Der alte Mann und seine Schöpfung

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nemo

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Der alte Mann

Der alte Mann saß an seinem Schreibtisch und begutachtete seine Schöpfung.
Es war eine basketballgoße Kugel, die einige Zentimeter über der Tischplatte schwebte, und sich unaufhörlich um die eigene Achse drehte.
Der alte Mann sah besorgt aus.
Ihm war ein Fehler unterlaufen, doch er konnte beim besten Willen nicht sagen, in welchem Teil des Entstehungsprozesses sich dieser eingeschlichen hatte.
Es war nun schon sein dritter Versuch und diesmal hatte er sich besonders viel Mühe gegeben.
Der alte Mann saß bedrückt auf seinem Stuhl und wippte; er war deprimiert.
Anfangs war er von seiner Schöpfung wirklich begeistert gewesen und sogar die Farbwahl, mit viel Blau und hübschen Ockertönen, hatte ihm gefallen, doch inzwischen war die schwebende Kugel mit grässlichen dreckig-grauen Flecken übersät und an manchen Stellen traten sogar giftig-grüne Gaswölkchen aus.
Der alte Mann fluchte und kratzte sich am Kopf.
Er hatte erst die Natur geschaffen und fand sie hinreißend gefunden, dann eine Vielfalt von Tieren, auf die er besonders stolz war. Diesmal hatte er den Affen ausgewählt und ihn mit der Gabe der Evolution ausgestattet. Zuerst schien alles richtig zu funktionieren, doch dann entwickelte das Projekt sich in eine völlig unvorgesehene Richtung. Der Affe wurde allmählich zum Menschen und mit ihm kamen die Kriege, Hass und Gewalt. Der alte Mann hatte sich das Spiel eine Weile angesehen, nahm es ihm doch sogar die Arbeit ab, Krankheiten gegen die Übervölkerung zu erfinden. Doch sein Ziel war nicht die Ausrottung der Menschheit und so griff er ein. Er erschuff einen besonderen Mann, einen Mann der Liebe, der den Menschen den Weg in eine harmonisch friedliche Zukunft weisen sollte, halt einen richtig netten Kerl mit den besten Absichten. Und was war passiert ?
Sie hatten ihn gekreuzigt!
Das war nicht sein einziger Versuch gewesen, die Menschen und somit sein Projekt auf den rechten Pfad zu führen und einige dieser Eingriffe verliefen sogar recht positiv. Beispielsweise sein „Projekt Ghandi", das ein voller Erfolg gewesen war, wenn auch nur ein kleiner.
Das Schlimmste, fand er, war nicht, dass die Menschen es unbedingt darauf abgesehen hatten, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, nein, sie zerstörten auch noch seine geliebte Natur, in die er so viele Stunden Arbeit gesteckt hatte. Die Wälder gerodet, die Luft verpestet, das Wasser verschmutzt und die Tiere gequält, getötet oder eingesperrt.
Der alte Mann war verärgert, und wenn er verärgert war, schmollte er.
Der alte Mann saß also an seinem Schreibtisch, vor seiner Schöpfung, und schmollte verärgert.
Eine zierliche weiße Katze wanderte durch den Raum.
Nachdem der alte Mann keine Lust mehr hatte zu schmollen, hörte er damit auf.
Er überlegte sich, was er als Nächstes unternehmen sollte.
Er runzelte die Stirn, dann öffnete er die oberste Schublade seines Schreibtisches und holte ein Buch heraus. Es war ein großes Buch und als ob das nicht genug wäre, war es auch noch ein sehr, sehr dickes Buch. Es hatte einen goldenen Umschlag, der im Licht glitzerte wie tausend Sterne. Es war ganz klar ein Buch, das in den überfüllten Bücherregalen des göttlichen Buchhandels auffallen sollte. Und das hatten die Marketingexperten des himmlischen Buchverlags mit diesem Exemplar ohne Zweifel geschafft.
Auf dem Umschlag stand in großen silbernen Buchstaben, die wie tausend Sonnen strahlten: „Erschaffen Sie Ihre eigene Welt in 7 Millionen Jahren - von Gottfried Engels“.
Das Buch wurde, wie es die Marketingexperten des Himmlischen Buchverlags vermutet und erhofft hatten, ein Bestseller. Deshalb beließ es der Verlag nicht nur bei dem einen Buch, denn schnell hatte man gemerkt, dass sich mit dem kreativen Spiel- und Basteltrieb der Götter eine Menge Geld verdienen ließ.
Und so brachten sie „Fertigwelten“ heraus, die nur noch gepflegt werden mussten, Bausätze, mit denen man ganze Galaxien erschaffen konnte und sogar sammelbare Gegenstände in Boostern, die je nach Seltenheitswert sogar bei Godbay zu horrenden Summen versteigert wurden.
Hunderte von Götter versuchten nun ihre eigene Welt zu erschaffen und auch der Alte Mann hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Doch langsam fragte sich dieser, ob er die letzten paar Millionen Jahre nicht hätte sinnvoller verbringen können.
Er schüttelte den Kopf, beobachtete einen Augenblick lang die schwebende Kugel, um dann selbstzufrieden zu nicken: Er hatte sich entschieden.
Das Buch wanderte zurück in die oberste Schublade und seine Schöpfung in den Mülleimer.
Er würde sich in Zukunft seine Zeit anders vertreiben.
Er würde vielleicht Tauben züchten oder eine Ameisenfarm in seinem Zimmer einrichten.
Ein Glocke läutete und der Alte Mann wusste Bescheid.
Er kannte das Ritual.
Es war die selbe Glocke, wie in den vergangenen 142 Millionen Jahren.
Die Zeit war gekommen zu essen.
Die Zimmertür wurde geöffnet und ein junger Mann trat ein.
Er war ein sehr stabiler Engel, mit breiten Schultern und ernstem Gesicht.
„Na, alter Mann. Ist dein Spielzeug kaputt gegangen?", fragte er, und der hämische Unterton in seiner Stimme war kaum zu überhören. Er trug einen weißen Kittel mit einem kleinen Schild auf Brusthöhe.
Darauf stand sein Name - Michael - und darunter:
Himmlisches Klinikum St.Petrus
Psychiatrie
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
gääähhhnn . . .

wo war doch mal gleich die stelle zum lachen oder ironie erkennen?
aha, ursprünglich hatten sich ja die menschen götter erschaffen, unter anderem auch den, der angeblich die welt erschuf. naja, über die verdrehung könnte man schmunzeln.
lg
 



 
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