Lord Nelson
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Die Autopilotin??
Ich lehnte mich bequem zurück, sog die Luft ein und genoss den herben Duft ganz neuen Leders. Natürlich war das nicht mein erster Benz, doch dieses Luxusmodell war etwas ganz Besonderes. Als gut verdienender Vielfahrer hatte ich mich unbesehen für die volle Premiumausstattung ohne jeden Abstrich entschieden. Ich drückte auf den Startknopf. Der Wagen erwachte zum Leben. Das verhaltene und doch kraftvolle Bollern des 612-PS-Motors erfreute mein Herz. Im Licht der Scheinwerfer wirbelten gleißend hell erste Schneeflöckchen. Ein überbreites Display summte leise aus einem verborgenen Schlitz oberhalb der Mittelkonsole. Das Programm war bereits aktiv und wartete auf Anweisungen. Meine Naviziele hatte ich zuvor schon eingespielt und die Bedienung auf Spracheingabe umgestellt. “Kronmeier”, befahl ich also. Ich freute mich auf die lange Fahrt zu diesem Kunden. ??
“Bitte schnallen Sie sich an.” Diese Stimme, fast gehaucht und doch warm und melodisch, zog mich sofort in ihren Bann. Gebannt lauschte ich ihrem Klang nach. “Bitte”, wiederholte sie mit Nachdruck “Schnallen Sie sich an”. Die Starre fiel von mir ab. “Aber mit Vergnügen doch”, entgegnete ich galant und folgte ihrer Anweisung.
??Auf der Autobahn übermannte mich die Ungeduld. Obwohl mir die Geschwindigkeitsbegrenzung wohlbekannt war, senkte ich den Fuß aufs Gaspedal. Der Wagen ging ab wie eine Rakete. Die Beschleunigung drückte mich fest ins Leder. Die kraftvolle Musik des auf hohen Touren drehenden Motors berauschte mich geradezu. “Bitte drosseln Sie die Geschwindigkeit auf 80 km/h”, befahl die Stimme da, diesmal durchdringend und sehr, sehr bestimmt. Unwillkürlich linste ich aufs Display. Ich stutzte. Die Anzeige der Straßenkarte war einem Augenpaar gewichen, welches mich streng fixierte. “Ja doch”, murmelte ich irritiert, richtete meinen Blick wieder auf die Autobahn und ging vom Gas. Schnell schaute ich noch einmal aufs Display. Die Augen waren noch da. Nun, da ich mich gefügt hatte, war der strenge Ausdruck von ihnen gewichen. Ich konnte den Blick kaum lösen. Sie waren grün. Überaus anziehend, von faszinierender Lebendigkeit und unergründlicher Tiefe. Als haben sie meinen prüfenden Blick gespürt, verschwanden die Augen. Stattdessen wurde wieder die Strassenkarte angezeigt. ??
Bald hatte ich freie Fahrt, endlich! Begierig drückte ich das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Das konnte ich völlig unbesorgt tun, denn dieser Wagen war absolut sicher. Selbst wenn ich bei voller Fahrt gegen eine Betonwand knallen sollte würde ich - so der Verkäufer - kaum einen Kratzer davontragen. Das Navi unterbrach diese angenehmen Gedanken. “Ein Stau befindet sich fünf Kilometer voraus. Bitte fahren Sie bei der nächsten Ausfahrt ab”, warnte mich die wohlmodulierte Stimme. “Ein Stau”, dachte ich. Das wunderte mich gar nicht, angesichts der unvorhergesehenen Schneefälle. Ich war begeistert. Endlich mal ein System, das einen Stau rechtzeitig voraussagte, noch ehe man von zähem Verkehr behindert wurde und gar nicht mehr ausweichen konnte. ??
Die Schneeschicht war zwar nur dünn, aber stellenweise heimtückisch glatt. Die immer enger werdende Kurve der Ausfahrt brachte mich ein klein wenig in Bedrängnis, was vielleicht auch mit an meiner Geschwindigkeit liegen mochte. Schlingernd bog ich in die Landstraße ein. “Haben Sie getrunken?”, fragte da unvermittelt die Navifee. “Wie jetzt, getrunken?” Sie konnte doch wohl nicht die lächerlichen paar Bierchen meinen. “Ach so. Äh. Ja... schon.” Ich hatte mich durch die unerwartete Frage überrumpeln lassen, und das ärgerte mich. “Was gehts dich an, Bitch”, blaffte ich sie an. ??Sie antwortete ungerührt und gar nicht unfreundlich: “Okay, wir können uns ruhig duzen. Mein Name ist Lena.” “Angenehm, David”, murmelte ich automatisch. Lena ließ nicht locker. “Was hast du getrunken, David?” Ich antwortete nicht. In mir kochte unbeherrschter Zorn hoch. Ich musste klare Verhältnisse schaffen. “Sieh genau her, Lena”, sagte ich also mit gefährlicher Ruhe. Ich löste den Sicherheitsgurt, beugte mich vor und öffnete das Handschuhfach. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen holte ich meinen Designer-Flachmann heraus, der mich auf jeder Fahrt begleitete. Eine Hand am Lenkrad, schraubte ich das Deckelchen ab und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. “Aaaaaaaah”, sagte ich entspannt, “auch einen?” Was konnte sie schon dagegen machen. Sie schwieg. Ich lachte erleichtert auf. Ich muss gestehen, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich befürchtet, in meinem eigenen Auto von einer Kamera beobachtet zu werden. So ein Blödsinn. Natürlich gab es keine Kamera. Die gute Lena hatte ja nicht einmal bemerkt, dass ich mich aus Bequemlichkeit nicht wieder angeschnallt hatte. ??
Wieder ertönte ihre Stimme, weich und aufrichtig bedauernd. “Es tut mir leid, David. Die Analysen von Kameraaufzeichnungen und Raumluft ergaben, dass du hochprozentigen Alkohol getrunken hast. Während der Fahrt! Ich kann leider nicht umhin, dir die Kontrolle über das Fahrzeug zu entziehen.” “Kann leider nicht umhin”, wiederholte ich belustigt. Wer sprach denn heute noch so? Während ich noch den Sinn ihrer Worte zu begreifen versuchte, merkte ich schon die Veränderung. Pedale und Lenkrad bewegten sich auf einmal wie von Geisterhand gesteuert. “Wie?”, sagte ich verwirrt, “was?” “Tja”, sagte Lena. Selbst unter Aufbietung all meiner Kräfte vermochte ich den Wagen keinen Millimeter von der vorprogrammierten Route abzubringen. “Erstaunlich”, sagte ich verdutzt. Vor lauter Staunen kam ich überhaupt nicht dazu, mich zu ärgern. Ich hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass der volle Umfang des Premiumpakets auch eine Fahrautomatik beinhaltete. War das nicht eigentlich super? Mein Schädel summte. “Nimm es nicht schwer”, tröstete mich Lena, “Bei Beginn der nächsten Fahrt hast du die Gelegenheit, deine Fahrtüchtigkeit durch eine Atemluftanalyse nachzuweisen.” “Nein, ist schon gut Lena”, brummte ich matt und lehnte mich gänzlich überwältigt zurück.
??Entspannt beobachtete ich, wie Heerscharen dicker Schneeflocken gegen die Scheibe sausten, wo sie von den gleichmütig hin und her wedelnden Scheibenwischern lautlos beiseite gewischt wurden. Die weiter vorne vom Scheinwerferlicht erfassten Flocken bildeten lange weiße Tunnel, deren Gestrudel einen hypnotisch einzusaugen versuchte. Wir waren schnell. Schnelles Fahren im Schneegestöber erforderte meiner Erfahrung nach äußerste Konzentration, und so genoss ich es direkt, mich bei dieser Witterung chauffieren zu lassen. “Du fährst gut”, zollte ich Lena wohlwollend Respekt. “Für eine Frau”, dachte ich, aber das sagte ich nicht. Plötzlich war ich ganz schön müde. Das alles war zu viel für mich. Ich sollte nicht andauernd trinken, sinnierte ich und beäugte den Flachmann. Ich nahm ihn vom Beifahrersitz und leerte ihn mit einigen kräftigen Zügen. Unbehagen erfasste mich. Ob das etwa gar stimmte, mit dieser angeblichen Atemluftanalyse? Ich spürte Hitze in meinem Kopf aufsteigen, teils dem edlen Birnengeist geschuldet, hauptsächlich aber aus Ärger über diese unerträgliche Vorstellung. Lena musste sich das selbst ausgedacht haben, aus Schikane, weil ich nicht gleich pariert hatte. Ja, das traute ich ihr durchaus zu. Und sie würde es sich nicht nehmen lassen, diesen Test auch knallhart durchzuziehen.??
Vielleicht ließe sie ja mit sich reden. Ich musste es irgendwie schaffen, ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufzubauen. Vertrauen schaffen, das war quasi meine Kernkompetenz. Schließlich lebte ich nicht schlecht davon, dass die Kunden fast blindlings meinen Empfehlungen für Geldanlagen folgten, deren Vermittlung gerade bei den riskanteren Produkten mit fetten Provisionen honoriert wurde. Doch wie um alles in der Welt verwickelte man eine Computerstimme in eine vertrauliche Unterhaltung?
??Ich räusperte mich nervös. “Zeig dich noch einmal, Lena”, wünschte ich, und wieder erschien dieses faszinierende Augenpaar. “Wie geht es dir?”, fragte ich. “Danke, gut”, hauchte sie und fuhr dann mit einem bezaubernd schüchternen Augenaufschlag fort “Wollen wir uns nicht ein wenig unterhalten?” Das lief ja super! “Mhmm,” sagte ich “was möchtest du von mir wissen?” Ich war echt neugierig. Obwohl ich auf alles und nichts gefasst war, überraschten mich ihre Fragen. Wahrheitsgemäß gab ich zur Antwort, dass ich ungebunden und kinderlos sei. Hätte ich diese Fragen bejaht, wer weiß, ob dann nicht alles ganz anders gekommen wäre... ??
Lena begann zu erzählen. Die Illusion war perfekt. Es fühlte sich täuschend echt an, wie ein unverbindlich-intimes Bargespräch mit einer ganz normalen Frau. Fasziniert lauschte ich dem samtigen Klang von Lenas Stimme, dem Wechsel von tieftrauriger Sehnsucht und leiser Melancholie in ihrem Ausdruck. Ich war schon so müde, dass ich ihren Worten nicht mehr folgen konnte. Irgendwann schreckte ich aus einem oberflächlichen Schlaf hoch. Der Wagen war langsamer geworden. Ein intensives Gefühl verdichtete sich noch. “Ich glaube, wir sind gleich da”, fasste ich es halblaut murmelnd in Worte, während mein Blick das dichte Schneegestöber zu durchdringen versuchte. Der Wagen näherte sich einem selbst im Schneetreiben noch deutlich erkennbaren “Vorfahrt achten”-Schild und fuhr im Schrittempo auf die Vorfahrtstraße zu.
??Ich erkannte die Kreuzung auf Anhieb. Seit dem Vorfall damals hatte ich es strikt vermieden, je wieder in die Nähe zu kommen. “Siehst du das Kreuz?”, fragte Lena. Ich nickte langsam. Ich sah es, ebenso wie die frischen Rosen, die im kalten Scheinwerferlicht blutrot unter einer dünnen Schneehaube herausleuchteten. “Hier ist es passiert”, sagte sie, und die tiefe Traurigkeit in ihrer Stimme griff mir ans Herz. Es dauerte ein wenig, bis sie weitersprach. “Er war mit dem Roller unterwegs. Er hatte Vorfahrt. Dann kam dieser betrunkene Idiot viel zu schnell um die Kurve...” Sie stockte. Ihre Augen waren gerötet. “Verstehst du?” Ich nickte noch einmal. Ich verstand. Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen. Es tat mir unendlich leid, aber das machte es nicht ungeschehen.
??Der Motor heulte böse auf. Etwas beschäftigte mich. “Warte noch”, sagte ich. “Was?”, fragte sie. “Es gab gar keinen Stau, stimmts?” “Stimmt”, sagte sie. In ihrer Stimme klang eine neue, schneidende Kälte mit. Das Display begann zu flackern und erlosch in einer eisigen Endgültigkeit, die mein Blut gefrieren ließ. Der Wagen gab ein furchterregendes Brüllen von sich und beschleunigte mit der geballten Kraft seiner 612 PS. Das letzte, was ich sah, war seltsamerweise nicht der graue Beton des Brückenpfeilers, der von ferne immer schneller auf mich zuraste. Nein, es war eine kleine, rot blinkende Schrift am unteren Rand der Armaturen, von der ich den Blick nicht mehr lösen konnte. “Ich sollte mich besser anschnallen”, überlegte ein nüchterner kleiner Rest von mir wie gelähmt vor Panik, während der winzige Schriftzug “Airbag ausser Betrieb” bis zum Aufprall unbarmherzig weiterblinkte.
Ich lehnte mich bequem zurück, sog die Luft ein und genoss den herben Duft ganz neuen Leders. Natürlich war das nicht mein erster Benz, doch dieses Luxusmodell war etwas ganz Besonderes. Als gut verdienender Vielfahrer hatte ich mich unbesehen für die volle Premiumausstattung ohne jeden Abstrich entschieden. Ich drückte auf den Startknopf. Der Wagen erwachte zum Leben. Das verhaltene und doch kraftvolle Bollern des 612-PS-Motors erfreute mein Herz. Im Licht der Scheinwerfer wirbelten gleißend hell erste Schneeflöckchen. Ein überbreites Display summte leise aus einem verborgenen Schlitz oberhalb der Mittelkonsole. Das Programm war bereits aktiv und wartete auf Anweisungen. Meine Naviziele hatte ich zuvor schon eingespielt und die Bedienung auf Spracheingabe umgestellt. “Kronmeier”, befahl ich also. Ich freute mich auf die lange Fahrt zu diesem Kunden. ??
“Bitte schnallen Sie sich an.” Diese Stimme, fast gehaucht und doch warm und melodisch, zog mich sofort in ihren Bann. Gebannt lauschte ich ihrem Klang nach. “Bitte”, wiederholte sie mit Nachdruck “Schnallen Sie sich an”. Die Starre fiel von mir ab. “Aber mit Vergnügen doch”, entgegnete ich galant und folgte ihrer Anweisung.
??Auf der Autobahn übermannte mich die Ungeduld. Obwohl mir die Geschwindigkeitsbegrenzung wohlbekannt war, senkte ich den Fuß aufs Gaspedal. Der Wagen ging ab wie eine Rakete. Die Beschleunigung drückte mich fest ins Leder. Die kraftvolle Musik des auf hohen Touren drehenden Motors berauschte mich geradezu. “Bitte drosseln Sie die Geschwindigkeit auf 80 km/h”, befahl die Stimme da, diesmal durchdringend und sehr, sehr bestimmt. Unwillkürlich linste ich aufs Display. Ich stutzte. Die Anzeige der Straßenkarte war einem Augenpaar gewichen, welches mich streng fixierte. “Ja doch”, murmelte ich irritiert, richtete meinen Blick wieder auf die Autobahn und ging vom Gas. Schnell schaute ich noch einmal aufs Display. Die Augen waren noch da. Nun, da ich mich gefügt hatte, war der strenge Ausdruck von ihnen gewichen. Ich konnte den Blick kaum lösen. Sie waren grün. Überaus anziehend, von faszinierender Lebendigkeit und unergründlicher Tiefe. Als haben sie meinen prüfenden Blick gespürt, verschwanden die Augen. Stattdessen wurde wieder die Strassenkarte angezeigt. ??
Bald hatte ich freie Fahrt, endlich! Begierig drückte ich das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Das konnte ich völlig unbesorgt tun, denn dieser Wagen war absolut sicher. Selbst wenn ich bei voller Fahrt gegen eine Betonwand knallen sollte würde ich - so der Verkäufer - kaum einen Kratzer davontragen. Das Navi unterbrach diese angenehmen Gedanken. “Ein Stau befindet sich fünf Kilometer voraus. Bitte fahren Sie bei der nächsten Ausfahrt ab”, warnte mich die wohlmodulierte Stimme. “Ein Stau”, dachte ich. Das wunderte mich gar nicht, angesichts der unvorhergesehenen Schneefälle. Ich war begeistert. Endlich mal ein System, das einen Stau rechtzeitig voraussagte, noch ehe man von zähem Verkehr behindert wurde und gar nicht mehr ausweichen konnte. ??
Die Schneeschicht war zwar nur dünn, aber stellenweise heimtückisch glatt. Die immer enger werdende Kurve der Ausfahrt brachte mich ein klein wenig in Bedrängnis, was vielleicht auch mit an meiner Geschwindigkeit liegen mochte. Schlingernd bog ich in die Landstraße ein. “Haben Sie getrunken?”, fragte da unvermittelt die Navifee. “Wie jetzt, getrunken?” Sie konnte doch wohl nicht die lächerlichen paar Bierchen meinen. “Ach so. Äh. Ja... schon.” Ich hatte mich durch die unerwartete Frage überrumpeln lassen, und das ärgerte mich. “Was gehts dich an, Bitch”, blaffte ich sie an. ??Sie antwortete ungerührt und gar nicht unfreundlich: “Okay, wir können uns ruhig duzen. Mein Name ist Lena.” “Angenehm, David”, murmelte ich automatisch. Lena ließ nicht locker. “Was hast du getrunken, David?” Ich antwortete nicht. In mir kochte unbeherrschter Zorn hoch. Ich musste klare Verhältnisse schaffen. “Sieh genau her, Lena”, sagte ich also mit gefährlicher Ruhe. Ich löste den Sicherheitsgurt, beugte mich vor und öffnete das Handschuhfach. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen holte ich meinen Designer-Flachmann heraus, der mich auf jeder Fahrt begleitete. Eine Hand am Lenkrad, schraubte ich das Deckelchen ab und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. “Aaaaaaaah”, sagte ich entspannt, “auch einen?” Was konnte sie schon dagegen machen. Sie schwieg. Ich lachte erleichtert auf. Ich muss gestehen, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich befürchtet, in meinem eigenen Auto von einer Kamera beobachtet zu werden. So ein Blödsinn. Natürlich gab es keine Kamera. Die gute Lena hatte ja nicht einmal bemerkt, dass ich mich aus Bequemlichkeit nicht wieder angeschnallt hatte. ??
Wieder ertönte ihre Stimme, weich und aufrichtig bedauernd. “Es tut mir leid, David. Die Analysen von Kameraaufzeichnungen und Raumluft ergaben, dass du hochprozentigen Alkohol getrunken hast. Während der Fahrt! Ich kann leider nicht umhin, dir die Kontrolle über das Fahrzeug zu entziehen.” “Kann leider nicht umhin”, wiederholte ich belustigt. Wer sprach denn heute noch so? Während ich noch den Sinn ihrer Worte zu begreifen versuchte, merkte ich schon die Veränderung. Pedale und Lenkrad bewegten sich auf einmal wie von Geisterhand gesteuert. “Wie?”, sagte ich verwirrt, “was?” “Tja”, sagte Lena. Selbst unter Aufbietung all meiner Kräfte vermochte ich den Wagen keinen Millimeter von der vorprogrammierten Route abzubringen. “Erstaunlich”, sagte ich verdutzt. Vor lauter Staunen kam ich überhaupt nicht dazu, mich zu ärgern. Ich hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass der volle Umfang des Premiumpakets auch eine Fahrautomatik beinhaltete. War das nicht eigentlich super? Mein Schädel summte. “Nimm es nicht schwer”, tröstete mich Lena, “Bei Beginn der nächsten Fahrt hast du die Gelegenheit, deine Fahrtüchtigkeit durch eine Atemluftanalyse nachzuweisen.” “Nein, ist schon gut Lena”, brummte ich matt und lehnte mich gänzlich überwältigt zurück.
??Entspannt beobachtete ich, wie Heerscharen dicker Schneeflocken gegen die Scheibe sausten, wo sie von den gleichmütig hin und her wedelnden Scheibenwischern lautlos beiseite gewischt wurden. Die weiter vorne vom Scheinwerferlicht erfassten Flocken bildeten lange weiße Tunnel, deren Gestrudel einen hypnotisch einzusaugen versuchte. Wir waren schnell. Schnelles Fahren im Schneegestöber erforderte meiner Erfahrung nach äußerste Konzentration, und so genoss ich es direkt, mich bei dieser Witterung chauffieren zu lassen. “Du fährst gut”, zollte ich Lena wohlwollend Respekt. “Für eine Frau”, dachte ich, aber das sagte ich nicht. Plötzlich war ich ganz schön müde. Das alles war zu viel für mich. Ich sollte nicht andauernd trinken, sinnierte ich und beäugte den Flachmann. Ich nahm ihn vom Beifahrersitz und leerte ihn mit einigen kräftigen Zügen. Unbehagen erfasste mich. Ob das etwa gar stimmte, mit dieser angeblichen Atemluftanalyse? Ich spürte Hitze in meinem Kopf aufsteigen, teils dem edlen Birnengeist geschuldet, hauptsächlich aber aus Ärger über diese unerträgliche Vorstellung. Lena musste sich das selbst ausgedacht haben, aus Schikane, weil ich nicht gleich pariert hatte. Ja, das traute ich ihr durchaus zu. Und sie würde es sich nicht nehmen lassen, diesen Test auch knallhart durchzuziehen.??
Vielleicht ließe sie ja mit sich reden. Ich musste es irgendwie schaffen, ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufzubauen. Vertrauen schaffen, das war quasi meine Kernkompetenz. Schließlich lebte ich nicht schlecht davon, dass die Kunden fast blindlings meinen Empfehlungen für Geldanlagen folgten, deren Vermittlung gerade bei den riskanteren Produkten mit fetten Provisionen honoriert wurde. Doch wie um alles in der Welt verwickelte man eine Computerstimme in eine vertrauliche Unterhaltung?
??Ich räusperte mich nervös. “Zeig dich noch einmal, Lena”, wünschte ich, und wieder erschien dieses faszinierende Augenpaar. “Wie geht es dir?”, fragte ich. “Danke, gut”, hauchte sie und fuhr dann mit einem bezaubernd schüchternen Augenaufschlag fort “Wollen wir uns nicht ein wenig unterhalten?” Das lief ja super! “Mhmm,” sagte ich “was möchtest du von mir wissen?” Ich war echt neugierig. Obwohl ich auf alles und nichts gefasst war, überraschten mich ihre Fragen. Wahrheitsgemäß gab ich zur Antwort, dass ich ungebunden und kinderlos sei. Hätte ich diese Fragen bejaht, wer weiß, ob dann nicht alles ganz anders gekommen wäre... ??
Lena begann zu erzählen. Die Illusion war perfekt. Es fühlte sich täuschend echt an, wie ein unverbindlich-intimes Bargespräch mit einer ganz normalen Frau. Fasziniert lauschte ich dem samtigen Klang von Lenas Stimme, dem Wechsel von tieftrauriger Sehnsucht und leiser Melancholie in ihrem Ausdruck. Ich war schon so müde, dass ich ihren Worten nicht mehr folgen konnte. Irgendwann schreckte ich aus einem oberflächlichen Schlaf hoch. Der Wagen war langsamer geworden. Ein intensives Gefühl verdichtete sich noch. “Ich glaube, wir sind gleich da”, fasste ich es halblaut murmelnd in Worte, während mein Blick das dichte Schneegestöber zu durchdringen versuchte. Der Wagen näherte sich einem selbst im Schneetreiben noch deutlich erkennbaren “Vorfahrt achten”-Schild und fuhr im Schrittempo auf die Vorfahrtstraße zu.
??Ich erkannte die Kreuzung auf Anhieb. Seit dem Vorfall damals hatte ich es strikt vermieden, je wieder in die Nähe zu kommen. “Siehst du das Kreuz?”, fragte Lena. Ich nickte langsam. Ich sah es, ebenso wie die frischen Rosen, die im kalten Scheinwerferlicht blutrot unter einer dünnen Schneehaube herausleuchteten. “Hier ist es passiert”, sagte sie, und die tiefe Traurigkeit in ihrer Stimme griff mir ans Herz. Es dauerte ein wenig, bis sie weitersprach. “Er war mit dem Roller unterwegs. Er hatte Vorfahrt. Dann kam dieser betrunkene Idiot viel zu schnell um die Kurve...” Sie stockte. Ihre Augen waren gerötet. “Verstehst du?” Ich nickte noch einmal. Ich verstand. Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen. Es tat mir unendlich leid, aber das machte es nicht ungeschehen.
??Der Motor heulte böse auf. Etwas beschäftigte mich. “Warte noch”, sagte ich. “Was?”, fragte sie. “Es gab gar keinen Stau, stimmts?” “Stimmt”, sagte sie. In ihrer Stimme klang eine neue, schneidende Kälte mit. Das Display begann zu flackern und erlosch in einer eisigen Endgültigkeit, die mein Blut gefrieren ließ. Der Wagen gab ein furchterregendes Brüllen von sich und beschleunigte mit der geballten Kraft seiner 612 PS. Das letzte, was ich sah, war seltsamerweise nicht der graue Beton des Brückenpfeilers, der von ferne immer schneller auf mich zuraste. Nein, es war eine kleine, rot blinkende Schrift am unteren Rand der Armaturen, von der ich den Blick nicht mehr lösen konnte. “Ich sollte mich besser anschnallen”, überlegte ein nüchterner kleiner Rest von mir wie gelähmt vor Panik, während der winzige Schriftzug “Airbag ausser Betrieb” bis zum Aufprall unbarmherzig weiterblinkte.