Der eine Satz

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Sara, ich liebe dich! Ich wäre selbst nie darauf gekommen, aber dieser eine einfache, emotionslose Satz hat mir mein Leben gerettet. Ich hätte nie gedacht, dass sie mir diese Aussage glauben würde. Wieso auch? Er hat für mich keine Bedeutung. Klar, nachdem man jemanden seine Liebe gestanden hat, sollte man sich befreit und glücklich fühlen, doch ich habe nur eine Last mehr. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder. Nun habe ich eine Art Affäre. Es wundert mich, dass mein Gewissen damit klarkommt. Das muss es. Sie hat mir eine Waffe an den Kopf gehalten. Das sie verrückt ist, wusste ich. Nun kann ich mich nicht mehr befreien. Sie hält mich gefangen und ich dummer Junge gehorche ihr. Warum gehorche ich? Ich bin schließlich ihr Chef und sie ist die Putzfrau. Sie sieht nicht einmal besonders gut aus - hat nur eine überaus üppige Oberweite. Ich liebe meine Frau. Auch, wenn sie keine üppige Oberweite hat, ist sie die schönste Frau für mich. Nun habe ich einer Putzfrau meine Liebe gestanden. Ich liebe sie nicht mal. Was sollte ich tun? Hätte ich sie verspottet hätte sie mir eine Kugel durchs Hirn gejagt. Meine Frau und meine Kinder hätten mich vermisst. Sie hätten gefragt ‘Warum?’, hätten sich selbst die Schuld gegeben. Nein, das ist schon gut so. Heute war die Putzfrau wieder da. Aber nicht im Büro, wie sonst immer, sondern bei mir Zuhause. Sie stand im Bademantel vor mir. Ihre rot gefärbten Haare hochgebunden und ihr Gesicht stark geschminkt. Ich hasse Make-up. Zum Glück war meine Frau mit einer Freundin beim Yoga-Kurs und die Kinder beschäftigten sich Oben. Ich ließ sie nicht durch die Tür, aber sie drängelte sich trotzdem herein. Sie legte sich auf das neue Sofa und öffnete ihren Bademantel. Darunter blitzten feinste Dessous hervor. Sie ist doch nur die Putzfrau. Sie war überhaupt nicht sexy und das machte ich ihr deutlich, indem ich sie ohne große Worte vor die Tür setzte und die Tür verriegelte. Dann kam einer der Jungs herunter und fragte wer da war. Louis, der ältere von beiden besuchte schon die Oberstufe und ist ein intelligenter Junge. Deshalb log ich ihn erst gar nicht an und erzählte von einer Verrückten, die sich in Dessous auf das Sofa gelegt hatte. Er lachte und ging wieder hoch um Playstation zu spielen. Dann kam Marie, meine Frau, und alles war wieder gut.
Zumindest dachte ich das. Marie erzählte mir von ihrem Yoga-Kurs, den ich mit nicht so großem Interesse verfolgte, das ärgerte sie. Sie fragte mich, ob ich schon von den neuen Nachbarn gehört hätte. Ich verneinte. Dann wurde es still im Schlafzimmer. Es war eine Ruhe, die schlimmer als jede andere Ruhe war. Keiner von uns wagte es zu atmen, sogar die Uhren schienen leiser zu ticken. Selbst die alte Lampe, die sonst immer ihre Brumm-Geräusche machte, schien plötzlich ruhig zu sein. Ohne etwas zu sagen stand ich auf und ging auf die Toilette, obwohl ich nicht musste. Ich betrachtete mich im Spiegel. Das machte ich öfters. Als Chef einer Firma darf ich das. Ich bin stolz auf meine eisblauen Augen. Obwohl Marie eher braune Augen bevorzugte, heiratete sie mich. Der Rest von meinem Gesicht ist eher ungewöhnlich schön. Sehr markant. Sehr männlich. Eine sehr Respekt einflößende Erscheinung. Dieses Gesicht hat mir sehr bei meiner Karriere geholfen. Ich habe Mitleid mit den weichen Gesichtern. Statistiken besagen markantere Gesichter sind respekteinflößender als weichere Gesichtszüge. Diese Statistiken scheinen zu stimmen, auch wenn meine eigene Erfahrung auf meinem Bekanntenkreis basiert.

Ich schrecke aus meinen Gedanken über den Tag auf. Ich stehe hier seit mindestens zehn Minuten. Marie ruft mich. Ich spüle, um meinen Toilettengang vorzutäuschen und gehe ins Schlafzimmer. Sie fragt mich, ob wir mal Essen gehen wollen. Ich erkläre ihr, dass ich am Wochenende Zeit habe. Sie fragt mich noch etwas, doch ich erkläre ihr, dass ich Schlafen will. Sie wirkt enttäuscht und dreht sich um. Doch ich liebe nur sie!
 

rothsten

Mitglied
Hallo Sonntagsschreiber,

Dein Text hat was. Er sticht deutlich nach oben ab, finde ich.

Dein Prot ist da in einen Schlammassel geraten und hält nur durch Lügen seinen Kopf über Wasser. Es ist nicht wichtig, warum er sich auf Sara eingelassen hat. Schön, dass Du das weglässt, das interessiert nämlich überhaupt nicht.

Du hast hier ein paar ganz starke Sätze geschrieben, die Deinen wachen Beobachtergeist verraten:

Louis, der ältere von beiden besuchte schon die Oberstufe und ist ein intelligenter Junge. Deshalb log ich ihn erst gar nicht an und erzählte von einer Verrückten, die sich in Dessous auf das Sofa gelegt hatte.
Hier musste ich sehr schmunzeln. :)

Das machte ich öfters. Als Chef einer Firma darf ich das.
Das ist eigensprachlich. DAS ist Literatur! ;-)

Dieses Gesicht hat mir sehr bei meiner Karriere geholfen. Ich habe Mitleid mit den weichen Gesichtern. Statistiken besagen [blue](Komma) [/blue]markantere Gesichter sind respekteinflößender als weichere Gesichtszüge.
Siehe oben, aber mach noch ein Komma rein. Irgendwo oben fehlen auch noch ein, zwei, glaube ich.

Marie ruft mich. Ich spüle, um meinen Toilettengang vorzutäuschen und gehe ins Schlafzimmer.
Wie wahr, wie wahr... :)

Hier könnte aber noch ein bissl poliert werden:

Sie fragt mich, ob wir [red][strike]mal[/strike][/red] Essen gehen wollen. Ich [blue]erkläre[/blue] ihr, dass ich am Wochenende Zeit habe. Sie fragt mich noch etwas, doch ich [blue]erkläre[/blue] ihr, dass ich Schlafen will.
Das "mal" suggeriert ein erstes Date, die sind aber verheiratet. Einfach streichen.

Zweimal "erklären" ist eine unschöne Wiederholung.

Ein sehr feiner Text!

lg
 



 
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