Der tote Dachs

Candice

Mitglied
Um acht Uhr hatte ich einen Termin bei meiner Therapeutin. Aufgewacht bin ich um zehn nach acht, aus einer Tiefschlafphase vermutlich, denn ich konnte mich weder daran erinnern, daß mein Wecker geläutet hatte, noch daß ich ihn abgestellt hätte. Ich versuchte sie anzurufen, war aber nur der Anrufbeantworter an. Anstatt Zähneputzen gab es einen Kaugummi, und ich schlüpfte schnell in die Klamotten, die von gestern noch dalagen.
Die Jeans, der schwarze Pulli und die schwarzen Stiefel, die ich bei der Beerdigung getragen hatte. Auf dem Weg über die Landstrasse fuhr ich an einem toten Dachs vorbei. Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg anzuhalten, um ihn mir genauer anzuschauen. Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, da verbrachte ich regelmäßig halbe Nächte auf einem Baum in der Nähe eines Dachsbaus. Nie habe ich ihn zu Gesicht bekommen, manchmal bildete ich mir ein, ihn zu hören.
In der Therapie sprach ich über das Telefongespräch mit meinem Vater. Wir hatten nicht viel Zeit das Thema zu vertiefen, schließlich war ich viel zu spät gekommen.
Mir fiel die Geschichte von dem Dachs namens Hans wieder ein, die ich mir vor ein paar Tagen erst ausgedacht hatte.
Gestern war ich auf der Beerdigung von Hans, der noch viel zu jung zum Sterben war, wenn man das überhaupt so sagen kann.
Auf der Heimfahrt hielt ich am Strassenrand an, als ich zu der Stelle kam, an der ich den toten Dachs entdeckt hatte.
Er war noch da. An der Schnauze klebte Blut, und das Maul mit den starken Zähnen stand offen.
Ich hatte zuvor noch nie einen lebenden, und auch keinen toten Dachs gesehen. Irgendwie hatte ich ihn mir größer vorgestellt. Dachse sind schöne Wesen.
Und ich begreife, daß ich den Tod nicht begreife, und die Zufälle,die Begebenheiten und Verbindungen, die aus dem sogenannten realen Leben und meiner Phantasie entstehen.
Nachdenklich mache ich mich auf den Weg nach Hause, Kaffee trinken, den Tag noch mal in Ruhe beginnen.
 



 
Oben Unten