Der Umzug

Estrella

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Der Umzug
Hallo liebe Leserinnen und Leser, erlauben Sie, dass ich mich Ihnen kurz vorstelle? Ich heisse Ovum, das ist lateinisch und bedeutet Eizelle. Der Name Eizelle klingt mir aber zu gewöhnlich, deshalb bevorzuge ich die lateinische Version. Eine meiner Schwestern hat gerade einen Spanien-Tick, sie nennt sich seit kurzem Óvulo, na ja, immer noch besser als die französische Übersetzung Oef.
Ich lebe mit allen meinen Schwestern schon seit ewigen Zeiten in einer riesigen Wohngemeinschaft, die wir kurz und schmerzlos „Ovarium“ getauft haben. Draußen über dem Eingangstor hängt ein großes Schild, auf dem dieser Name geschrieben steht, und darunter für diejenigen, die des Lateinischen nicht so mächtig sind, die deutsche Übersetzung „Eierstock“. Rechts von uns gibt es noch eine WG, und jetzt stellen sie sich doch mal diese Frechheit vor, die nennen sich auch „Ovarium“. Ist das nicht fantasielos?

Auf jeden Fall lebt es sich gut in unserem Stock. Jede von uns hat ihr eigenes Zimmer, bei uns heißen die Follikel, oder Eibläschen. Die Wände unserer Follikel sind sehr dünn und hellhörig, sodass wir immer hören, was sich im Nachbarbläschen alles abspielt. Wir brauchen übrigens nur zwei Wochen im Monat zu arbeiten, nicht schlecht, oder? Wir machen in Hormonproduktion, müssen Sie wissen, haben uns auf Östrogene spezialisiert.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass wir eine reine Frauen-WG sind? Noch niemals hat ein männliches Wesen seinen Fuß über unsere Schwelle gesetzt.
Wir haben den Männern einen lustigen Spitznamen gegeben, Samenfäden. Ich weiß gar nicht mehr, wer von meinen Schwestern sich das ausgedacht hat.
Nicht dass es noch nie einer von diesen Samenfäden probiert hätte, zu unserem Haus zu gelangen. Oh doch, schon viele haben den Versuch gewagt, aber noch keiner hat es geschafft, sie sind fast alle in dem langen Tunnel, der zu unserem Haus führt umgekommen. Ich habe noch nie einen zu Gesicht bekommen, aber einige meiner Schwestern haben einmal zur Haustür heraus heimlich in den Tunnel geschaut, und von weitem einen Blick auf sie geworfen. Sie sollen sehr schlank und athletisch sein und furchtbar flink.
Jeden Monat muss eine von uns die WG verlassen und darf nie wieder zurückkehren. Das ist aber erst seit einiger Zeit so. In den ersten zwölf Jahren unseres Lebens, da sind wir alle zusammengeblieben.
Es sei eine sehr wichtige Aufgabe, die wir zu erfüllen hätten, haben mir meine Schwestern erklärt, nur die Allerreifesten unter uns werden ausgewählt und ich glaube es hat irgendetwas mit den Samenfäden zu tun. Ich bin schon ganz aufgeregt, das können Sie mir glauben. Wann werde ich wohl an der Reihe sein? Morgen? Nächste Woche, in ein paar Monaten?

Es ging aber dann doch noch schneller, als ich gedacht hatte. Aber lassen Sie mich der Reihe nach erzählen.
Schon ein paar Tage vorher hatte man mir mitgeteilt, dass ich die Nächste sein würde, konnte kaum mehr schlafen vor Nervosität.
Dann sprang die Tür meines Follikels auf. Wie von Geisterhand wurde ich aus dem Stock geschleudert und landete im Tunnel. Hatte ich schon erwähnt, dass er bei uns nur „der Eileiter“ genannt wird? Auf jeden Fall konnte ich mich noch nicht einmal mehr richtig von meinen Schwestern verabschieden, so schnell ging alles.
Seit zwölf Stunden irre ich jetzt hier schon ganz alleine umher, merke, wie ich ständig schwächer werde. Am liebsten würde ich wieder zurück zu unserem Stock gehen, doch das darf ich ja nicht.
Aber was ist das? Dahinten bewegt sich irgendetwas. Da kommt einer. Ach, was sage ich da, einer...H u n d e r t e . Oh Gott, sie rasen auf mich zu, lauter... Samenfäden. Hiiilfe, die sind ja überall. Hey, was tut ihr denn da, geht weg, lasst mich in Ruhe. Iihh, die knabbern mich an, können Sie sich das vorstellen?
Die versuchen einfach, in mich einzudringen, einer hat es schon fast geschafft.
Ah, aua...jetzt ist er drinnen. Na Gott sei Dank, nun lassen wenigstens die anderen von mir ab. Was meinst du? Rede doch mal etwas lauter.
Wissen Sie, was der Samenfaden gerade zu mir gesagt hat? Er hat eine neue Wohnung für uns. Eine schöne, geräumige Wohnung, den Mietvertrag hat er auch schon unterschrieben. Neun Monate dürfen wir da wohnen. Ist das nicht toll? Ach, ich freue mich schon. Tja, nun müssen wir uns leider verabschieden, ich habe jetzt viel zu tun, muss in unsere neue Wohnung umziehen.
Machen Sie es gut, vielleicht sieht man sich ja irgendwann mal wieder. Tschüss.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

das is ne gute frage. wenn du einen kleinen hund siehst und ihn putzig findest, ist der hund dann gut oder schlecht?
also ändere ich meinen kommentar in amüsant.
lg
 



 
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