Der neue Jagdaufseher

Der neue Jagdaufseher

„Uli, wat sachse zu die verdammte Umpflügerei vonne Wiesen durch dat verdammte Sauenpack? Wir müssen handeln und mehr schießen.“
Der Jagdhüter peilte mich etwat verlegen an und antwortete diesmal gar nich auf meine Frage.
„Willi, ich muss Dir was mitteilen“, sachte er sehr ernst, „im Sommer werde ich nach Bayern ziehen. Wir haben am Starnberger See ein Haus mit einem großen Grundstück geerbt. Wir haben beschlossen, dort unseren Lebensabend zu verbringen.“ Rums!
Ich war sprachlos. Von einer Minute auf die andere teilte mir mein treuester Jagdfreund mit, dat er die Jagd verlassen wollte. Auch dat noch, dachte ich. Wie willze son Mann ersetzen? Dat kannze gar nich.
Wat würde meine Berta dazu sagen? Ich setzte mich, bat um ne Flasche Bier und gratulierte ziemlich bärbeißig zur Erbschaft. Die Botschaft musste ich erst ma verdauen.
„Willi“, sachte er, „wir kennen uns jetzt zwölf Jahre, wir hatten eine schöne Zeit zusammen. Ich denke, ich habe einen interessanten jungen Mann als Nachfolger für das Revier gefunden.
Er hatte bereits zum Wohle meiner Nerven und von dat Revier an den Nachfolger gedacht.
„Uli, ich danke Dir, natürlich bin ich einverstanden. Von den anderen Jagdhelfern kannze ja keinen gebrauchen, die haben alle zwei linke Hände und nur ne große Klappe.“
Ich fuhr zur Jagdhütte, um Berta die Nachricht zu überbringen. „Berta, halt Dich fest, wat meinze wohl, wer uns verlassen will? Der Uli zieht mit seiner Frau nach Bayern. Die haben da en Haus geerbt.“
„Nee, dat gibt et doch nich! Hört dat denn mit die Katastrophen niemals auf? Und wat machse jetz, Willi?“
„Erst kuck ich ma dumm ausse Wäsche. Morgen will der Uli mir en Nachfolger vorstellen, son jungen Mann aussem Nachbardorf.“
„Willi, dann bin ich aber dabei, den nehm ich genau unter die Lupe, wie Deine Gesellen und Lehrlinge, wenne die einstellen tus. Ich hab ne feinere An-tenne als Du, ich merk sofort, wenn dat en Hallodri iss.“
„Ja, ja, aber halt bitte bei dem Gespräch die Luft an, und vergräm mir den Mann nich sofort. Bei mir kriegt jeder erst ma ne faire Chance.“

Am nächsten Nachmittag erschien der Uli mit dem jungen Mann. Et war en kräftigen, großen Kerl, so um die fünfundzwanzig Jahre.
Er grinste über dat ganze Gesicht und stellte sich vor: „Ich bin der Christoph.“
Ich reichte ihm die Hand und schaute in seine Augen. Er hatte en festen Händedruck und wich meinem Blick keinen Millimeter aus.
Berta fragte: „Christoph möchten Sie ne Tasse Kaffee?“ „Nein, danke, Frau Püttmann, bitte sagen Sie „Du“ zu mir, ich würde lieber en Fläschchen Bier trinken.“
Oh, ich ahnte Bertas Gedanken. Die glaubte mit Sicherheit, dat se en Schluckspecht vor sich hatte.
Er muss wohl Bertas verkniffene Augen richtig gedeutet haben und ergänzte: „Sie müssen wissen, von Kaffe bekomme ich regelmäßig schweres Nasenbluten.“
Im Laufe von zwei Stunden haben wir den Christoph dann ausgequetscht. Und während wir plauderten, wurde er mir immer sympathischer. Wir leerten dabei ne halbe Kiste Bier, und mein Bauchgefühl sagte mir: Den Mann kannze gebrauchen, der passt in deine Jagd. Berta redete auch nett mit ihm und et schien, als würde se den Christoph mögen. Sie nickte ihn ab. Nee, nich wie Sie denken – mit nem Jagdmesser, nee, nur mit wohlwollendem Kopfnicken.
Uli hielt sich die ganze Zeit duckes und verfolgte aufmerksam dat Gespräch.
Ich stand auf und reichte dem Christoph die Hand: „Weißt Du, Christoph“ sagte ich betont ernst, „ich komm aus ner Ecke von Westfalen wo der Handschlag noch wat gilt, dat iss der Kohlenpott – dat Ruhrgebiet. Du sollst der Nachfolger von Uli sein, ich erwarte von Dir Sitzfleisch, Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Loyalität. Wir können jederzeit über allet reden, wenn dir ma der Schuh drücken tut. Ich stelle Dir jetzt einen Begehungsschein aus, und inne Jagd, wo Du bisher geholfen hast, sprichst Du offen und ehrlich über Dein neuet jagdlichet Wirkungsfeld, verstanden?“
Seine Augen strahlten. „Waidmannsdank, Herr Püttmann.“
Christoph enttäuschte uns nicht. Sehr gewissenhaft erfüllte er seine Aufgaben als Jagdhüter.
Berta beobachtete ihn wochenlang, und et fiel ihr auf, dat er niemals von seiner Freundin sprach oder ma ne Perle mitbrachte. In dem Alter hatte en junger Mann ne Flamme zu haben, sonst war nach ihrer Meinung mit dem wat nich in Ordnung.
„Willi, frag den Christoph doch ma, ob er kein Liebchen am Strick hat.“
„Berta, Deine Neugierde iss wirklich peinlich, ich bin froh, dat er kein Weibsbild am Bändel hat, die lenken den Jungen nur vonne Arbeit ab. Ich hab ihm schon eingebläut, dat wenn er ma en gescheitet Fraumensch aufgabeln sollte, er sie sofort klar und deutlich instruieren muss, dat die Jagd absoluten Vorrang vor jeglicher Gefühlsduselei haben tut und nur die Jagd sein ein und allet wär und nur die Büchse seine Braut sei. Wenn se dat dann nich schnallen tut und rummosert, sollte er ihr sofort den Laufpass geben.“
„Willi, dat iss doch wohl nich Dein Ernst gewesen? Dat hasse dem armen Kerl doch hoffentlich nich gesacht?“
„Doch, Berta, genauso, und dat hab ich auch verdammt ernst gemeint! Wenn damals in unserer Balzzeit schon der genetischer Jagdtrieb bei mir ausgebrochen wär, dann hätt ich Dir datselbe gesacht. Gut, dann wärn wir jetz nich verheiratet, und et wär mir so manchet im Leben erspart geblieben.“
Oh je! Als mir dieser Satz so locker über die Zunge gesprudelt war, hätte ich mich ohrfeigen können. Wie konnte ich nur so blöd sein, ihr die Wahrheit zu sagen! Dat war doch nur son kleinen „Freudschen Versprecher“.
Berta lief rot an und wurde direkt gemein: „Wat wär denn aus Dir geworden, wenn ich Dich nich geheiratet hätte, he? Du wärs kein Klempnermeister und hättes auch keinen Jagdschein. Wer hat denn mit Dir gepaukt, damit Du Hornochse den Lernstoff in Deinen Hirnkasten reinkriegtest, he? Du würdest als vereinsamter Junggeselle auf irgendeinem morschen Hochsitz verschimmeln oder wie en Penner draußen rumlaufen und betteln gehn! Wem wat erspart worden wär, dat iss doch wohl keine Frage. Ich hätte an jedem Finger zehn Kerle haben können, zehnmal hübscher, reicher und intelligenter als Du. Ich muss doch von Blindheit geschlagen gewesen sein, als ich blöde Kuh Dir mein Jawort geben tat!“
Ich lenkte geschickt ein: „Berta, lassen wir uns doch nich wegen son kleinen sprachlichen Ausrutscher anne Köppe kriegen, ich hab dat nich so gemeint. Bertalein, eins muss ich allerdings noch gerade rücken: Du wars damals nich von Blindheit geschlagen, nee, Du wars damals blind vor Liebe, vergiss dat bitte nich. Also, sei wieder friedlich. Et iss doch nur die Sorge um den Christoph, dat der Junge mir als Jagdhüter nich so schnell wieder vonne Fahne gehn tut und ich nochmals en neuen Mann suchen muss. Geht dat in Dein hübschet Köpfchen rein?“
Berta schaute mich misstrauisch an: „Ja, wenn dat so iss, dann will Dir Deine bösartige Entgleisung noch ma vergeben.“

Wer hier wat zu vergeben hatte, stand auf nem ganz anderen Blatt. Aber weil ich en gutmütigen Mensch bin, hielt ich den Rand. Irgendwo hab ich nämlich ma gelesen: „Der einzige gute Ersatz für Klugheit ist Schweigen.“
 



 
Oben Unten