Der schwarz-weiße Rallye-Volvo aus der Schweiz

Sonntag, der 23. April 1961.
Jean Méningaud steckt sich eine Zigarette an und schaltet den Fernseher ein.
Das französische Staatsfernsehen sendet eine Stellungnahme des Staatspräsidenten aus dem Elysée-Palast.
Charles de Gaulle, einundsiebzig, sitzt würdig und aufrecht, das weiße Haar nach hinten gescheitelt in seiner Generalsuniform aus dem zweiten Weltkrieg hinter einem mit Blattgold verzierten Tisch aus der Periode von Ludwig XIV. Er hat viel mitgemacht. Er ist wieder an die Macht gekommen, weil den Politikern der Krieg in Algerien entglitt. Die Franzosen hofften, dass er Algerien weiter an Frankreich binden würde. Das hatte er versprochen, doch dann hatte er verstanden, dass Algerien eines Tages unabhängig sein würde.
Gestern haben seine Generäle in Alger, Hauptstadt des bald selbstständigen Algeriens, geputscht. Unter den Putsch-Militärs befinden sich Widerstandkämpfer aus dem zweiten Weltkrieg. Eine schwierige Situation…
Es ist 20 Uhr. Der General erhebt ruhig und erhaben seine Stimme. Jean erinnert sich wieder an das geheime Radiohören, als vor 20 Jahren der General von London aus über die BBC im besetzten Land zu empfangen war.
„Eine Vierergruppe aus fanatischen Offizier-Rentnern hat eine Militärführung in Alger eingerichtet. Sie sehen unsere nationale Lage mit ihrem irren und verdrehten Blick. Sie haben unser Vaterland, unsere Republik, unser Ansehen besudelt, beschmutzt und durch den Dreck gezogen.
Durch wen ist dies passiert?
Leider, leider, leider durch die Männer, die uns mit ihrer Ehre verpflichtet sind, dem Vaterland zu dienen und zu gehorchen.
Im Namen Frankreichs befehle ich, dass alle Mittel, ich wiederhole, alle Mittel eingesetzt werden, um ihr Unternehmen zu verhindern…
Französinnen, Franzosen, helft mir!“
Jean hat genug gesehen. Er schaltet den Fernseher aus, drückt seine Zigarette wütend aus.
„Verräter“, zischt er voll Verachtung.
Er steht auf, schaut sich in seiner Wohnung um. Er kann nicht in Frankreich bleiben.

Drei Jahre später.
5. Juli 1964.
7 Uhr morgens.
Die Landstrasse N7 nach Fréjus ist kurvig. Von hier aus sind es noch 90 Kilometer nach Toulon.
Der Morgentau hat den Strassendreck feucht und rutschig gemacht.
Jacques hat es nicht eilig. Er kennt die Landstrasse gut. Dann sieht er einen Wagen im Rückspiegel.
„Ist der denn verrückt?“
Mit Fernlicht rast ein Wagen heran.
Das Dach ist weiß lackiert; die Karosserie schwarz. Ein Rallye-Auto?
Jacques zieht sein eigenes rechts an den Straßenrand.
Der Volvo brettert an ihm vorbei.
Im Schein des Abblendlichtes erkennt Jacques das Schweizer Kfz-Zeichen.
Bald ist der Ausländer in der Morgendämmerung verschwunden.

7 Uhr 15.
Jacques sieht eine schwarze Masse im Strassengraben.
„Oh mein Gott!“
Der Blechhaufen dampft.
Der Volvo ist frontal in eine Platane gefahren.
Zusammengedrückt wie ein Akkordeon.

Das Telefon klingelt.
Langsam, sehr langsam kommt die Frau heran. Seit dem Unfalltod ihres Sohns hat sie jede Lebenskraft verloren.
„Ja bitte?“, flüstert sie in die Muschel.
„Madame Saint-Aubain?“
„Ja, wer ist da?“
„Mohamed Moualkia. Ich rufe Sie an wegen Ihres Sohns.“
Die Dame stützt sich auf eine Stuhllehne ab und setzt sich: „Entschuldigung, ich glaube nicht, dass Sie…“
„Doch bitte, warten Sie! Ich war auch auf der Landstrasse! Die Armee war schon am Unfallort.“
„Militär?“
„Ja, es war um 7 Uhr. Da standen ein kleiner Peugeot 203 mit Militär-Kfz-Zeichen und ein Armee-LKW. Der Volvo war gegen die Platane gefahren. Das sah nicht schön aus. Und die Polizei war schon vorher da. Und der LKW hat sogar…“
„Sie müssen aussagen.“
„Ja, das würde ich gern.“
Schweigen.
Die Frau begreift: „Haben Sie ein Problem? Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich arbeite doch im Zementwerk und fange immer kurz nach sieben an. Auch am 5. Juli. Heute habe ich noch mal das Register überprüft. Da stand es drin.“
„Was?“
„An dem Tag habe ich um 5 Uhr angefangen.“
„Aber Sie haben mir doch gesagt…“
„Jaja natürlich. Aber jemand hat nachträglich aus der 7 eine 5 gemacht.“

15. August 1964.
Toulon. 90 Kilometer von Fréjus entfernt.
Die Sonne glüht über dem Mont Faron an der provençalischen Mittelmeerküste. Das tiefblaue Meer liegt ruhig und friedlich da unter der Felsenkette.
Die Strassen, die den Berg hoch führen, sind abgesperrt. Menschen drängen sich hinter Absperrungen. 20 Jahre ist es schon her, dass sie am Radio den Mann aus London hörten. 20 Jahre. Doch die Menschen, die hier hinkommen, erinnern sich gut daran.
Der General soll persönlich heute hier eine Ansprache halten.
Da kommt der General. Schnell entdeckt man seinen schwarzen Citroën DS in der Wagenkolonne. Die Autos schleichen die Bergstrasse hoch. Die Männer, Frauen, Kinder am Straßenrand jubeln.
De Gaulle winkt großväterlich. Er hat so viel überstanden. Auch den heutigen Gedenktag wird er überstehen.
Paul schwitzt. Nicht nur weil es so heiß ist.
Jetzt fährt die Wagenkolonne an den großen Behältern vorbei.
Paul schluckt.
Die Staatskarossen halten an. De Gaulle steigt aus.
Leibwächter umringen ihn.
Der Staatspräsident betritt die Gedenkstätte.
Paul geht zu den großen Behältern hinüber. Er hat mit seinen Leuten die Sprengladung vor wenigen Minuten hier entnommen. Das Attentat hat nicht stattgefunden. Aber es wäre einfacher gewesen, wenn vor einem Monat auf der Landstrasse nach Fréjus alles geklappt hätte…

5. Juli 1964.
7 Uhr morgens.
Die Landstrasse N7 nach Fréjus ist kurvig. Von hier aus sind es noch 90 Kilometer nach Toulon.
„Wir zwingen ihn anzuhalten. Wir nehmen ihn fest und quetschen ihn dann aus.“
Am Rand der N7 nach Fréjus steht Paul breitbeinig vor drei anderen Männern. Alles Agenten des französischen Militär-Geheimdiensts.
„Wir zwingen ihn anzuhalten. Wir nehmen ihn fest und quetschen ihn dann aus“, wiederholt Paul nochmals gebetsmühlenartig.
Die drei Männer verziehen keine Miene.
„Alles klar?“, fragt Paul Pierre, den LKW-Fahrer.
Der nickt: „Wir haben alles geprobt.“
„Er kommt“, meldet ein anderer Kollege aus dem rauschenden Walkie-Talkie.
„Alles auf die Posten“, befiehlt Paul.
Sie warten.
Dann hören sie den Volvo, der mit hoher Geschwindigkeit herankommt.
Pierre lässt den LKW auf dem Feldweg an.
Pauls Taschenlampe leuchtet auf. Das ist das verabredete Zeichen.
Pierre fährt auf die Chaussee hoch. Er positioniert sein Militärfahrzeug so schräg, dass die gesamte Landstrasse blockiert ist.
Der Volvo kommt rasch heran.
„Mensch, das klappt nicht“, entfährt es Pierre.
Der schwarz-weiße Volvo bremst, schliddert.
„Oh nein!“
Der LKW wird erschüttert unter dem Aufprall. Der Volvo rutscht an der Karosserie entlang, um dann gegen eine Platane am Straßenrand krachend zum Stillstand zu kommen.
Pierre steigt aus: „Wir zwingen ihn anzuhalten. Wir nehmen ihn fest und quetschen ihn dann aus… so ein Blödsinn“, murmelt der LKW-Fahrer.
Paul steht schon neben dem Unfall-Volvo.
„Holen wir Jean Méningaud raus?“, will ein anderer Agent wissen.
„Was machen wir?“, drängt Pierre.
Paul hält seine Taschenlampe auf den Fahrer.
Die Männer verstummen.
„Aber das…?“
„Genau“, stimmt Paul zu.

5. Juli 1964.
9 Uhr 00 morgens.
Nach Toulon sind es noch ein paar Kilometer.
Der Fahrer zieht ein letztes Mal an seiner Zigarette. Dann kurbelt er das Fenster herunter und wirft die Kippe auf die Strasse.
Sein schwarz-weißer Volvo mit Schweizer Kennzeichen nimmt wieder Fahrt auf.
Der Mann dreht das Radio lauter: „Es ist 8 Uhr. Europe 1. Nachrichten. Heute Morgen gab es einen tödlichen Unfall auf der Landstrasse N7.“
Jean Méningaud hört die Nachrichten und weiß nicht, dass er dem Geheimdienst nur durch eine Verwechslung entkommen ist.
 

jon

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Schade, es hätte spannend sein können, so ist es aber in erster Linie verwirrend. Vielleicht wäre es besser, sich mehr Zeit zu nehmen, die Figuren zu "entwicklen" (und damit eine Text-Leser-Bindung zu ermöglichen), Zusammenhänge deutlicher zu machen. Ich weiß zum Beispiel nicht genau, wer warum das Attentat in Toulon plante (Es war wohl Jean. Allein?) und wieso es verhindert werden konnte (Haben die Jean doch noch erwischt?).

Handwerk: Ich verstehe den dramaturgischen Sinn des Anruf-Kapitels nicht ganz – zu viel Aufwand und offen gelassene Fragen für eine Info, die im nächsten Absatz sowieso noch mal kommt (es war kein Unfall).

Vor allem aber ist (neben der historisch-faktischen) keine "literarisch interessante Ebene" enthalten – weder die Figuren sind "fühlbar", noch die Brisanz der Situation, noch "so funktioniert" der Mensch/die Gesellschaft/der Geheimdienst … oder was es am Ende für alle Beteiligten bedeutet, dass Jean entkam (Ist er der Kopf der Verschwörung und es müssen zukünftig noch mehr Leute sterben? (Musste schon einer sterben, außer dem Verwechslungsopfer?), Was ist mit dem Putsch – was hat der überhaupt mt all dem zu tun? (Sorry, ich kenn mich da nicht aus. Ich weiß, ich könnte bei Wikipedia nachschlagen, aber Text muss auch ohne sowas funktionieren. Wenn er mit besser funktioniert, ist das ein schöner Pluspunkt.)

Kurz und gut: Es ist hätte spannend sein können, ist aber in erster Linie verwirrend.
 



 
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