Dichte Knochen

Raniero

Textablader
Dichte Knochen

Als Gregor Grobsamen an diesem Samstagmorgen die Post öffnete, fiel ihm eine etwas ungewöhnliche Werbesendung auf.
Ein Angebot einer Billigapotheke über eine Knochendichtemessung, zum sagenhaften Preis von nur 12,50 Euro.

Gregor hatte gerade seine fünfzig Lenze vollendet, ein Mann in den besten Jahren also, und er hatte eigentlich nicht die Absicht, seine Knochen vermessen zu lassen respektive die Dichte derselben, auch nicht für sagenhafte zwölf Euro fünfzig. Er fühlte sich rundum fit, für sein Alter, sicher, hier und da ein paar kleine Wewehchen, aber wer hat die nicht, am Vorabend der Wechseljahre.
Darüber hinaus aber musste er zugeben, dass er sich unter einer solchen Knochendichtemessung überhaupt nichts vorstellen konnte. Dass er Knochen hatte, war ihm bekannt, sogar ein ganzes Gerüst davon. Manchmal fühlten sich diese Knochen ausgesprochen müde an, besonders dann, wenn seine Frau ihn zu mehr sportlicher Aktivität aufforderte und seine dankende Ablehnung folgerichtig mit müder Knochen quittierte.
Doch einmal neugierig gemacht durch Werbung las er weiter:

Wir messen die Knochendichte schmerzlos per Ultraschall am Fersenbein und ziehen daraus eventuelle prophylaktische Schlüsse.

‚Am Fersenbein!’ zeigte er sich irritiert, ‚warum denn ausgerechnet da?’
Sofort kam ihm die berühmteste Ferse der Welt in den Sinn, die Achillesferse aus der Antike, das Synonym par excellence für die Verwundbarkeit eines Körpers
‚Und an einer solchen Stelle wollen die meine Knochen messen, schmerzlos’, entrüstete sich Gregor, ‚das glaubt doch kein Mensch, nee, mit mir nicht!’
Trotzdem las er weiter.

Mit gesunder Ernährung und genug Calciumzufuhr können Sie einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung Ihrer Knochenqualität leisten. Wir beraten Sie gern.

Gregor Grobsamen legte die Werbung aus der Hand.
‚Gesunde Ernährung, ausreichende Calciumzufuhr, die habe ich auch so’, sagte er sich, ‚da muss ich nicht 12,50 Euro ausgeben, für diese blöde Messung und dann noch an der Achillesferse.’
Zwölf Euro fünfzig, das war genau der Betrag für einen Kasten seiner Bier seiner Lieblingssorte. Dabei fiel ihm spontan ein, dass er ja noch Bier holen wollte, und ein paar Kleinigkeiten einkaufen, fürs Wochenende. Keine großen Einkäufe, denn er war allein; seine Frau war zu einer länger geplanten Kurzreise aufgebrochen, gemeinsam mit ihrer Freundin, und zwei vergnügliche sturmfreie Tage lagen vor ihm.
Er legte die Aufforderung zur Knochenmessung beiseite.
‚Das kann warten, es gibt Wichtigeres im Leben eines Mannes’.

Als er gerade im Begriff war, die Wohnung zu verlassen um das wichtige Bier und die anderen Notwendigkeiten für’s Wochenende zu besorgen, schellte das Telefon.
Manfred, der Ehemann der Freundin seiner Frau.
„Du Manni? Wolltest du nicht zu Fußballspiel, heute Abend?“
„Da wollte ich zuerst hin, aber schau mal aus dem Fenster; bei dem Regen, es schüttet ja nur so, und nach den Voraussagen soll es so bleiben, das ganze Wochenende über. Nee, nee, so’n großer Fan bin ich nun auch nicht, dass ich mir den Pelz nass machen lassen muss. Sag mal, hast du heute Abend schon was vor.“
„Eigentlich nichts besonderes, ich wollte gerade Bier holen fahren, als Aufrüstung für’ die beiden Tage.“
„Das hast du schön gesagt. Sag mal, kann man sich an dieser Aufrüstung beteiligen?“
„Unbedingt, Manni. Ich hol auch noch was für den Grill. Wir können ja schließlich auch in der Küche grillen, bei dem Sauwetter.“
„Also bis heute Abend, Gregor. Um halb Acht, ist dir das recht? Dann können wir das Fußballspiel ja im Radio hören.“
„Okay, bis heute Abend.“
Gregor blickte auf die Uhr und machte sich schleunigst auf den Weg; vorsichtshalber kaufte gleich zwei Kästen Bier, prophylaktisch, wie er meinte, und dabei musste er unwillkürlich an die Knochendichtemessung denken

Abends, pünktlich zur vereinbarten Zeit, traf Manfred bei Gregor ein, und sofort warf der Hausherr den Küchengrill an. Während die beiden sich die ersten Biere zu Gemüte führen, lauschen sie dabei der Radioübertragung des Fußballspiels. Fast gleichzeitig mit dem Ende des Spiels, das für Manfreds Mannschaft mit zwei zu null verloren ging, war das Abendessen fertig.
Gregor tröstete seinen Gast.
„Sei froh, dass du nicht hingegangen bist. Hättest dich bloß noch mehr geärgert, bei diesem Regen.“
Manfred gab ihm Recht, wohl oder übel.
Sodann machten sich beide über das Gegrillte her, mit riesigem Appetit, der durch die Zufuhr der köstlichen Gerstensäfte noch gesteigert wurde.
Eine lebhafte Unterhaltung setzte ein, sie hatten sich längere Zeit nicht gesehen und kamen von Hölzchen und Stöckchen, wie man zu sagen pflegt.
Irgendwann im Laufe des Abends fiel Gregor die Apothekenwerbung wieder ein, und spontan widmeten sich Gast und Gastgeber ausführlich dieser Knochendichtemessung, obwohl beide eine solche noch nie am eigenen Leibe erlebt hatten.

Man kann sich leicht vorstellen, dass mit steigendem Alkoholgenuss sinnstiftende Dialoge immer weniger zustande kamen, bis diese schließlich ganz unterblieben und belegten Zungen Platz machten.
„Das müssen wir tun“, beschwor Manfred den Freund, „lass uns ruhig mal unsere Knochen dicht machen.“
„Aber doch nicht an dieser Stelle. Weißt du, wo sie das tun wollen? An der Achimferse, der schlimmsten Stelle des ganzen Körpers. Da kommen wir nie mehr heil raus, aus so einer Nummer!“
„An der Achimferse“, wiederholte Manfred ungläubig. „heißt die nicht Antonferse? Ist ja auch egal. Das überstehen wir schon, Junge, brauchst keine Angst zu haben. Unsere Frauen, die werden stolz auf uns sein, auf die einzigen Menschen weit und breit, die sich an der Antonferse operieren lassen. Das steht dann in jeder Zeitung!“
Aus der ursprünglichen Knochendichtemessung war mittlerweile ein chirurgischer Eingriff geworden, doch das tat der Unterhaltung keinen Abbruch.
„Ich weiß nicht so recht“, gab sich Gregor unentschlossen.
„Mensch, Gregor“, wirkte Manfred auf den Hausherrn ein, „stell dir die Gesichter unserer Frauen vor, wenn wir ihnen beweisen, dass wir richtige Männer sind, mit richtigen Knochen, nicht mit Gummiknochen. Weißt du, dass Gertrud mich immer damit aufzieht, mit meinen Gummiknochen.“
Gregor lachte bitter: „Zu mir sagt sie müder Knochen, wenn sie schlecht gelaunt ist.“
„Siehste, siehste, ein Grund mehr, diese Operation zu machen, gleich morgen lassen wir sie machen, alle beide. Wir werden unseren Frauen ein für allemal das Recht nehmen, uns so zu demütigen.“
„Morgen ist Sonntag“, warf Gregor ein.
„Ist es nicht, guck mal auf die Uhr.“

Manfred hatte Recht.
Mittlerweile war es drei Uhr morgens, und kurz darauf klingelte es an der Tür.
Das Taxi, das der Gast in weiser Voraussicht im nüchternen Zustand vorbestellt hatte.
„Ich begleite dich nach draußen.“
Singend stiegen sie die Treppe hinab, die beiden Freunde, bis ihr eher schauerlich zu nennender Gesang von einem markerschütternden Schrei oder besser gesagt von zwei solchen Schreien abrupt beendet wurde.
Gemeinsam waren sie, sich gegenseitig stützend, zu Boden gestürzt.
Mehrere Frakturen an Armen und Beinen bei Gregor wie auch seinem Gast waren die Folgen.
Nun liegen sie beide im nahe gelegenen Krankenhaus, auf dem gleichen Zimmer.
Ein Trost, so machen sie sich Mut, ist ihnen jedoch geblieben. Die Kosten für die beabsichtigten Knochendichtemessungen fallen vorerst nicht an, davon gehen sie fest aus, denn was soll da jetzt noch gemessen werden, erst einmal müssen sie heilen, die verdammten Knochen.
Das Geld aber, das sie dafür gespart haben, würde genau reichen für zwei Kästen Bier, für einen neuen schönen Herrenabend; ob sie allerdings jemals die Zustimmung ihrer Ehefrauen dafür erlangen, steht zur Zeit noch arg in den Sternen.
 



 
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