Der allgemeine Trend

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hwg

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Max hatte sich, dem allgemeinen Trend folgend, ein Auto gekauft. Einen so genannten Mini, weil dieser, als Wagen des kleinen Mannes, am ehesten seinem Charakter und Habitus entsprach.

Max, ein unverbesserlicher Junggeselle, wohnte in einem der Siedlungshäuser am Stadtrand. Untypisch an diesem Zwölf-Familien-Gebäude war die Tatsache, dass keiner der anderen Bewohner ein Auto besaß. Nun stand das Vehikel auf der Straße vor dem Haus. Es war kein nagelneuer Wagen, er hatte an die 60.000 Kilometer drauf und bereits einen Besitzer hinter sich. Der Mini war Max aus Freundeshand zugefallen, und zwar zum derart günstigen Preis von 3000 Euro, dass der Betreffende ihm sogar die Freundschaft aufgekündigt hatte als er erfuhr, was er für den Schlitten anderswo hätte herausschinden können.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, als Max sein Gefährt wusch. Dieses war von gelber Farbe, die nun langsam zum Vorschein kam und in der Sonne blitzte. Hin und wieder öffnete Max die Wagentür und ließ sie bald darauf wieder krachend ins Schloss fallen. Einige Male betätigte er die Hupe. Hinter den Fenstern des Hauses tauchten Gesichter auf. Zuerst das von Herrn Löschnigg, dann das von Frau Baumstamm. Frau Swoboda kämmte ihrem schulpflichtigen Sohn Eugen auf dem Balkon die Haare. Herr Frei machte sich an seinem Fensterbrett zu schaffen. Sie taten es alle sehr geschickt, aber Max merkte, dass ihr Interesse einzig und allein ihm beziehungsweise dem Auto galt.

Um nun dem Vehikel ein etwas besseres Aussehen zu verleihen, hatte Max sich einen Fuchsschwanz für die Antennenspitze angeschafft, des weiteren ein wuscheliges schwarzes Fell für das Lenkrad sowie ein extralanges chromblitzendes Auspuffrohr, und zwar nicht nur angeschafft, sondern auch angebracht.

Herr Löschnigg kam mit seiner ewigen Aktentasche aus dem Haus und ging offenbar zum Frühschoppen. Er sagte freundlich „Guten Tag“ und marschierte hocherhobenen Hauptes und ohne einen Blick auf das Auto zu werfen weiter. Auch der Schuldirektor aus dem nahen Einfamilienhaus nahm, als er seinem knallroten Mercedes entstieg, zwar vom frischgebackenen Eigentümer, nicht jedoch vom Mini Notiz. Als Max sich anschickte, dem linken Vorderrad den nötigen Glanz zu verleihen, ertönte die schrille Stimme von Frau Baumstamm aus dem Fenster im zweiten Stock: „So ein billiges Auto passt gar nicht zu Ihnen. Sie müssten doch auch so einen Wagen wie der Herr Direktor fahren!“ Peng – schloss sie das Fenster und zog hastig die Gardine zu. Herr Frei kam mit seinem Hund herunter. „Hattest du nicht gesagt, wir wollten bei Gelegenheit auf ein Bier gehen?“, fragte er, während sein Köter ungeniert an den Mini pinkelte. Ohne eine Antwort abzuwarten, zogen die beiden weiter.

Dann öffnete sich die Haustür und Frau Swoboda betrag mit Eugen die Straße. Max nahm die Kappe ab und wollte einen seiner netten Scherze anbringen, etwa sagen: „Sonne auf allen Wegen, Frühlingskönigin und Maienprinz…“ Aber Frau Swoboda hielt die Hand ihres Sohnes fest umschlossen, und als sie grußlos vorbeigingen, hörte Max, wie die junge Mutter zum Sohn sagte: „Sieh mal Eugen, dieser grüne Porsche dort drüben vor dem Bungalow gehört Doktor Schneider, bei dem wir nächste Woche einen Termin haben.“

Max stand wie versteinert mit dem nassen Lederlappen in der Hand da. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er begann, an dem allgemeinen Trend zu zweifeln. Plötzlich sah er, wie die Spatzen auf den Bäumen ihr rußiges Gefieder putzten, bemerkte, wie eine Taube zaghaft aus einer Ölpfütze trank. Die vielen Geschichten über Umweltverschmutzung kamen ihm in den Sinn. Max schleuderte den Lederlappen in den Plastikeimer, das herausspritzende Dreckwasser benetzte seine helle Hose.

Noch am selben Tag gab er an der Lokalzeitung folgendes Inserat auf: „Verkaufe Mini, Baujahr 2000, viele Extras, 4000 Euro.“ Den Aufpreis von 1000 Euro fand er gerechtfertigt, schließlich folgte er damit ebenfalls dem allgemeinen Trend.
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