Der Zettel - überarbeitetes Ende

Astrid

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Die 5 hatte Verspätung. Ich stand im Wartehäuschen, durch die offenen Seitenwände pustete mir ein kalter Wind in die Schuhe. Meine Hände waren tief in den Jackentaschen vergraben. Der Herbst kam zeitig in diesem Jahr.

Mit mir wartete eine Frau, vielleicht Ende Dreißig, dunkel gekleidet, unscheinbar. Eine schwere Tasche hing an einem langen Riemen über ihre rechte Schulter. Sie starrte gedankenverloren auf die Straße. Ich hätte sie übersehen, wären nicht ihre Haare gewesen, kupferrot, die trotz der bereits einsetzenden Dämmerung Funken zu sprühen schienen. Widerspenstige Locken, die von ihrem Kopf wegstrebten, so als hätten sie plötzlich das Gefühl, sich auf dem falschen zu befinden.

Endlich sah ich die Lichter der Straßenbahn, gelbe Augen, die näher und näher kamen und mich staunen ließen, wie schnell es bereits dunkel geworden war.
Als die Bahn hielt, drückte ich den Öffner für die mittlere Tür, die sich unmittelbar nach meinem Eintreten mit einem verzerrten, nervigen und sich mehrere Male wiederholenden Ton schloss. Aus welchen Gründen auch immer erinnerte er mich an das Einläuten einer Karussellrunde.
Die Bahn ruckte an. Ich ließ mich auf den Sitz neben der Tür plumpsen – also doch ein Karussell, wer nicht rechtzeitig saß, der flog.

Die Rothaarige entdeckte ich auf der anderen Seite, sie saß auf einem von zwei gegenüber angeordneten Sitzen. Wenn ich aus dem Fenster sah, spiegelte sie sich in der Scheibe. Sie hatte etwas zum Schreiben aus ihrer Tasche gezogen und benutzte diese als Unterlage.
Wenn sie sich über den Zettel beugte, fiel ihr eine Haarsträhne über die Augen. Unwillig versuchte sie, die Widerspenstige hinter das Ohr zu klemmen.
Sie schrieb, sah aus dem Fenster, manchmal lächelte sie. Hatte ich hier etwa eine Leidensgefährtin gefunden, eine Verwandte, der es ging wie mir? Eine Autorin, die Gedanken notieren musste, wie sie kamen? Entstand hier womöglich der Beginn eines Romans? Am Liebsten wäre ich aufgestanden und hätte ihr über die Schulter geschaut!

Ich sah, wie sie etwas durchstrich. Ja - dieses Korrigieren und Feilen der Wörter als würde man einen Stein bearbeiten, solange, bis die Figur sichtbar wurde. Lass dir Zeit, würde ich ihr am liebsten zurufen, koste es aus.

Sie schrieb wieder, dann sah sie lange aus dem Fenster. Erlebte sie gerade diesen glücklichen Moment, wo das Fundament auf dem Papier stand, man sich einen Blick gönnte nach außen, und dabei doch nach innen schaute, sich freuend auf die Arbeit, die noch vor einem lag?

Ich schloss die Augen, um diese Minute der Verbundenheit zu genießen und meine Finger berührten kurz das kleine Notizbuch, welches in meiner rechten Jackentasche lag.

In diesem Moment stand sie auf und ging zur Tür.
Die Bahn hielt. Umsteigemöglichkeit an einer breiten Kreuzung. Noch nicht meine Station, doch im letzten Moment sprang ich auf. Einsteigende drängten gegen die Aussteigenden, es wurde eng in der Tür.

Da segelte mir das Papier vor die Füße, ihr Papier, sie hatte es nicht bemerkt. Ich bückte mich, nahm das zusammengefaltete Blatt, kämpfte mit meiner Neugierde. Meine Augen überflogen die Zeilen. Als ich aufblickte, sah ich die Frau bereits untertauchen im Strom der Heimgehenden. Ich lief ein paar halbherzige Schritte in ihre Richtung, hob den Zettel, als wollte ich ihr winken, blieb dann doch stehen und zuckte mit den Schultern.

Ich stand mitten auf dem Gehweg, meine Augen klebten am Geschriebenen.
Es waren Namen. Nur Namen.
Eine Gästeliste für eine Feier? Marion war durchgestrichen, korrigiert und erneut gestrichen.
„Schade“ dachte ich enttäuscht. Ich wollte den Zettel schon in den Papierkorb an der Laterne werfen, doch aus irgendeinem Grund schob ich ihn in meine Jackentasche. Dann ging ich zu Fuß nach Hause.

Was hatte ich erwartet, zu finden? Den Beginn eines Romans, lyrische Zeilen?
Warum wurde Marion nicht eingeladen?

Ich kannte auch mal eine Marion. Die hätte ich auch durchgestrichen, aber das wäre schon wieder eine neue Geschichte…
 

petrasmiles

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Hallo Astrid,

das ist gut geschrieben, aber der Plot ist so vorhersehbar ...
Anfangs dachte ich, es ist ein Mann, gegen Ende: eine Frau. Ich glaube, das macht einen Unterschied, weil bei einem Mann ein anderes Interesse unterstellt werden darf und mehr 'Pfeffer' in die Begegnung gerät.
Deine Bilder finde ich schön - aber wie der Wind IN die Schuhe pfeifen kann, das frage ich mich.

Liebe Grüße
Petra
 

Astrid

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Hallo Petra

ich danke dir für dein Kompliment und deine kritischen Worte. Ich ärgere mich. Nicht weil du das gesagt hast,das ist ja gut, sondern weil ich diese Geschichte eigentlich mag, ist ja manchmal so, man hat so seine Lieblinge, und weil es nun so absehbar ist. Da werde ich also nochmal schauen müssen. Und überarbeiten und überarbeiten...
Der Wind in die Schuhe. Vielleicht sollte ich besser schreiben, pustet mir in die Hacken. Wenn es kalt und ungemütlich draußen ist, hasse ich diese offenen Häuschen und dadurch dass alle Seitenwände, auch die Rückwand unten nicht mit dem Boden abschließen, pustet der Wind, weht mir zumindest an die Schuhe... Ich werde nachdenken. Noch einen schönen Sonntag und liebe Grüße zurück
Astrid
 

petrasmiles

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... aber nicht doch!
Ich bin mir gar nicht sicher, dass der von mir angemerkte Umstand durch eine Überarbeitung besser würde! Es liegt vielleicht daran, dass in dieser Kürze der Plot so zentral scheint; wenn es aber in eine größere Geschichte eingebettet wäre ... Eigentlich auch Quatsch. Die Geschichte wäre einfach nicht die gleiche ... und wo steht, dass der Plot nicht vorhersehbar sein darf, wenn es schön geschrieben ist!
Ich kann verstehen, dass Du sie magst!
Für die 'Schuhe' habe ich eine Lösung: dann weht eben der kalte Wind um die Füße ... da fröstelt es einen beim Lesen auch.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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