Die Art, wie sie Schokolade aufreißt

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Anna Osowski

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Sie sitzt mir gegenüber, ein weiteres Mal gelingt es mir nicht, meinen Blick vor ihrem Abgrund zu verschließen. Es ist die Art, wie sie Schokolade aufreißt... Es ist eine Mischung aus Gier und Hast. Und Oberflächlichkeit. Und dann auch wieder Abscheu. Und Langeweile. Und dann wieder: Gier. Es ist abstoßend. Ich mag sie dabei nicht anschauen. Wie ein Raubtier, das rücksichtslos einen unschuldigen Hasen reißt, ihm genüsslich und wie selbstverständlich das Blut aus den Wunden kaut, ihm dann ohne Bedenken ein Bein abbeißt. Nach einer schmatzenden Pause wischt es sich das Blut von den Lefzen und starrt mit leerem Blick auf die toten Reste. Es ist die Art, wie sie die Schokolade nicht einmal anschaut, bevor sie sie auspackt. Wie sie das Papier achtlos beiseite schiebt. Schon das Geräusch der Folie beschert mir eine Gänsehaut. Wie kann es sich bei ihr nur so grausam anhören. Es ist die Art dann auch, wie sie sich ruppig und ehrgeizig ein Stück von der Tafel abbricht. Ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen, schiebt sie es lässig in den hässlichen Mund. Wie ein Wurm, nur ihre Mundöffnung ist beängstigend größer. Ekel packt mich, wenn ich das mit ansehen muss. Es ist das Geräusch, wenn ihre giftigen Zähne das fremde Süß zermalmen. Mechanisch wie ein Panzer. Kein Schmatzen, nein, ein kaum wahrnehmbares Schlickern. Wenn man die Ohren spitzt, ich bin sicher, wird man ein kleines Grunzen ausmachen können. Oder ein teuflisches Hecheln. Es ist die Farbe, die ihre Haut annimmt, wenn ihr der Zucker ins Blut schießt. Wenn sie dann lächelt und der Mund sich verzieht, eben noch Killerinstrument, nun bemüht um Freundlichkeit. Ich kann es nicht glauben, es ist die Art, wie ihre Augen dabei trüb bleiben und grau. Ganz dahinten irgendwo. Da steht sie. Oder kauert sie. Vielleicht weint sie, ich kann sie nicht sehen. Wir... Ach, wir waren uns doch einmal so nah...


Die Urfassung habe ich weiter unten in einer Antwort nochmals eingestellt.
 
Hallo Anna Osowski,

schöne Szene, die den Ekel sehr anschaulich zeigt und aus so etwas Alltäglichem wie Schokoladeessen einen Akt der Barbarei macht. Ich bin mir nicht sicher, aber du hältst den Ich-Erzähler sehr stark raus.
Erst so im fünften Satz kommt er:
"Ich mag sie dabei nicht anschauen." Dann wieder einige Sätze später:
„Ekel packt mich, wenn ich das mit ansehen muss.“

Plötzlich ist ein Gegenüber da. Dann fällt das Gegenüber wieder raus, um erst am Ende wieder aufzutauchen:
Ich kann es nicht glauben, es ist die Art, wie ihre Augen dabei trüb bleiben und grau.“

An sich finde ich es richtig und schlüssig, dass überhaupt eine zweite Person auftaucht, diejenige, die das Schokoladenessen beschreibt und daraus dann doch den sehr umfänglichen Schluss zieht:
„Wir... Ach, wir waren uns doch einmal so nah...“

Ich habe also gegen das Ich als schildernde Person nichts einzuwenden, nur sollte überlegt werden, ob du dieses Ich genau so einsetzen willst. Ich würde noch einmal ein bisschen testen, wann es auftauchen soll oder wann eben nicht.

Ich würde die Zeilen nicht brechen – bei mir sieht es aus, als wären sie gebrochen.
Ansonsten ein höchst origineller Versuch, der mir stellenweise großartig gefiel, hier und da vielleicht noch in der Wortwahl - nicht im Rhythmus - präziser werden könnte. So klingt der Satz „Eine atonale Symphonie des Grauens“ vielleicht zu überzogen und wäre allenfalls satirisch hinnehmbar. Aber satirisch ist dein Text nicht und will er wohl auch nicht sein.

Natürlich auch gut komponiert, wenn es sich ostentativ wiederholt: Es ist die Art, wie...


Liebe Grüße
Monfou

PS: Ich schiebe den Text in die Kurzprosa, laut Definition ist er da hervorragend aufgehoben.
 

Anna Osowski

Mitglied
Hallo Monfou Nouveau.

Vielen Dank zunächst für den ausführlichen Kommentar.
Dieser Text ist ein Phänomen. Er ist schon etwas bejahrt und ich habe ihn seitdem mehrfach bearbeitet, habe aber schließlich immer wieder die Urfassung hervorgekramt. Deshalb bin ich auch froh über jeden konstruktiven Hinweis.

Was den Ich-Erzähler betrifft, so war mir seine streckenweise Abwesenheit nicht bewusst. Nach einigem Grübeln und Herumfeilen, welches immer wieder den Rhythmus zerstörte, bin ich Deiner Anregung gefolgt und habe schlicht den Ich-Erzähler gleich zu Anfang in die Szene gestellt. Ich glaube, das gibt der Konstruktion mehr Halt und der schildernden Person die nötige Präsenz. In dem Zusammenhang ist übrigens der Schlussatz fast als Pointe zu verstehen.

Ebenso habe ich die Zeilen „frei fließen“ lassen und zwei Stellen überarbeitet. Besser. J

Lieben Gruß
Anna
 
Liebe Anna Osowski,

ich möchte dich nicht durcheinander bringen, aber ich fand den ursprünglichen Anfang besser. "Ich" hin oder her. Lass dich nicht irritieren, du musst allein deinem Sprachgefühl vertrauen. Aber ich kenne das, man "verbessert" einen Text und dadurch kann der Text stellenweise verlieren. Manchmal geht man mit dem Korrigieren zu weit und muss wieder das eine oder andere zurücknehmen. Wie auch immer.

Ich lasse so Texte dann immer liegen und wende mich anderen Dingen oder Texten zu. Aus zeitlichen Abstand kann man dann aus den Alternativen wählen.

Wäre schön, wenn noch jemand was dazu sagen könnte und wenn du die Originalfassung hier irgendwo in einer Antwort noch einmal posten könntest, so dass man eine Vergleichsmöglichkeit hat.

Beste Grüße

Monfou
 
da ich nicht weiß, wie diese szene vorher war, kann ich nur sagen, ich finde nun das gleichgewicht zwischen dem ich und dem du ausgewogen, wobei du ganz klar die essende ins rampenlich stellst und als erzähler im hintergrund bleibst.

eine kleinigkeit fand ich noch zu viel:

[blue]Ekel packt mich, wenn ich das mit ansehen muss. [/blue]
der satz, sofern er da überhaupt eine daseinsberechtigung braucht, sollte nach "mich" enden. der rest ist eigentlich überflüssig.
 

Anna Osowski

Mitglied
Recht hast Du. Was das Herumkorrigieren und auch das Durcheinanderbringen betrifft. ;) Dabei fand ich nun die frühe Platzierung des "ich" durchaus stimmig?! Ich lege es noch einmal beiseite... anders als bei einer grafischen Darstellung von etwas hilft hier Augenzusammenkneifen nicht weiter... :(

Deine Anregung aufgreifend stelle ich noch einmal die Urfassung her, allerdings mit entfernten Umbrüchen; vielleicht findet sich ja noch ein weiteres Feedback.

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Es ist die Art, wie sie Schokolade aufreißt... Es ist eine Mischung aus Gier und Hast. Und Oberflächlichkeit. Und dann auch wieder Abscheu. Und Langeweile. Und dann wieder: Gier. Es ist abstoßend. Ich mag sie dabei nicht anschauen. Wie ein Raubtier, das rücksichtslos einen unschuldigen Hasen reißt, ihm genüsslich und wie selbstverständlich das Blut aus den Wunden kaut, ihm dann ohne Bedenken ein Bein abbeißt. Nach einer schmatzenden Pause wischt es sich das Blut von den Lefzen und starrt mit leerem Blick auf die toten Reste. Es ist die Art, wie sie die Schokolade nicht mal anschaut, bevor sie sie auspackt. Wie sie das Papier achtlos beiseite schiebt. Schon das Geräusch der Folie beschert mir eine Gänsehaut. Obwohl ich nicht ahne, wieso es sich bei ihr anders anhören kann als bei anderen. Es ist die Art dann auch, wie sie sich ruppig und ehrgeizig ein Stück von der Tafel abbricht. Ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen, schiebt sie es lässig in den hässlichen Mund. Wie ein Wurm, nur ihre Mundöffnung ist beängstigend größer. Ekel packt mich, wenn ich das mit ansehen muss. Es ist das Geräusch, wenn ihre giftigen Zähne das fremde Süß zermalmen. Mechanisch wie ein Panzer. Kein Schmatzen, nein, ein kaum wahrnehmbares Schlickern. Wenn man die Ohren spitzt, ich bin sicher, wird man ein kleines Grunzen ausmachen können. Eine atonale Symphonie des Grauens. Es ist die Farbe, die ihre Haut annimmt, wenn ihr der Zucker ins Blut schießt. Wenn sie dann lächelt und der Mund sich verzieht, eben noch Killerinstrument, nun bemüht um Freundlichkeit. Ich kann es nicht glauben, es ist die Art, wie ihre Augen dabei trüb bleiben und grau. Ganz dahinten irgendwo. Da steht sie. Oder kauert sie. Vielleicht weint sie, ich kann sie nicht sehen. Wir... Ach, wir waren uns doch einmal so nah...
 
das ich ist stimmung, es hat zwar auch seinen reiz, wenn ich als leser sofort in den anblick geschmissen werde, der vor mir sitzt, aber so ist es besser und der blick in ihren abgrund gefällt mir.

nur der ekelsatz ist zuviel, bzw. der letzte teil. der ekel erreicht einen beim lesen auch so.

stell es doch zusätzlich noch in die werkstatt, vielleicht basteln da andere noch ein wenig dran ;-)
 

Anna Osowski

Mitglied
Liebe Freifrau,
nun hab ich an der genannten Stelle auch sogleich einmal herumgestochert und probiert. Das "ich" sollte mE an der Stelle schon auftauchen und wenn ich den Rest des Satzes heraus nehme, so überflüssig er auch sein mag, stimmt wieder der Rhythmus nicht mehr. Ich denke, ich gönne mir ein dezentes Stück Leysieffer-Ingwer-Schokolade, dann fällt vielleicht das Denken leichter... ;)

Vielen Dank fürs Feedback, ich arbeite dran...
Anna
 

Gandl

Mitglied
Hi Anna Osowski,
beim Lesen deines Textes musste ich an „Die Spitzenklöpplerin“ denken – die Szene, in der sie einen Apfel isst, ganz normal ... eigentlich ... aber der Ton ist brutal krachend, die Einstellung auf den Apfel ist gewaltig ... wie kann eine Frau nur so einen Apfel essen, widerlich ... – alles ist widerlich ...
Du hast deinen Focus auf eine Tafel Schokolade gerichtet, deine Wortwahl ist die Kamera, der Ton. Wenn ich heute Abend zum Whisky meine Schokolade essen werde, und meine Frau kommt rein, dann schaue ich sie an und werde mich fragen, was sie wohl gerade denkt ...
Ich fand den Einstieg in der „Urfassung“ direkter, spannender ... (schön, dass du sie noch mal reingestellt hast!)
Gruß
Gandl
 

anemone

Mitglied
Mensch

Dieses ist die Beschreibung einer Person, die man mal gern hatte und vielleicht noch hat, wenn nicht....?. Bei der nicht gefragt wird, warum sie so wurde.
Dass sie so wurde, ist festzustellen und mehr nicht?
Ich vermisse einige Gedanken darüber, über das Warum
und die Bereitschaft dazu es ändern zu wollen.
 

Anna Osowski

Mitglied
Re: Mensch

Liebe anemone.
Das stimmt:
Bei der nicht gefragt wird, warum sie so wurde.
Das soll auch nur Fragment sein. Beschreibung eines Zustandes, und das was Du vermisst, die "Auflösung", überlasse ich lächelnd und stillschweigend dem Leser. Es lässt viel Raum für Interpretation. Es kann die Geliebte sein, die Exfrau, eine Freundin... Es könnte eine Wendung geben, in der die schönen Seiten hervorgehoben werden, in der die Sichtweise geändert wird. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Es soll nur Fragment sein. Leise anklingen vielleicht noch, dass auch eine Rolle spielt, die tiefen inneren eigenen Abgründe zu umkreisen in der Projektion auf ein Gegenüber. Wie gesagt. Ich habe viel weggelassen und damit Raum lassen wollen für "Deine" Gedanken...

Lieben Gruß
Anna
 

Anna Osowski

Mitglied
Hallo Gandl.
Beim Erwähnen der Spitzenklöpplerin musste ich fast schon geschmeichelt lächeln. Dass Du diese Assoziation hast. Ein sehr schöner stiller Film. In meinen Augen einer der sehr wenigen Filme, die die literarische Vorlage übertreffen.

Was den Einstieg betrifft, so gebe ich Dir recht. In der Urfassung wird der Leser gleich in die Szenerie hinein geschubst, während es in der anderen gemächlicher geschieht. Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, was mir besser gefällt. Da ich ohnehin sehr viel (bewusst) weggelassen habe, würde vermutlich der direkte EInstieg besser passen.

Hoffentlich ist Dir der abendliche Schoko-Whisky-Genuss nun nicht auf immer getrübt... ;)

Vielen Dank fürs Feedback und einen schönen Sonntag
Anna
 

GabiSils

Mitglied
Liebe Anna,

für mich war die Beschriebene die Mutter, ganz spontan; und die Art, Schokolade zu essen, Folge der fortschreitenden Demenz. Interessant, was man alles sehen kann in diesem Fragment!

Nicht ganz passend fand ich "ehrgeizig" - kannst du mir erläutern, wieso du gerade dieses Wort gewählt hast?

Gruß,
Gabi
 

anemone

Mitglied
meine Interprtation des Textes

welcher Grund da auch immer vorliegt; das Problem dabei ist,
dass sie es sich leisten kann, sehr schnell und ohne
Bemühung an diese Ersatzbefriedigung Schokolade zu kommen.
Dass sie damit vermutlich ihren Körper ruiniert (da ihre Seele es schon ist) scheint es ihr egal zu sein.
Von alleine wird sie es nicht ändern können.
Sie braucht unbedingt Hilfe.

lG
 

Anna Osowski

Mitglied
Hallo Gabi.
Das finde ich nun auch wieder spannend, auf Mutter wäre ich nicht gekommen. Aber jetzt wo Du es sagst... ;)

Das Wort "ehrgeizig" ist vielleicht so etwas wie ein kalkulierter Störfaktor an der Stelle. Ich stelle mir vor, wie sie auf der einen Seite ruppig, gleichzeitig aber nicht achtlos, sondern eher ...ehrgeizig dreinschaut. Was in der Tat nicht passt und es auch nicht soll. So als würde sie dabei grad eine Rolle spielen oder etwas anderes denken oder....? Auch wieder Raum für Interpretion. Will nur sagen, dass mir bewusst ist, dass es da nicht hinpasst.

Vielen Dank
Anna
 

Anna Osowski

Mitglied
Re: meine Interprtation des Textes

Hallo anemone.
Eine psychologische Perspektive. Oder eher eine Interpretation ins Pathologische hinein... So gesehen könnte die Schokoladenesserin in der Tat eine Therapie vertragen (wer nicht?). Oder liegt das "Übel" im Auge des Betrachters? Ist es der Icherzähler, der einem ganz alltäglichen Vorgang etwas Ekelhaftes ansieht, weil das den Ekel für die Betrachtete wider spiegelt?

Ich finde es sehr interessant und inspirierend, was hier für Sichtweisen ausgebreitet werden, auf die ich selbst überhaupt nicht gekommen wäre!

Tausend Dank dafür und lieben Sonntagsgruß
Anna
 



 
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