Der Uhrmacher

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habibi

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Der Uhrmacher

Natürlich kann man alles zu einem Abenteuer stilisieren. Diese Geschichte ist schlichtweg gewöhnlich und keineswegs spektakulär.
Das Glas meiner Armbanduhr was gebrochen. Ich brauchte ein neues. Keine große Affäre, das kleine Hindernis – ich war in Hanoi! An der Rezeption des kleinen Hotel, in dem ich abgestiegen war, verstanden die zwei dauerfreundlichen Herren mein Problem erst nicht. Als dann endlich die sprachlichen Hindernisse beseitigt waren verstanden sie das ganze noch weniger. Gab es doch an jeder Straßenecke die fliegenden Uhrmacher auf ihren Velos mit angebauter Werkstatt. Dass diese Operateure mir nicht qualifiziert vorkamen quittierten die Herren mit einem Lächeln. Was immer das hieß!
Ich mietete ein Velo für wenige Münzen und radelte los- eigentlich, um die Stadt zu erkunden und nebenher doch nach einem Uhrengeschäft Ausschau zu halten.
Neben einem von Weißen frequentierten Cafe entdeckte ich einen kleinen Laden mit verstaubter Auslagendekoration und einem selbstgemalten Schild, auf dem eine Uhr dargestellt war. Ich öffnete die Türe und trat in einen halbdunklen Raum mit Dielenboden, spärlich mit einem Tisch und einem Stuhl und einigen Schachteln auf dem Boden möbliert. Eine Türöffnung führte in einen weiteren Raum. Niemand war zu sehen oder zu hören, also rief ich, und vernahm nach einigem Rumoren ein tiefes mühsames Atmen und ein Alter schlurfte aus dem Nebenzimmer herbei. Er ordnete mit den Händen sein Haar und zupfte seine Hosen zurecht. Ich hatte ihn wohl in seinem Vormittagsschläfchen gestört.
Herr Moi war 87 Jahre alt. Früherer Privatlehrer bis der große Befeiungskampf, erst gegen die Franzosen, dann gegen die Amerikaner, begonnen hatte Er hatte Glück gehabt, all die Säuberungen und Wechsel der eigenen Landsleute und die Bomben der einen und der anderen Befreier überlebt. Der laden, der er für seine patriotischen Verdienste mietfrei betreiben konnte, er brachte zwar nicht viel ein, aber er beschäftigte ihn. Und er war weg von zu Hause, wo drei Generationen sich gegenseitig auf di Füße traten. Außerdem war der Laden Anlaufpunkt für seine Veteranenkollegen für einen Tee und für Gespräche über die Vergangenheit. Selten kam einmal ein Kunde, fast nie ein Ausländer. Obwohl in den letzten Jahren zunehmend, vor allem junge Amerikaner, in dem Cafe nebenan verkehrten. Aber die jungen Leute mit ihren Mobyletten interessierten sich nicht für die Reparatur von Uhren und außerdem sprachen sie kein Französisch – und Herr Moi sprach kein Englisch.
Da kam dieser Europäer und weckte ihn aus seinen Dösen und versuchte mit Gesten zu erklären, dass er ein neues Uhrglas bräuchte. Bis sie beide erkannten, dass sie sich in Französisch hervorragend unterhalten konnten.
Herr Moi glänzte in geschliffenen Formulierungen, ganz im Gegensatz zu mir. Er steigerte sich noch, als zwei seiner früheren Kampfgefährten dazukamen und seine weltmännische Art bewunderten. Die Sprache der früheren Kolonialherren war zwar nur mehr den älteren Jahrgängen vertraut aber durchaus höher geachtet als das plumpe Englisch, das die jüngeren „bisnismen“ benutzten. Die Uhr war bald Nebensache, die Unterhaltung uferte aus, weg von dem üblichen „wie finden Sie unser Land?“ und „gefällt es Ihnen bei uns?“. Die Veteranen hatten Geschichten und Fragen, die über den Uhrmacher weitergegeben wurden, und wenn dann die Antworten oder Kommentare aus dem Französisch wieder zurück kamen, wurde aus dem erwartungsvollen Dauerlächeln ein offenes Lachen – egal welche Antwort es war.
Irgendwann kam ich auf meine Uhr zurück und Herr Moi scheuchte seine Freunde vor die Türe. Er hatte zu tun!
Er kramte aus einer Schachtel eine Handvoll Uhrengläser hervor, allesamt scheinbar staubig und alt. Nachdem er die richtige Größe herausgesucht hatte wurde klar, die Gläser waren „blind“. Wie Milchglas. Aber Herr Moi meinte nur „pas de problème“, holte eine Tube Polierpaste aus seiner Zauberschachtel und einen Lappen und polierte das Glas. Er offerierte mir währenddessen ein Metallarmband für meine Uhr zu einem unwiderstehlichen Preis. Als das Glas an einer Ecke klar poliert war und ich an den Erfolg glaubte erklärte Herr Moi mir, dass er die Uhr auseinander nehmen müsse um das Glas von hinten einsetzten zu können. Völlig klar!? Von einer früheren ähnlichen Reparatur, damals im Judenviertel von Prag, wusste ich, dass eine Schraubzange das auszuwechselnde Glas sphärisch krümmt und damit das Teil von Vorne zu wechseln möglich machte. Aber hier fehlte wohl diese spezielle Werkzeug. Und damit würde diese Generalreparatur notwendig werden.
Herr Moi öffnete den Uhrendeckel und zog ganz professionell die Aufzugsschraube heraus und – ließ sie auf den Dielenboden fallen.“ pas de problème“ meinte er nur wieder und suchte diese Minischraube mit kurzsichtigem Tasten.
Herr Moi dachte „der nette Europäer sieht wirklich betroffen aus, nur weil ich diese dämliche Schraube auf den Boden fallen ließ. Aber, wenn ich sie nicht mehr finde, ich habe genügend andere in meiner Schachtel. Nicht ganz die gleichen, aber so ähnlich, und er wird den Unterschied nicht merken“.
Ich war erleichtert, als Herr Moi mir anbot, doch bei seinen Freunden draußen in der Sonne zu warten. Das wäre unterhaltsamer. Ich ergänzte im Stillen „und Nervenschonender!“ Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, dass dies Uhr wohl hiermit den Weg allen Irdischen gehen würde.
Die Veteranen und ich versuchten mit Gesten und Mimik ein bisschen Konversation, der Übersetzer fehlte spürbar. Aber ich war auch nicht richtig bei der Sache, mehr bei meiner Uhr. Nach gut einer halben Stunde kam Herr Moi aus seinem Laden und überreicht mir meine Uhr. Mit neuem Band und – zu meinem Erstaunen – sie funktionierte! Auch noch lange danach bis ich sie Jahre später wegen des gebrochenen Armbandes verlor.
Weil wir uns so gut unterhalten hatte, war es beinahe schwierig, die Reparatur zu bezahlen. Während diese Hin und Her dachte Herr Moi: “wie kann ich diesem Mann das begreiflich machen, dass er mich bezahlen muss, wenn ich es auch aus Höflichkeit pro forma ablehne, ihm aber trotzdem die Illusion lasse, dass er uns sympathisch ist?“
Wir verabschiedeten uns wie alte Freunde.
 
R

Rote Socke

Gast
Hallo habibi,

mir hat der Text prima gefallen. Eine sehr unterhaltsame Geschichte. Trotz der Kürze glaubte ich einen kleinen Roman gelesen zu haben. Da stecken etliche Infos drin, die Du bestens eingefügt hast und keine Rückfrage benötigen.

Einige Fehlerchen haben sich eingeschlichen, aber die wirst Du sicher selbst entdecken.

Schöne Grüße
Socke
 

Zefira

Mitglied
Klasse, habibi (schöner Nick übrigens)

Ich finde es hinreißend, mit welcher Chuzpe Du die Gedanken des doch völlig fremden Herrn Moi wörtlich wiedergibst. (Das ist jetzt keine Ironie - mich hat das wirklich begeistert!)

Und die Schilderung des Ladens - herrlich bildhaft. Ich hab mit drin gestanden.

Lieben Gruß,
Zefira (hingerissen)
 

Zefira

Mitglied
Hallo habibi,

*lach* ich habe hier eine CD mit sog. "Weltmusik" (spanische, arabische und pakistanische Elemente), auf der das Wort "habibi" so oft vorkommt, daß ich es mal bei Google eingegeben habe.

Ich finde, es klingt freundlich und liebevoll. Manchmal nennt meine Tochter ihre Hasen so :D

Grüße aus Hessen,
die Westwindin
 



 
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