich ebenfalls. Ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen und sie antwortete ernst, immer noch schockiert, "wie soll ich eine gute Nacht haben, nach Ihrer geschmacklosen Lüge?!"

Er schlief erst gegen Morgen ein.Ihm war nicht klar, weshalb sie ihm die Übernachtung angeboten hatte. Vielleicht hatte er sie mit seinem blöden Text provoziert, oder wollte sie ihn testen, ob er nur an einem One-Night-Stand interessiert war?
Möglich war auch, dass Sie dachte, er würde sich ins Schlafzimmer schleichen und über sie herfallen. Oder dachte sie es nicht nur, sondern erwartete und erhoffte es?
Er verwarf diese Gedanken sofort. Nach der Unterhaltung und ihrer Ergriffenheit während des Films war sie ein romantischer Typ, der erobert werden wollte!

Geschirrklappern weckte ihn. Er huschte ins Bad und begnügte sich mit 'Katzenwäsche', da er abends geduscht hatte.
Um halb neun setzte er sich an den gedeckten Tisch. Er konnte wählen zwischen Müsli, Marmelade, Honig, Wurst und Käse.
"Guten Morgen, Herr Winterberg!", erwiderte sie seinen Gruß und schenkte ihm Kaffee ein. "Ich hoffe, dass ich jetzt richtig liege und Sie Kaffee- und kein Teetrinker sind. Gestern abend hat meine Intuition ja vollkommen versagt. Das war ja nicht so schlimm, Sie beschrieben es so ernst und real, dass ich wirklich dachte, Sie seien Leichenfledderer!" Wieder hörte er ihr unbekümmertes Lachen, das er so an ihr mochte.
"Entschuldigung! Ich meinte natürlich Leichenversorger!"

Er fragte schmunzelnd: "Wieso sind Sie auf meine Anzeige im Wochenblatt hereingefallen?"
"Weil Sie der jüngste von diesen alten 'Knackern' waren. Eigentlich ungewöhnlich für einen Mann in den Mittvierzigern.
Unser Alter und jünger nutzt doch das Internet!"
"Und wie fanden Sie den Text?"
"Ich hätte anders formuliert! Er war viel zu kurz und hat überhaupt nichts über Sie ausgesagt. Frauen möchten etwas anderes hören!"
"So, da bin ich aber gespannt! Können Sie das mal konkretisieren?"
Sie stand auf, holte einen Schreibblock und entwarf einen Text.
Er genoss inzwischen das Frühstück. Nachdem er drei Scheiben Brot mit verschiedenem Aufschnitt bezwungen und mit zwei Tassen Kaffee hinuntergespült hatte, fragte er, kommen Sie gut voran?"
Sie nickte nur und schrieb den Text in Reinschrift, damit er ihn lesen konnte. Bevor sie ihn ihm vor die Nase legte, sagte er ironisch und unüberlegt: "Egal, wie sich das noch entwickeln wird, heute habe ich wenigstens das Geld für die Wochenblatt-Anzeige wieder heraus!"
Sie nahm es für bare Münze und konterte sofort: "Und Sie sind kein Hamburger, sondern ein 'Nassauer'!"
Er ging nicht darauf ein und begann zu lesen:

'End-Vierziger, liebevoller, sportlicher Mann sucht Lebenspartnerin (Heirat nicht ausgeschlossen!)
Interessen: Theater, Kino, sentimentale Liebesfilme im Fernsehen. Er liest und diskutiert gerne.
Da er von der Küste ist, bevorzugt er im Urlaub, als Gegensatz, die Berge.
Ideen und Ambitionen der neuen Partnerin gegenüber aufgeschlossen und kompromissfähig.
Das Alter sollte ungefähr passen, obwohl drei oder vier Jahre nach oben oder unten nicht ins Gewicht fallen würden.
Anrufe unter der Telefonnumer ... (Möglichst nach 19 Uhr oder am Wochenende.)

Regungslos faltete Herr Winterberg die Seite und steckte sie in die Hosentasche. Dann stand er auf und sagte: "Seien Sie nicht böse Frau Kießling, aber ich muss jetzt gehen. Ich habe heute Nachmittag noch eine Verabredung. - Vielen Dank für Logis und das Frühstück wie in einem Vier-Sterne-Hotel!
Und ich möchte mich noch entschuldigen für meine Bemerkung nach dem Essen. Ich habe nicht geahnt, dass Sie mir zutrauen, das ernst gemeint zu haben. Egal, was diese verfluchte Anzeige gekostet hätte, Ihre Gastfreundschaft war viel mehr wert!"
Das tat ihr gut und sie war ihm auch nicht mehr böse, im Gegenteil sogar ein bisschen eifersüchtig, weil sie vermutete, dass er bei einer anderen Frau zum Kaffee eingeladen war.
Wortlos begleitete sie ihn zur Flurgarderobe und wollte ihm in die Jacke helfen. Verärgert riss er sie ihr aus der Hand und sagte: "Ich bin doch kein alter Knacker!"
Ihr Gesicht hatte fast die Blässe vom Vorabend erreicht und leise fragte sie: "Bekomme ich eine zweite Chance?"
Jetzt konnte er wieder lachen. "Nicht nur Sie, sondern wir beide! Sie kennen doch noch den berühmten Song von Mike& The Mechanics: 'Everybody gets a second chance.'
Trotzdem wirkte Frau Kießling traurig. Er merkte es. Schweigend gab sie ihm die Hand. Auf einmal tat sie ihm leid, und einer plötzlichen Regung folgend, küsste er sie spontan auf die linke Wange.
Noch in der Tür stehend sagte er: "Wenn Sie die Annonce, die Sie für Ihren Traummann verfasst haben, im Wochenblatt veröffentlicht finden, sollten sie ihn sofort anrufen! Bei dem genialen Text, den die Frauen so gerne hören oder lesen wollen, haben Sie ein Eigentor geschossen: Ihre weibliche Konkurrenz wird sehr groß sein!"
Sie lächelte schwach und blickte ihm nach, wie er übermütig wie ein Junge die Stufen hinuntersprang. Er blickte sich aber nicht mehr um.
 



 
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