Dich find´ ich auch noch

animus

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Dich find´ ich auch noch
Kurzgeschichte zum Thema Wahnsinn



Schon bei den ersten Bewegungen meines Körpers beim Aufwachen suchte ich nach dir. Irgendwie hatte ich das Gefühl, du seiest doch da und hast dich nur gut versteckt. In allen Winkeln der Decke und des Kopfkissens habe ich nachgeschaut, sie vorsichtig abgetastet.
Durch den Wald meiner Brusthaare bin ich auch mit den Fingern gegangen. Vielleicht steckst du da irgendwo und kannst dich nicht befreien. Meinen Körper habe ich komplett abgesucht, ich kenne ja deine Fantasie, was das Aufsuchen von Verstecken betrifft.
Ich habe dich nicht gefunden.
Nicht an mir, nicht in meiner Umgebung. So habe ich die Sehnsucht in mich reingequetscht und ging etwas enttäuscht ins Badezimmer.
Die Vorstellung, ich habe dich übersehen und würde dich jetzt einfach abduschen und dem reißenden Strom der Kanalisation überlassen verursachte ein Würgen bei mir.
Der Gedanke verunsicherte mich, ich ließ es mit dem Duschen. Erleichtert ging ich in die Küche, machte die Kaffeemaschine an und setzte mich in unsere runde Ecke. Das Geschlürfe des dampfenden Wassers begleitete meine Gedanken, die sich immer noch damit beschäftigten, wo du sein könntest.
Ich schob die alten Brotkrümel auf dem Tisch hin und her, stellte die Tassen von gestern um und hob sogar die Tischdecke hoch. Auch hier habe ich dich nicht gefunden.
Es wurde still, der Kaffee war fertig. Ich holte mir eine saubere Tasse aus dem Schrank, schaute hinein und goss erleichtert den heißen Kaffee hinein. Das wäre ein Ding, wenn du in der Tasse wärest und ich hätte dich einfach zuerst verbrüht und dann mit dem Kaffee getrunken.
Ein angenehmer Gedanke stellte ich verwundert fest. Dich zu trinken.

Ich hörte ein Poltern aus der Diele.
„Hi Schatz, bist du schon wach?“ hörte ich sie sagen und in der nächsten Sekunde steckte sie ihren Kopf durch die Tür.
„Hast du mich wieder überall gesucht und nicht gefunden?“
„Ich war kurz einkaufen, beim Bäcker, Metzger und im Supermarkt.“
„Stell dir mal vor, die hatten heute Rinderfilet für nur 27,99 Euro das Kilo, da habe ich selbstverständlich zugegriffen und zwei Kilo gekauft.“
„Bin ich nicht gut?“
Ihr Gerede nahm kein Ende.
‚Shit’: dachte ich mir.
‚Ich habe dich gerade getrunken und du erzählst mir was vom Rinderfilet.'
„Hast du schon deine Tabletten genommen, Schatz?“
Sie schaute mich erwartungsvoll an.
„Ja“: log ich.
„Hilfst du mir bitte mit den Einkaufstüten, sie sind so schwer" hörte ich sie rufen.
Ich blieb sitzen und schaute schnell unter die Auflagen der Eckbank.
‚Vielleicht hast du dich da versteckt.’
Sie kam mit einigen Plastiktüten behangen in die Küche und knallte sie mit Gepolter auf den Tisch.
„Was ist? Hast du mich nicht gehört?“
„Du hast keine Tabletten genommen, denn sonst hättest du mir ja ohne Widerspruch geholfen.“ Sagte sie vorwurfsvoll und fing an, die Tüten auszupacken.
Jedes Teil, das sie auf den Tisch legte, hob ich sofort hoch und schaute nach, ob du nicht zufällig drunter gewesen bist. Eine große Angst beherrschte mich. Jede abgelegte Sache begleitete ich mit einem quallvollen Blick.
Das Auspacken nahm kein Ende. Ich konnte gar nicht so schnell die Sachen hochheben wie sie sie auspackte. Mit jedem Teil, das auf dem Tisch abgelegt wurde, wurde ich immer nervöser. Ich hatte panische Angst, dass du da irgendwo drunter bist und sie dich einfach mit dem Zeug platt macht.
Ich schrie sie an: "Hör endlich auf mit dem Auspacken!" „Warum hast du überhaupt soviel eingekauft?" „“Werden wir heute was feiern?“
„Ja, wir haben heute einen Grund zu feiern. Was, das wirst du in ein paar Stunden erleben.“ Sagte sie lachend und schob immer wieder neue Sachen auf den Tisch.
Ich hörte auf, die Sachen hochzuheben und schaute nur verängstigt zu.
Jedes neue Stück ließ mich innerlich aufschreien.
‚Sie zerquetscht dich’ : dachte ich.
„Hör endlich auf, sonst passiert was.“ Habe ich sie plötzlich angeschrien.
Sie beachtete mich nicht.

„Hör auf": schrie ich sie erneut an.
„Hör auf": schrie ich im Aufstehen, packte die erste Dose, die mir in die Finger kam, und schlug auf sie ein. Schon mit dem ersten Schlag habe ich sie wohl getötet, denn sie fiel wie ein Baumstamm zum Boden und blieb reglos vor meinen Füßen liegen.
Die nun klebrige Dose noch in der Hand schaute ich zu ihr runter und stieß leicht mit der Fußspitze ihren Körper an, um zu schauen, ob sie wirklich tot sei. Sie bewegte sich nicht, das Einzige was sich bewegte war die Blutlache, die immer größer wurde und deren Oberfläche noch rot glänzte.
Erleichtert durch die stehende Ruhe in der Küche, suchte ich meine Kaffeetasse unter den vielen Sachen raus, setzte mich wieder in unsere runde Ecke und schaute mich gleichgültig im Raum um.
Ihre Handtasche und der der schwarze Mantel hing über dem Stuhl, die Schuhe und den Schall hatte sie noch an. Aus der Manteltasche kuckte ein Stück von einem grauen Briefumschlag.
‚Eine Überraschung hatte sie für mich vorbereitet', dachte ich mir und überlegte, was es wohl sein konnte.
‚Ein Essen zur zweit oder hat sie ein paar Freunde eingeladen? Aber welche, wir hatten keine mehr.'
Die Gedanken flogen mir so durch den Kopf und meine Augen irrten durch das mit Sonnnennstrahlen durchflutete Zimmer.
‚Einladung' schoß mir durch den Kopf.
‚Es muss eine Einladung für die Gäste existieren. Sie schrieb immer Einladungen, wenn wir vorhatten, Gäste einzuladen. Sie schrieb sie sogar in Versen.' Mit einer Armbewegung zog ich den weißen Briefumschlag aus ihrer Manteltasche und wendete ihn ein paar Mal in der Hand.
Er trug unsere Anschrift aber nur ihren Namen und war schon geöffnet.
Ich nahm das einzelne Blattpapier raus, faltete es auseinander und las:
„Einweisung in die psychiatrische Abteilung“, heutiges Datum.
„Sehr geehrte Frau...ihr Name stand da.“
Bei weiterem Lesen machte ich mehrmals eine Pause und schaute sie mir an, in ihrer Blutlache.
Sie lag friedlich da und sie merkte es nicht mehr als ich das Blatt Papier zusammengefaltet auf ihren Körper legte.
Ich schaute mich um und sagte laut :
„und dich, werde ich auch noch finden. Verlasse dich drauf.“





[©animus]
 



 
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