Der kleine Hunger

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Ironbiber

Foren-Redakteur
Hermann war schon im zarten Alter von vierzig durch die groben Maschen unseres sozialen Netzwerkes gefallen, lag nun, durch emotionale Blessuren am ganzen Körper gezeichnet, im Staub der Straße und wurde von allen, die auf der Überholspur des Lebens wandelten, immer noch tiefer hineingetreten.

Sein letzter Arbeitgeber im Finanzamt hatte ihn mehrfach darauf hingewiesen, dass Mahnschreiben an Kunden keine Parodien im Loriot'schen Stil sein dürfen, sondern Druck durch einen sehr ernsten und direkten Grundton aufbauen müssen.

Aber Hermann konnte einfach nicht anders: Satiren waren sein Leben. Die Personalchefs, denen er sich mit Bewerbungsschreiben angeboten hatte, lachten Tränen und klopften sich auf die Schenkel, legten seine Bewerbungsmappe aber sofort auf den Stapel „Absage“.

Noch heute hört man sich den einen oder anderen gelungenen Kalauer aus Hermanns Feder in den weitläufigen Büroetagen der Ämter und Behörden erzählen und so manches seiner Wortspiele hat Einzug in den Sprachschatz der anzugtragenden Klasse gefunden.

Wenn Ali, sein bester Freund nicht gewesen wäre, wäre Hermann schon längst verhungert, denn die Sozialleistungen, die ihm der Staat gewährte, gingen allesamt in Publikationen aus den Federn der Satiregroßmeister drauf.

Ali war Metzger, hatte einen kleinen Stehimbiss in einem Einkaufscenter und tingelte mit seiner mobilen Dönerbude über Wochenmärkte. Ali reichte ihm gelegentlich mit einem mitleidigen Blick einen seiner türkischen Snacks und hörte geduldig zu, wenn ihm Hermann seine neuesten Parodien vorlas.

Eines Tages, als Hermann wieder total ausgehungert vor Ali’s Dönerbude auf dem Wochenmarkt auftauchte, machte ihm Ali einen Vorschlag:

„Habe gute Idee, Mann! Du schreibst und ich verkaufe Döner mit Witz. Chinesen haben Glückskeks und Türken Ulkdöner! Ganz einfach – du druckst deine Geschichten auf kleine Zettel aus – winzig klein und nicht mehr als zwanzig Zeilen und ich verkaufe Döner mit und ohne.

Döner normal für dreifuffzig und Döner mit Spaß für fünf Euro.“


Gesagt, getan. Hermann formatierte zuhause seine unzähligen Satiren, Parodien, Spottferse und Persiflagen auf Glückskeksniveau, druckte sie aus und gab sie Ali. Der erste Käufer eines Ulkdöners war ein Banker, der in der Mittagspause mal schnell was gegen seinen latenten Mundgeruch tun wollte. Der bereitete ihm am Kundenschalter immer Probleme. Während ihm die Tunke seines „Mit Allem, scharf und extra Knoblauch“ die Backe herunter kleckerte, entfaltete er den Zettel, der in der Tüte steckte und las belustigt Hermanns kleine Satire. Bei der Pointe prustete er und musste sich vor Lachen auf die kleine Bank vor dem Verkaufsstand setzen.

Es dauerte keine Viertelstunde, da wurde Ali’s Stand von einem Dutzend anderer Banker belagert, die alle nach einem Döner mit Spaß verlangten. Nach den Bankern kamen Anwälte, Immobilienmakler und auch die Prominenz aus der Stadtverwaltung und die Honoratioren aus den Läden der näheren Umgebung. Alle wollten einen Döner mit Spaß und Alis Stand wurde binnen kurzer Zeit zur Blaumänner - Kulteinrichtung der näheren Umgebung.

Hier traf man sich und vergaß bei Essen, Trinken und gegenseitigem Vorlesenden die Grauen des Alltag. Alis Karre war zum Kommunikationszentrum der ganzen Stadt geworden und wurde auch schon in den Lokalnachrichten erwähnt.

Hermann hatte sich immer diskret im Hintergrund gehalten, wurde alsbald aber von der Anzugtägermeute als Urheber der dummen Sprüche entlarvt. Ein Unternehmensberater, der noch Soßenreste an seinem Maßanzug kleben hatte, setzte sich zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch.

„Junge, das ist eine Geschäftsidee, die ist einzigartig. Verlangt aber eine professionelle Planung und soliden Finanzierung. Ich gebe Ihnen meine Karte. Rufen Sie mich mal bei Gelegenheit an. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, wie der Fastfoodmarkt in ganz neue Dimensionen gehoben werden kann. Geld ist kein Problem. Ich habe es und Sie liefern die Ideen. Das könnte ein Sommermärchen für uns beide werden".

„Eigentlich habe ich mich entschlossen, nachdem ich jetzt ein kleines Einkommen durch die Dönersatiren habe, meine Schaffenskraft mehr der ernsten Literatur zuzuwenden,“ antwortete Hermann.

„Aber ich glaube, dass wir auch da einen Modus der gemeinsamen Vermarktung finden könnten: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass die Rückseite von Kontoauszügen noch freien Raum für Dramen, Trauerspiele oder Horrorgeschichten bietet?“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ist eine ebenso überzeugende wie witzige Geschäftsidee. Wundere mich, dass noch niemand darauf gekommen ist. Und: Haben nicht schon große Schriftsteller ihre Karrieren auf Servietten begonnen?!

Ein paar kleiner Fehler:
Hier traf man sich und vergaß bei Essen, Trinken und gegenseitigem Vorlesenden die Grauen des Alltag.
... und gegenseitigem Vorlesen ....


Anzugträgermeute



Verlangt aber eine professionelle Planung und soliden Finanzierung.
...solide Fianzierung ...



LG Doc
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Hermann war schon im zarten Alter von vierzig durch die groben Maschen unseres sozialen Netzwerkes gefallen, lag nun, durch emotionale Blessuren am ganzen Körper gezeichnet, im Staub der Straße und wurde von allen, die auf der Überholspur des Lebens wandelten, immer noch tiefer hineingetreten.

Sein letzter Arbeitgeber im Finanzamt hatte ihn mehrfach darauf hingewiesen, dass Mahnschreiben an Kunden keine Parodien im Loriot'schen Stil sein dürfen, sondern Druck durch einen sehr ernsten und direkten Grundton aufbauen müssen.

Aber Hermann konnte einfach nicht anders: Satiren waren sein Leben. Die Personalchefs, denen er sich mit Bewerbungsschreiben angeboten hatte, lachten Tränen und klopften sich auf die Schenkel, legten seine Bewerbungsmappe aber sofort auf den Stapel „Absage“.

Noch heute hört man sich den einen oder anderen gelungenen Kalauer aus Hermanns Feder in den weitläufigen Büroetagen der Ämter und Behörden erzählen und so manches seiner Wortspiele hat Einzug in den Sprachschatz der anzugtragenden Klasse gefunden.

Wenn Ali, sein bester Freund nicht gewesen wäre, wäre Hermann schon längst verhungert, denn die Sozialleistungen, die ihm der Staat gewährte, gingen allesamt in Publikationen aus den Federn der Satiregroßmeister drauf.

Ali war Metzger, hatte einen kleinen Stehimbiss in einem Einkaufscenter und tingelte mit seiner mobilen Dönerbude über Wochenmärkte. Ali reichte ihm gelegentlich mit einem mitleidigen Blick einen seiner türkischen Snacks und hörte geduldig zu, wenn ihm Hermann seine neuesten Parodien vorlas.

Eines Tages, als Hermann wieder total ausgehungert vor Ali’s Dönerbude auf dem Wochenmarkt auftauchte, machte ihm Ali einen Vorschlag:

„Habe gute Idee, Mann! Du schreibst und ich verkaufe Döner mit Witz. Chinesen haben Glückskeks und Türken Ulkdöner! Ganz einfach – du druckst deine Geschichten auf kleine Zettel aus – winzig klein und nicht mehr als zwanzig Zeilen und ich verkaufe Döner mit und ohne.

Döner normal für dreifuffzig und Döner mit Spaß für fünf Euro.“


Gesagt, getan. Hermann formatierte zuhause seine unzähligen Satiren, Parodien, Spottferse und Persiflagen auf Glückskeksniveau, druckte sie aus und gab sie Ali. Der erste Käufer eines Ulkdöners war ein Banker, der in der Mittagspause mal schnell was gegen seinen latenten Mundgeruch tun wollte. Der bereitete ihm am Kundenschalter immer Probleme. Während ihm die Tunke seines „Mit Allem, scharf und extra Knoblauch“ die Backe herunter kleckerte, entfaltete er den Zettel, der in der Tüte steckte und las belustigt Hermanns kleine Satire. Bei der Pointe prustete er und musste sich vor Lachen auf die kleine Bank vor dem Verkaufsstand setzen.

Es dauerte keine Viertelstunde, da wurde Ali’s Stand von einem Dutzend anderer Banker belagert, die alle nach einem Döner mit Spaß verlangten. Nach den Bankern kamen Anwälte, Immobilienmakler und auch die Prominenz aus der Stadtverwaltung und die Honoratioren aus den Läden der näheren Umgebung. Alle wollten einen Döner mit Spaß und Alis Stand wurde binnen kurzer Zeit zur Blaumänner - Kulteinrichtung der näheren Umgebung.

Hier traf man sich und vergaß bei Essen, Trinken und gegenseitigem Vorlesen die Grauen des Alltag. Alis Karre war zum Kommunikationszentrum der ganzen Stadt geworden und wurde auch schon in den Lokalnachrichten erwähnt.

Hermann hatte sich immer diskret im Hintergrund gehalten, wurde alsbald aber von der Anzugträgermeute als Urheber der dummen Sprüche entlarvt. Ein Unternehmensberater, der noch Soßenreste an seinem Maßanzug kleben hatte, setzte sich zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch.

„Junge, das ist eine Geschäftsidee, die ist einzigartig. Verlangt aber eine professionelle Planung und solide Finanzierung. Ich gebe Ihnen meine Karte. Rufen Sie mich mal bei Gelegenheit an. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, wie der Fastfoodmarkt in ganz neue Dimensionen gehoben werden kann. Geld ist kein Problem. Ich habe es und Sie liefern die Ideen. Das könnte ein Sommermärchen für uns beide werden".

„Eigentlich habe ich mich entschlossen, nachdem ich jetzt ein kleines Einkommen durch die Dönersatiren habe, meine Schaffenskraft mehr der ernsten Literatur zuzuwenden,“ antwortete Hermann.

„Aber ich glaube, dass wir auch da einen Modus der gemeinsamen Vermarktung finden könnten: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass die Rückseite von Kontoauszügen noch freien Raum für Dramen, Trauerspiele oder Horrorgeschichten bietet?“
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
... oder Satire auf Bierdeckeln? Aber das hat schon bei der Steuerreform nicht geklappt. Da warten wir ja noch heute auf eine Vereinfachung.

Danke Doc für die Korrekturvorschläge.

Da sieht man wieder mal, dass selbst hundertmal Durchlesen diese kleinen Fehler nicht ans Tageslicht bringt.

Mit Gruß und Dank ... der Ironbiber
 



 
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