In den Achtzigern hatte ich in Stuttgart gearbeitet und gewohnt. Jeden Morgen auf dem Weg zum „Making Money“ fuhr mein Straßenbähnle durch einen Park in dem sich Obdachlose zum „Frühstück“ trafen. Ich war immer von diesem Anblick fasziniert, obwohl ich beim Gedanken frühmorgens eine billige Flasche Korn anzusetzen und das Zeug auch noch runterzuschlucken immer würgen musste.
Ballermann kann schließlich jeder, ist zu simpel, einfallslos und was für Alkis in der Warteschleife. Also besser überhaupt nicht mehr duschen und das wahre Leben mal live und in vollen Zügen aus der Bierflasche erleben. Mitte der Neunziger war es dann so weit: Ich habe mir eine Woche meines Jahresurlaubs für ein Experiment der besonderen Art reserviert. Ich fuhr zurück in die Stadt von Gottlieb Daimler und Ferry Porsche und mietete mich für eine Woche in der miesesten Absteige, die ich finden konnte, ein.
Am Morgen dann ab in den Park meiner Straßenbahnjahre. Punkt acht saß ich auf dem Bänkchen, dass ich immer gesehen habe und stellte mir vor, wie ich jetzt im Bähnle sitzend an mir selbst vorbeifahre und mein Elend beobachte. Alles war so wie früher. Die Natur, der verschlungene Pfad, die alten Kastanienbäume und das gepflegte Beet mit den bunten Blumen vor der Parkbank. Nur eins war anders: Ich war allein, immer noch stocknüchtern und viel zu gut angezogen für ein gestandenes Pennertum, obwohl ich extra meine Leierjeans fürs Grobe, sowie mein versautestes T-Shirt trug. Auch fiel mir erst jetzt auf, dass ich noch nie einen Obdachlosen mit einem Rucksack der Marke Deuter gesehen habe. Hätte wohl besser die Lidl Plastiktüte mitnehmen sollen. Morgen dann mach ich's aber richtig.
Und noch was irritierte mich fürchterlich: Ich sah jetzt auch die Menschen in der Straßenbahn, wie sie gafften und sich die Mäuler über mich zerrissen. Bei der ersten Bahn habe ich noch süffisant lächelnd den Blicken standgehalten, demonstrativ und profihaft meine Bierflasche angesetzt und so getan als wäre dies das Normalste der Welt. Bei der zweiten Bahn musste ich dann schon meine Schnürsenkel binden und mir dabei einreden, dass mich hier sowieso keiner kennt. Bei der dritten Bahn habe ich dann wirklich meinen ersten tiefen Schluck aus der Pulle genommen. dies war aber leichter als ich dachte, und als der Alkohol wärmend in meinen Leib strömte um anschließend in meinen Gehirnwindungen für Stimmungsaufhellung zu sorgen, kam tiefe Genugtuung in mir auf.
Da kam Kurt. Er setzte sich wortlos neben mich, runzelte die Stirn als er meinen Rucksack musterte und drehte sich eine Zigarette. „Haste mal Feuer?“ Ich nahm einen Schluck aus der Bierflasche und reichte ihm mein Feuerzeug. „Bist wohl neu hier?“, fragte er, und blies mir den Rauch inklusive einer höllischen Fahne ins Gesicht. „Ja, bin obdachlos und habe auch sonst nichts zu lachen“, antwortete ich. „Du und obdachlos?“ prustete er. „Willst mich wohl verscheissern! Bist wohl einer von den Sozio Heinis, die gern mal einen auf Selbsterfahrung machen, um dann in schlauen Doktorarbeiten behaupten zu können, dass sie jemanden kennen, der jemanden kennt, der glaubt sich auszukennen!“
„Nein, ich bin so vor zehn Jahren auf der anderen Seite der Bühne gesessen und will nur mal testen, wie es ist ganz unten zu sein“, sagte ich reumütig und ertappt, während ich auf die ratternde Bahn deutete. „Sag mal, damals war hier um diese Zeit immer richtig was los. Wo sind die Kumpels alle hin?“.
„Seit ein paar Jahren kommen hier regelmäßig die Scheriffs vorbei und lösen alle Konferenzen auf. Der harte Kern tagt jetzt wo anders. Mich kennen sie und wissen, dass ich keinen Stress mache. Ich verschwinde halt, wenn sie im Anmarsch sind und mache meine Schleife. Spazierengehen soll ja gut für die Gesundheit sein“. Bei diesem selbsternannten Witzchen schüttelte er sich aus vor Lachen und da er dabei auch noch an seiner Selbstgedrehten zog, ging sein Lachen sofort in ein heiseres Husten über.
„Willst du einen Schnaps“, fragte ich und zog eine Flasche Wodka aus meinem Rucksack. „Regel Nummer eins: Schnaps erst, wenn die Hände so zittern, dass du die Kippe nicht mehr halten kannst! Lass mir die Flasche da, geh heim und komme erst wieder, wenn du richtig in der Bredouille steckst. Dann geht das hier auch gleich alles, wie wenn Du nie was anderes gelernt hättest. Als Anfänger bist Du hier nach ein paar Tagen tot! Und noch ein Rat: Lass die Finger vom Stoff, solange es noch Zeit ist! Das ist nur was für Profis, die genau wissen, wann wieder ein Plätzchen an der Friedhofsmauer frei wird.“
Ich gab ihm den Schnaps und meine restlichen Bierflaschen. An einer Haltestelle setzte ich mich in mein Bähnle und schaute gespannt im Park aus dem Fenster. Die Bank war leer. Kurt war wohl auf „Schleife gehen“. Noch am Nachmittag meines ersten Urlaubstages packte ich meine Sachen wieder zusammen und verließ die heruntergekommene Absteige Richtung Heimat. Ich habe gelernt, dass die Straße nichts für Amateure ist.
Ballermann kann schließlich jeder, ist zu simpel, einfallslos und was für Alkis in der Warteschleife. Also besser überhaupt nicht mehr duschen und das wahre Leben mal live und in vollen Zügen aus der Bierflasche erleben. Mitte der Neunziger war es dann so weit: Ich habe mir eine Woche meines Jahresurlaubs für ein Experiment der besonderen Art reserviert. Ich fuhr zurück in die Stadt von Gottlieb Daimler und Ferry Porsche und mietete mich für eine Woche in der miesesten Absteige, die ich finden konnte, ein.
Am Morgen dann ab in den Park meiner Straßenbahnjahre. Punkt acht saß ich auf dem Bänkchen, dass ich immer gesehen habe und stellte mir vor, wie ich jetzt im Bähnle sitzend an mir selbst vorbeifahre und mein Elend beobachte. Alles war so wie früher. Die Natur, der verschlungene Pfad, die alten Kastanienbäume und das gepflegte Beet mit den bunten Blumen vor der Parkbank. Nur eins war anders: Ich war allein, immer noch stocknüchtern und viel zu gut angezogen für ein gestandenes Pennertum, obwohl ich extra meine Leierjeans fürs Grobe, sowie mein versautestes T-Shirt trug. Auch fiel mir erst jetzt auf, dass ich noch nie einen Obdachlosen mit einem Rucksack der Marke Deuter gesehen habe. Hätte wohl besser die Lidl Plastiktüte mitnehmen sollen. Morgen dann mach ich's aber richtig.
Und noch was irritierte mich fürchterlich: Ich sah jetzt auch die Menschen in der Straßenbahn, wie sie gafften und sich die Mäuler über mich zerrissen. Bei der ersten Bahn habe ich noch süffisant lächelnd den Blicken standgehalten, demonstrativ und profihaft meine Bierflasche angesetzt und so getan als wäre dies das Normalste der Welt. Bei der zweiten Bahn musste ich dann schon meine Schnürsenkel binden und mir dabei einreden, dass mich hier sowieso keiner kennt. Bei der dritten Bahn habe ich dann wirklich meinen ersten tiefen Schluck aus der Pulle genommen. dies war aber leichter als ich dachte, und als der Alkohol wärmend in meinen Leib strömte um anschließend in meinen Gehirnwindungen für Stimmungsaufhellung zu sorgen, kam tiefe Genugtuung in mir auf.
Da kam Kurt. Er setzte sich wortlos neben mich, runzelte die Stirn als er meinen Rucksack musterte und drehte sich eine Zigarette. „Haste mal Feuer?“ Ich nahm einen Schluck aus der Bierflasche und reichte ihm mein Feuerzeug. „Bist wohl neu hier?“, fragte er, und blies mir den Rauch inklusive einer höllischen Fahne ins Gesicht. „Ja, bin obdachlos und habe auch sonst nichts zu lachen“, antwortete ich. „Du und obdachlos?“ prustete er. „Willst mich wohl verscheissern! Bist wohl einer von den Sozio Heinis, die gern mal einen auf Selbsterfahrung machen, um dann in schlauen Doktorarbeiten behaupten zu können, dass sie jemanden kennen, der jemanden kennt, der glaubt sich auszukennen!“
„Nein, ich bin so vor zehn Jahren auf der anderen Seite der Bühne gesessen und will nur mal testen, wie es ist ganz unten zu sein“, sagte ich reumütig und ertappt, während ich auf die ratternde Bahn deutete. „Sag mal, damals war hier um diese Zeit immer richtig was los. Wo sind die Kumpels alle hin?“.
„Seit ein paar Jahren kommen hier regelmäßig die Scheriffs vorbei und lösen alle Konferenzen auf. Der harte Kern tagt jetzt wo anders. Mich kennen sie und wissen, dass ich keinen Stress mache. Ich verschwinde halt, wenn sie im Anmarsch sind und mache meine Schleife. Spazierengehen soll ja gut für die Gesundheit sein“. Bei diesem selbsternannten Witzchen schüttelte er sich aus vor Lachen und da er dabei auch noch an seiner Selbstgedrehten zog, ging sein Lachen sofort in ein heiseres Husten über.
„Willst du einen Schnaps“, fragte ich und zog eine Flasche Wodka aus meinem Rucksack. „Regel Nummer eins: Schnaps erst, wenn die Hände so zittern, dass du die Kippe nicht mehr halten kannst! Lass mir die Flasche da, geh heim und komme erst wieder, wenn du richtig in der Bredouille steckst. Dann geht das hier auch gleich alles, wie wenn Du nie was anderes gelernt hättest. Als Anfänger bist Du hier nach ein paar Tagen tot! Und noch ein Rat: Lass die Finger vom Stoff, solange es noch Zeit ist! Das ist nur was für Profis, die genau wissen, wann wieder ein Plätzchen an der Friedhofsmauer frei wird.“
Ich gab ihm den Schnaps und meine restlichen Bierflaschen. An einer Haltestelle setzte ich mich in mein Bähnle und schaute gespannt im Park aus dem Fenster. Die Bank war leer. Kurt war wohl auf „Schleife gehen“. Noch am Nachmittag meines ersten Urlaubstages packte ich meine Sachen wieder zusammen und verließ die heruntergekommene Absteige Richtung Heimat. Ich habe gelernt, dass die Straße nichts für Amateure ist.