Der gute Vorsatz
Der Regen prasselte gegen die Scheibe. Ein Märztag, nicht mehr Winter, noch nicht Frühling, wie geschaffen, um im Bett liegen zu bleiben! - Aber acht Stunden waren genug; sein Rücken begann schon zu schmerzen.
Während des Rasierens erinnerte er sich daran, was er sich unter Zeugen vorgenommen hatte. Silvester hatte er mit seiner Freundin bei Freunden gefeiert, mit denen sie sich auch monatlich zu Gesellschaftsspielen trafen. Irgendeiner kam auf die Idee, die guten Vorsätze für das neue Jahr bekannt zu geben. Nach einem Vierteljahr sollte dann überprüft werden, wer sie nicht eingehalten hat. Als zusätzliches Druckmittel einigte man sich auf eine "Strafe" von zwanzig Euro für die Spielkasse, aus der sie einen Ausflug pro Jahr finanzierten.
Die Frauen wollten abnehmen und nahmen sich vor, mehr Sport zu treiben und um Süßigkeiten einen großen Bogen zu machen.
Zwei Männer wollten ebenfalls ein paar Pfunde verlieren und versprachen, mit Joggen anzufangen. Andere, zu denen er auch gehörte, wollten ab Januar mit dem Rauchen aufhören.
Seine Freundin protestierte: "Du rauchst doch schon seit einigen Wochen nicht mehr!"
"Das ist nur vorbeugend!" beruhigte er. "Du weißt doch, wie schwer mir das fällt! Ich könnte doch wieder rückfällig werden!"
"Nein, das zählt nicht! Du hattest dir doch schon lange vorgenommen, den Keller aufzuräumen und zu entrümpeln. Das wäre doch ein guter Vorsatz!"
Sie hat ja Recht! Als er vor einigen Jahren die Wohnung seiner Eltern übernommen hatte, ist sie nicht nur renoviert, sondern auch komplett neu eingerichtet worden.
Der Keller hat ihn nicht interessiert; der war so zugestellt, dass man kaum die Tür öffnen konnte. Da er ihn nicht nutzte, störte ihn das nicht. Jetzt musste er aber tätig werden. Nicht nur wegen des Vorsatzes - das Vierteljahr war in vierzehn Tagen um -, sondern auch um die Fahrräder, die sie sich zum Frühjahr kaufen wollten, unterbringen zu können.
Aufräumen brachte nichts! Wo sollte er mit dem Gerümpel bleiben? Bis auf die Regale mit den Werkzeugen konnte alles weg! Hier half nur die Sperrmüll-Abfuhr. Dazu musste er eine Aufstellung anfertigen, da die Fahrer die Anweisung hatten, nur das mitzunehmen, was auf der vorher übersandten Liste stand.
Der meiste Platz wurde von der Kartoffelkiste eingenommen, in der auf dem Boden noch einige verschrumpelte Knollen mit abgestorbenen Keimen lagen. Daneben einige aufgestapelte Bretter und Leisten einer ehemaligen Kohlenkiste.
Davor standen zwei Kühlschränke, ein Gasherd und ein verrostetes Damenfahrrad ohne Sattel. An einer Wand türmte sich ein Lattenrost mit einer Matratze. An der anderen Seite waren leere Pappkartons gelagert, die auch noch eine Zinkwanne füllten. Dahinter versteckt eine Art Dielenschrank, den er nie in der elterlichen Wohnung gesehen hatte.
Er schob die Kartons beiseite und untersuchte das Möbelstück.
Es musste neu gut ausgesehen haben, hätte vielleicht mit dem entsprechenden Spiegel sogar in seine Diele gepasst. Aber das Nussbaumfurnier war gerissen, an einigen Stellen ganz abgeplatzt, so dass man die rohe Spanplatte sah. Es hatte zwei Schubladen. In der oberen lagen ein Schuhanzieher, eine Kleiderbürste und - ekelhaft - ein Kamm mit ausgebrochenen Zinken und in den verbliebenen verfilzte, schwarze Haare.
In der unteren konnte er auf den ersten Blick auch nichts Wertvolles entdecken. Es schienen nur ausgeschnittene Werbeanzeigen aus Zeitungen oder Illustrierten zu sein.
Obenauf Ariel-Werbung mit Klementine. Er nahm den Stapel heraus und sah sich die Ausschnitte an.
Sie mussten aus den 60-iger Jahren sein, als man noch Reklame dazu sagte.
Blonde Frauen mit Dauerwellen priesen Penaten-Creme, Nesquik, Lux-Seife und Rotbäckchensaft aus dem Reformhaus an.
Ein Mann mit Sonnenbrille und Strohhut, die Zigarette lässig im Mundwinkel, warb für Mercedes. Von dieser Zigarettenmarke hatte er noch nie gehört. Wahrscheinlich war sie vom Markt verschwunden, weil Daimler-Benz dagegen Einspruch eingelegt hatte.
Ganz unten lag ein dicker brauner Din-A5-Umschlag, und darauf stand in Druckbuchstaben: 'Für Dich!'
Er zögerte und überlegte. 'Für Dich!' - War er damit gemeint?
Vielleicht von seinen Eltern? Aber warum in Druckbuchstaben? Sie hatten doch eine schöne und leserliche Handschrift!
Er hatte aber eher das Gefühl, dass sie diese Schubladen nie geöffnet hatten; egal, wie das Schränkchen in den Keller gekommen war.
Er öffnete den Umschlag und musste einen Schrei der Überraschung unterdrücken. Es war ein Bündel 100-Mark-Scheine darin. Er zählte sie. Es waren dreißig Stück. Sie sahen so neu aus, als wären sie noch nie in Umlauf gewesen. Aber woher kam das Geld und für wen sollte es sein?
Er betrachtete einen Schein etwas genauer. Die rötlich-blaue Farbe schien zu stimmen. Auf der Vorderseite Clara Schumann und auf der Rückseite der Konzertflügel. Wasserzeichen waren auch zu erkennen. Auch der "Papiertest" mit Daumen und Zeigefinger gab ihm das DM-Gefühl zurück. - Vielleicht waren sie echt! Er könnte das nächste Woche testen. Dann bot ein Supermarkt in der Nähe Einkäufe in Deutsche Mark an. Ein Kasten Bier sollte zum Beispiel zwanzig Mark kosten.
Am nächsten Montag packte er sich den Einkaufswagen voll und stellte sich mit Herzklopfen an die Kasse. Der Hunderter passierte das Kontrollgerät der Kassiererin ohne Beanstandung.
Er bekam sechs Mark und zweiundsiebzig wieder heraus. Besonders über das Fünf-Mark-Stück freute er sich; hier hatte man wenigstens etwas in der Hand! Was war dagegen ein lappiger Fünf-Euro-Schein?!
Nachmittags machte er sich auf den Weg zur Filiale der Deutschen Bundesbank. Zweitausendneunhundert Deutsche Mark würden ungefähr eintausendfünfhundert Euro ergeben. Wenn sie fünfhundert dazulegten, bekämen sie dafür zwei Touring E-Bikes.
Der Schalterbeamte kam zurück. Aber anstatt ihm die umgetauschten Euro zu geben, bat er ihn ins Besucherzimmer.
Dort erwartete ihn ein anderer Mann und der sagte, bevor er Platz nehmen konnte: "Das ist Falschgeld!"
Nun bekam er doch einen Schreck. Nach dem gelungenen Einkauf am Vormittag hatte er damit nicht gerechnet. Der 'Banker' bat um seinen Ausweis und fragte, woher das Geld stamme.
Während seines Erzählens bemerkte er bereits ein ungläubiges Lächeln bei dem Mann, der dann erwiderte: "Das glauben Sie doch selbst nicht! Wir haben da Erfahrung! Was meinen Sie, was uns hier schon alles an haarsträubenden Geschichten erzählt wurde!"
"Das stimmt wirklich!" beteuerte er. "Ich habe heute Morgen schon mit einem Hunderter eingekauft, der an der Kasse nicht beanstandet wurde."
"Interessant! Sie haben heute einhundert gefälschte Deutsche Mark in Umlauf gebracht?!"
Er nickte. "Ich wusste ja nicht, dass der Schein nicht echt war!"
"Das Geld werden wir konfiszieren. Außerdem muss ich die Kriminalpolizei einschalten. Sie sollten sich also bereit halten!" Der Beamte gab ihm die Hand. Bevor er die Tür schließen konnte, rief er noch: "Vielleicht sollten Sie sich etwas Plausibleres überlegen!"
Auf dem Weg nach Haus überlegte er, ob er das der Polizei glaubhaft machen konnte. Schließlich war das die Wahrheit!
Was wusste er, von wem das Geld stammte. Sollte er, wie der Bankmensch meinte, etwas erfinden? Und was meinte der überhaupt mit 'bereithalten'?
Die konnten ihn doch nicht verhaften und verurteilen, weil er das Geld in diesem verfluchten Keller gefunden hatte! Jedenfalls könnte er beschwören, dass der Dielenschrank niemals bei seinen Eltern in der Wohnung gestanden hatte. Aber bei dem nächsten Gedanken stieg ihm das Blut ins Gesicht. Sein verstorbener Vater hatte vor seinem zwölfjährigen Rentnerleben als Drucker gearbeitet!
Der Regen prasselte gegen die Scheibe. Ein Märztag, nicht mehr Winter, noch nicht Frühling, wie geschaffen, um im Bett liegen zu bleiben! - Aber acht Stunden waren genug; sein Rücken begann schon zu schmerzen.
Während des Rasierens erinnerte er sich daran, was er sich unter Zeugen vorgenommen hatte. Silvester hatte er mit seiner Freundin bei Freunden gefeiert, mit denen sie sich auch monatlich zu Gesellschaftsspielen trafen. Irgendeiner kam auf die Idee, die guten Vorsätze für das neue Jahr bekannt zu geben. Nach einem Vierteljahr sollte dann überprüft werden, wer sie nicht eingehalten hat. Als zusätzliches Druckmittel einigte man sich auf eine "Strafe" von zwanzig Euro für die Spielkasse, aus der sie einen Ausflug pro Jahr finanzierten.
Die Frauen wollten abnehmen und nahmen sich vor, mehr Sport zu treiben und um Süßigkeiten einen großen Bogen zu machen.
Zwei Männer wollten ebenfalls ein paar Pfunde verlieren und versprachen, mit Joggen anzufangen. Andere, zu denen er auch gehörte, wollten ab Januar mit dem Rauchen aufhören.
Seine Freundin protestierte: "Du rauchst doch schon seit einigen Wochen nicht mehr!"
"Das ist nur vorbeugend!" beruhigte er. "Du weißt doch, wie schwer mir das fällt! Ich könnte doch wieder rückfällig werden!"
"Nein, das zählt nicht! Du hattest dir doch schon lange vorgenommen, den Keller aufzuräumen und zu entrümpeln. Das wäre doch ein guter Vorsatz!"
Sie hat ja Recht! Als er vor einigen Jahren die Wohnung seiner Eltern übernommen hatte, ist sie nicht nur renoviert, sondern auch komplett neu eingerichtet worden.
Der Keller hat ihn nicht interessiert; der war so zugestellt, dass man kaum die Tür öffnen konnte. Da er ihn nicht nutzte, störte ihn das nicht. Jetzt musste er aber tätig werden. Nicht nur wegen des Vorsatzes - das Vierteljahr war in vierzehn Tagen um -, sondern auch um die Fahrräder, die sie sich zum Frühjahr kaufen wollten, unterbringen zu können.
Aufräumen brachte nichts! Wo sollte er mit dem Gerümpel bleiben? Bis auf die Regale mit den Werkzeugen konnte alles weg! Hier half nur die Sperrmüll-Abfuhr. Dazu musste er eine Aufstellung anfertigen, da die Fahrer die Anweisung hatten, nur das mitzunehmen, was auf der vorher übersandten Liste stand.
Der meiste Platz wurde von der Kartoffelkiste eingenommen, in der auf dem Boden noch einige verschrumpelte Knollen mit abgestorbenen Keimen lagen. Daneben einige aufgestapelte Bretter und Leisten einer ehemaligen Kohlenkiste.
Davor standen zwei Kühlschränke, ein Gasherd und ein verrostetes Damenfahrrad ohne Sattel. An einer Wand türmte sich ein Lattenrost mit einer Matratze. An der anderen Seite waren leere Pappkartons gelagert, die auch noch eine Zinkwanne füllten. Dahinter versteckt eine Art Dielenschrank, den er nie in der elterlichen Wohnung gesehen hatte.
Er schob die Kartons beiseite und untersuchte das Möbelstück.
Es musste neu gut ausgesehen haben, hätte vielleicht mit dem entsprechenden Spiegel sogar in seine Diele gepasst. Aber das Nussbaumfurnier war gerissen, an einigen Stellen ganz abgeplatzt, so dass man die rohe Spanplatte sah. Es hatte zwei Schubladen. In der oberen lagen ein Schuhanzieher, eine Kleiderbürste und - ekelhaft - ein Kamm mit ausgebrochenen Zinken und in den verbliebenen verfilzte, schwarze Haare.
In der unteren konnte er auf den ersten Blick auch nichts Wertvolles entdecken. Es schienen nur ausgeschnittene Werbeanzeigen aus Zeitungen oder Illustrierten zu sein.
Obenauf Ariel-Werbung mit Klementine. Er nahm den Stapel heraus und sah sich die Ausschnitte an.
Sie mussten aus den 60-iger Jahren sein, als man noch Reklame dazu sagte.
Blonde Frauen mit Dauerwellen priesen Penaten-Creme, Nesquik, Lux-Seife und Rotbäckchensaft aus dem Reformhaus an.
Ein Mann mit Sonnenbrille und Strohhut, die Zigarette lässig im Mundwinkel, warb für Mercedes. Von dieser Zigarettenmarke hatte er noch nie gehört. Wahrscheinlich war sie vom Markt verschwunden, weil Daimler-Benz dagegen Einspruch eingelegt hatte.
Ganz unten lag ein dicker brauner Din-A5-Umschlag, und darauf stand in Druckbuchstaben: 'Für Dich!'
Er zögerte und überlegte. 'Für Dich!' - War er damit gemeint?
Vielleicht von seinen Eltern? Aber warum in Druckbuchstaben? Sie hatten doch eine schöne und leserliche Handschrift!
Er hatte aber eher das Gefühl, dass sie diese Schubladen nie geöffnet hatten; egal, wie das Schränkchen in den Keller gekommen war.
Er öffnete den Umschlag und musste einen Schrei der Überraschung unterdrücken. Es war ein Bündel 100-Mark-Scheine darin. Er zählte sie. Es waren dreißig Stück. Sie sahen so neu aus, als wären sie noch nie in Umlauf gewesen. Aber woher kam das Geld und für wen sollte es sein?
Er betrachtete einen Schein etwas genauer. Die rötlich-blaue Farbe schien zu stimmen. Auf der Vorderseite Clara Schumann und auf der Rückseite der Konzertflügel. Wasserzeichen waren auch zu erkennen. Auch der "Papiertest" mit Daumen und Zeigefinger gab ihm das DM-Gefühl zurück. - Vielleicht waren sie echt! Er könnte das nächste Woche testen. Dann bot ein Supermarkt in der Nähe Einkäufe in Deutsche Mark an. Ein Kasten Bier sollte zum Beispiel zwanzig Mark kosten.
Am nächsten Montag packte er sich den Einkaufswagen voll und stellte sich mit Herzklopfen an die Kasse. Der Hunderter passierte das Kontrollgerät der Kassiererin ohne Beanstandung.
Er bekam sechs Mark und zweiundsiebzig wieder heraus. Besonders über das Fünf-Mark-Stück freute er sich; hier hatte man wenigstens etwas in der Hand! Was war dagegen ein lappiger Fünf-Euro-Schein?!
Nachmittags machte er sich auf den Weg zur Filiale der Deutschen Bundesbank. Zweitausendneunhundert Deutsche Mark würden ungefähr eintausendfünfhundert Euro ergeben. Wenn sie fünfhundert dazulegten, bekämen sie dafür zwei Touring E-Bikes.
Der Schalterbeamte kam zurück. Aber anstatt ihm die umgetauschten Euro zu geben, bat er ihn ins Besucherzimmer.
Dort erwartete ihn ein anderer Mann und der sagte, bevor er Platz nehmen konnte: "Das ist Falschgeld!"
Nun bekam er doch einen Schreck. Nach dem gelungenen Einkauf am Vormittag hatte er damit nicht gerechnet. Der 'Banker' bat um seinen Ausweis und fragte, woher das Geld stamme.
Während seines Erzählens bemerkte er bereits ein ungläubiges Lächeln bei dem Mann, der dann erwiderte: "Das glauben Sie doch selbst nicht! Wir haben da Erfahrung! Was meinen Sie, was uns hier schon alles an haarsträubenden Geschichten erzählt wurde!"
"Das stimmt wirklich!" beteuerte er. "Ich habe heute Morgen schon mit einem Hunderter eingekauft, der an der Kasse nicht beanstandet wurde."
"Interessant! Sie haben heute einhundert gefälschte Deutsche Mark in Umlauf gebracht?!"
Er nickte. "Ich wusste ja nicht, dass der Schein nicht echt war!"
"Das Geld werden wir konfiszieren. Außerdem muss ich die Kriminalpolizei einschalten. Sie sollten sich also bereit halten!" Der Beamte gab ihm die Hand. Bevor er die Tür schließen konnte, rief er noch: "Vielleicht sollten Sie sich etwas Plausibleres überlegen!"
Auf dem Weg nach Haus überlegte er, ob er das der Polizei glaubhaft machen konnte. Schließlich war das die Wahrheit!
Was wusste er, von wem das Geld stammte. Sollte er, wie der Bankmensch meinte, etwas erfinden? Und was meinte der überhaupt mit 'bereithalten'?
Die konnten ihn doch nicht verhaften und verurteilen, weil er das Geld in diesem verfluchten Keller gefunden hatte! Jedenfalls könnte er beschwören, dass der Dielenschrank niemals bei seinen Eltern in der Wohnung gestanden hatte. Aber bei dem nächsten Gedanken stieg ihm das Blut ins Gesicht. Sein verstorbener Vater hatte vor seinem zwölfjährigen Rentnerleben als Drucker gearbeitet!