Der letzte Prozess

Ralf Langer

Mitglied
Der letzte Prozess

Der ehrenwerte Richter Aloisius Blomkolb schaute hinab auf den Angeklagten. Etwas muss sich ändern, dachte er, und musterte den jungen Ziegenbock eingehend.
Aber habe ich das zu entscheiden? Ich habe nur zu richten.
Nach den Buchstaben des Gesetzes.
„ Angeklagter“, sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, „ Sie haben das Recht auf ein letztes Wort.“
Schweigen. Was sonst. Nur dieser animalische Blick, gepaart mit dem völligen Desinteresse für seine Umgebung.
Der Ziegenbock lag einfach zu Füßen der Anklagebank in einem Strohhaufen und knabberte an einer Rübe. Das war seine Welt. Stroh, Rübe, Hunger, Durst und Tot.
Ein grausamer Tot, wenn er, Aloisius, den Forderungen der Staatsanwaltschaft nachkommen würde.
Aloisius Blick wanderte hinüber zum staatlich bestellten Verteidiger des Tieres. Der schüttelte nur kurz mit dem Kopf. Auch er als Stellvertreter, verzichtete auf das Recht
des letzten Wortes.
Poena capitis. Die Höchststrafe.
Die Stimme des Staatsanwaltes klang Aloisius noch im Ohr.
Sühne war das Gebot.
Zur Abschreckung in aller Öffentlichkeit. Vierteilung und Verbrennung. Verzicht auf hochnotpeinliche Folter, weil dem Tiere kein Geständnis zu entlocken sei. Dies als Zugeständnis für die Umstände.
Dann sei die Asche des Täters in alle Winde zu zerstreuen.
Es gehe darum eine Tat zu sühnen.
Es gehe nicht um Schuld, wie es der Herr Verteidiger versuchte darzustellen. Die Hinterbliebenen des Opfers, einer Bäuerin mit Namen Peternell, verlangten ihr Recht. Dieser hinterhältige Stoß vom Rand der Seiser Klippe. Der Sturz in die Tiefe. Der zerschundene Leichnam, von Felsen zerschmettert.
Und, auch wenn es hier vor diesem Gericht keine Rolle spielte, der Tod dieser Bäuerin ohne den Empfang der heiligen Sakramente.
Aloisius warf einen Blick auf den Strafverteidiger.
Kein Mord. Wenn überhaupt verminderte Schuldfähigkeit. Die Seele des Tieres sei rein, sei nicht fähig zum hinterhältigen Handeln. Die Tat. Geschehen aus Affekten, aus Trieben, die kein weltliches Gericht beurteilen könne.
Also ein Freispruch.
Aloisius warf einen suchenden Blick durch den Gerichtsaal.
So viel hing von seinem Urteil ab. Seine Zukunft zu aller erst. Irgendwo, unerkannt unter den Zuschauern saß ein Administrat aus Wien.
Wenn er den hohen Ansprüchen des österreichischen Kaiserhofes genügen würde, winkte bald der Ruf an das höchste Gericht. Aber, was waren das für Ansprüche?
Wollte der Kaiser ein Signal? Und wenn ja, in welche Richtung?
Auge um Auge oder…
Er unterdrückte diese Gedanken, konzentrierte sich auf das Nahe liegende. Auf das Gesetz.
Die Welt ist im Wandel, dachte er .
In Rotterdam schrieb ein gewisser Erasmus über die Freiheit der Seele und des Individuums. Humanismus nannte er seine neuen Ideen. In Wittenberg bezweifelte ein Professorius die Unfehlbarkeit der päpstlichen Konzilien.
Dann dieser neue Kontinent an den westlichen Enden der Welt.
Der Buchdruck.
In Windeseile verbreiteten sich nun neue Gedanken über das heilige römische Reich.
Alles war so schnell geworden. Rückte zusammen. Alles stand mit allem in Verbindung.
In den böhmischen Ständen rumorte es. Das Recht den König zu bestimmen sollte bei ihnen liegen.
Krieg lag in der Luft.
Und wenn er käme würde er fürchterlich. Bruder gegen Bruder.
Aloisius atmete tief durch. Sein letzter Blick galt dem Ziegenbock.
Was liegt in dir verborgen, fragte er sich.
Er gab dem Gerichtsdiener ein Zeichen.
„ Bitte erheben sie sich. Das hohe Gericht zieht sich zur Urteilsfindung zurück.“
Aloisius hatte sich schon abgewendet.
Er musste nicht zurückblicken.
Er wusste, der junge Ziegenbock lag auf seinem Stroh.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo zusammen,
ich habe aus meiner Kurzgeschichte " Der Prozess" etwas neues gemacht.
Habe die Struktur auf den Plot hin geändert.
Jetzt ist es inhaltlich ähnlich, aber doch eine andere Geschichte.
Deswegen stelle ich sie sich selbst gegenüber.

Bin gespannt.

lg
Ralf
 
D

Donkys Freund

Gast
Schlüssiger, aufregender, ich finde es besser.

Der Tempuswechsel ist manchmal schwer nachzuvollziehen für mich. Was sind wörtliche Gedanken, was sind indirekte Gedanken aus Erzählersicht, was sind "Fakten" aus externer Sicht? Mag aber alles korrekt sein.

Die Ambivalenz Aloisius könnte noch etwas deutlicher sein. Ist es nur der Disput zwischen Amt und Überzeugung? Oder traut er sich selbst nicht ganz?

Zwei Anmerkungen:
Der Tod mit d,
Und wenn er käme würde er fürchterlich [blue]werden[/blue]

Ich habe noch einen interessanten Text im Internet gefunden, danke in diesem Sinne für die Anregung zu dem Thema (weiter unten, letzter Abschnitt):

http://webcache.googleusercontent.c...doc+tierprozesse+doc&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de
 

Ralf Langer

Mitglied
Der letzte Prozess

Der ehrenwerte Richter Aloisius Blomkolb schaute hinab auf den Angeklagten. Etwas muss sich ändern, dachte er, und musterte den jungen Ziegenbock eingehend.
Aber habe ich das zu entscheiden? Ich habe nur zu richten.
Nach den Buchstaben des Gesetzes.
„ Angeklagter“, sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, „ Sie haben das Recht auf ein letztes Wort.“
Schweigen. Was sonst. Nur dieser animalische Blick, gepaart mit dem völligen Desinteresse für seine Umgebung.
Der Ziegenbock lag einfach zu Füßen der Anklagebank in einem Strohhaufen und knabberte an einer Rübe. Das war seine Welt. Stroh, Rübe, Hunger, Durst und Tod.
Ein grausamer Tod, wenn er, Aloisius, den Forderungen der Staatsanwaltschaft nachkommen würde.
Aloisius Blick wanderte hinüber zum staatlich bestellten Verteidiger des Tieres. Der schüttelte nur kurz mit dem Kopf. Auch er als Stellvertreter, verzichtete auf das Recht
des letzten Wortes.
Poena capitis. Die Höchststrafe.
Die Stimme des Staatsanwaltes klang Aloisius noch im Ohr.
Sühne war das Gebot.
Zur Abschreckung in aller Öffentlichkeit. Vierteilung und Verbrennung. Verzicht auf hochnotpeinliche Folter, weil dem Tiere kein Geständnis zu entlocken sei. Dies als Zugeständnis für die Umstände.
Dann sei die Asche des Täters in alle Winde zu zerstreuen.
Es gehe darum eine Tat zu sühnen.
Es gehe nicht um Schuld, wie es der Herr Verteidiger versuchte darzustellen. Die Hinterbliebenen des Opfers, einer Bäuerin mit Namen Peternell, verlangten ihr Recht. Dieser hinterhältige Stoß vom Rand der Seiser Klippe. Der Sturz in die Tiefe. Der zerschundene Leichnam, von Felsen zerschmettert.
Und, auch wenn es hier vor diesem Gericht keine Rolle spielte, der Tod dieser Bäuerin ohne den Empfang der heiligen Sakramente.
Aloisius warf einen Blick auf den Strafverteidiger.
Kein Mord. Wenn überhaupt verminderte Schuldfähigkeit. Die Seele des Tieres sei rein, sei nicht fähig zum hinterhältigen Handeln. Die Tat. Geschehen aus Affekten, aus Trieben, die kein weltliches Gericht beurteilen könne.
Also ein Freispruch.
Aloisius warf einen suchenden Blick durch den Gerichtsaal.
So viel hing von seinem Urteil ab. Seine Zukunft zu aller erst. Irgendwo, unerkannt unter den Zuschauern saß ein Administrat aus Wien.
Wenn er den hohen Ansprüchen des österreichischen Kaiserhofes genügen würde, winkte bald der Ruf an das höchste Gericht. Aber, was waren das für Ansprüche?
Wollte der Kaiser ein Signal? Und wenn ja, in welche Richtung?
Auge um Auge oder…
Er unterdrückte diese Gedanken, konzentrierte sich auf das Nahe liegende. Auf das Gesetz.
Die Welt ist im Wandel, dachte er .
In Rotterdam schrieb ein gewisser Erasmus über die Freiheit der Seele und des Individuums. Humanismus nannte er seine neuen Ideen. In Wittenberg bezweifelte ein Professorius die Unfehlbarkeit der päpstlichen Konzilien.
Dann dieser neue Kontinent an den westlichen Enden der Welt.
Der Buchdruck.
In Windeseile verbreiteten sich nun neue Gedanken über das heilige römische Reich.
Alles war so schnell geworden. Rückte zusammen. Alles stand mit allem in Verbindung.
In den böhmischen Ständen rumorte es. Das Recht den König zu bestimmen sollte bei ihnen liegen.
Krieg lag in der Luft.
Und wenn er käme würde er fürchterlich. Bruder gegen Bruder.
Aloisius atmete tief durch. Sein letzter Blick galt dem Ziegenbock.
Was liegt in dir verborgen, fragte er sich.
Er gab dem Gerichtsdiener ein Zeichen.
„ Bitte erheben sie sich. Das hohe Gericht zieht sich zur Urteilsfindung zurück.“
Aloisius hatte sich schon abgewendet.
Er musste nicht zurückblicken.
Er wusste, der junge Ziegenbock lag auf seinem Stroh.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Ralf,

mir gefällt die Abwandlung wesentlich besser. Dennoch will ich ein bisschen rumnörgeln =)

Der ehrenwerte Richter Aloisius Blomkolb schaute hinab auf den Angeklagten. Etwas muss sich ändern, dachte er, und musterte den jungen Ziegenbock eingehend.
(Für mich) zuviele Worte: Er "schaute" hinab und er "musterte den" ... ist doppelt. Und das er denkt "... etwas muss sich ändern ..." ist auch ziemlich nebulös, da die Aussage zu nichts weiterführt.
M.M.n. ist auch der Name des Richters völlig irrelevant. Nenn ihn doch einfach "Der Richter".

Aber habe ich das zu entscheiden? Ich habe nur zu richten.
Hier hinterfragt er seine eigene Kompetenz, um diese anschließend wieder hervorzuheben. Auch das führt m.M.n. nur ins Gedankennirwana.
Besser wäre hier vielleicht mehr Klarheit, etwa so wie:
Ich muss das nicht entscheiden, ich soll nur richten.

[strike]Nach den Buchstaben des Gesetzes.[/strike]

„ Angeklagter“, sagte er. Seine Stimme zitterte ein wenig, „ Sie haben das Recht auf ein letztes Wort.“
"... sagte er ..." vernichtet IMHO die Inhaltstärke der Ansprache. Vielleicht:

"Angeklagter", seine Stimme zitterte, "Sie haben das Recht auf ein letztes Wort."


Der Ziegenbock lag [strike]einfach[/strike] [strike]zu Füßen der[/strike] [blue]in der Nähe der [/blue]Anklagebank in einem Strohhaufen und knabberte [strike]an[/strike] eine[strike]r[/strike] Rübe.

Sind die Vorschläge "ok" für dich oder breche ich zu schnell vor?

LG KaGeb
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo kageb,
sind gute vorschlaege
werde spaeter daran arbeiten
zum namensgebung:
ich dachte mir wenn ich eine alt klingenden namen vergebe, waere das ein kleiner hinweis auf die zeit in der es spielt.
desgleichen mit der einflechtung des lateinischen begriffes
ein stilmittel sozusagen

unnoetig?

lg
ralf
 



 
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