Der Wursttempel bei Vormals Breitschmal.

pleistoneun

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Mit großer Besorgnis über sein Schicksal stand der Weihnachtsbaum halbgeschmückt in sanftem Kunstlicht bereit zu sterben, denn nichts anderes würde ihn erwarten, hier in dieser qualmenden Würstelbude. Ein traditionsliebender Wursttempelbesitzer lebte mit seinem freudlosen Weihnachtsbaum seit knapp 6 Jahren unter einer Decke. Er verkaufte das ganze Jahr an seinem schmierigen Stand maßlos überteuert seine Spezialitäten: Schimmelkäsekrainer auf gesponnenem Kokon mit lichtem Stierblut als Nachtisch, eigentlich müsste es Nach-Tresen heißen. Daneben stand sein ausgedorrter Weihnachtsbaum aus dem Jahre 1996, der sich mit seinen ausladenden Ästen geradezu als geschmackloses Knabberwerk für zwischendurch aufdrängte. Vormals Breitschmal, vormals Schreitmal, hatte sein halbes Leben für einen solchen Prachtbaum gespart, auf Kotzen seiner Kunden, denen er maßlos überteuerte Schimmelkäsekrainer anbot, in Wirklichkeit aber nur käsernen Krainerschimmel mit Blutzucker-gestreckt feilbot.
4 Jahre lang musste er seine Bedürfnisse auf ein Mindestmaß zurückschrauben, um ein Mal in seinem öldurchtränkten Frittenschurzleben einen eigenen, herrlichen Weihnachtsbaum zu besitzen, der seine fahrende Grillhähnchenbude erstrahlen lassen würde. 4 Jahre lang keine unnötigen Ausgaben, essen war tabu, trinken nur wenn Regen fiel oder Altbenzin an aufgelassenen Tankstellen. Das Sparwunder Vormals Breitschmal, vormals Schreitmal, sparte so eisern, dass er selbst beim Sparen sparte. Und wer beim Sparen spart, lebt eigentlich in Saus und Braus. Er nannte es "die unbescheidene Anspruchslosigkeit" und legte noch ein paar saftige Pommes Frittes drauf, als er mit seinem trinkgeldfordernden Lächeln das mickrige Portiönchen über den ölverschmierten Ladentisch schob.
Sein Baum lehnte kahl daneben und wusste, dass es aus dieser Hölle kein Entrinnen mehr gab und verübte noch am selben Abend den schrecklichen Mord an Vormals Breitschmal, vormals Schreitmal.
 



 
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