Der dritte Frühling

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LUPESIWA

Mitglied
Aus meiner Reihe "Geschichten über Senioren für Senioren"

Der dritte Frühling

„Moin Albert!“
„Moin Mücke!“
Bis zum Fahrstuhl sind das die einzigen Worte, die den Beiden über die Lippen kommen. Sehr ungewöhnlich. Eigentlich haben Albert Stein und Hans Mückeberger genug Gesprächsstoff. Meistens diskutierten sie laut und lange, egal wo sie sich gerade aufhalten, denn einer Meinung sind sie selten.
Albert Stein hatte bis vor zwei Jahren kaum einen Gesprächspartner. Er war eigensinnig, wusste alles besser und fühlte sich immer im Recht. So hatte er ganz schnell seinen Spitznamen –„Einstein“ weg. Und Hans Mückeberger heißt schon ewig „Mücke“, weil sein Nachname einfach zu lang ist. Seit er in der Residenz wohnt, ist auch Einstein verträglicher geworden. Hans Mückeberger ist nicht auf den Mund gefallen und bietet dem Besserwisser ordentlich Paroli. Deswegen verstehen sie sich auch.
„Spielen wir morgen wieder Schach, zwei Uhr?“, bricht Mücke das Schweigen.
„Ne, morgen nicht, keine Zeit“, antwortet Einstein und will schon um die Ecke verschwinden.
„Wieso keine Zeit, wir spielen jeden Mittwoch, nun warte doch mal“, hält der andere ihn energisch zurück.
Einstein bleibt stehen und beguckt seine Schuhspitzen. „Wie findest du eigentlich Mathilde?“, wechselt er einfach das Thema und schaut Mücke lauernd an.
„Wen meinst du, ach Mathilde, die Neue“, reagiert Mücke gekonnt ahnungslos. „Ich weiß nicht, kenne sie doch kaum.“
„Du kennst sie kaum“, poltert Einstein zurück, „dabei scharwenzelst du bei jeder Gelegenheit um sie herum!“
„Nun mach aber mal nen Punkt, Albert, wer konnte denn nicht schnell genug aus dem Fahrstuhl kommen, ist dann mit dem Rollator an meiner Karre hängen geblieben und ihr hinterher geeilt?“
„Das ist nur passiert, weil du dich an mir vorbeidrängen wolltest“, kontert Einstein erbost.
Wieder ist Funkstille.
„Wir haben sowieso keine Chancen“, lenkt Mücke versöhnlich ein. „Die soll ja was Besseres sein, von adliger Abstammung und so“.
„Wo haste das denn her, aus der Hausklatschspalte oder haste ihr blaues Blut gesehen?“ frotzelt sein Mitbewohner.
„Ne mein Lieber, hab ich aus erster Quelle. Ich bin gestern am Büro vorbei, da stand die Tür offen und ich hörte genau wie Frau Schmidt zu der Hilbert sagte: - na du weißt schon, die von Stollberg. Was denkst du, wen die da gemeint haben?“, triumphiert Mücke.
Einstein gibt sich geschlagen und holt tief Luft. „Weiß du was, Mücke, wir brauchen auch gar keine Frauenzimmer. Die bringen nur alles durcheinander. Dann lass uns morgen lieber wieder Schach spielen.“
„Hast recht, Albert, lass uns Schach spielen“, stimmt Mücke seinem Kumpel zu und friedlich rollen beide um die Hausecke.

Ungewollt hat Mathilde einige Sätze von dem Gespräch aufgefangen. Nun konnte sie sich das Getuschel und die neugierigen Blicke einiger Mitbewohner besser erklären.
Am nächsten Tag, kurz nach zwei, geht sie in den Aufenthaltsraum und genau auf den Tisch zu, an dem Einstein und Mücke gerade die Schachfiguren aufstellen wollen.
„Mahlzeit meine Herren, wir haben uns noch gar nicht richtig bekannt gemacht. Darf ich mich vorstellen – Mathilde Mausgruber, geboren in Stollberg, einer kleinen Stadt in Sachsen.
Suchen sie vielleicht noch einen dritten Mann zum Skatspielen?“
Den Beiden bleibt vor Überraschung der Mund offen und erst nach einigen Sekunden fällt der Groschen und alle drei lachen laut und herzlich.
 



 
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