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SiraB

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Vor etwa einem Monat hatte ich auf einen freundschaftlichen Rat hin entschieden, mich in mein Schicksal einzumischen und nicht mehr tatenlos auf den Zufall zu warten:
Nach einer gescheiterten Ehe mit einem untreuen, egomanischem und sich ständig selbst überschätzenden Mann, hatte sich das Glück in Sachen Liebe gänzlich von mir verabschiedet. Fünf Jahre waren seit meiner Scheidung dahingeflossen und wieder mal munkelte man in meinem Bekanntenkreis, mein Ex habe eine neue Flamme. Auch wenn ich meinen Ex für nichts auf der Welt zurückhaben will, kann ich nicht verhehlen, dass mich die regelmäßig aufwallenden Gerüchte über seine attraktiven Begleiterinnen, immer wieder schmerzhaft treffen. Denn während er in steter Folge mit neuen Eroberungen brilliert, hat in diesen fünf Jahren auf mich kein einziger Mann ein Auge geworfen, geschweige denn sich in mich verliebt.
Vielleicht liegt es an meinen übersteigerten Ansprüchen, vielleicht an meinen 46 Jahren, denen ich die Knitterfältchen um Mund und Augen und die Fettpölsterchen an Bauch und Hüften zu verdanken habe. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich als ehrgeizige Dozentin für Literaturwissenschaften meine Zeit vorwiegend mit Büchern, Zeitschriften und dem Computer verbringe, um mein stattliches Pensum an Vorlesungen, Seminaren, Vorträgen und Publikationen abzuarbeiten.
Als mir also Anfang letzten Monats wieder mal die neuesten Gerüchte hinsichtlich meines Exs zu Ohren kamen, suchte ich, wie immer in solchen Situationen, meine Freundin Renate auf. Sie ist, was Trost und gute Ratschläge anbelangte, eine meiner zuverlässigsten Vertrauten. Doch an jenem Abend war auch Renate ratlos. Nach zwei Flaschen Prosecco, einer Schachtel Zigaretten und meinem selbstmitleidigem Gejammer resignierte sie in ungewohnter Weise und speiste mich mit der Empfehlung ab, es einmal mit einer Annonce oder Agentur zu versuchen. Ich war entsetzt. „Schwervermittelbar“ schoss es durch meine Gehirnsynapsen. War es nun schon so weit, dass Amors Pfeil mich nicht mehr auf natürlichem Wege, sondern nur noch mit Hilfe von Fachpersonal treffen könnte? Derartige Interventionen in Liebesdingen hatten für mich von jeher etwas Unsolides, etwas Schmieriges. Ich war sicher, dort träfen sich nur die Gestrandeten, die die keine Freunde mehr hatten, Sonderlinge, Außenseiter und natürlich haufenweise Heiratsschwindler. Keine Frage Renates Vorschlag kränkte mich zutiefst und so gingen wir an diesem Abend einigermaßen verstimmt auseinander.
Doch umso mehr ich mich über Renates Worte ärgerte, umso mehr nisteten sie sich in meinem Kopf ein. Ohne mein Zutun arbeiteten meine Gedanken unablässig an dem Problem, bis ich allmählich begann Renates Rat auch positive Seiten abzugewinnen.
Warum eigentlich nicht, dachte ich schließlich zwei Tage später und beschloss, die Sache sei einen Versuch wert. Schließlich gab es wenig zu verlieren, möglicherweise aber einiges zu gewinnen.
Ich entkorkte eine Flasche Bordeaux, schenkte mir ein Gläschen ein und hockte mich vor den PC. Dann begann meine hoffungsvolle Suche in den Rubriken „Er sucht Sie.“
Schnell setzte Ernüchterung ein, denn ich fand, dass sich die Anzeigen doch auf eigentümliche Weise glichen. Allerdings muss man zugeben, dass es vermutlich eines ausgefallenen sprachlichen Talentes Bedarf, sich in diesen knappen Zwei- bis Vierzeilern auf originelle Art zu präsentieren. Verzweifelt appellierte ich an meine Phantasie, um hinter einer dieser minimalistischen Charakter-Präsentationen meinen Traumprinzen erahnen zu können. Nichts. Ich hätte nun den Computer ausschalten und die Sache beenden können, stattdessen wählte ich ganz willkürlich folgenden Kandidaten: Selbständig, Mitte vierzig, 1,83 m groß, gebildet und vielseitig interessiert ist auf der Suche nach einer treuen, unabhängigen und intellektuellen Frau. Wer auch immer sich hinter dieser Durchschnittsbiographie verbarg, es gab nur einen Weg das herauszufinden.
Ich druckte die Anzeige aus, legte sie neben den Computer und begann beherzt zu tippen. Einen handgeschriebenen Brief zog ich gar nicht erst in Betracht, da meine schon immer unansehnliche Schrift durch die ewige Computertipperei mit den Jahren geradezu verstümmelt war und nur noch für kleinere an mich selbst gerichtete Notizen taugte. Wichtiger war meines Erachtens sowieso der Stil.
Ich schrieb, verwarf, löschte, schrieb, löschte und war irgendwann mit dem Ergebnis zufrieden. Ich schob den Brief in ein Kuvert, schrieb die Chiffrenummer drauf und steckte das Kuvert in ein Zweites mit der Adresse der Zeitung.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte brachte ich den Brief zum Briefkasten und die Sache damit unwiederbringlich ans Laufen.
Schon an einem der folgenden Vormittage erhielt ich eine Antwort, die Stil hatte. Das musste man dem Durchschnittskandidaten lassen, sprachlich gesehen, war sein nicht allzu langer Brief Balsam für meine Literaturverwöhnte Seele. Die präzisen Formulierungen, die phantasievolle Wortwahl, sie waren das blanke Gegenteil der stets schnoddrigen, mit aufgesetzt jugendlichem Unterton verfassten Kurzbriefe meines Ex. Dieser Mann hatte eindeutig Qualitäten, auf die ich während meiner Ehe verzichten musste. Zum Glück machte er auch direkt einen Vorschlag für ein Treffen, das kürzte die Sache angenehm ab und ließ keine unnötigen Missverständnisse gären: „Zeit der Kirschen“ Samstagabend? Ich googelte das vorgeschlagene Restaurant und stimmte zu. Es war ein einfaches Lokal, nicht zu groß nicht zu klein mit guter Küche, guten Weinen und einer schlichten, geschmackvollen Ausstattung. Mein Ex hätte in so einer Situation ganz sicher dick aufgetragen und eines seiner überteuerten Schicki-Micki Restaurants vorgeschlagen. Mir war die bescheidene Variante sehr willkommen. Mein Auserwählter wurde mir sympathisch.
Am entscheidenden Abend kleidete ich mich zurückhaltend aber elegant und schminkte mich dezent. Nichts sollte aufgesetzt und übertrieben wirken.
Erkennungszeichen war eine weiße Tulpe, die er bei sich tragen wollte. Tulpen sind meine Lieblingsblumen, was er natürlich nicht wissen konnte. Seelenverwandtschaft also. Mittlerweile wurde ich ein wenig stolz auf meine Intuition.
Wie immer war ich zu früh. Ich wartete nervös und vor Kälte trippelnd vor der „Zeit der Kirschen“ und ärgerte mich über meine krankhafte Überpünktlichkeit. Dann sah ich ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommen. Die weiße Tulpe baumelte in seiner Linken, mit der Rechten streifte er seine üppige Haartolle aus der Stirn. Mir stockte das Blut. Er blieb stehen und schaute zum Restaurant hinüber. Zuerst schien es als sehe er mich gar nicht, dann trafen sich unsere Blicke. Ich war auf alles gefasst gewesen nur nicht darauf: der Auserwählte war mein Ex.
 



 
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