Dichter sagen...

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Kabelkolb

Mitglied
Brennholz im März

Dichter sagen: Schreiben ist Handwerk. Ich wünschte, das wäre es auch für mich. Immer hatte ich gedacht, es sei wichtig, handschriftlich mit der Feder in ein geheimes Heft zu schreiben, wenn man es den ernst nehmen wollte, das Schreiben, in seiner ganzen Einfachheit. Ich war sogar im Schreibwarenladen an der Ecke der Greifswalder Strasse und irgend einer anderen. Die Dame, die pünktlich um 9 Uhr die Außenkörbe raustrug, welche mit allerlei unmöglichen, für mich unverwendbaren Waren gefüllt waren, begrüßte mich als ersten Kunden. In den Körben: Bastelkrepp und die passenden Schneidewerkzeuge, Wachsmalstifte in nur drei Farben und Masken in Kindergröße für den nahenden Fasching. Berlin ist eine Karnevalshochburg. In jeder Eck, ein Neck. Die fleißige Verkäuferin (dieses Wort erkennt Word 2000 nicht, ist wohl eher Word 200) bekam nicht mit, wie ich mir den schönen blauen Uniball-Pen, allein des Namens wegen, in meine Tasche steckte. Ich nahm mir noch schnell eins der Hefte, die sich dafür eignen vollgeschrieben zu werden und ging zur Kasse. Bezahlt. Durch die Tür. Zackig weg und das Diebesgut betrachtet. Es stellte sich sofort heraus, dass ich den Uniball-Probier-Pen geklaut hatte. Halb leer und abgegrabbelt wie die Kneipenklinke im Dorf meiner Eltern. Ich habe damals, als ich noch bei ihnen wohnen musste, erheblich zu diesen Abnutzungserscheinungen beigetragen. Doch zurück zu den Dichtern und ihrem Ausspruch: Schreiben ist Handwerk. Meine Idee war: „Ich kann ja mal was schreiben. Soll beruhigen, wenn man seine Gedanken festhält. Vielleicht sind sie ja später noch mal zu was nütze. Vielleicht werde ich ein berühmter Schriftsteller und kaufe mir n Eigentumswohnung über einer Anlageberaterin, die Single ist und einen Sohn hat, der mir immer die Zeitung hochbringt. Vielleicht aber,...“ Stop, jetzt erst mal schreiben, dann die Früchte des Erfolges ernten!
Ich saß in der Bahn und war gefasst von einem Gefühl des Segens. Ich schrieb Geschichten, die von der Welt, den Menschen und ihrem ungezählten Leiden sprachen. Nein. Ich zählte ihr Leiden. In jedem einzelnem Buchstaben verfocht ich den Kampf des Gerechten gegen die Übermacht der Wahnsinnigen, der Herrscher, unserer neuen Götter, die sich aufgeschwungen haben, zu Höherem. Sie zogen in einen von uns errichteten Olymp, aus Dummheit gebaut, von dir und mir und Schuld trifft eigentlich alle. Die Rettung, das Wort. Ein zweites, ein drittes und so glitten sie aus meiner Uniball-Feder, wurden geboren, erblickten das Licht der grausamen, kalten Welt, die sie ändern sollten. Sie machten sich bald auf und auch die Runde. Die Wörter meiner Feder, in Gestalten von Heiligen. Und als die gesamte Straßenbahn bekehrt war zu dem Glauben, dass der Mensch selbst alles erreichen kann, wenn er nur die Abscheu vor dem Mitgefühl ablegen und ein neues, anderes Leben beginnen würde, kam ich an einer Haltestelle an, zu der ich eigentlich gar nicht wollte. Trotzdem feierte man mich als den Messias. Während ich an der Otto-Braun-Strasse ausstieg, schrieb ich schnell ein epochales Werk über diesen preußischen Politiker, handelte die auslaufende Greifswalder-Strasse in einem Reisebericht über die ebenso benannte Stadt ab und verfasste eine neue Parkbeschilderung für die Anlagen am Friedrichshain. Ich wurde gefeiert, wo ich erschien und ich erschien vielen Leuten. Doch es war nicht so, dass ich ihnen hinterherlaufen musste. Sie kamen zu mir. Erzählten von ihren Sorgen und Ängsten, von ihren Problemen mit dem Leben oder auch nur mit dem Nachbarn. Es ist ungerecht, wenn einer mehr vom Kuchen abgeschnitten bekommt, schon lange, wenn der Kuchen ein Hausflur ist und voller Fahrräder steht. Das ist eine Sache für die Hausverwaltung. Was, die verlangt außerdem zu hohe Mieten und kümmert sich sowieso nicht um das Gebäude. Dann benimmt sie sich wie die Müllabfuhr, die kommt auch nicht mehr hier her. Man müsste sie bezahlen, aber das empfinden die Hausbewohner als ungebührlich. Am Alexanderplatz fragt mich eine Frau, ob ich ihrem Sohn helfen könnte, er sei schlecht in der Schule und prügelte sich dauernd mit den anderen aus seiner Klasse. Die Lehrer beschweren sich in einer Tour. Sein Hausaufgabenheft sähe aus, wie ein Kriegstagebuch. Sie würde sich so freuen, wenn ihr Sohn, vielleicht, Gedichte schreiben würde oder Violine spielen. Ich konnte ihr helfen. Der Sohn wurde Violinist, der seine eigenen Gedichte vertonte, hatte viel Erfolg und führte ein Leben in Reichtum, von dem er nichts abgab. Mhm? Ich schwor mir, meine Heiligentaten in Zukunft etwas mehr zu überdenken. Die Menschen mussten doch zu ändern sein.
Die Busfahrer wollen bessere Arbeitsbedingungen und eine Klimaanlage für den Sommer, die Mitarbeiter bei Burger King benötigen unbedingt mal einen Snackautomaten in den Pausenräumen und die Hunde, die irgendwelche Tierquäler vor dem Laden angebunden hatten, habe ich einfach losgemacht. Der eine hat mich gebissen.
„Ich wollte dich doch nur befreien. Renn los. Los. In die Freiheit mit dir. Tolle herum, springe durch Wiesen und Felder, renn die Alleen entlang und suche dich selbst.“ Der Hund sah mich an und ich ging, damit er mich nicht noch einmal beißen konnte.
Warum tat ich das alles? Was wollte ich erreichen? Warum erzählte ich einem Hund in Berlin von Freiheit und Leben? Ich wusste es nicht.
Wenige Stunden später hatte sich die frohe Botschaft durch die ganze Stadt verbreitet. Ich arbeitete hart, um all die Sorgen und Lasten der Bürger aufzunehmen. Ich schrieb Geschichten, die ihren Ärger wiedergaben und in sich die Lösung trugen. Wie ich das tat, bleibt für mich bis heute im Verborgenen. Sicher ist nur, dass die wartende Schlange der Gebeutelten nicht länger Warten wollte. Sie wurden unruhig und mürrisch. Langsam dämmerte mir, warum sich niemand um sie und ihre Probleme kümmern wollte. Sie brüllten sich an und drängelten. Die starken und großen, schubsten die schwachen und kleine beiseite, um schneller zu mir vorzudringen. Vorn angekommen heulten sie mir das ewige Lied vom armen Arbeitslosen vor, der unverschuldet in die Sozialhilfe gefallen ist. Aha. Aber sollte sich darüber nicht eher das Bezirksamt kümmern. Ich meine, ich war hier um die Menschen vor den metaphysischen Leiden zu befreien, die sie sich in ihrem langwierigen Kampf gegen die Realität und die immer enger werdende, bedrückende Zivilisation, zuzogen. Jetzt sollte ich Eingaben an das Amt verfassen, die einen Antrag auf Kohlengeld darstellten.
„Aber der Winter ist doch grad’ vorbei.“, entgegnete ich. „Schreib, sonst knallt dit.“
So waren die Menschen also. Das Heft war voll und mit dem letzten Platz in ihm, verschwand auch meine Begabung, die Leiden und Ängste der Menschen zu erkennen und sie zu heilen. Ich fand es war gut so. Die aufgebrachte Menge fand das nicht.
„Ick dachte, hier jibt dit wat umsonst. Bin extra aus n 14 Stock runterjekomm’ um jetz zu sehen, hier is jar nischt los. Schöne Scheiße.“
Um auf Nummer Sicher zu gehen, kaufte ich sämtliche Uniball-Pen’s und Herlitz-Schulhefte der Stadt auf. Ich wollte schlimmeres vermeiden. Heute hatte ich erfahren, dass das einzige auf der Welt, vor dem man wirklich Angst haben sollte, die Masse ist. Sie ist ein Teig, den man schon zu lange ziehen lässt. Welcher Bäcker wird ihn kneten, welcher Ofen ihm Farbe geben? Ich habe keine Ahnung.
Mit wundgeschriebenen Fingern und einem Raum voll von Heften und Uniball-Pen’s, sitze ich am Abend vor dem Fernseher. Ein Schriftsteller spricht über das Schreiben. Schreiben sei, wie alle Kunst übrigens, ein Handwerk. Ich wünschte, das wäre es auch für mich.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. ich habe mich über deine geschichte sehr amüsiert.
ick kieke grade die jreifswalder ruff und runter und seh keen schreibwarenjeschäft. uff welche ecke is et denn? ick wohne üprinx in de duncker.
ganz lieb grüßt
 

Kabelkolb

Mitglied
hallo flammarion, das gescgäft ist der McPaper an der Didi-Bonheoffer-Str. Ich wohne gleich in der Nähe und gehe immer dahin, wenn ich was brauche.

Ich habe den Laden natürlich nicht beklaut... das habe ich dann noch etwas dramatisiert, da ich nicht als so doof dastehen wollte, weil ich doch den Uni-Ball-Prbierr-Pen hatte... :)

Danke fürn Kommentar, ist irgendwie schön, wenn mal jemand anderes die Texte liest, als man selbst...
 



 
Oben Unten