Der löchrige Beweis

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strumpfkuh

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Der löchrige Beweis




„Just a yellow lemon tree“ dröhnte das Radio, und ich schrubbte den Boden im Takt der Musik. Es war einer jener seltenen Tage, an denen mich der Putzwahn überfällt. Ich bin nicht eigentlich unordentlich sondern eher faul, aber wenn ich aufräume, dann gründlich. Es ist dann auch wirklich ein Erfolgserlebnis zu sehen, wie aus einer Rumpelkammer langsam wieder eine gemütliche Wohnung wird. Für heute war ich fast fertig, ich musste nur noch unser Bett frisch beziehen. In einer halben Stunde würde meine Tochter Marie vom Turnen zurück sein, dann wollten wir Inlinescater fahren gehen.
„Yesterday you told me about the blue, blue sky, and all that I can see, and all that I can see... is just a yellow lemon tree“ sang ich, ging zu unserem Schlafzimmer und begann die alte Wäsche von Decken und Kissen zu entfernen. Dabei sah ich, wie irgend etwas Schwarzes zu Boden fiel. Ich hob es auf und wollte es gerade achtlos in den Wäschesack schmeißen, als ich stutzig wurde, denn in meiner Hand lag ein schwarzer Nylonstrumpf, und ich hatte in meinem Leben noch niemals Nylonstrümpfe getragen, schon gar nicht schwarze. Ratlos starrte ich den Stumpf an.
„Wo kommst du denn her“ fragte ich ihn, aber er gab mir keine Antwort.
Mit spitzen Fingern hielt ich ihn vor meine Augen.
„Was könntest du mir wohl erzählen, wenn du nur sprechen könntest?“ fragte ich ihn und langsam, ganz langsam erschienen Bilder in meinem Kopf. Bilder von meinem Mann Bernd und einer nebulösen schwarzbestrumpften und sonst völlig nackten Frau.
„Doch nicht in meinem Bett!“ schrie ich den Strumpf an und sackte kraftlos auf die Knie.
Da saß ich nun auf dem Boden vor unserem Bett, in dem wir so viele schöne Stunden verbracht hatten, und wusste nicht, was ich glauben sollte. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass Bernd mich betrügen könnte, wenn nur dieser schwarze Strumpf nicht gewesen wäre. Bernd hatte sich in der letzten Zeit nicht anders verhalten, als in den 10 Jahren vorher, so lange waren wir nun schon zusammen. Irgendwie, dachte ich, hätte ich doch etwas merken müssen. Aber woher sollte denn dieser blöde Strumpf sonst kommen? Marie war erst 7 Jahre alt und trug noch kein Nylon. Von mir selbst war er nicht, das stand fest.
Vorsichtig roch ich an dem Strumpf, denn ich hatte eine gute Nase und hoffte, dass er mir auf diese Art du Weise etwas erzählen würde, aber er roch nach gar nichts, nicht nach Füssen und nicht nach Schweiß oder anderen Körperflüssigkeiten. Immerhin.
Dafür entdeckte ich ein kleines Loch an der Fußspitze, und sofort stellte ich mir vor, wie mein Mann zärtlich einen frech heraus schauenden Frauenzeh küsste. Was er sonst noch geküsst haben könnte, darüber wollte ich mir keine Gedanken machen. Auf jeden Fall würde ICH ihn heute Abend nicht küssen können. Igitt- Igitt!
Warum aber du Strumpf, hat sie oder er dich überhaupt ausgezogen? War die Leidenschaft wohl doch nicht so groß gewesen? Mit solch unbedeutenden Handlungen würde ich mich jedenfalls nicht aufhalten, wenn ich schon, also außerehelich meine ich, tätig werden würde. Vielleicht allerdings ging das ja auch schon länger, und die erste Leidenschaft war schon abgeklungen. Konnte es vielleicht gar sein, dass mein Mann mich schon immer betrog? Hatte sich deshalb sein Verhalten nicht geändert? Ich konnte nicht mehr klar denken. War ich jetzt übereifersüchtig, oder hatte ich einen echten Grund für meine Sorgen?
Gelegenheiten hätte Bernd genug. Er war beruflich häufig unterwegs, auch über nacht. Aber wer sollte die Besitzerin diese Strumpfes sein? Ich hatte keine Ahnung. Meine Schwester Cornelia trug solche Dinger, das wusste ich, aber die kam auf keinen Fall in Frage. Denn mein Mann war schon entnervt, wenn er nur ihren Namen hörte. Nein das konnte ich auf keinen Fall glauben. Ein Mann der seiner Frau untreu wird, das mochte es geben, aber eine Frau, die den Mann ihrer Schwester verführte? Jedenfalls niemals meine Cornelia, denn sie war nicht nur meine Schwester, sondern auch meine Freundin.
Ein bisschen schämte ich mich, als ich merkte, dass ich Cornelia mehr vertraute als Bernd, aber auf einmal packte mich die Wut. Ich nahm den Strumpf in beide Hände und stellte mir vor, wie ich ihn um den Hals meines Mannes legen würde. Dieser hundsgemeine Kerl, ihm zu Liebe hatte ich erst vor wenigen Wochen eine Gelegenheit verpasst, einem traumhaften Mann näher zu kommen.
Noch immer überkam mich Sehnsucht und Verlangen, wenn ich auch nur an ihn dachte. Er hieß Max und war der Bruder einer Kollegin von mir. Ich hatte ihn schon letztes Jahr an ihrem Geburtstag kennen gelernt. Wir hatten uns gegenseitig aus den Augenwinkeln betrachtet, und ab und zu waren sich unsere Blicke dabei begegnet. Von Anfang an war diese Spannung zwischen uns gewesen, die danach schreit, sich plötzlich zu entladen, indem man die zwei Körper zusammen bringt, die sich wie Magnete anziehen. Aber an diesem Abend hatten wir kein Wort miteinander gesprochen, und die Spannung entlud sich in mir nur langsam, wie in einem alten, unbenutzten Akku.
Ich hatte Max dann ein Jahr lang nicht wieder gesehen. Irgendwann dachte ich nicht mehr an ihn. Bis ich dieses Jahr wieder bei Katharina, meiner Kollegin, zu ihrem Geburtstagsfest eingeladen war. Zwei Stunden brauchte ich vorher, um mich fertig zu machen. Welche Hose, welcher Pulli und gar welche Unterwäsche? Haare hoch, Haare offen? Schminken klar, aber wie? Irgendwann war ich fertig und kam dann sogar noch eine Stunde zu früh. Ich wusste nicht einmal, ob ER überhaupt kommen würde, aber zwei Stunden nach meiner Ankunft war er da, und wir begrüßten uns, wie alte Freunde.
Es war die gleiche Anziehungskraft zwischen uns wie beim ersten Mal, als wäre das Jahr dazwischen nicht gewesen. Wir sahen uns in die Augen, und unsere Blicke waren eindeutig. Dann haben wir den ganzen Abend zusammen gesessen und geflirtet, wie ich noch nie in meinem Leben geflirtet habe. Hier und da eine zufällige Berührung, die einen Moment zu lange dauert, um wirklich zufällig zu bleiben, und schon war ich erregt. Er war aber auch ein Bild von einem Mann, mit Augen so blau, wie sonst nur Kontaktlinsen sein können, die Haare dunkel und ganz kurz geschnitten. Sein Gesicht war makellos und so schön, dass ich schon glücklich war, es nur anzuschauen. Seine Arme waren perfekt geformt und muskulös, der ganze Körper durchtrainiert und überaus männlich. Wahnsinn. Und eben dieser Mann warf mir, ausgerechnet mir diese Blicke zu. Allein diese Tatsache war doch schon Grund genug, erregt zu sein.
Aber irgendwann war das Fest zu Ende gewesen, und ich dumme Kuh verabschiedete mich und fuhr nach Hause. Ganz die brave Ehefrau. Heim zu Bernd, der schwarze Nylonstrümpfe in unserem Bett liegen lässt.

Noch heute würde ich Katharina anrufen und sie nach der Telefonnummer von Max fragen. Jawohl. Bei dem Gedanken wurden mir schon wieder die Beine weich. Was Bernd kann, das kann ich schon lange. Ich knotete mir den Strumpf um den Bauch. Ich würde mir auch schwarze Nylons kaufen. Jawohl. Aber ich würde sie anbehalten. Die Klingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich machte Marie die Tür auf.
„Hallo Mama. Was machst du denn mit meinem Strumpf um den Bauch?“ fragte sie zur Begrüßung.
„Dein Strumpf?“ fragte ich ungläubig zurück.
„Ja, den hat mir Cornelia geschenkt, weil er kaputt ist. Aber man kann so schön Schlange damit spielen, wenn man den Arm durchsteckt.“
„Ach so“ stammelte ich und ging zurück ins Schlafzimmer, um die Betten fertig zu beziehen.
„Das hättest du aber auch gleich sagen können!“ fuhr ich den Strumpf an. Irgendwie fühlte ich mich enttäuscht, anstatt erleichtert zu sein. Na ja, vielleicht war ich ja nächstes Jahr wieder bei Katharina eingeladen.
 

strumpfkuh

Mitglied
Anmerkung

Hallo,
ich möchte zu dieser Geschichte erwähnen, daß sie bereits veröffentlicht ist, was aber niemanden daran hindern sollte, Veränderungsvorschläge abzugeben. Lektorisiert worden ist sie nämlich trotzdem nicht.
Schöne Grüße
Doro
 
R

Rote Socke

Gast
So strumpfkuh,

nun weiß ich endlich wie Du zu Deinem Avatar gefunden hast. Na ja fast, denn mit der Kuh, das will ich nicht so stehen lassen.
;)
Und jetzt werde ich ersteinmal sauer: Ich hoffe, Du verrätst mir mal bald wo Du Deine Schreibe her hast. Also, wo hast Du das gelernt oder wurde Dir das in die Wiege gelegt???

Ich bin wieder begeistert von Deiner Geschichte und ganz besonders von dieser Erzählsprache. Ein dickes Lob.

Die Pointe finde ich ja treffend und überraschend, und trotzdem war ich enttäuscht. Ich hätte geren weitergelesen, um zu sehen wie das Eifersuchtsdrama sich entwickelt.

Sehr schön doro. Du bist ein echter Zugewinn in dieser Lupenwelt.

LG
Socke
 

strumpfkuh

Mitglied
Hallo Socke,
das ist ganz einfach. Die Sachen, die ich bisher in der Leselupe eingestellt habe, sind natürlich meine besten. Was ab jetzt kommt, wird dann eben schlechter.
Das mit dem Strumpf ist gut, war mir gar nicht aufgefallen.
Wie ist das mit deinem Namen, liegt da die Betonung auf der Farbe?
So, jetzt im Ernst: Ich freu mich wahnsinnig über das Lob, weil ich bisher so überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich mich selbst einschätzen soll. Ich persönlich bin ja von meinem Stil nicht überzeugt, weil er irgendwie so gar nichts Besonderes hat.
Naja, wenn jetzt demnächst die schlechteren Sachen von mir kommen, kann ich dann zeigen, ob ich auch kritikfähig bin.
In jedem Fall hast du mich voll motiviert, danke!
Gruß
Doro
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Doro,

meinen Glückwunsch zu dieser netten Geschichte mit der überraschenden Wendung und dem glücklich gewählten Titel! – Wor lernt man, so zu schreiben? Nirgends! Man hat es, oder man hat es nicht.

Eine kleine Korrekturanmerlung:

Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, daß Bernd mich betrügen könnte, wenn nur dieser schwarze Strumpf nicht [blue]gewesen[/blue] wäre.

LG
Parsifal
 

strumpfkuh

Mitglied
Lieber Parsifal,
ich freue mich sehr, daß dir meine Geschichte gefallen hat. Schön, daß du den Titel gelobt hast, bei der Wahl bin ich mir immer so unsicher. Deine Verbesserung werde ich auch gerne übernehmen.
Schöne Grüße und Danke
Doro
 



 
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