Der lachende Vagabund

Heute ist das Fernsehen in der Ladenpassage. Die Leute sind schon ganz närrisch. Es ist Samstag, und natürlich gehen alle Fans dieser Reality Show, die in der Gegend wohnen, dorthin. Jeder will live dabei zu sein.

Das Einkaufszentrum ist gerammelt voll. Und dieser Tag ist die große Chance für Bennie. Er hat sich einen guten Platz am Eingang ausgesucht. Dort wird er von den Wachleuten nicht vertrieben. Das hat er schon gecheckt.
Das größte Problem war die Wahl des Outfit. Erbärmlich durfte es auf keinen Fall sein. Das mit der Mitleidsmasche könnte nach hinten losgehen, so eine gewollte Verkleidung zieht nicht. Das wär ganz dumm, wenn er schon beim ersten Quick-Check durchfällt.
Benny entscheidet sich für eine grüne, saggy Turnhose mit dicken, weißen Streifen an den Seiten. Dazu trägt er knallrote Sneakers - und zwar die Version mit den hohen Seiten und den langen Zungen, die weit vorn heraushängen. Die Hosenbeine müssen in den Zungen stecken. Sie dürfen auf keinen Fall über die Außenseiten der Sneakers hinausgezogen werden. Das ist mega uncool.
Ober herum kommt ein braunes Vintage Shirt mit Hawaii Motiv. Südsee-Schönheit spielt Klampfe am Strand und die guys kucken zu. T-Shirt bitte, kein Polohemd. Im Polohemd sieht der Hals immer so doof aus, oder kann doof aussehen. Und wenn der eigene Kopf nicht zum Hemd passt, dann gibt das gleich Punkteabzug beim Zufalls-Casting. Bloß nicht.

Jetzt hat Bennie seinen Platz eingenommen. Er wollte erst mit einem Song von Justin Bieber anfangen. Aber dann hat er nachgedacht. Unique content, auffallen um jeden Preis, das ist die Devise. Was könnte er singen?
Er entscheidet sich für „Rip It Up“ von Eddie Cochran oder wer immer das damals gesungen hat. Rip it up heißt sein Geld verballern. Ein junger Mann hat seinen Wochenlohn bekommen und macht am Freitagabend einen drauf.
Den Text kennen nur die Spezialisten, aber der Sound ist schön hart.
Und er passt zu Bennies Stimme. Er kann nicht so viele Oktaven singen oder Tonhöhen oder wie das heißt. Vielleicht geben sie ihm eine Ausbildung. Das würde er sofort mitmachen. Und er würde jeden Tag hart an sich arbeiten, immer weiter üben. Aus seiner Stimme kann man etwas machen, da ist er ganz, ganz sicher.

Ein paar Leute bleiben schon stehen. Beifall kommt auf. Klar, denkt sich Bennie. Good Old Rock`n`Roll kommt immer gut an. Und im Eingang zur Ladenzone oder in der Fußgängerzone singt kein Mensch „Rip It Up“. Da ist Bennie Monopolist. Bennie denkt clever.
So, jetzt kommt der Kontrapunkt. Der lachende Vagabund von Fred Bertelmann. Bennie kann den originalen Schlagersänger gut imitieren. Bennie weiß nicht, warum da so ist. Aber der Tonfall in diesem Lied geht ihm leicht aus der Kehle.
Der Kreis um Bennie wird größer. Das hat die Welt noch nicht gesehen. Da singt einer Rock und Fred Bertelmann hintereinander. Applausi, Applausi.

Jetzt kommt der Typ mit dem Mikrofon angetigert. Er trägt ein mittellanges Stabmikrofon mit aufgestecktem orangefarbenem Windschutz. Erst bleibt der Mikrofonmann in der Menge stehen. Er hört und sieht zu.
Bennie ist in Hochform. Das Lied geht zu Ende. Wieder kommt rauschender Applaus auf. Ein-Euro-Stücke landen vor Bennies Füßen. Der TV-Mann kommt jetzt zu ihm – und sieht ihn erschrocken an. Bennie hat sich ein schwarzes Stück Plastik auf seinen linken, oberen Vorderzahn geklebt. Es soll aussehen wie ein fehlender Zahn, von weitem jedenfalls.
Das ist raffiniert - die Styles, die Songs und dann eine kleiner Fehler in der Zahnreihe. Auffallend. Der Reporter realisiert sofort den cheat. Er winkt hektisch einem zweiten Mann zu. Der kommt näher, bekleidet mit einem wallendem Mantel. Der Mantel sieht aus wie bei den Typen in dem Film „Das Lied vom Tod“.
„Der Mann ist ein Profi“, raunt TV-Mann 1 dem Neuen zu.
„Warum?“, fragt TV-Mann 2.
„Weil er es drauf hat. Die Location, die Styles, die Auswahl der Songs und der Show-Effekt.“ TV-Typ 1 schaut triumphierend seinen Maestro an.
Der Bronson-Verschnitt mustert Bennie von oben bis unten. Dann wendet er sich knapp an Bennie. „Kommen Sie mit“.
Bennie packt seine Sachen zusammen. Er sammelt die Münzen auf und winkt den Zuschauern zu. Die drei trotten gemeinsam zum Übertragungswagen.
Bennie grinst. Drin das Ding.
 

Sebahoma

Mitglied
Hallo Rhondaly DaCosta,

vielen Dank für deinen Text, den ich gerne gelesen habe. Ich finde, der Stil und das Vokabular passen sehr gut zu dem Protagonisten.

Gut finde ich auch, dass der Text zeigt, dass nichts an diesen Reality-Shows wirklich echt, sondern alles nur geplant ist.

Viele Grüße,
Sebahoma
 



 
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