Der dritte Wunsch

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Silberstreif

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Der kleine, traurige Mann konnte seine Fee nicht vergessen. Wie denn auch, schließlich war sie es gewesen, die ihm das beschert hatte, was ihm nun so verhasst war - sein Leben.
Dabei hatte sie es doch gut gemeint und ihm erfüllt, was er sich gewünscht hatte, nicht ohne ihn auf die Gefahren hinzuweisen. Damals hatte er nur gelacht und war sich so unendlich schlau vorgekommen.
Die drei Wünsche. Er hatte es sich doch so wohl überlegt, damals, als er dieses seltene Glück hatte, einer Fee zu begegnen, damals, als es noch Feen gab, die bereit waren, Wünsche zu erfüllen. Damals...
Er konnte sich nicht daran erinnern, wie lange es her war, wie lange er schon seinen letzten Wunsch verfluchte. Natürlich hatte er viele Male versucht, sich selbst davon zu befreien, doch war ihm dies nie gelungen.
Die beiden anderen Wünsche, Geld und Ruhm, hatten ihm schöne, unbeschwerte Zeiten beschert, doch waren diese längst vergangen, verbraucht, vergessen.
Er war ein Menschenleben lang bedeutend und mächtig gewesen, doch ihm starben Frau, Kinder und Enkelkinder, während er selbst um keinen Tag alterte. Er zog weg aus diesem Ort, er zog aus vielen Orten weg, um kein Misstrauen zu erwecken, liebte viele Frauen, zeugte viele Kinder, doch irgendwann war er nicht mehr fähig zu lieben. Der Tod zerstörte die Liebe immer. Trauer und Schmerz waren irgendwann nicht mehr zu überwinden.
Der kleine, traurige Mann versuchte zu vergessen, zu verdrängen, verschrieb sich der Wissenschaft, der Medizin, der Philosophie, erforschte das Leben und den Tod. Er lernte und lehrte, konnte dennoch nie begreifen, was ihm selbst zugestoßen war.
Er hatte die Welt kennengelernt, die Düsternis, Zerstörung und Brandschatzung, die die Menschen ihr als Wunden ins Angesicht geschlagen hatten. Nie konnten diese Wunden vernarben oder gar heilen, weil die sogenannten guten Zeiten viel zu kurz und zu selten waren.
Gute Zeiten gab es für ihn schon lange nicht mehr. Er hieß jeden Krieg willkommen und stellte sich stets in die vordere Front, nicht um andere zu töten - das war ihm zutiefst zuwider - sondern um selbst getötet zu werden. Seuchen und Naturkatastrophen, die ganze Landstriche entvölkerten, konnten ihm nichts anhaben - der erfüllte Wunsch einer Fee lässt sich nicht austricksen.
Jedesmal waren die Leute erstaunt und beeindruckt, von dem großen Glück das er zu haben schien, doch er wurde nur immer verzweifelter.
Er hatte es sich damals so großartig vorgestellt, als den Inbegriff des reinen Glücks, unverwundbar, unzerstörbar, unsterblich zu sein, keine Angst vor Tod, Krankheit und Schmerzen haben zu müssen. Er hatte nicht lange gezögert und sich von der Fee das ewige Leben gewünscht.
Doch der Tod hatte ihm so viel Schmerz, Leid und Angst beschert, dass ihm sein Wunsch zum Fluch geworden war - zum Fluch seines ewig bereuten, kurzen Größenwahns.
Nun würde ihn nur noch die Aussicht auf den Tod glücklich machen. Vielleicht hätte er sich einfach nur Glück wünschen sollen, doch es war zu spät - die Fee war längst tot.
 

Zarathustra

Mitglied
Das ist tatsächlich die Frage, liebe Silberstreif ...
was machen wir, wenn die Fee tot ist?

Sind es nicht eigenen Wünsche, die sich erfüllen ... die uns dann zum Verhängnis werden?

Das hast du wirklich treffend erzählt!
 



 
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