Der Wintergarten

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Hagen

Mitglied
Der Wintergarten

Es ergab sich, dass ich während eines Turniers gegen ‚Jumpshot Harald’ antrat.
Vom ‚Jumpshot Harald’ wusste niemand Genaues. Es gibt allerdings die Geschichte von dem Wintergarten, die jedoch aus Rücksichtname unter uns billardspielenden Gentlemen nie öffentlich erzählt wird.
Harald und Frauke, seine Lebensgefährtin, wollten sich wohnungsmäßig etwas vergrößern und dann nach langjähriger, trauter Zweisamkeit in einer Zweizimmerwohnung endlich heiraten, nachdem Harald Filialleiter einer kleinen Sparkasse geworden war. Die Sache ließ sich dynamisch an, als sich eine Dreizimmerwohnung mit Wintergarten fand. Man fuhr die Möbel rüber, kaufte ein neues Schlafzimmer, tapezierte die Räume und verlegte neuen Laminatboden in trauter Zweisamkeit.
Und dann hielt eines Tages ein Lastwagen vor dem Haus und vier starke Männer begannen einen Billardtisch in den Wintergarten zu tragen. Etwa fünf Minuten später hielt ein weiterer Lastwagen vor dem Haus und zwei starke Männer schickten sich an, ein Klavier in den Wintergarten zu schleppen.
Für Billard und Pianoforte war kein Platz und die folgende Diskussion zwischen den beiden Liebenden artete mehr und mehr in Vorwürfe mit wenig feinfühligem Wortschatz aus, weil keiner den anderen über die geplante Nutzung des Wintergartens informiert, geschweige denn ein abwägendes Gespräch darüber mit einvernehmlicher Lösung angestrebt hatte.
Als die starken Männer den Tisch bereits justierten, mischte sich auch noch eine Nachbarin ein und drohte, jeden vor den Kadi zu zerren, der sie mit irgendwelchem Klaviergeklimper in ihrem Seelenfrieden zu stören beabsichtigte, denn die Häuser hiererorts wären arg hellhörig, und sie müssten, wie sie, doch lieber Tropenpflanzen anbauen, wie alle Andern auch, und kein normaler Mensch würde ein Klavier oder einen Billardtisch in den Wintergarten stellen.
„Tropische Pflanzen im Wintergarten, wie Wintergartenorchideen, Flamingoblumen, tropische Heliconiagewächse und Strelitzien, verleihen der ganzen Wohnatmosphäre einen Hauch von Urlaub und erholsamer Exotik“, bemerkte die Nachbarin weiter. „Die Schönheit und Andersartigkeit, die tropische Gartenpflanzen mit ins Heim zu bringen, ist das Schönste, was es gibt!“
Daraufhin tippte Harald sich an die Stirn und murmelte: „Quatsch! Ich und Strelitzien, das fehlte auch noch! Für mich gibt es nichts Schöneres als Billard!“
Frauke stieg daraufhin wortlos in den Lastwagen. Die starken Männer fuhren die Hebebühne, auf dem das Klavier bereits stand, wieder hoch, rollten das Pianoforte in den Laster und fuhren mit ihm und Frauke darin von dannen.
Frauke soll seitdem irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern eine Tanzschule betreiben oder Klavierunterricht erteilen, jedenfalls weiß man nichts Genaues.
Harald gilt seitdem als etwas einsam, er lässt keine Frau mehr an sich ran. Er soll im Wintergarten fast jede Nacht allein Billard spielen und Jumpshots sowie Rückläufer üben.
Dass ‚Jumpshot Harald’ dieses Match souverän gewann war klar.
Irgendwie gönnte ich es ihm.
 

Hagen

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Der Wintergarten

Es ergab sich, dass ich während eines Billardturniers gegen ‚Jumpshot Harald’ antrat.
Vom ‚Jumpshot Harald’ wusste niemand Genaues. Es gibt allerdings die Geschichte von dem Wintergarten, die jedoch aus Rücksichtname unter uns billardspielenden Gentlemen nie öffentlich erzählt wird.
Harald und Frauke, seine Lebensgefährtin, wollten sich wohnungsmäßig etwas vergrößern und dann nach langjähriger, trauter Zweisamkeit in einer Zweizimmerwohnung endlich heiraten, nachdem Harald Filialleiter einer kleinen Sparkasse geworden war. Die Sache ließ sich dynamisch an, als sich eine Dreizimmerwohnung mit Wintergarten fand. Man fuhr die Möbel rüber, kaufte ein neues Schlafzimmer, tapezierte die Räume und verlegte neuen Laminatboden in trauter Zweisamkeit.
Und dann hielt eines Tages ein Lastwagen vor dem Haus und vier starke Männer begannen einen Billardtisch in den Wintergarten zu tragen. Etwa fünf Minuten später hielt ein weiterer Lastwagen vor dem Haus und zwei starke Männer schickten sich an, ein Klavier in den Wintergarten zu schleppen.
Für Billard und Pianoforte war kein Platz und die folgende Diskussion zwischen den beiden Liebenden artete mehr und mehr in Vorwürfe mit wenig feinfühligem Wortschatz aus, weil keiner den anderen über die geplante Nutzung des Wintergartens informiert, geschweige denn ein abwägendes Gespräch darüber mit einvernehmlicher Lösung angestrebt hatte.
Als die starken Männer den Tisch bereits justierten, mischte sich auch noch eine Nachbarin ein und drohte, jeden vor den Kadi zu zerren, der sie mit irgendwelchem Klaviergeklimper in ihrem Seelenfrieden zu stören beabsichtigte, denn die Häuser hiererorts wären arg hellhörig, und sie müssten, wie sie, doch lieber Tropenpflanzen anbauen, wie alle Andern auch, und kein normaler Mensch würde ein Klavier oder einen Billardtisch in den Wintergarten stellen.
„Tropische Pflanzen im Wintergarten, wie Wintergartenorchideen, Flamingoblumen, tropische Heliconiagewächse und Strelitzien, verleihen der ganzen Wohnatmosphäre einen Hauch von Urlaub und erholsamer Exotik“, bemerkte die Nachbarin weiter. „Die Schönheit und Andersartigkeit, die tropische Gartenpflanzen mit ins Heim zu bringen, ist das Schönste, was es gibt!“
Daraufhin tippte Harald sich an die Stirn und murmelte: „Quatsch! Ich und Strelitzien, das fehlte auch noch! Für mich gibt es nichts Schöneres als Billard!“
Frauke stieg daraufhin wortlos in den Lastwagen. Die starken Männer fuhren die Hebebühne, auf dem das Klavier bereits stand, wieder hoch, rollten das Pianoforte in den Laster und fuhren mit ihm und Frauke darin von dannen.
Frauke soll seitdem irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern eine Tanzschule betreiben oder Klavierunterricht erteilen, jedenfalls weiß man nichts Genaues.
Harald gilt seitdem als etwas einsam, er lässt keine Frau mehr an sich ran. Er soll im Wintergarten fast jede Nacht allein Billard spielen und Jumpshots sowie Rückläufer üben.
Dass ‚Jumpshot Harald’ dieses Spiel souverän gewann war klar.
Irgendwie gönnte ich es ihm.
 



 
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