Der magische Kubus

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Bad Rabbit

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„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, viel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Sein schmales Gesicht war scharf geschnitten, seine Nase war schmal aber nicht zu lang. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es ziemlich stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen, doch er vermutete, dass sie grün waren. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein sehr attraktiver Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er der dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach.
Er hatte das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er.
„ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um, wie Antilopen, die die Gegenwart eines Löwenrudels spüren.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges direkt neben ihnen durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Ding war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten sah man nur den blanken Schädel, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm viel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Mit einer schnellen Bewegung griff es nach der Frau.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus kamen zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und formte mit der Hand, an welcher noch die Frau hing, das Victory – Zeichen. Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch in die Tür geschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken viel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann dann zu schwanken wie ein altes Boot.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren Viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus, sein Selbst - ein gigantisches Metallgestell, welches mit dem Fleisch seines Kopfes bespannt ist? Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 

Bad Rabbit

Mitglied
Lasst euch nicht abschrecken.
Die Geschichte sieht nur so lang aus, weil der Textbereich bei Leselupe sehr schmal ist.
Seeehr schmal.
 

Bad Rabbit

Mitglied
Gibt es hier ueberhaupt noch Aktivitaet? In anderen Foren hat man nach drei Wochen wenigstens einen Verriss ...
Soll kein Meckern sein, aber irgendwann werden sich die Leute denken: "Leselupe? Wo man nie ein Feedback bekommt?"
Ich war ja nicht aus Faulheit zwei Jahre inaktiv ...
 

Bad Rabbit

Mitglied
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, viel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Sein schmales Gesicht war scharf geschnitten, seine Nase war schmal aber nicht zu lang. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es ziemlich stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen, doch er vermutete, dass sie grün waren. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein sehr attraktiver Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er der dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach.
Er hatte das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er.
„ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um, wie Antilopen, die die Gegenwart eines Löwenrudels spüren.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges einige Meter weiter durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Wesen war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten war nur der blanke Schädel zu sehen, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm viel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Was dann passierte, schien sich in Zeitlupe abzuspielen, obwohl es nur einen Wimpernschlag dauerte: Obwohl es durch die vielen Maschinenteile schwerfällig aussah, bewegte es sich mit der Anmut einer Ballett-Tänzerin auf die beiden Menschen zu, um mit einer vollendet präzisen Bewegung nach der Frau zu greifen.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus fuhren zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und betrachtete die Hand, an welcher noch die Frau hing, mit der Neugier eines Kindes, auf dessen Handfläche ein Schmetterling gelandet ist.
Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch in die Tür geschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er schloss die Glastür, fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken viel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann dann zu schwanken wie ein altes Boot.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren Viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus, sein Selbst - ein gigantisches Metallgestell, welches mit dem Fleisch seines Kopfes bespannt ist? Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 

Bad Rabbit

Mitglied
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, viel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Sein schmales Gesicht war scharf geschnitten, seine Nase war schmal aber nicht zu lang. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es ziemlich stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen, doch er vermutete, dass sie grün waren. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein sehr attraktiver Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er der dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach.
Er hatte das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er.
„ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Evelyn Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um, wie Antilopen, die die Gegenwart eines Löwenrudels spüren.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges einige Meter weiter durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Wesen war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten war nur der blanke Schädel zu sehen, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm viel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Und der Gestank. Er erfüllte die Luft mit Tod.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Was dann passierte, schien sich in Zeitlupe abzuspielen, obwohl es nur einen Wimpernschlag dauerte: Obwohl es durch die vielen Maschinenteile schwerfällig aussah, bewegte es sich mit der Anmut einer Ballett-Tänzerin auf die beiden Menschen zu, um mit einer vollendet präzisen Bewegung nach der Frau zu greifen.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus fuhren zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und betrachtete die Hand, an welcher noch die Frau hing, mit der Neugier eines Kindes, auf dessen Handfläche ein Schmetterling gelandet ist.
Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch in die Tür geschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er schloss die Glastür, fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken viel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann dann zu schwanken wie ein altes Boot.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren Viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus, sein Selbst - ein gigantisches Metallgestell, welches mit dem Fleisch seines Kopfes bespannt ist? Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 

Bad Rabbit

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„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, viel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Sein schmales Gesicht war scharf geschnitten, seine Nase war schmal aber nicht zu lang. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es ziemlich stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen, doch er vermutete, dass sie grün waren. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein sehr attraktiver Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er der dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach.
Er hatte das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er.
„ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Evelyn Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um, wie Antilopen, die die Gegenwart eines Löwenrudels spüren.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges einige Meter weiter durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Wesen war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten war nur der blanke Schädel zu sehen, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm viel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Und der Gestank. Er erfüllte die Luft mit Tod.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Was dann passierte, schien sich in Zeitlupe abzuspielen, obwohl es nur einen Wimpernschlag dauerte: Obwohl es durch die vielen Maschinenteile schwerfällig aussah, bewegte es sich mit der Anmut einer Ballett-Tänzerin auf die beiden Menschen zu, um mit einer vollendet präzisen Bewegung nach der Frau zu greifen.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus fuhren zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und betrachtete die Hand, an welcher noch die Frau hing, mit der Neugier eines Kindes, auf dessen Handfläche ein Schmetterling gelandet ist.
Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch in die Tür geschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er schloss die Glastür, fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken viel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann dann zu schwanken wie ein altes Boot.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren Viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus. Sein Selbst
Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 

Bad Rabbit

Mitglied
So, das ist jetzt der dritte Kommentar von mir. Das tut mir sehr leid, ich hätte alles in einen Geschrieben, aber leider kann man nach 15min keine Änderungen mehr vornehmen (geht das überhaupt bei "spontanen" Kommentaren?).

Ich habe was wichtiges vergessen: Das Spiel mit dem Kubus gibt es wirklich und es hat mich zu der Geschichte inspiriert. Wer es selbst mal machen will, der braucht es nur zu googeln.

Ach ja: Den Mecker-Kommentar hätte ich wieder entfernt - wenn es gehen würde.
Manchmal hat man einen schlechten Tag und muss dampf ablassen, aber trotzdem: Hier sind soo viele auch ältere Sachen unkommentiert. Schade eigentlich.

So, ich glaube das war alles ... *Liste check* ... yup.
Sorry fürs spammen, aber da der Text eh noch ganz vorne ist, ist es nicht so schlimm, hoffe ich mal.

MfG
Tim
 

Bad Rabbit

Mitglied
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, viel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein vorzeigbarer Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er der dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach.
Er hatte das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er.
„ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Evelyn Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um, wie Antilopen, die die Gegenwart eines Löwenrudels spüren.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges einige Meter weiter durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Wesen war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten war nur der blanke Schädel zu sehen, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm viel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Und der Gestank. Er erfüllte die Luft mit Tod.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Was dann passierte, schien sich in Zeitlupe abzuspielen, obwohl es nur einen Wimpernschlag dauerte: Obwohl es durch die vielen Maschinenteile schwerfällig aussah, bewegte es sich mit der Anmut einer Ballett-Tänzerin auf die beiden Menschen zu, um mit einer vollendet präzisen Bewegung nach der Frau zu greifen.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus fuhren zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und betrachtete die Hand, an welcher noch die Frau hing, mit der Neugier eines Kindes, auf dessen Handfläche ein Schmetterling gelandet ist.
Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch in die Tür geschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er schloss die Glastür, fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken viel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann dann zu schwanken wie ein altes Boot.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren Viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus. Sein Selbst
Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 

Bad Rabbit

Mitglied
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu können.
Wie Sie alle bereits wissen, beschäftige ich mich mit der Erforschung anderer Realitäten.
Während wir immer tiefer ins Weltall vordringen, und Kolonien auf dutzenden von Planeten und Monden errichtet haben, steckt die interdimensionale Forschung noch immer in den Kinderschuhen. Das Ziel meines Projektes ist es, eine andere Dimension nachzuweisen und einen kleinen Übergang herzustellen. Das klingt im Moment noch nach einem albernen Science-Fiction Roman, aber mit der Raumfahrt verhielt es sich einst genauso. Ich habe das Kypher-System für mein Experiment auserkoren. Die beiden Sonnen dieses Doppelsternsystems kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was ideale Bedingungen zur Erschaffung eines Risses sind. Ich werde Ihnen jetzt Berechnungen und Simulationen vorführen, welche belegen werden, dass Das, was ich vorhabe, absolut möglich ist.“
Dies war die Einleitung meiner Rede vor dem Bewilligungsausschuss. Ganz schön trocken, aber diese Erbsenzähler haben so wenig Fantasie, dass man alles wie in einem Lehrbuch erklären muss.
Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit von mir entwickelten Sensoren ausstatten werde. Mal sehen, was sie findet! Vielleicht bekomme ich ja noch meine Forschungsstation.
Ich bin ja sowas von aufgeregt!



Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Es war einfach zu dunkel. Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er tatsächlich?), während er sich wie ein Verrückter die Augen rieb und auf dem Boden wälzte.
Als er sich auf den Rücken gedreht hatte, hielt er inne.
Licht. Schwach. Direkt über ihm.
Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit. Er rappelte sich auf und wäre beinahe wieder gestürzt. Ihm war ziemlich schwindelig. Und sein Kopf – dieser Schmerz!
Irgendwie war er schon die ganze Zeit da gewesen, doch jetzt drängte er mit solch überwältigender Wucht nach vorn, dass er beinahe wieder zu Boden gefallen wäre. Mit purer Willenskraft zwang er sich, auf den Beinen zu bleiben.
Der Rest seines Körpers fühlte sich ebenfalls lädiert an, doch seine Kopfschmerzen überstrahlten alles andere.
„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und begann, sich umzusehen.
Er befand sich offenbar in einer Art Schacht. Zwanzig Meter über ihm spendete eine Leuchtstoffröhre bläuliches Licht, welches die Umgebung aber nur dürftig erhellte.
Da oben war eine Tür.
Und eine Leiter. Dieses Ding unter der Tür war ganz klar eine Leiter. Nach etwa zehn Metern verschwand sie in der Dunkelheit, doch wenn sie bis zum Boden des Schachts reichte, dann müsste sie ...
„Hier!“
Er hatte sie gefunden.
Vorsichtig begann er, nach oben zu steigen. Übler Schmerz durchfuhr ihn bei jeder Bewegung.
Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
Er hatte keine Ahnung: Keine Ahnung wo er war, keine Ahnung wo er herkam, keine Ahnung wohin er gehen sollte.
Und plötzlich marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn:
„Wer bin ich?“
Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
Nach einigen Minuten hatte er sich so weit beruhigt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen konnte.
Oben angekommen zog er sich durch die Tür und stand auf.
Er befand sich nun in einem Gang mit sechseckigem Querschnitt. Leuchtstoffröhren waren in zwei Reihen an der Decke angebracht, doch nur wenige funktionierten. Ein paar flackerten und verbreiteten Hektik.
Ihm wurde schwindelig. Geländer waren auf beiden Seiten des Korridors angebracht, und er musste sich an einem abstützen.
„Wie kann das nur sein, wie ...“
Er schaute an sich herab. Ein dunkelblauer Overall. Kein Namensschild. Er durchsuchte die Taschen, fand aber nur ein Taschenmesser und eine kleine Lampe in der Form eines Kugelschreibers.
Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
„Ich muss ´ne ganze Weile dort unten gelegen haben,“ sagte er zu sich selbst, und widerstand dem Drang, in den Schacht zu sehen.
Grade, als er „Hallo!“ rufen wollte, hielt ihn seine Intuition zurück. Vielleicht war es keine gute Idee, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?
Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen als ein Unbewegliches.
Dieser seltsame Gedanke schoss ihm völlig unwillkürlich durch den Kopf.
Er fragte sich, ob er vielleicht zum Militär gehörte, verwarf diesen Gedanken aber wieder, da er weder eine Uniform noch irgendwelche militärische Ausrüstung trug.
Aber vielleicht bin ich ein Gefangener. Vielleicht konnte ich fliehen und bin dabei verunglückt.
Er atmete ein paar Mal tief durch und entschied, dass ihn Spekulationen erstmal nicht weiter brachten.
Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, fiel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war. Irgendwie schien sie den Gang zu reflektieren.
„Vielleicht kann ich wenigstens mal mein Gesicht sehen,“ murmelte er und ging darauf zu.
Alle paar Schritte zuckte er vor Schmerz zusammen. Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
Als er die Platte erreichte, konnte er das ganze Elend betrachten. Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es stark aus der Form gebracht.
Seine Haut war sehr blass. Die Farbe seiner Augen konnte er nicht richtig erkennen. Sein Alter schätzte er auf Mitte vierzig. Geduscht, rasiert und in einem halbwegs gutem Anzug wäre er ein vorzeigbarer Kerl gewesen, doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
Sein Blick wirkte gehetzt, sein Gesicht war von Blut und Schmutz verschmiert, er hatte ein blaues Auge und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
„Was ist denn ... “
In der rechten unteren Ecke der Platte wurde es plötzlich hell. Eine leuchtende Kugel kam zum Vorschein, die aussah wie eine ...
„Eine Sonne?“
Als er begriff, dass er nicht vor einer schwarzen Platte stand, sondern vor einem Fenster, kam ihm nur ein Gedanke:
Ach du Scheiße!


Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
Wir haben uns erstmal eingerichtet, jedoch sind die Quartiere ein bisschen klein. Schlechte Planung, denn selbst für zwanzig Menschen ist die Station riesig. Dafür gibts einen Billard-Tisch und ein Fitness-Studio. Beides nichts für mich.
Aber ich denke, wir werden uns gut einleben. Meine Kollegen konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Maria, meine Doktorandin, ist wirklich gut. Ich glaube, aus ihr wird mal eine der führenden Physikerinnen. Ihr Verstand ist messerscharf, aber sie ist sehr schüchtern und unerfahren im Umgang mit anderen Menschen – eben eines von diesen hübschen, intelligenten Mauerblümchen. Eine wirklich hinreißende kleine Rothaarige! Es knistert zwischen uns. Ich habe es offenbar noch drauf!
Schon nach zwei Tagen hatten wir spektakuläre Ergebnisse. Wir haben die Korken knallen lassen,und ich hatte am nächsten Tag einen tierischen Kater. Diese Verwerfung ist ... seltsam.
Genau genommen ist sie unsichtbar, und weitgehend ungefährlich. Ich habe bereits dutzende Messungen durchgeführt. Wir trafen alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, denn sie ist sehr energiereich, aber zum Glück (oder besser: seltsamerweise) nicht tödlich.
Wir hätten das wohl nie raus bekommen, wenn der Schutzanzug von Dr. Crow nicht defekt gewesen wäre. Der gute Tony hat sich vor Angst eingepisst.
Und dann sind da irgendwelche Fluktuationen. Als ich Foster bat, sich das mal anzusehen, konnte sie nichts entdecken. Als ich wieder allein war, waren sie wieder da, um nach einer Minute abermals zu verschwinden. Ein komischer Zufall. Wahrscheinlich ist Evelyn genau im falschen Moment zur Tür raus.
Ich schaue mir das morgen mal genauer an.



Er war also im Weltraum. Auf einer Raumstation oder einem Schiff? Im Sol-System oder sonst wo in der beschissenen Galaxie?
Das ist nicht gut! Denk nach, denk nach!
Er versuchte, positiv zu denken. Als das nicht klappte, zwang er sich dazu.
Dass er im Weltraum war, musste nicht unbedingt ein Nachteil sein. Stationen und Schiffe waren meist wie kleine Städte konstruiert. Auf den wirklich großen Raumstationen gab es sogar Schulen und Polizeireviere.
Tief in seinem Inneren keimte Hoffnung.
Auf jeden Fall gibt es eine Kommunikationseinrichtung.
Ein Gewitter von Schmerzen tobte durch seinen Körper, als er sich zu schnell in Bewegung setzen wollte.
Und eine Krankenstation. Ich sollte wohl zuerst zur Krankenstation.
Der Korridor verlief als lange Rechtskurve. In der Hoffnung, irgendwann ein Hinweisschild oder etwas Ähnliches zu finden, folgte er dem Gang. Nach dreißig Metern (er hatte seine Schritte gezählt, um sich von den Schmerzen abzulenken) erreichte er eine Abzweigung. Rechts von dem Durchgang war eine Plakette angebracht - ein Wegweiser. Um zur Krankenstation zu gelangen musste er die Abzweigung nehmen und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen.
Würde er diesem Gang weiter folgen, würde er zum Freizeitbereich kommen.
„Das sollte ich mir merken,“ sagte er zu sich selbst.
Vielleicht habe ich nachher Lust auf einen Film oder eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht.
Kurz, bevor er weiterging, bemerkte er einen Schriftzug in der unteren rechten Ecke des Schildes:
„Inventar Kypher 1 – Raumstation, #100137“
Also eine Raumstation.
Mit jedem Schritt wirkte seine Umgebung bedrohlicher auf ihn. In ihm manifestierte sich die Gewissheit, dass er keinen Unfall gehabt hatte.
Ich bin vor etwas geflohen. Ich bin hier nicht sicher. Und wo zum Teufel ist die Crew?
Die Gänge der Station waren nur teilweise beleuchtet. Es gab immer wieder Segmente, in denen die Beleuchtung ausgefallen war, oder die Leuchtstoffröhren wie Warnsignale flackerten.
Nach einiger Zeit begann er, sich zu fragen, wie lange er bereits durch diese Station irrte (Du irrst hier nicht herum, du kennst dich hier gut aus, stimmts?).
Die kalten Eingeweide einer stählernen Bestie – und er hatte plötzlich die Ahnung, dass es ihn nicht wieder hergeben würde.
Es wird mich zerfetzen mit stählernen Klauen und meine Seele verdauen in den Tiefen der ...
In den Tiefen von was? Diese Gefühle, diese Ahnungen, sie konnten einfach nicht ohne Grund in seinem Kopf herum spuken.
Und dann war da dieses Gefühl, dieses Kitzeln in seinem Nacken, das seit einigen Minuten (oder länger?) immer stärker wurde. Er fühlte sich beobachtet.
Nein, nicht beobachtet.
Verfolgt. Da ist irgendwer, oder irgendetwas. Gott steh mir bei, ich glaube, hier ist etwas unaussprechliches geschehen!
Die erstarkende Paranoia streichelte seine Nerven mit samtenen, eisigen Händen und ließ ihn frösteln. Er sah sich um, versuchte auch in die dunkelsten Winkel zu spähen.
Was war das?
Ein Geräusch, wie schepperndes Metall. Hatte er es sich nur eingebildet?
Er lauschte.
Eins, zwei, drei, vier, ...war wohl doch nur Verfolgungswahn. Ich drehe hier wirklich ...
Da war es wieder. Lauter. Näher.
Und wieder. Und wieder.
Waren das etwa Schritte?
Ein bizarrer Schrei schallte durch die Korridore. Es klang lebendig, aber auch verzerrt wie eine Stimme aus einem defekten Lautsprecher. Dieses Geräusch war eindeutig ein Schrei, doch er wusste, dass kein menschliches Wesen solch einen furchtbaren Ton von sich geben konnte.
Ein erneuter Schrei, welcher exakt genauso klang wie der Erste, als wäre Dieser nicht in den Winkeln der Station verhallt, sondern würde für alle Ewigkeit durch die Dunkelheit rasen.
Er rannte los. Zwar humpelte er noch etwas, doch der gnädige Rausch des Adrenalins hatte einen trügerischen Schleier über seine Schmerzen gelegt – und über seinen Verstand.
Er dachte nicht nach. Er konnte nicht denken.
Irgendwann stand er vor einer breiten Doppeltür. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war, doch er war schweißgebadet und völlig außer Atem.
Er schloss seine Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Komm schon, beruhige dich. Kannst du dieses Ding noch hören?
Er lauschte. Er hörte nichts.
Er atmete ein paar mal tief durch und betrachtete die Tür genauer:
Auf beiden Hälften der Tür befand sich jeweils ein Äskulapstab.
Offensichtlich stand er vor der Krankenstation.
Ich kannte den Weg. Scheiße, ich kannte ihn.
Wie konnte er den Weg zur Krankenstation dieses Labyrinths kennen, aber nicht wissen, wer er war? Neben der Tür war wieder ein Wegweiser. Dieser zeigte den Weg zur Kommunikationszentrale, einem Labortrakt, dem Wohnbereich und einem Ort, der sich „Stabilisierungskammer“ nannte. Hinter Letzterem stand der Zusatz „Nur Level 1 – Autorisation!“
Es verdaut meine Seele in den Tiefen der Stabilisierungskammer, Baby!
Er erlaubte seinem Verstand, sich ein paar Sekunden mit diesem seltsamen Gedanken zu beschäftigen, bevor er einen Schritt auf die Tür zu tat, worauf die beiden Hälften lautlos zur Seite glitten.
Er hatte gehofft, es würde nicht schlimmer werden. Er wurde bitter enttäuscht.


Ich dachte, ich wäre verrückt. Man muss schon ziemlich abgefuckt sein, um sich selbst für irre zu halten, oder? Es begann mit den Kopfschmerzen. Und dann die Stimmen. Zuerst war es nur ein Flüstern, doch dann wurden sie immer deutlicher und lauter. Sie machen mir Versprechungen. Sie reden von Wissen und ewigem Leben – eben die Klassiker aus den alten Geschichten, mit denen die Leute verführt wurden. Blaa blaa. Aber irgendwie ... kann ich mich nicht entziehen. Sie sind hypnotisch, wie eine Lavalampe. Und sie geben mir Anweisungen. Das ist eine schwere Zeit, aber Maria hilft mir sehr. Sie kennt mich gut. Ich lasse selten jemanden so nahe an mich heran, aber ...
Ich war heute bei Dr. Dietrich. Habe ihm nur von den Kopfschmerzen erzählt, ist ja wohl klar.
Er hat mir ein paar Pillen verschrieben und auch meine Hirnströme gemessen – und da habe ich es gesehen! Ich konnte einen Blick auf seine Apparate erhaschen und da sah ich es! Diese Fluktuationen, über die wir schon seit Wochen rätseln, hatten sich verändert. Langsam, aber stetig. Und dann sah ich es: Die Wellen meiner Hirnströme! Die Fluktuationen haben sich meinem Gehirn angepasst! Die wollen mit mir kommunizieren. Mit mir! Ich bin nicht verrückt. Aber die Dinge, die ich für sie tun soll ... schreckliche Dinge. Aber sie sind notwendig, damit sie kommen können. Ich kann nicht anders. Es gibt eh kein Zurück mehr. Es gab ein paar ... wie soll ich es nennen ... Fehlschläge. Die Anderen werden es bald merken.
Wir haben uns hier unten eingeschlossen. Ich weiß was zu tun ist. Und ... ich glaube, ich liebe sie.
Aber die Wesen aus der Verwerfung sind um so vieles größer als wir alle.



Der Gestank war so atemberaubend, dass er ganz neue Dimensionen des Brechreizes erforschte.
Auf eine perverse Art war es sogar interessant, wie viel Galle ein Mensch kotzen konnte.
Das Sprechzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum: dunkelblaue Auslegware, Aktenschänke, ein großes Regal mit Büchern, ein Stuhl vor dem Schreibtisch und einer dahinter. Die Wände waren in einem warmen Orange gehalten. In einer Ecke des Raumes stand eine Pflanze, und an der linken Wand hing eine Replik von Rembrandts „Der Mann mit dem goldenen Helm“ .
Und dann war da noch die Leiche.
Er konnte zuerst nur sehr kurz hinsehen, und musste sich gleich wieder abwenden, doch nach ein oder zwei Minuten hielt er den Anblick schon etwas länger aus. Darauf achtend, nicht durch die Nase zu atmen, näherte er sich dem Körper. Höchstwahrscheinlich war dieses aufgequollene Etwas mal ein Mann gewesen. Er lehnte am Schreibtisch, der Kopf lag auf der Sitzfläche des Stuhls, der für Besucher gedacht war. Das Gesicht sah seltsam aus, und erst, nachdem er es einige Sekunden betrachtet und sein Verstand diesen unfassbaren Anblick verarbeitet hatte, sah er auch, warum: Es war eingedrückt.
Irgendjemand hatte das Gesicht dieses armen Teufels mit gewaltiger Kraft nach innen gestülpt, ähnlich wie wenn man eine Mütze wendet. Knochensplitter von Schädel und Kiefer ragten aus dem Hals und der Kopfhaut.
Der Körper war von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte aufgeschlitzt. Magensäure hatte Teile der Kleidung, des Fleisches darunter und der Auslegware weg geätzt.
Die Leiche hatte den gleichen Overall wie er, jedoch hatte sie auch ein Band mit einem Ausweis um den Hals:

Dr. Karl Dietrich, Internist
Zugangslevel 2


Er fummelte den Ausweis von dem Band und steckte ihn in die Tasche, wobei er darauf achtete, die Leiche nicht zu berühren.
Auf der rechten Seite des Raumes verband ein Bogen das Sprechzimmer mit dem Behandlungsraum. Er wankte wie ein Betrunkener hindurch, zog die schwere Glastür, welche die beiden Räume voneinander trennte, zu und betätigte einen Schalter (ohne hinzusehen, aber das fiel ihm nicht auf), worauf das Glas milchig weiß und somit undurchsichtig wurde.
Er lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe, und ließ sich langsam daran herunter gleiten, bis seine Knie den Boden berührten.
Es begann als ein Schütteln, dann schluchzte er, und schließlich bekam er einen waschechten Weinkrampf.
Das Blut. Der Gestank. Der Körper. Das Gesicht.
Er spürte, wie all diese Eindrücke mit einer heißen Nadel in die Tiefen seines Gedächtnisses geritzt wurden. Nach scheinbar endlosen Minuten versuchte er, wieder aufzustehen. Es gelang ihm, doch die Schmerzen, nun nicht mehr durch Panik in die Knie gezwungen, erinnerten ihn auf unangenehme Weise daran, was hier eigentlich wollte.
Der Behandlungsraum war sehr schlicht und funktional. Die Wände und Möbel waren größtenteils weiß, nur Griffe und einige Kanten waren hellgrün abgesetzt. Alle Geräte und Schränke funkelten wie neu, als wären es Muster in einem Kaufhaus. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Behandlungstisch.
Auf einem Regal stand, neben einigen Fachbüchern, ein Buch mit einem kitschigen, funkelnden Einband. Er nahm es heraus und las den Titel laut vor:
„Der magische Kubus.“
Muss Dietrich gehört haben.
Es hatte Dietrich gehört. Auf der Innenseite des Deckels entdeckte er eine Widmung:

Für meinen geliebten Karl. Vielleicht verstehst dann wenigstens du dich mal!
In Liebe, Gretchen


Mühevoll schob er den Gedanken beiseite, dass das arme Schwein hinter der Tür mal ein Mensch gewesen war, den irgendjemand vermissen würde.
Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Buch. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, es gelesen zu haben, doch er wusste, dass er das Spiel mit dem Kubus schon einmal gespielt hatte. Er konzentrierte sich so stark er nur konnte, doch an mehr erinnerte er sich nicht. Da war nur diese Gewissheit.
Er ging zu einer kleinen Konsole neben dem Tisch. Das System war einfach zu bedienen, und so hatte er nach kurzem Herumprobieren einen Ganzkörperscan initialisiert.
Während er sich auf den Tisch legte, dachte er darüber nach, worum es in dem Spiel ging.
Das ist so eine Selbstfindeungskiste. War das nicht mal in Mode? Wie ging das nochmal? Man stelle sich eine Wüste vor ...
Als er auf dem Tisch lag, und sich die Anspannung ein wenig löste, merkte er, wie erschöpft er war.
Die Sensoren begannen, seinen Körper abzutasten, und ihr gleichmäßiges Summen trug sein Bewusstsein in die Finsternis.


Man stelle sich eine Wüste vor. Ganz einfach. Wie sieht sie aus? Seine Wüste ist anders als andere Wüsten. Der Himmel ist orange, von grauen Wolken überzogen. Es ist dunkel, wie in der Dämmerung. Der Sand seiner Wüste ist rot und schwer.
In dieser Wüstenlandschaft ist ein würfelförmiges Gebilde, ein Kubus. Jeder Mensch stellt sich einen anderen Kubus vor. Er kann jede nur denkbare Größe haben und aus jedem nur denkbaren Material bestehen. Sein Kubus ist weit entfernt. Er kann nicht genau einschätzen, wie groß er ist, doch er ist riesig. Er scheint aus irgendetwas Pelzigem zu bestehen, doch er kann nicht erkennen, was es ist.
Der Kubus schwebt. Er schwebt und rotiert dabei langsam um seine vertikale Achse.
Man stelle sich eine Leiter vor. Es spielt keine Rolle, wo sie sich befindet, und woraus sie gemacht ist. Sie kann am Kubus lehnen, oder irgendwo in der Landschaft stehen. Seine Leiter ist ein verrostetes Stück Metall. Mehrere der neunzehn Sprossen sind heraus gebrochen. Nur wenige Meter neben ihm liegt sie nutzlos im Sand.
Man stelle sich ein Pferd vor. Es ist vollkommen egal, was für ein Pferd es ist. Wie groß ist es? Welche Rasse? Was tut es?
Sein Pferd liegt einige Meter vor ihm. Es ist schon lange tot. Der Bauch des Kadavers ist durch die Faulgase geplatzt, doch er kann es nicht riechen. Statt Eingeweiden ragen Schläuche und rostige Zahnräder heraus.
Man stelle sich einen Sturm vor. Wo ist der Sturm? Am Horizont oder steht man mitten drin?
Er steht im Auge des Sturms. Er kann ihm nicht entkommen. Ein mächtiger, blutroter Sandsturm.
Man stelle sich Blumen vor. Ist es nur eine Blume, ein Beet, oder gar ein Blumenmeer? Was für Blumen sind es? Es sind keine Blumen zu sehen.
Er geht auf seinen Kubus zu, wobei er darüber nachdenkt, was all diese Bilder zu bedeuten haben.
Die Blumen stehen für Kinder. Hat er Kinder? Er weiß es nicht. Natürlich nicht. Aber ... keine Blumen.
Der Sturm steht für Probleme und Konflikte. Oh ja, er hatte grade ziemlich große Probleme, jedoch ... er war im Auge des Sturms. Ein Ort trügerischer Ruhe. Er saß in der Falle. Was hatte das zu bedeuten?
Die Leiter steht für ...



Er schreckte hoch, ohne zu wissen wo er war. Ängstlich sah er sich um.
Die Krankenstation. Shit, ich muss eingeschlafen sein. Und dieser Traum, echt irre.
Laut Scan hatte er mehrere Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen.
Andere sterben schon, wenn sie mit dem Stuhl umkippen. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben.
Der Computer empfahl ihm verschiedene Medikamente, welche er sich aus den Regalen zusammensuchen und sich teilweise mit Spritzen verabreichen musste. Das Antibiotikum für seine Kopfwunde konnte er sich mit der Druckspritze direkt in die Muskulatur schießen, doch das Mittel gegen die Schwellung des Gehirns musste in eine Vene gespritzt werden. Dabei lernte er wieder etwas über sich: Er hasste Nadeln.
Davon überrascht, wie gut er dennoch mit Spritzen umgehen konnte, betrachtete er stolz den sauberen Einstich in seiner Armbeuge.
Vielleicht war ich ein Kollege vom armen Karl?
Die Kopfwunde und die anderen Schrammen behandelte er mit Jod und Wundschaum, welcher die Verletzungen sofort verschloss. Den Brustkorb bandagierte er sich mit elastischen Binden. Mehr konnte er gegen die Rippenbrüche im Moment nicht tun.
Als die Schmerzmittel zu wirken begannen, taten sie das als Erstes nicht in seinem Kopf.
Für einige Minuten war sein Schädel der einzige Brandherd seines Körpers, und dies traf ihn mit solcher Härte, dass er sich für einen Moment die Schmerzen im Rest seines Körpers wieder herbeisehnte. Dann ließen auch endlich die Kopfschmerzen nach, doch jetzt hatte er das Gefühl, einen Schwamm im Schädel zu haben.
Ich fasse es nicht. Ich bin stoned!
Er torkelte wieder in das Sprechzimmer und zur Tür (zum Kubus, er geht auf den Kubus zu), doch bevor er sie öffnete, hatte er eine Idee.
Auf dem Schreibtisch stand eine schwarze Glasplatte - ein Bildschirm (und er rotiert, der Kubus rotiert).
Darauf bedacht, der Leiche nicht zu nahe zu kommen, ging er um den Schreibtisch (Die Leiter steht für Freundschaft) herum und aktivierte den Computer mit einer Handbewegung, worauf eine holografische Tastatur erschien.
Der Bildschirm füllte sich mit Zeichen, zeigte Verzeichnisse und Grafiken.
Was sollen diese Bilder? Dieser Traum geht mir nicht aus dem Kopf. Mal sehen, ob ich so was wie ein Personalverzeichnis finde. Und die Leiter steht für Freundschaft. Scheiße, warum spukt mir das im Kopf herum?
Hatte er keine Freunde? War er ein einsamer Mensch? Diese kaputte Leiter konnte vieles bedeuten.
Zum Glück hatte man auf einen holografischen Bildschirm verzichtet. Bei den falschen Lichtverhältnissen waren die Dinger eine Tortour für die Augen.
Seltsam, dass ich so was weiß. Und der Sand ist so schwer. Als wäre er nass.
Er hielt inne. Was hatte er da gerade gedacht? Die Erinnerung an dieses Spiel schien etwas in ihm ausgelöst zu haben. Eine Art Selbstfindungsprozess. Doch wohin würde das führen? Zu wem würde es führen?
Verwesende Pferde und kaputte Freundschaften. Wofür steht das Pferd? Ich glaube es war … es war …
Die Personal-und Krankenakten waren durch ein Passwort geschützt.
Mist.
Ein Schrei. Leise, aber er war da.
Es hat mich gefunden! Ich muss hier weg.
Er rannte in den Gang hinaus und sah sich hektisch um.
„Hey, Sie da!“
Ein Mensch! Eine ältere Frau (eine Sprosse), um genau zu sein. Endlich! Sie war am Arm verletzt, und ihr Overall war durchtränkt von Blut.
„Hallo“, sagte er. "Ich weiß nicht, was hier passiert ist. Wissen Sie ...“
„Dieser Mistkerl hat uns voll in die Scheiße geritten,“ presste sie mit kraftloser Stimme hervor.
Er ging auf sie zu, wollte sie stützen. Das Namensschild auf ihrem Overall wies sie als „Dr. Evelyn Foster“ aus.
„Kommen Sie, ich bringe Sie in die Krankenstation.“
„Danke, ich ...“
Sie sah ihm direkt in die Augen, und sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.
„Sie … nein! Nein!“
„Beruhigen Sie sich doch,“ sagte er.
Dann brach die Hölle los.


Ich hoffe, dass das hier irgendwer findet. Ich war … nicht ich. Sie sind weg. Sie haben mich reingelegt. Sie wollten die ganze Zeit nicht mich, sondern sie. Ich sollte nur alles vorbereiten.
Sie zwangen mich, Mitglieder der Crew zu töten oder an ihnen zu experimentieren.
Jetzt haben sie ja was sie wollten.
Jetzt ist es hier. Großer Gott, was habe ich nur getan? Sie haben einen Fuß in unserer Welt.
Maria … habe ich geliebt … und trotzdem habe ich auch sie … dieses Ding aus der Verwerfung bringt einen zu Sowas. Ich muss hier weg, keine Ahnung, ob ich es schaffe.
Die Stabilisierungskammer ist zu weit weg. Aber ich kann es zum Hangar schaffen. Hilfe holen, Navy verständigen, Station später vernichten. Klingt wie ein Plan, oder? Wen immer es in der Zwischenzeit auf diese Station verschlägt: Wenn sie keine verflucht starken Waffen dabei haben – verschwinden Sie!
Es tut mir leid, ok? Es tut mir leid!



Der Schrei. Laut. Beide blickten sich ängstlich um. Er hielt die Luft an und wartete. Auf einen weiteren Schrei, auf ... irgendetwas.
Die Frau sah ihn an, ihr Blick war eine Mischung aus purem Entsetzen und Abscheu.
Sie holte grade Luft, um etwas zu ihm zu sagen, als etwas unter ohrenbetäubendem Lärm die Wand des Ganges einige Meter weiter durchbrach.
Dieses Etwas bog die Teile der Wand zur Seite, als wären sie aus Silberfolie.
Es stieß noch einen furchtbaren Schrei aus, dann stand es einfach nur da und sah sie an.
Das Wesen war etwa zwei Meter groß, hatte mechanische Beine, die offenbar mit Druckluft betrieben wurden und lange, mechanische Arme mit Klauen, die aus verschiedenen Werkzeugen improvisiert zu sein schienen.
Doch das Unglaublichste – und Schrecklichste – waren Torso und Kopf.
Ganz offensichtlich war dieses Etwas mal ein Mensch gewesen, denn am Oberkörper hingen immerhin noch einige Fleischfetzen, die einen Bauchnabel und eine weibliche Brust erkennen ließen. Durch einige Löcher konnte man hineinsehen: Organe waren durch Maschinenteile ergänzt oder ersetzt worden.
Das alles sah er sich genau an. Er konnte nicht anders. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das in einem Zoo zum ersten Mal ein exotisches Tier sieht.
Das ist dein Pferd, Kumpel! Ist das nicht eine wunderschöne Stute? Yeeehaaaw!
Dann wanderte sein Blick zum Gesicht.
„Großer Gott,“ murmelte er.
An einer Seite des Schädels war noch etwas Kopfhaut mit ein paar Haarbüscheln übrig, ansonsten war nur der blanke Schädel zu sehen, an welchen man einige Computerteile geschraubt hatte.
Das Gesicht. Die Haut war teilweise mit Klammern am Schädel befestigt. Den Unterkiefer hatte man durch irgendein metallenes Ding mit scharfen Kanten ersetzt.
Die Augen. Man hatte die Lider entfernt. Nun zuckten diese ausdruckslosen Augäpfel mit ihren blauen Pupillen wachsam hin und her. Die Höhlen mussten zu groß sein, denn mehrmals traten sie so weit hervor, dass sie fast heraus fielen.
Die Nase. Es gab keine. An ihrer Stelle klaffte ein großes dunkles Loch, welches in die Tiefen dieses Monstrums führte.
Ihm fiel auf, dass es von oben bis unten mit Blut beschmiert war.
Und der Gestank. Er erfüllte die Luft mit Tod.
Der Blick dieses Ungetüms wanderte eine Ewigkeit von fünf Sekunden zwischen ihm und der Frau hin und her, dann stieß es einen Schrei aus, der die vorangegangenen sowohl mit seiner Lautstärke, als auch mit seiner Wut, in den Schatten stellte. Die gesamte Welt schien vor unfassbarem Zorn zu vibrieren.
Was dann passierte, schien sich in Zeitlupe abzuspielen, obwohl es nur einen Wimpernschlag dauerte: Obwohl es durch die vielen Maschinenteile schwerfällig aussah, bewegte es sich mit der Anmut einer Ballett-Tänzerin auf die beiden Menschen zu, um mit einer vollendet präzisen Bewegung nach der Frau zu greifen.
Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Es sah ihm direkt in die Augen und legte den Kopf leicht schief, wie ein treuer Hund es tun würde, um dann mit einer fast zärtlichen Geste eine Hand auf den Kopf der Frau zu legen.
Zwischen den Fingern (Es müssen Finger sein, wie soll ich das sonst nennen?) konnte er die vor Entsetzen und Panik geweiteten Augen dieser armen Frau sehen.
Dann fuhren die Finger des Wesens langsam und zärtlich in den Mund der Frau, weiter und immer weiter. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie begann zu zappeln und panisch zu wimmern, schließlich verdrehte sie die Augen und zitterte nur noch spastisch.
Er fand seine Stimme wieder, aber nur wenige Worte:
"Du … du … oh, Scheiße!“
Der Kopf der Frau brach auf einer Seite auf, und hinaus fuhren zwei metallene Finger.
Das Wesen hob seinen Arm und betrachtete die Hand, an welcher noch die Frau hing, mit der Neugier eines Kindes, auf dessen Handfläche ein Schmetterling gelandet ist.
Dieser groteske Anblick zerbrach etwas in seinem Inneren.
Er spürte, wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Aus einem Impuls heraus rannte er zurück in die Krankenstation.
„Shit, shit, shit!“
Neben der Tür befand sich ein Tastenfeld, mit einem Knopf, auf dem „LOCK“ stand.
Er drückte ihn, und verriegelte somit die Tür. Nur Sekunden später ertönten wieder die grässlichen Schreie, und dieses Ding versuchte, die Tür aufzubrechen. Mit jedem Schlag verursachte es eine neue große Beule. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Denk nach, man!“ befahl er sich selbst.
Ein Schrei. Hämmern an der Tür. Wieder ein Schrei. Es schrie und schrie, füllte seinen Kopf ganz und gar mit diesem grauenhaften Geräusch, so dass sein Verstand darin zu ertrinken drohte.
Nein, nein, du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, ...
Er sah sich um. Im Büro gab es ein Gitter für einen Lüftungsschacht, doch der Durchgang war zu klein für ihn.
Vielleicht im Behandlungsraum?
Tatsächlich. Noch ein Schacht, und dieser schien groß genug für ihn zu sein.
Er hörte ein Knirschen. Ein Blick zur Tür zeigte ihm, dass das Ding bereits ein Loch hineingeschlagen hatte und nun versuchte, sie aufzustemmen.
Er schloss die Glastür, fummelte das Taschenmesser heraus, klappte den Schraubendreher auf und begann, das Gitter ab zuschrauben.
Das Metall der Tür kreischte mit dem Monster um die Wette. Es hatte seinen Oberkörper bereits durch die Öffnung gezwängt.
Gott, welches Arschloch hat diese langen Schrauben benutzt!
Irgendwann war das Gitter endlich ab und er kroch in den Schacht.
Er war bereits mit dem Oberkörper drin, als es einen lauten Knall gab. Die Verriegelung der Tür musste nachgegeben haben.
Einen halben Meter weiter hörte er die Glastür zersplittern.
„Großer Gott!“
Es hatte seinen rechten Fuß erwischt, und versuchte, ihn hinaus zu ziehen. Der Griff war so unbarmherzig und stark wie das Gebiss eines Hais.
Nun gewann die Panik die Oberhand. Wie ein Irrer winselte er, strampelte und wand sich.
Dabei drehte er seinen Fuß unbewusst in einen Winkel, durch den ihm der Schuh von seinem verschwitzen Fuß rutschte.
Er kroch noch zwei Meter, bevor er es riskierte, zurückzuschauen.
Zwei kalte liderlose Augen fixierten ihn und ließen ihn augenblicklich erstarren. Der metallene Unterkiefer schien vor Wut zu mahlen. Er sah dem Ding direkt in die Augen, und es starrte einfach nur zurück.
Nach den längsten vierzig Sekunden seines Lebens ging es einfach weg. Er hörte das Knirschen der Glassplitter und das Scheppern vom Metall der Tür.
Er lauschte noch ein paar Minuten, hörte aber nur das Staccato seines Atems.
„Ist es weg?“ fragte er sich selbst.
Das glaubst du doch nicht wirklich.
Er wartete, bis er sich ein wenig beruhigt hatte, bevor er seinen Weg durch den Lüftungsschacht fortsetzte.


Die Lüftungsschächte waren überraschend logisch angeordnet: Obwohl seine kleine Taschenlampe nur spärliches Licht spendete, fand er sich gut zurecht.
Was hast du erwartet? Das man Lüftungsschächte extra wie Labyrinthe baut, damit diese drittklassigen Krimiautoren dann von „endlosen Lüfttungschächten“ faseln können?
Bei diesem Gedanken fiel ihm sogar ein Buch ein, von dem er sich sicher war, es vor einiger Zeit gelesen zu haben: Es ging um einen Privatdetektiv, der eine Reise machte. Nein, nicht einfach eine Reise, sondern eine Kreuzfahrt durch die inneren Systeme. Natürlich wurde das Schiff sabotiert und während seiner Ermittlungen vögelte er haufenweise Frauen.
Er musste bei dem Gedanken, sich an solch ein mieses Buch erinnern zu können, lachen, zwang sich aber, es leise zu tun. Das Ergebnis hatte Ähnlichkeit mit einem Hustenanfall, der mit aller Kraft unterdrückt wurde.
Nach einer Weile gab es keine Abzweigungen mehr. Es ging nur noch geradeaus.
Was ist das?
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft. Sehr schwach, aber trotzdem unangenehm.
Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde der Geruch stärker, eindringlicher – und widerwärtiger. Irgendwann bekam er nach jedem Atemzug Brechreiz. Es gab nur eine Sache im Universum, die solch einen faulig-süßen Gestank erzeugen konnte: Verwesendes Fleisch. Dazu kam eine sanfte Note von Fäkalien und anderen Dingen, die er weder identifizieren konnte noch identifizieren wollte.
Zu allem Übel wurde der Schacht nun instabil und wackelte bei jeder Bewegung. Wahrscheinlich lief er frei durch einen Raum und hing nur an einigen Kabeln, die vielleicht beschädigt waren.
Er nahm nur noch ganz kleine Atemzüge. Inzwischen konnte er nicht einmal mehr Galle kotzen, und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
Plötzlich gab es einen starken Ruck und nur ein paar Meter vor ihm wurde der Schacht in zwei Teile gerissen.
Oh Scheiße, was jetzt?
Der Teil des Schachts, in dem er sich befand, stürzte einen halben Meter nach unten, um dann zu schwanken wie ein Boot bei schwerer See.
Es war immer noch möglich, in den sicheren Teil zu gelangen, der sich nur etwa drei Meter vor ihm befand. Er musste sich nur beeilen.
Los, los! Ich schaffe das!
Er schaffte es nicht.
Mit einem Knall sackte der Luftschacht noch weitere zwei Meter in die Tiefe.
Er versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten, doch er zog sich bei seinem Weg nach draußen nur Schnittwunden und Prellungen zu.
In der Luft vollführte er eine ungelenke Drehung, nur um zu sehen, worauf er sich unaufhaltsam zu bewegte: Ein Berg von Leichen (Sprossen), und es waren viele, so viele (neunzehn), und sie kamen immer näher: Gesichter voller Entsetzen, vor Angst verkrampfte Hände, grauenhaft verdrehte Arme und Beine, aufgeschlitzte Körper mit herausquellenden Eingeweiden. Und Blut, so viel Blut.
Er fiel genau auf den Gipfel des Berges, riss vor Ekel die Hände nach oben, glitt aus und rutschte auf allen Vieren nach unten. Er wollte sich am Overall einer Leiche festhalten, griff in etwas glitschiges, ließ los, rutschte weiter, wollte nach etwas anderem greifen und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass es ein Darm war.
Als er realisierte, dass er sich nicht nur auf eine Wand, sondern die Kante eines Wasserspenders zu bewegte, hatte er schon keine Zeit mehr zu reagieren.
Er stieß mit der Stirn dagegen und …


… er befindet sich in der Wüste. In seiner Wüste. Er sieht sich um. Der Sturm ist näher, hat sich zusammengezogen, hat ihn umzingelt und pirscht sich heran.
Er ist weit gegangen. In der Ferne erkennt er einen kleinen Fleck im tiefen Rot des Sandes, und er weiß, dass es sein Pferd ist. Die Leiter sieht er nicht, denn dafür ist sie zu weit entfernt.
Er dreht sich um, und ihm stockt der Atem. Der Kubus. Er ist immer noch sehr weit entfernt, doch schon jetzt füllt er fast sein gesamtes Gesichtsfeld aus. Langsam dreht er sich um sich selbst.
Der Kubus besteht nicht, wie er ursprünglich dachte, aus einem pelzigen Material.
Die fettigen, ekelhaften Haare sind nur ein Bezug, den man stümperhaft über ein rostiges Metallgestell gezogen hat. An den Ecken ist der Bezug aufgerissen.
Jetzt sieht er, dass die ganze Oberfläche des Kubus von Rissen übersät ist.
Eine rote Flüssigkeit läuft aus ihnen hinaus und an der Außenwand hinunter, um schließlich zum Teil von den Haaren und zum Teil vom Sand aufgesogen zu werden. Irgendwie weiß er, dass es Blut ist. Er geht in die Hocke um eine handvoll Sand aufzuheben, welcher schwer und feucht ist. Er lässt den Sand wieder herunterfallen. Seine Hand ist nun rot und nass. Sein Herz schlägt schneller. Er spürt, dass er kurz vor einer Erkenntnis steht, die seinen Verstand sprengen könnte. Er spürt sie tief unter den Sedimentschichten seiner Persönlichkeit. Mit weit geöffneten Augen sieht er den Kubus an, der sich langsam aber unaufhaltsam dreht. Gleich wird er eine Andere Seite des Kubus sehen können.
Er wartet und wartet und schließlich sieht er es. Er atmet erleichtert aus, weil diese Seite des Kubus auch nur mit dem haarigen Material bespannt ist. Er will sich schon abwenden, doch dann rückt es in sein Blickfeld: Da ist noch etwas anderes, etwas helles und …
Er schreit vor Entsetzen und Angst, kann nicht fassen, was er da sieht, und kann den Blick doch nicht abwenden.
Meter um Meter, Grad um Grad dreht sich das riesige scheußliche Etwas, um ihm schließlich die letzte und schrecklichste Seite zu zeigen.
„Nein!“ schreit er.
„Das kann nicht sein! Bitte, nicht!“
Er weint und fleht obwohl er weiß, dass es sinnlos ist, denn das Pferd steht für die …



Liebe.
Wieder einmal hatte er gewaltige Kopfschmerzen.
Ich hätte mir etwas Schmerzmittel aus der Krankenstation mitnehmen sollen.
Aber das Pferd … es steht für Liebe. Mein Gott.

An den Kubus wollte er nicht denken, und er versuchte, dieses Bild zur Seite zu drängen.
Glücklicherweise verblasste der Traum bereits. Nur einzelne Bilder, teils sehr verschwommen, waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Er rappelte sich auf und wischte sich mit einem Ärmel das Blut seiner neuen Verletzung von der Stirn. Er wollte sich nicht umdrehen, zwang sich aber dazu. Die Leichen verströmten noch immer Gestank, Blut und andere Körperflüssigkeiten.
Ein Blick nach oben verriet ihm, dass der Leichenberg ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte:
Der Luftschacht hing etwa zehn Meter über ihm. Ein Laufsteg, den er nur um wenige Meter verfehlt hatte, kreuzte den Raum auf halber Höhe.
Jemand – oder Etwas – hatte dutzende Stühle und Tische zur Seite geschoben. An einer Wand stand ein Billardtisch, an einer anderen befand sich ein Tresen und eine große Durchreiche, durch welche er eine Küche erkennen konnte.
Ein Speisesaal.
Er wankte zur Tür und musste sich mehrmals abstützen, weil ihm immer wieder schwindelig wurde.
Reiss dich zusammen! Du musst weg von diesem Ort. Weg von diesen … Leichen. Weg von Karl Dietrich und dieser armen Frau und dem Monster und … Allem!
Auf dem Gang gab es wieder einen Wegweiser: Nach links ging es zum Labortrakt, nach rechts zum Hangar.
„Der Hangar!“
Von einem Shuttle aus könnte er auch Hilfe holen – und zwar in sicherer Entfernung von dieser verfluchten Station.
Scheiß auf die Kommunikationszentrale!
Er wollte nach rechts gehen, doch etwas zog ihn nach links. Er fühlte ein starkes Verlangen und die Gewissheit, dass sich all seine Wünsche erfüllen würden, wenn er nur in diese Richtung gehen würde. Zum Labortrakt. Zur Stabilisierungskammer. Sein Verstand wusste, dass etwas schreckliches geschehen würde, wenn er dorthin ging. Seine Seele wusste, dass es dort einfach wundervoll sein würde.
Schwere metallene Schritte rissen ihn aus seiner Trance.
Da kommt dein Pferdchen, Kumpel.
„Halt die Klappe!“ zischte er, ohne genau zu wissen, wen er damit meinte.
Die Schritte wurden lauter, und sie kamen aus der Richtung, in welcher die Labore lagen. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und lief so schnell er konnte.
Obwohl das Adrenalin wieder einmal seine Schmerzen betäubte, musste er humpeln.
Wurden die Schritte seines Verfolgers schneller?
Er war sich nicht sicher, zwang sich aber, noch schneller zu gehen.
Ich habe es fast geschafft. Es wäre absurd, wenn ich jetzt noch sterben würde.
Links, links, rechts, immer den Wegweisern nach, die Geräusche der Schritte seinen Verfolgers als akustische Eskorte.
Irgendwann war es soweit: Vor ihm waren die großen Schleusen des Hangars. Er rannte darauf zu (auf den Kubus, alle Wege führen zum Kubus) so schnell er konnte und ließ sich schließlich voller Erleichterung gegen die schweren Schleusentore fallen.
Ok, wie bekommt man das auf? Wie?
An der rechten Wand war eine kleine Konsole mit einem Schlitz befestigt.
Er erinnerte sich an Karl Dietrich, und durchsuchte seine Taschen nach der Zugangskarte.
Da ist sie ja. Bitte lass das funktionieren!
Es funktionierte: Die schweren Stahltüren glitten brummend zur Seite, sobald er die Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Der Hangar war eine riesige Halle mit einer Werkstatt und einer Entladezone samt Kran.
Ein Shuttle stand mit einem geöffneten Triebwerksgehäuse im Werkstattbereich, ein weiteres war in der Mitte des Hangars geparkt.
Er ging zu letzterem. Das Raumschiff, welches Ähnlichkeit mit einem Schwertwal hatte, wurde immer größer, je näher er ihm kam.
Wie der Kubus.
Er schüttelte energisch den Kopf, als ob dieser Gedanke so aus ihm herausfallen würde.
Der Kubus dreht sich und dreht sich. Und was siehst du? Was siehst du?
„Nein! Aufhören!“
Wie ein Irrer hämmerte er gegen seinen Kopf, traf die Wunde an der Stirn und schrie auf.
Der plötzliche Schmerz verschaffte seinem Verstand kurzzeitig Klarheit, und die musste er nutzen, denn lange hielt er das nicht mehr aus.
Kaum im Shuttle angekommen, genehmigte er sich ein schwaches Schmerzmittel aus dem Erste Hilfe – Koffer.
Dann ging er ins Cockpit, setzte sich auf den Pilotensessel und fuhr die Triebwerke hoch.
Ein sanftes Brummen stellte sich ein, während das Raumschiff kaum merklich zu vibrieren begann.
„Dann wollen wir mal. Ich glaube, ich habe so ein Ding schon einmal ...“
Ich muss den Kubus ansehen.
„Nein, muss ich nicht!“
Doch, sieh hin! Sieh hin!
Er sah ihn an, sah die ehemals verdeckte Seite des Kubus und was er sah, war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
Ein Gesicht. Sein Gesicht. Denn der Kubus steht für die eigene Persönlichkeit.
Sein Kubus. Sein Selbst.
Er … Es … hatte keine Augen, nur tiefschwarze Höhlen.
Der Mund war auf bizarre Weise verzerrt und verdammte ihn dazu, sein Entsetzen lautlos in die Welt zu schreien.
Etwas anderes schrie an seiner Stelle.
Ganz nah.
Und dann war es so weit: Die Erinnerung stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall.
Er wusste, wer er war, was er getan hatte, und was er nun tun musste. Dass er bezahlen musste. Er stellte die Triebwerke wieder ab.
Die Schritte: Schepper, schepper, schepper.
Ein Schrei: Ohrenbetäubend.
Doch er war ruhig, fast schon entspannt. Jetzt konnte er sich endlich entspannen.
Er hörte das Klacken der mechanischen Beine auf der Rampe des Shuttles.
Eine von Blut getränkte Klaue wurde auf seine Schulter gelegt.
Er drehte den Kopf und sah in dieses entstellte, gefühllose Gesicht.
Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und seine Worte waren voller Zuneigung, als er sagte:
„Hallo, Maria.“
 
K

KaGeb

Gast
Hi Bad Rabbit, toll!!! Paar Ideen hab ich aber noch - die Tage. Muss das erst mal wirken lassen.
Hat mir jedenfalls sehr gut gefallen =)

LG, KaGeb
 
K

KaGeb

Gast
So, du hast es nicht anders gewollt :)

Anbei mal ein paar "Beginner"-Vorschläge. Vielleicht kannst das eine oder andere gebrauchen.

Rot=meine Einwände
Blau=meine Vorschläge

Wenigstens haben sie mir die Mittel für eine Sonde bewilligt, die ich mit [strike]von mir[/strike] [blue]meinen selbst[/blue] entwickelten Sensoren ausstatten werde.

Ich bin ja sowas von aufgeregt!
[blue]Mein Gott, bin ich aufgeregt.[/blue]

Als er erwachte wusste er nicht, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte.
Vorschlag: [blue]Als er erwachte, wusste er nicht, ob seine Augen offen oder zu waren.[/blue]

Es war [strike]einfach[/strike] zu dunkel.

Sein Kopf war angenehm leer, wie eine Seifenblase, doch irgendwo in dieser perfekten Leere war ein kleines Loch, durch das sein Bewusstsein langsam herein strömte.
Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
Das ist (für mich) einfach zu umständlich und vor allem lang formuliert. Vielleicht:
[blue]
Sein Kopf war eine Seifenblase, leicht und leer - doch irgendwo war ein Loch, durch das sein Bewusstein herein strömte. [/blue]

Mit seinem Bewusstsein kam auch die Panik.
[strike]Sie überwältigte seinen Verstand, bevor er sich überhaupt an die Oberfläche kämpfen konnte.[/strike]
Ich bin blind ich bin blind ich bin blind, schrie es in seinem Kopf (oder schrie er [strike]tatsächlich[/strike]?), während er sich [strike]wie ein Verrückter die Augen rieb und[/strike] auf dem Boden wälzte.

[red]Das Bild "auf dem Boden wälzte" halte ich persönlich für übertrieben. Stell dir mal den Mann vor, der irgendwo erwacht und sich an nichts erinnern kann. Der wälzt sich garantiert nicht auf dem Boden.
[/red]



So weiter durch den Text, oder bin ich zu vermessen?

LG, KaGeb
 

Bad Rabbit

Mitglied
Mach ruhig weiter. Tu dir keinen Zwang an.
Ich freu mich über alles, was nach drei Monaten endlich mal dazu geschrieben wird.

MfG
Tim
 
K

KaGeb

Gast
Ok, weitere Ideen:

Sein Brustkorb presste ein humorloses Lachen in die Dunkelheit.
[red]Versuche es doch direkter, z.B.:[/red] [blue]Er lachte humorlos in die Dunkelheit.[/blue]


„Morgen tut das erst richtig weh“, murmelte er und [strike]begann, sich umzusehen[/strike] [blue]blickte um sich[/blue].

[red]Das ist m.M.n. ein häufigeres Problem in deinem Text, dass du beschreibst, wie etwas passiert, obwohl es besser wäre, es einfach nur passieren zu lassen.[/red]

Vorsichtig [strike]begann er, nach oben zu steigen[/strike] [blue]stieg er nach oben[/blue].


Nach etwa fünf Metern stoppte er und sah [strike]nach oben. War er etwa von dort heruntergefallen?
Sein Blick wanderte[/strike] nach unten, zu der Stelle, wo er noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. [strike]Oder glaubte, gelegen zu haben. Es war zu dunkel, um den Boden ausmachen zu können.[/strike]
„Scheiße, ist das tief“, flüsterte er.

Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, kitzelte eine beängstigende Frage die Innenseite seines Schädels: Wo war das?
[red]Das kann ich mir als Bild nicht vorstellen. Klar wird versucht, durch derartige Formulierungen einen gewissen Wortwitz in den Text zu bringen, aber ich halte das für übertrieben (nach meinem Geschmack), außerdem passt der Inhalt nicht logisch zusammen. Was hat die Frage mit der Innenseite seines Schädels zu tun und wieso kitzelt sie?
Wenn schon auf humorische Art, dann (m.M.n.) nur über Vergleiche wie z.B.: ..., als würde ihn etwas im Kopf kitzeln oder so ähnlich.[/red]

Und plötzlich [strike]marterte eine sehr viel schwerwiegendere Frage sein Hirn[/strike] [blue]fragte er sich noch etwas[/blue]:
„Wer bin ich?“

Sein Körper begann heftig zu zittern, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um nicht von der Leiter zu fallen. Er war kurz davor, zu hyperventilieren. Er stieß einen Schrei aus, was ihm dabei half, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und sich auf die Welt um ihn herum zu konzentrieren.
[red]Auch hier gilt: Nicht beschreiben, sondern passieren lassen, nicht sein Körper begann zu zittern, sondern er selbst:
Idee:[/red]
[blue]Plötzlich zitterte er, verlor den Halt, hangelte nach der Leiter und klammerte sich fest. Befreit schrie er auf, spürte wie sich kurz darauf seine Atmung beruhigte. [/blue]


Er fuhr sich mit [strike]beiden[/strike] [blue]den[/blue] Händen über das Gesicht und durch die Haare.

[red]Es ist immer besser, den Leser mitdenken zu lassen als alles haarklein zu servieren. "beiden" ist m.M.n. redundant, da es völlig logisch ist, dass Menschen 2 Hände haben. Deshalb reicht hier "den". Das ist auch nur ein kleiner Hinweis an dieser (unerheblichen) Stelle, weil solche Formulierungen immer mal wieder auftauchen.[/red]

Seine Finger spürten Schweiß – und Blut, klebrig, schon halb geronnen.
[red]Das funzt nicht. Seine Finger spüren gar nichts. Nur der Prot. spürt was, nämlich über die Nervenzellen usw. Er spürte somit Schweiß - und Blut, klebriges Blut.[/red]

Ich muss in Bewegung bleiben. Ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen [strike]als ein Unbewegliches[/strike].

Genau hier das meine ich: du nimmst dem Leser das mitdenken ab. "...als ein Unbewegliches" kann der sich selbst denken.

Als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, fiel ihm eine große schwarze Platte auf, die an die linke Wand montiert war.
[red]Der Hinweis "linke Wand" ist redundant, es sei denn, dass es für den weiteren Verlauf bedeutsam ist, dass die Platte an der "linken" Wand montiert war. Wenn nicht, kill him, z.B.:[/red]

[blue]Er konzentrierte sich auf seine Umgebung, an einer Wand fiel im eine große schwarze Platte auf.[/blue]

Die anderen Verletzungen begannen langsam, mit seinen Kopfschmerzen um seine Aufmerksamkeit zu ringen.
[red]Ein (für mich) überflüssiges Wortspiel im Entkrampfungsversuch. Passt nicht, zumal es wiederum nicht logisch ist. Einfach nur redundant.[/red]

Den Seitenscheitel, zu dem seine dunklen Haare einmal gekämmt gewesen waren, hatte es stark aus der Form gebracht.
[red]Verbal verhaspelt!?[/red]


doch jetzt sah er aus wie ein Obdachloser nach einer Prügelei:
[blue]... doch jetzt sah er aus wie ein verprügelter Penner. [/blue]

und er zitterte, was ihm bisher aber noch nicht aufgefallen war.
[red]Der zitterte doch schon an der Leiter weiter oben im Text, hyperventilierte fast und schrie sich wieder ruhig. Dem ist sein Zittern sehr wohl aufgefallen.[/red]

Ich wollte mal Ordnung in das Chaos auf meinem Computer bringen, und da fiel mir doch diese alte Datei in den Schoß. Ich wollte damals ja dieses Forschungstagebuch führen ... tja. Ups.
Ok, also, wenn ich schon mal „hier“ bin, dann kann ich damit ja gleich weiter machen. Ich sollte mir nämlich endlich mal angewöhnen, angefangene Dinge zu Ende zu bringen. Der Bau der Station hat nun doch acht Jahre gedauert, aber ich will mich nicht beschweren, denn bei der Explosion des Materialtransporters vor fünf Jahren ist leider die komplette Crew ums Leben gekommen. Das Projekt ist dadurch zum Glück nicht unwesentlich teurer geworden, sonst hätten wir die ganze Sache vergessen können.
Inzwischen haben wir die erste Woche hinter uns.
[red]Dein Prot. wollte "damals" mit dem Tagebuch anfangen. 8 Jahre später passt nicht, dass du von der 1.Woche schreiben willst.[/red]


So long, muss auf Arbeit. Bin mal gespannt, was du davon hälst.

LG, KaGeb
 

Bad Rabbit

Mitglied
Hallo KaGeb,

danke für die Arbeit.
Du hast mir hier bei einer Sache geholfen, vor der ich mich laaange gedrückt habe: Die Sprache in der Geschichte bissl aufräumen.
Habe grade nicht die Zeit, das alles im Detail durchzugehen, aber ich wollte dir schreiben, dass ich vieles gut finde und einarbeiten werde.
Und wie findest dus so allgemein?

MfG
Tim
 

Leseeule

Mitglied
So,

bin zwar ein Neuling aber möchte doch trotzdem mal. Leider wird mein Kommentar nicht ganz so ausführlich, weil ich generell nicht gerne jeden Satz einer Geschichte seziere sondern lieber das große Ganze sehe.

Zunächst muss ich sagen, dass du es die ganze Zeit geschafft hast, die Spannung aufrecht zu erhalten. Du schreibst auf eine Weise, die dem Leser das Gefühl gibt, selbst im Charakter der Hauptfigur zu stecken. Da ist dieses Gefühl der Fremde und gleichzeitig ist doch so vieles bekannt- das hast du in meinen Augen wirklich gut beschrieben.
Natürlich gibt es in einem Text immer Stellen, wo man denkt: Okay, das hätte ich jetzt anders geschrieben, das ist mir zu ausgeschmückt, zu übertrieben, wie auch immer. Es ist aber nicht mein Werk sondern deines, also auch deine Ausdrucksweise, an der ich so im Ganzen nun nichts bemängeln würde.

Was mir generell auffällt, sind die vielen offenen Enden, die sich zwar irgendwie zusammen führen lassen, doch das Ende gestaltet sich für jeden wohl etwas anders. Ich habe das so aufgefasst, dass unser Hauptcharakter der Professor/Forscher war, der die Stimmen gehört und deshalb all die Menschen getötet hat. Oder hat Maria sie getötet? Was ich mich frage: Hat er Maria erschaffen, also das aus ihr gemacht, was sie nun ist? Oder war es dieses Etwas? Und dann natürlich das Ende selbst, wo ich mich Frage: Was jetzt. Für die Geschichte ist das Ende absolut passend, aber so als neugieriger Leser will man natürlich wissen, wie es weiter geht.

Letztlich möchte ich Dir nur noch sagen, dass mir diese wirren Träume und die ganze Geschichte rund um den Kubus am besten gefallen hat. Das ist auch der Grund, warum ich diese Geschichte nicht in Kleinigkeiten zerflücken möchte- weil du in meinen Augen eine interessante Idee echt gut umgesetzt hast. Warum also soll ich jetzt an einzelnen Worten herummeckern?

Also um es abzuschließen: Daumen hoch, vor allem für die Idee selbst!
 

Bad Rabbit

Mitglied
Hallo Leseeule und Danke für deinen netten Kommentar!

Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Das streichelt nicht nur mein Ego, sondern ich bin immer glücklich, wenn ich Leuten mit einer Geschichte irgendwas geben konnte - ein paar spannende Minuten zum Beispiel.
Zur Interpretation (SPOILER :)): Du hast voll recht. Der Prot ist der Mad Scientist und er hat Maria in das Monsterdingsie umgebaut. Es ging nur darum, dass er sich selbst findet und am Ende einsieht, dass er bezahlen muss. Was dann passiert - keine Ahnung!

Ich bin selbst mit einigen Formulierungen usw. noch unzufrieden. KaGeb hat sich da viel Arbeit gemacht, und ich will wirklich einige Vorschläge einarbeiten, weil sie einfach gut sind. Aber ich arbeite jetzt immer sehr lange, und dann ist der Lustfaktor weit unten ... ich werde es aber wirklich bald mal machen :)

Viele Grüße
Tim
 



 
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