Die Alb im Nebel

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Walther

Mitglied
Die Alb im Nebel


Er sah die frühen Nebel talseits hängen
Im Frühjahrsgrün des Hangs der nahen Alb.
Es wandte sich sein Blick, er ahnte halb,
Und dennoch wollte er es fast verdrängen:

Die Jugend ist vergangen: Er wird alt.
Da wollte düster sich das Tal verengen,
Als müsste sich das Leben durch es zwängen.
Wo blieben Kraft und Mut, wo war der Halt,

Durch alle Nebel noch ein Ziel zu sehen?
Die Luft war feucht, die Stirne glänzte kalt.
Er war dabei, sich ängstlich umzudrehen:

Zurück, die ganzen Wege nochmals gehen?
Es blinkte, rechts, ein Lichtstrahl oberhalb
Des Albtraufs. Er schien lächelnd zu verstehen.
 
Lieber Walther,

dieses Gedicht drückt Trauer aus. Die Jugend ist vorüber, der Herbst des Lebens ist da: Nebel, Kälte. Mut und Kraft schwinden.Gibt es noch ein Ziel, das erreichbar ist?

Da wollte düster sich das Tal verengen,
Als müsste sich das Leben durch es zwängen.
Diesen Satz habe ich etliche Male gelesen, weil es eine sehr beeindruckende Aussage ist.

Es blinkte, rechts, ein Lichtstrahl oberhalb
Des Albtraufs. Er schien lächelnd zu verstehen.
Was für ein tröstlicher Schluss - jedenfalls für einen Augenblick.

Lieben Gruß,
Estrella
 

Rhea_Gift

Mitglied
Ich nehm den Lichstrahl nicht ganz soo tröstlich wahr - aber eben als unvermeidlich (ich muss halt bei Zeitgedichten und Licht aufblinken automatisch ans Licht am Ende der Reise denken ;)) - und zumindest tröstlich, dass das Ende friedliche Ruhe verspricht all diesen Gedanken... es gibt kein Zurück (das wäre der wahre Alb), aber ein unvermeidliches und vielleicht ja auch ganz friedliches Ankommen irgendwo - irgendwann... hinter dem Alb... so seh ich das zumindest. Aber Walther - hier denkt man auch an den Alb, den sich der Autor durch solche Gedanken selbst macht, den dann der Morgen verdrängt - dann tröstlich - aber Alter als Alb?? Das hoff ich doch nicht... ;) Aber kann es durchaus auch sein bestimmt - dennoch, ich hoffe das Beste...

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Estrella,

danke für Deine Besprechung des Texts. Eigentlich ist das eine Naturbeschreibung, in der sich das Innen des LyrIchs reflektiert. Der Bezug ist auch für den Menschen, der meint, der Herr der Welt zu sein, immer direkt. Alles Außen wirkt auf das Innen.

Die Natur kann heilend wirken, sie bringt das Heil aber nicht. Daher mußte der Schluß folgerichtig im Unverbindlichen bleiben, ohne die Hoffnung selbst auszuschließen.

LG W.

Lb. Rhea_Gift,

das Gedicht bezieht sich auf die Schwäbische Alb. Es greift ein tatsächliches Naturereignis auf. Es wird allerdings billigend in Kauf genommen, daß der Alp (Neuschreib: Alb) ein Teekesselchen mit eben derselben eingeht (also eine Doppelbedeutung hat, wobei beide Wörter unterschiedliche Geschlechter und Herkommen haben).

In der Tat werden im Gedicht "romantische" Wortbilder aufgegriffen, aber zugleich gegen den Strich gebürstet. Das ist bei Naturgedichten, die ich schreibe, fast immer so, Haikus bilden da eine Ausnahme.

Danke und lieber Gruß W.

Lb. Marie-Luise,

in der Tat ist sicherlich wohl für das ganze Nachfühlen dieses Gedichts ein gewisses Lebensalter nötig. Nun bin ich selbst nicht mehr der Jüngste, und daher kommen einem solche Gedanken schon, vor allem, wenn man sich dessen bewußt ist, daß die Strecke, die vor einem liegt, sicherlich kürzer ist als die, die man bereits hinter sich gebracht hat.

Danke für Deine lieben Worte.

LG W.
 
H

Heidrun D.

Gast
Ein Sonett, das mir aus der Seele und noch mehr aus dem Verstand spricht, lieber Walther (den ganzen Mist noch mal von vorn erleben? Nee!). :D

Ein winziges Mäkeln bleibt dir nicht erspart:
Des Albtraufs. [strike]Er[/strike] Der schien lächelnd zu verstehen ...
Hier würde ich das dingbezogene "der" wählen, weil m E. sonst automatisch ein direkter Bezug zum Protagonisten hergestellt wird.

Dir einen lieben Gruß
Heidrun
 

Walther

Mitglied
Lb. Heidrun,

vielen Dank für die lobende Erwähnung. In der Tat kann der letzte Vers zwei Bedeutungen haben. Diese möchte ich gerne so belassen.

Dein Hinweis hat also den "wunden" Punkt erwischt. :) Allerdings hatte ich die böse Absicht, die Du zurecht vermutest hast.

LG W.
 
M

Marlene M.

Gast
ein doppelsinniges Sonett mit zweiter Ebene..ein Resumee, das ein müder Protagonist zieht.
Nicht unbedingt traurig für mich im Rückblick, eher traurig, dass sich die "Täler verengen" durch das Alter, die Kraft schwindet- die Streck sich verkürzt.
Eine Anspielung mit dem Lichtstrahl auf den viel verbreiteten
Winsch "ewig zu leben".
Wer will das schon wirklich- diese Frage stellt das Werk auch.
Ich sehe daher den Lichtstrahl eher als das ominöse Licht des Todes, von dem man so oft hört.
Wie auch immer, Variationen der Interpretation sind möglich-
wirklich gutes Werk.
LG von Marlene
 

Lena Luna

Mitglied
lieber Walther,
für mich strahlt das Gedicht eine Ruhe aus, des Betrachtens der Natur und des eigenen Lebens, im Rückblick wie in der Vorausschau. Den Ausdruck Alptrauf kannte ich noch gar nicht, musste erst mal googeln :).
Bei dem Bild :
[blue]Da wollte düster sich das Tal verengen,
Als müsste sich das Leben durch es zwängen[/blue]
will mir auch hier ein Abschiednehmen, ein kleiner und enger werden des Raumes ( der Möglichkeiten) aber auch eine Methapher für die Geburt einfallen ...
gern gelesen...
liebe Grüße
Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

solche klaren Texte liebe ich. Da wird ohne Umschweife ausgesagt, worum es geht. Ich würde auch nicht noch einmal den Weg gehen wollen. Und wenn von oben schon das Lichttor winkt, das wir eines Tages durchschreiten werden, dann ist auch das Alter wieder mit Freude erfüllt, denn von dort kommen immer wieder kleine Lichtzeichen, welche das Herz erfreuen und beleben auf eine andere und neue Art eben, als das in der Jugend der Fall war.

Ein sehr schönes Sonett, finde ich.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Rhea_Gift

Mitglied
Lieber Walther,

DIE Alb ist mir durchaus aufgefallen (lach), DER Alb ist ja nur ne Assoziation, die von Geschlechtern sich nicht abhalten lässt - mir jedenfalls drängt sie sich trotzdem auf - und ja nicht unberechtigt, bedenkt man die schweißperlende Angst des LyrI ;)

Ein Gedicht gewinnt ja nur durch Möglichkeit eines erhöhten Assoziationsraum dazu, oder? ;)

LG, Rhea

PS: Ich habe ER in der letzten Z aufs LyrI bezogen - finds passend - würds daher nicht ändern... und beide Bezüge ermöglichend belassen.
 

Walther

Mitglied
Hallo Heidrun,

danke für Dein Verständnis!

LG W.


Lb. Marlene,

herzlichen für Deinen nachdenklichen und wichtigen Eintrag. Du hast einige Aspekte angebracht, die sehr bedenkenswert sind. Vielen Dank auch für Deine positive Einschätzung meines Gedichts.

LG W.

Lb. Lena Luna,

der Albtrauf ist die Bruchkante, an der die Schwäbische Alb durch die Alpentektonik abbrach und angehoben wurde. An dieser Bruchkante zeigen sich Felsen im Wald. Die Hänge sind sehr steil. Entlang dieser Bruchkante haben sich Vulkankegel gebildet, die häufig durch Burgruinen bekannt sind.

die Natur hat etwas "Beruhigendes", wenn man sich einfach als ein Teil von ihr begreift. Damit relativiert sich viel an übertriebenen Befindlichkeiten. Die Ruhe wirkt als Vertrauen zurück, als Aufgehobensein.

Es gibt nicht wenige, die das ganze Dasein als einen ewigen Durchgang begreifen. Da liegt dann auch der Gedanken der (Wieder-)Geburt nahe.

Danke für Deine Hinweise und Gedanken.

LG W.

Lb. Vera-Lena,

Dein Eintrag zeigt, wie sehr Du diese Fragenstellungen selbst durchdrungen hast. Viele Deine Beiträge geben davon in sehr beeindruckender Weise Kunde. Dein lobenden Worte machen mich daher umso mehr verlegen.

Vielen lieben Dank. Deine Überlegungen sind wesentlich für das Verständnis meines Texts.

LG W.

Lb. Rhea_Gift,

das Teekesselchen ist erst durch den Neuschreib entstanden. Früher hieß der Alb Alp. :)

Die Doppelbödigkeit mancher Formulierung in Gedichten schafft Interpretationsräume, die diese meist interessanter machen, als sie ohne diese wären.

Danke und Gruß W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Ja, ist erst neu entstanden - da ich es aber auch jetzt, bei nunmal Existenz desselben, gelesen habe - ist es nunmal da, das Teekesselchen - und pfeift fröhlich sein Lied... ;)

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

danke für Deinen Eintrag. Diese Variante habe ich durchgespielt. Wenn Du die Wortstellung betrachtest, verstehst Du sicherlich, warum ich dann doch diese Variante nicht gewählt habe.

Daneben bitte ich Dich darum, die beiden Variante genau zu anzusehen, wenn Du sie nebeneinander stellst. Mir ist dabei aufgefallen, daß die jetzt gewählte durchaus auch vom Sinn her eine etwas andere Qaulität hat und auch dem Gedankenfluß, wenn man nicht schreibt und liest, sondern den Text frei spricht, ziemlich nahekommt.

Wie gesagt: Das ist wirklich Geschmacksache. Und ich darf Dir versichern, daß ich durchaus einige Zeit gebraucht habe, bis ich die jetzt stehende Variante schließlich schweren Herzens genommen habe. Deine Argumente sind also sehr nachvollziehbar.

LG W.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Man kann das Ende auch so lesen:
Ein Auto nähert sich blinkend.
Er (die Person) versteht, weil sie etwas sieht, was das Rätsel löst.
(Er sieht den Tod auf sich zukommen.)
 

Walther

Mitglied
Hallo Bernd,

in der Tat kann man das. Du liegst hier auf einer Ebene wie Marlene. Die Doppeldeutigkeit des Bildes ist gewollt.

Danke und lieber Gruß W.
 



 
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