Der traurige Schneemann

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kritzelasch

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Der traurige Schneemann

Ach, was war der Schneemann so traurig! Nicht einfach nur traurig, wie wenn man traurig ist, wenn die beste Freundin nicht mehr mit einem spricht, sondern richtig traurig-traurig! Der Schneemann konnte sich gar nicht vorstellen , dass irgendjemand noch trauriger sein könnte. Er war so furchtbar traurig, dass ihm dicke Eistränen aus den Kohle-Augen kullerten und zu seinen Füßen einen kleinen überfrorenen See bildeten. Ja, aber warum war er denn so schrecklich traurig? Hatte er Hunger? Oder war ihm vielleicht kalt? Oder fühlte er sich etwa einsam? Nein, nein, nein, das war es alles nicht! Na ja, kalt war es schon ziemlich, aber das machte dem Schneemann nichts aus und Gesellschaft hatte er jede Menge. Oh ja, jeden Tag spielten Kinder um ihn herum und er kannte alle Tiere aus dem nahen Wald. Also einsam fühlte er sich nicht – was war es aber dann?
„Warum bist du denn nun so traurig?“, fragte ihn das Eichhörnchen zum bestimmt 100sten Mal.
„Ach, ich bin so furchtbar traurig,“ jammerte der Schneemann wieder. „Sieh mich doch an! Mit so einer Nase wärest du auch traurig!“
Nun war es also heraus – wegen seiner Nase schaute der dicke Schneemann schon seit Tagen so grießgrämig drein. Na, ehrlich gesagt, besonders hübsch sah sie wirklich nicht aus. Oder könntet ihr euch vorstellen, mit einem Pfeifenputzer als Nase herumzulaufen? Natürlich nicht. Der kleine Luis hatte sie ihm ins Gesicht gesetzt. Glücklich war er damit nicht gewesen – nee, wirklich nicht. Ewig hatte er die Wohnung nach etwas Geeignetem durchsucht, bis sein Opa ihm den alten Pfeifenputzer gegeben hatte.
„Wir wären früher froh gewesen, wenn wir unserem Schneemann überhaupt eine Nase hätten geben können!“, brummte er, als er Luis‘ enttäuschtes Gesicht sah. Seine Mutter hatte kein Geld, um ihm eine Möhre zu kaufen. Sie war am Monatsende immer sehr knapp bei Kasse. Also war Luis mit dem Pfeifenputzer zum Schneemann getrottet. Er war froh, dass ihn niemand sah und als er dem Schneemann seine Nase ansetzte, entschuldigte er sich sogar leise bei ihm. Das hatte dem Schneemann die erste Zeit über seine Scham hinweggeholfen, doch als dann immer mehr Kinder über seine Nase lachten, wurde er immer trauriger. Zu allem Übel kam noch hinzu, dass der Pfeifenputzer leuchtend pink war und sich durch die Nässe immer weiter nach unten bog, das sah schon ziemlich lächerlich aus – armer Schneemann! Doch ganz allein war er mit seiner Trauer nicht, denn der kleine Luis stand immer in seiner Nähe und sah nicht weniger bedrückt aus. Also klagte er dem Eichhörnchen sein Leid.
„Da kann ich dir helfen“, piepste es und flitzte davon in den Wald. Lange musste der Schneemann nicht auf seine Rückkehr warten. Das Eichhörnchen hatte einen langen Fichtenzapfen zwischen den Zähnen. \"Woll’n doch mal sehen, ob dir die besser gefällt.“ Und schon hatte es ihm den Pfeifenputzer vom Gesicht geschnappt und den Zapfen an seine Stelle gesetzt. Stolz betrachtete es sein Werk. „Na, wie findest du’s?“
Der Schneemann sah auf seine Nase neue hinunter und erneut quollen ihm dicke Tränen aus den Augen. „Die ist so schrecklich dick!“, klagte er und schniefte.
In dieser Nacht musste das kleine Eichhörnchen mehrmals zwischen dem Wald und dem Schneemann hin und her laufen. Neugierig kamen auch noch andere Tiere dazu und als sie von dem Problem des Schneemannes hörten, wollten sie auch helfen. Immer neue Nasen musste der dicke Schneemann ausprobieren: Nüsse, Tannenzweige, Baumrinden, Wurzeln, Äste – doch keine gefiel ihm. Ein Hase hatte aus einem Garten ein Stück Schlauch stibitzt, doch da jammerte der Schneemann nur noch mehr. Ein Hirsch bot ihm ein Stück seines Geweihes an, doch der Schneemann schaute nur traurig und schüttelte den kugelrunden Kopf. Schließlich standen alle erschöpft um den Schneemann herum, der einen gefundenen Schlüssel als Nase trug. Alle blickten traurig und der Schneemann schaute am allertraurigsten.
„Ihr habt euch alle so viel Mühe gegeben“, schluchzte er. „Doch für mich gibt es wohl keine schöne Nase. Ich werde mich schon damit abfinden. Trotzdem danke!“
Als die Sonne langsam aufging, trotteten die Tiere bedrückt zurück in den Wald und ließen den Schneemann alleine. Sie hatten wirklich alles versucht – dafür darf man ihnen nicht böse sein. Vielleicht war der Schneemann einfach zu eitel!
Da stand er, mit einem alten rostigen Schlüssel als Nase und ließ verzweifelt den Kopf hängen. Er bemerkte gar nicht, dass Luis diesmal viel fröhlicher als sonst auf ihn zugelaufen kam. Der Junge strahlte wie noch nie und wedelte mit einer Tüte durch die Luft. Einen Moment lang vergaß der Schneemann seine Trauer. Er wurde sehr neugierig, was Luis da wohl hatte. Als der Junge vor ihm stand, packte er strahlend eine dicke gelbe Karotte aus. Stolz hielt er sie hoch.
„Hier, das ist deine neue Nase!“, verkündete er. „Die Nachbarin hat sie mir geschenkt!“ Luis‘ Blick blieb einen Moment lang an dem Schlüssel hängen. Er runzelte die Stirn, als müsste er ganz fest über etwas nachdenken, dann nahm er den Schlüssel weg und steckte dem Schneemann die Mohrrübe ins Gesicht. Der Junge trat einen Schritt zurück, musterte den Schneemann und strahlte wieder über das ganze Gesicht. „Perfekt!“ Dann drehte er sich um und rannte davon.
Der Schneemann sah ihm einen Moment lang verdutzt nach, dann ließ er seinen Blick langsam auf seine neue Nase wandern.
Uih, die war aber schön! Viel schöner als die anderen! Der Schneemann musste lange auf seine tolle Nase schielen, bis er das Wunder endlich glauben konnte. Das erste Mal fühlte er sich richtig glücklich! Und, was war das? War das etwa ein Tränchen? Tatsächlich! Aber diesmal weinte der Schneemann nur ein kleines bisschen und auch nur, weil er so schrecklich glücklich war! So eine schöne Nase!
Vom Wald aus beobachtete das Eichhörnchen den Schneemann. Auch es freute sich, dass sein großer Freund nun endlich zufrieden war. Aber es ärgerte sich auch ein bisschen, dass ihm die Idee mit der Mohrrübe nicht gekommen war!
Also, wenn ihr das nächste Mal einen Schneemann baut, dann denkt daran, dass Schneemänner von Natur aus sehr eitel und nicht mit jeder Nase zufrieden sind. Eine Karotte sollte es also mindestens sein. Ihr wollt doch keinen traurigen Schneemann – oder!?
 

Charlene

Mitglied
Hi kritzelasch!

Is ja wirklich süß, deine Geschichte vom traurigen Schneemann! Ehrlich gesagt, fällt mir eigentlich gar nichts ein, was ich an der Story nicht mag. Was mir gefällt ist, dass die Geschichte irgendwie zeitlos ist, sie könnte heute spielen, oder vor fünfzig Jahren oder noch früher. Auch der Schluss, indem du dich direkt an den Leser wendest passt gut dazu. Was nicht zusammenpasst ist eine Schneemanngeschichte bei 37° zu lesen, aber das liegt ja nicht gerade an dir ^.-

Charlene
 

kritzelasch

Mitglied
Hallo!

Danke für deine Antwort! Sorry, dass ich erst jetzt schreibe, aber ich war längere Zeit außer Lande und außer Reichweite von Internet-Anschlüssen. Schön, dass die Geschichte dir gefallen hat! Ich schreibe gerne Geschichten zu den Jahreszeiten oder solche, die irgendwie in den Jahreskreis hineinpassen.

Liebe Grüße, Kritzelasch
 



 
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