Die Axt

3,60 Stern(e) 5 Bewertungen
Die Axt


Nach dem Mittagessen belud der Vater den Anhänger hinter seinem blauen Lanz- Bulldog mit allerlei Werkzeugen und Gerätschaften: Spaten und Schaufel, Astsäge und Baumschere. Die vererbte, ziemlich verrostete Zweimann- Baumsäge durfte ebenfalls nicht fehlen, denn heute sollte es dem großen alten Apfelbaum an den Kragen, besser gesagt an die Wurzel gehen. Daher durfte er die schwere Axt nicht vergessen, deren besonders langen und massiven Stiel er erst kürzlich aus einem selbst gespalteten Buchenstamm nach seinen Maßen gefertigt hatte. Denn seiner Körpergröße entsprechend - er überragte die meisten Männer des Dorfes um eine Kopflänge - besaßen auch seine Gerätschaften meist Überlänge, wie beispielsweise die Heugabel, seine Schaufel oder eben die Axt, die heute für den heranwachsenden Sohn eine schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Äxte spielten im bäuerlichen Leben immer schon eine besondere Rolle; sie wurden nicht nur dazu gebraucht, Bäume zu fällen und Brennholz zu spalten; auch beim Schlachten der Hühner hatten sie eine entscheidende Funktion. Darüber hinaus verliehen sie, beiläufig in der linken Hand gehalten, einem Gespräch unter Nachbarn einen gewissen Nachdruck. Sogar wenn der Gerichtsvollzieher Einlass verlangte, was in der Nachkriegszeit nicht selten vorkam, konnte die wie ungefähr an die Wand gelehnte Axt den Lauf der Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. Dass sie auch bei der familiären Konfliktbewältigung zum Tragen kam, dürfte eher selten vorgekommen sein. Dennoch schien es bei dem väterlichen Jähzorn, der sich auch auf den Sohn vererbt hatte, nicht ausgeschlossen, dass dieses Werkzeug irgendwann Unheil anrichtete.

Einmal diente des Vaters Axt sogar der Abwehr höchster Gefahr; dieses Ereignis prägte sich dem vielleicht Siebzehnjährigen unauslöschlich ein: Damals hatte die Familie ein männliches Kalb nicht wie üblich geschlachtet, sondern aufgezogen, bis es zu einem stattlichen Bullen herangewachsen war. Irgendwann nahte aber der Schlachttag, denn das Fleisch sollte auch "über die Straße" an Interessierte aus dem Dorf verkauft werden und der klammen Haushaltskasse Auftrieb geben. Eine spürbare Nervosität lag über allen Beteiligten, denn ein solch starkes und mit fast zwanzig Zentnern auch ungewöhnlich schweres Tier brachte man nicht jeden Tag zu Fall. Außerdem kursierten seit alters her Gerüchte, dass Bullen im Todeskampf nicht beherrschbare Kräfte entwickeln konnten. So habe ein schwer verletztes Tier einen Bauern aus dem Dorf getötet, als es den Leiterwagen, an den es gekettet war, umwarf und den Unglücklichen unter dieser Last erdrückte.

Daher hatten sich die wenigen Zuschauer auf den Heuspeicher zurückgezogen, von wo man das Geschehen gefahrlos beobachten konnte. Der Metzger, ein überaus kräftiger junger Mann, ging die Sache zunächst locker an, streichelte dem Bullen über die Stirn und setzte dann den Schussapparat an. Der Vater stand daneben und hielt seine große Axt mit beiden Händen fest. Der Knall verhallte, doch das Tier fiel nicht. Wie vom Blitz getroffen stand es regungslos, dann aber ging ein Zittern durch den massigen Leib, der Schwanz stellte sich auf, der riesige Kopf senkte sich und ein böses, donnerndes Röhren entwich seiner Kehle. Diese Sekunde entschied zwischen Leben und Tod! Der Metzger schrie geistesgegenwärtig nach der Axt, ergriff den ihm entgegengestreckten Stiel, holte aus und hieb mit aller Gewalt zu. Ein hohles Krachen, ein grässliches Splittern, ein markerschütternder Schrei: die Vorderbeine des mächtigen Tieres knickten wie in Zeitlupe ein, dann kippte der massige Körper langsam zur Seite und fiel schließlich auf den staubigen Betonboden; die Axt steckte noch in der gespaltenen Stirnplatte. Verständlicher Weise blieb für den Heranwachsenden diese Szene für immer mit dem Anblick der Axt verknüpft.

Nun sollte es also dem ausgedienten Baum an sein altes Leben gehen. Dieser störte den Vater schon lange, da er kaum mehr Äpfel trug, aber mit seinem Wurzelwerk und der riesigen Krone ein beträchtliches Stück des kleinen Ackers beanspruchte, der in der Nachkriegszeit für die Versorgung der bäuerlichen Familie wichtig war. Die im Lauf der Jahre zwischen den Beeten gepflanzten Obstbäume versorgten die Familie ab Sommer mit Birnen, aromatischen Pfirsichen, Mirabellen und Zwetschgen, vor allem aber mit frischen Äpfeln vom Sommer bis in den Winter. Doch nun hatte der alte Baum, der Jahrzehnte rotbackige Winteräpfel geliefert hatte, ausgedient; seine Äste waren teilweise verdorrt; in einem der dicksten zeugte ein kreisrundes Loch von einer verlassenen Spechthöhle.

Dass der Vater diese Arbeit auf den Nachmittag legte, hatte einen besonderen Grund: Er wartete auf seinen Sohn, der um diese Zeit mit dem Bus aus der Stadt zurückkommen sollte. Doch der Herr Gymnasiast hatte wieder einmal, vielleicht in Vorahnung der anstehenden Arbeiten, den Bus verpasst und kam erst eine Stunde später nach Hause, wo inzwischen der Vater unruhig im Hof auf und ab ging, dazwischen noch ein vielleicht erforderliches Werkzeug auf den Anhänger lud und gelegentlich die Straße hinab schaute. Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, was der Sohn auf den ersten Blick erkannte, als er recht lustlos eintrudelte. Schließlich war er ja kein Kind mehr und hätte sich gern ab und zu dem eisernen Willen des Hausherrn entzogen, zumal er wusste, wie seine Klassenkameraden ihre Nachmittage in der Stadt verbrachten. In dieser Lage aber dringende Hausaufgaben vorzuschieben wäre ein großer Fehler gewesen, wusste er doch, dass einmal gefasste Vorhaben nicht umgestoßen wurden. Natürlich war der Alte stolz auf den angehenden Abiturienten, der meist gute Noten mitbrachte. Doch wenn geplante Feldarbeiten anstanden, waren diese immer wichtiger als alles andere. Also zog der Junge wortlos seine alten Klamotten an, die in weiser Voraussicht die Mutter bereitgelegt hatte, biss ein paar mal in das ebenfalls vorbereitete große Vesperbrot und setzte sich auf den Sitz des Hängers, während der Vater den Traktor startete und mit Vollgas Richtung Acker fuhr. Die Axt aber lag unauffällig zwischen den anderen Gerätschaften, die auf dem holprigen Feldweg durcheinander geschüttelt wurden.

Inzwischen waren sie auf dem Acker angelangt und luden wortlos die Gerätschaften ab. Der Vater brach die dürren Äste des alten Apfelbaumes mit bloßen Händen herunter, während der Sohn sich mit der Bügelsäge an einem gesunden Ast zu schaffen machte. Bald stand nur noch der Stamm und das Gehölz wurde zum Verbrennen auf einen Haufen geschichtet. Nun schlug der Sohn vor, den Stamm mit Hilfe des Traktors umzuziehen. Dazu sollte man die Zugkette so hoch wie möglich anbringen, um dabei die Hebelwirkung zu nutzen; auf diese Weise könnte man die Wurzel vielleicht ohne Anstrengung aus dem sandigen Boden wuchten. Doch der Vater lehnte diesen Vorschlag sichtlich gereizt ab mit dem Hinweis, er habe in seinem Leben schon zahlreiche Bäume gefällt und wisse, wie vorzugehen sei. Also bestand er darauf, dass zuerst der Stamm abgesägt werden müsse; dann werde man die Wurzel ausgraben. Der Sohn wusste, dass Widerspruch die Stimmung weiter verschlechtert hätte. Natürlich wollte er als Heranwachsender schon mal seine Meinung durchsetzen oder Vorschläge bei der Arbeit unterbreiten, die seiner Ansicht nach Erleichterung gebracht hätten. Doch in der direkten Konfrontation blieb er chancenlos, zumal der körperliche Unterschied zwischen beiden zu groß war. Dabei muss allerdings betont werden, dass der groß gewachsene, überaus kräftige Vater dem eher feingliedrigen, zart besaiteten Sohn gegenüber keine körperliche Gewalt ausübte, von dem einen oder anderen Klaps in der Kindheit abgesehen. Irgendwie schien er begriffen zu haben, dass ein solches Vorgehen das Verhältnis nachhaltig zerstört hätte. Wenn der Junge in seinen Augen zu weit gegangen war, fiel allerdings schon mal eine Woche oder länger kein Wort zwischen beiden.

War der Junge schon deshalb innerlich aufgebracht, weil sein sinnvoller Vorschlag einfach ohne stichhaltige Begründung weggewischt wurde, so steigerte sich sein Zorn während der mühsamen Arbeit mit der alten Zweimannsäge immer mehr, schien ihm diese Plackerei nicht nur äußerst kräftezehrend, sondern auch überflüssig. Warum war es einfach unmöglich, ihn mit Argumenten zu überzeugen? Gerade der bei vielen Vorschlägen erfolgende Verweis auf die Tradition, man habe es eben schon immer so gemacht, hatte sich zu einem Reizwort entwickelt, das in dem jugendlichen Gehirn Kaskaden der Wut und der Auflehnung erzeugte, die aber nicht nach außen gelangen durften; schließlich war der Jähzorn des Vaters unberechenbar. Also biss er die Zähne aufeinander und versuchte beim abwechselnden Ziehen der Säge Schritt zu halten.

Es kam so, wie der Sohn vorausgesehen hatte: nachdem der Stamm abgesägt war, fehlte der Hebelarm und der Traktor konnte die nun angekettete Wurzel nicht bewegen. Daher hieß es die dicken Verzweigungen freizugraben, um sie dann mit der Axt zu kappen. Der Vater schaufelte wie gewohnt mit ganzem Einsatz die Erde nach oben und rief dann nach der Axt, diesem gefährlich scharfen Gegenstand, der in den falschen Händen größtes Unheil anrichten konnte. Wie viele Menschen waren wohl im Lauf der Jahrhunderte mit Streitäxten ums Leben gekommen! Wie häufig waren familiäre Zerwürfnisse mit dieser Waffe in einer Katastrophe geendet! Und nun hielt der junge, oft durch eisernen Willen unterdrückte Mensch ein solches, besonders schweres Exemplar in seinen verschwitzten Händen! Der Vater kniete tief unten im Wurzelwerk und entfernte mit den Händen Reste des Sandes, um ungehindert arbeiten zu können.

Doch der Sohn hielt mit beiden Händen die Mordwaffe, unfähig sich zu regen, entsetzt über den Gedanken, der blitzartig in sein Gehirn schoss, den bloßen Kopf des tief Gebückten in Hiebweite vor sich. Und Szenen der Demütigung und enttäuschter Hoffnung wirbelten in seinem Gehirn, verfinsterten sein Gemüt, legten sich wie dunkle Nacht über seinen Verstand. Und er hielt die Axt mit beiden Händen, starr vor Entsetzen über den Dämon in ihm, der sich gerade zu befreien suchte, um ihn in den größten Frevel zu treiben, der überhaupt vorstellbar ist. In diesem Augenblick blitzte des Bild des zu Tode getroffenen Jungbullen in seiner Vorstellung auf und er hörte das Splittern der Knochen und den Todesschrei des stolzen Tieres. Und der Körper gehorchte ihm nicht, wenn auch das Böse in ihm tobte; die gelähmten Arme vermochten nicht das Werkzeug nach oben zu reißen, hoch in den Himmel, um den vernichtenden Schlag auszuführen. Und die Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit zu weiten, der ewigen Verdammnis ähnlich, die man so gerne in der Kirche beschrieb, als der energisch fordernde Ruf des Vaters ihn in die Realität zurück riss: "Die Axt, wird's bald!" Und er reichte ihm mit zitternden Händen den Axtstiel und hörte, während er sich verstört abwandte, die kräftigen Schläge auf dem splitternden Holz; und er versteckte sich hinter dem Laden des Anhängers und erwartete, dass sich der Boden öffnen und den Frevler verschlingen müsse.
 
Die Axt


Nach dem Mittagessen belud der Vater den Anhänger hinter seinem blauen Lanz- Bulldog mit allerlei Werkzeugen und Gerätschaften: Spaten und Schaufel, Astsäge und Baumschere. Die vererbte, ziemlich verrostete Zweimann- Baumsäge durfte ebenfalls nicht fehlen, denn heute sollte es dem großen alten Apfelbaum an den Kragen, besser gesagt an die Wurzel gehen. Daher durfte er die schwere Axt nicht vergessen, deren besonders langen und massiven Stiel er erst kürzlich aus einem selbst gespalteten Buchenstamm nach seinen Maßen gefertigt hatte. Denn seiner Körpergröße entsprechend - er überragte die meisten Männer des Dorfes um eine Kopflänge - besaßen auch seine Gerätschaften meist Überlänge, wie beispielsweise die Heugabel, seine Schaufel oder eben die Axt, die heute für den heranwachsenden Sohn eine schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Äxte spielten im bäuerlichen Leben immer schon eine besondere Rolle; sie wurden nicht nur dazu gebraucht, Bäume zu fällen und Brennholz zu spalten; auch beim Schlachten der Hühner hatten sie eine entscheidende Funktion. Darüber hinaus verliehen sie, beiläufig in der linken Hand gehalten, einem Gespräch unter Nachbarn einen gewissen Nachdruck. Sogar wenn der Gerichtsvollzieher Einlass verlangte, was in der Nachkriegszeit nicht selten vorkam, konnte die wie ungefähr an die Wand gelehnte Axt den Lauf der Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. Dass sie auch bei der familiären Konfliktbewältigung zum Tragen kam, dürfte eher selten vorgekommen sein. Dennoch schien es bei dem väterlichen Jähzorn, der sich auch auf den Sohn vererbt hatte, nicht ausgeschlossen, dass dieses Werkzeug irgendwann Unheil anrichtete.

Einmal diente des Vaters Axt sogar der Abwehr höchster Gefahr; dieses Ereignis prägte sich dem vielleicht Siebzehnjährigen unauslöschlich ein: Damals hatte die Familie ein männliches Kalb nicht wie üblich geschlachtet, sondern aufgezogen, bis es zu einem stattlichen Bullen herangewachsen war. Irgendwann nahte aber der Schlachttag, denn das Fleisch sollte auch "über die Straße" an Interessierte aus dem Dorf verkauft werden und der klammen Haushaltskasse Auftrieb geben. Eine spürbare Nervosität lag über allen Beteiligten, denn ein solch starkes und mit fast zwanzig Zentnern auch ungewöhnlich schweres Tier brachte man nicht jeden Tag zu Fall. Außerdem kursierten seit alters her Gerüchte, dass Bullen im Todeskampf nicht beherrschbare Kräfte entwickeln konnten. So habe ein schwer verletztes Tier einen Bauern aus dem Dorf getötet, als es den Leiterwagen, an den es gekettet war, umwarf und den Unglücklichen unter dieser Last erdrückte.

Daher hatten sich die wenigen Zuschauer auf den Heuspeicher zurückgezogen, von wo man das Geschehen gefahrlos beobachten konnte. Der Metzger, ein überaus kräftiger junger Mann, ging die Sache zunächst locker an, streichelte dem Bullen über die Stirn und setzte dann den Schussapparat an. Der Vater stand daneben und hielt seine große Axt mit beiden Händen fest. Der Knall verhallte, doch das Tier fiel nicht. Wie vom Blitz getroffen stand es regungslos, dann aber ging ein Zittern durch den massigen Leib, der Schwanz stellte sich auf, der riesige Kopf senkte sich und ein böses, donnerndes Röhren entwich seiner Kehle. Diese Sekunde entschied zwischen Leben und Tod! Der Metzger schrie geistesgegenwärtig nach der Axt, ergriff den ihm entgegengestreckten Stiel, holte aus und hieb mit aller Gewalt zu. Ein hohles Krachen, ein grässliches Splittern, ein markerschütternder Schrei: die Vorderbeine des mächtigen Tieres knickten wie in Zeitlupe ein, dann kippte der massige Körper langsam zur Seite und fiel schließlich auf den staubigen Betonboden; die Axt steckte noch in der gespaltenen Stirnplatte. Verständlicher Weise blieb für den Heranwachsenden diese Szene für immer mit dem Anblick der Axt verknüpft.

Nun sollte es also dem ausgedienten Baum an sein altes Leben gehen. Dieser störte den Vater schon lange, da er kaum mehr Äpfel trug, aber mit seinem Wurzelwerk und der riesigen Krone ein beträchtliches Stück des kleinen Ackers beanspruchte, der in der Nachkriegszeit für die Versorgung der bäuerlichen Familie wichtig war. Die im Lauf der Jahre zwischen den Beeten gepflanzten Obstbäume versorgten die Familie ab Sommer mit Birnen, aromatischen Pfirsichen, Mirabellen und Zwetschgen, vor allem aber mit frischen Äpfeln vom Sommer bis in den Winter. Doch nun hatte der alte Baum, der Jahrzehnte rotbackige Winteräpfel geliefert hatte, ausgedient; seine Äste waren teilweise verdorrt; in einem der dicksten zeugte ein kreisrundes Loch von einer verlassenen Spechthöhle.

Dass der Vater diese Arbeit auf den Nachmittag legte, hatte einen besonderen Grund: Er wartete auf seinen Sohn, der um diese Zeit mit dem Bus aus der Stadt zurückkommen sollte. Doch der Herr Gymnasiast hatte wieder einmal, vielleicht in Vorahnung der anstehenden Arbeiten, den Bus verpasst und kam erst eine Stunde später nach Hause, wo inzwischen der Vater unruhig im Hof auf und ab ging, dazwischen noch ein vielleicht erforderliches Werkzeug auf den Anhänger lud und gelegentlich die Straße hinab schaute. Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, was der Sohn auf den ersten Blick erkannte, als er recht lustlos eintrudelte. Schließlich war er ja kein Kind mehr und hätte sich gern ab und zu dem eisernen Willen des Hausherrn entzogen, zumal er wusste, wie seine Klassenkameraden ihre Nachmittage in der Stadt verbrachten. In dieser Lage aber dringende Hausaufgaben vorzuschieben wäre ein großer Fehler gewesen, wusste er doch, dass einmal gefasste Vorhaben nicht umgestoßen wurden. Natürlich war der Alte stolz auf den angehenden Abiturienten, der meist gute Noten mitbrachte. Doch wenn geplante Feldarbeiten anstanden, waren diese immer wichtiger als alles andere. Also zog der Junge wortlos die alten Klamotten an, die seine Mutter in weiser Voraussicht bereitgelegt hatte, biss ein paar mal in das ebenfalls vorbereitete große Vesperbrot und setzte sich auf den Sitz des Hängers, während der Vater den Traktor startete und mit Vollgas Richtung Acker fuhr. Die Axt aber lag unauffällig zwischen den anderen Werkzeugen, die auf dem holprigen Feldweg durcheinander geschüttelt wurden.

Inzwischen waren sie auf dem Acker angelangt und luden wortlos die Gerätschaften ab. Der Vater brach die dürren Äste des alten Apfelbaumes mit bloßen Händen herunter, während der Sohn sich mit der Bügelsäge an einem gesunden Ast zu schaffen machte. Bald stand nur noch der Stamm und das Gehölz wurde zum Verbrennen auf einen Haufen geschichtet. Nun schlug der Sohn vor, den Stamm mit Hilfe des Traktors umzuziehen. Dazu sollte man die Zugkette so hoch wie möglich anbringen, um dabei die Hebelwirkung zu nutzen; auf diese Weise könnte man die Wurzel vielleicht ohne Anstrengung aus dem sandigen Boden wuchten. Doch der Vater lehnte diesen Vorschlag sichtlich gereizt ab mit dem Hinweis, er habe in seinem Leben schon zahlreiche Bäume gefällt und wisse, wie vorzugehen sei. Also bestand er darauf, dass zuerst der Stamm abgesägt werden müsse; dann werde man die Wurzel ausgraben. Der Sohn wusste, dass Widerspruch die Stimmung weiter verschlechtert hätte. Natürlich wollte er als Heranwachsender schon mal seine Meinung durchsetzen oder Vorschläge bei der Arbeit unterbreiten, die seiner Ansicht nach Erleichterung gebracht hätten. Doch in der direkten Konfrontation blieb er chancenlos, zumal der körperliche Unterschied zwischen beiden zu groß war. Dabei muss allerdings betont werden, dass der groß gewachsene, überaus kräftige Vater dem eher feingliedrigen, zart besaiteten Sohn gegenüber keine körperliche Gewalt ausübte, von dem einen oder anderen Klaps in der Kindheit abgesehen. Irgendwie schien er begriffen zu haben, dass ein solches Vorgehen das Verhältnis nachhaltig zerstört hätte. Wenn der Junge in seinen Augen zu weit gegangen war, fiel allerdings schon mal eine Woche oder länger kein Wort zwischen beiden.

War der Sohn schon deshalb innerlich aufgebracht, weil sein sinnvoller Vorschlag einfach ohne stichhaltige Begründung weggewischt wurde, so steigerte sich sein Zorn während der mühsamen Arbeit mit der alten Zweimannsäge immer mehr; denn diese Plackerei schien ihm nicht nur äußerst kräftezehrend, sondern auch überflüssig. Warum war es einfach unmöglich, ihn mit Argumenten zu überzeugen? Gerade der bei vielen Vorschlägen erfolgende Verweis auf die Tradition, man habe es eben schon immer so gemacht, hatte sich zu einem Reizwort entwickelt, das in dem jugendlichen Gehirn Kaskaden der Wut und der Auflehnung erzeugte, die aber nicht nach außen gelangen durften; schließlich war der Jähzorn des Vaters unberechenbar. Also biss er die Zähne aufeinander und versuchte beim abwechselnden Ziehen der Säge Schritt zu halten.

Es kam so, wie der Sohn vorausgesehen hatte: nachdem der Stamm abgesägt war, fehlte der Hebelarm und der Traktor konnte die nun angekettete Wurzel nicht bewegen. Daher hieß es die dicken Verzweigungen freizugraben, um sie dann mit der Axt zu kappen. Der Vater schaufelte wie gewohnt mit ganzem Einsatz die Erde nach oben und rief dann nach der Axt, diesem gefährlich scharfen Gegenstand, der in den falschen Händen größtes Unheil anrichten konnte. Wie viele Menschen waren wohl im Lauf der Jahrhunderte mit Streitäxten ums Leben gekommen! Wie häufig waren familiäre Zerwürfnisse mit dieser Waffe in einer Katastrophe geendet! Und nun hielt der junge, oft durch eisernen Willen unterdrückte Mensch ein solches, besonders schweres Exemplar in seinen verschwitzten Händen! Der Vater kniete tief unten im Wurzelwerk und entfernte die Reste des Sandes aus den Verzweigungen, um ungehindert arbeiten zu können.

Doch der Sohn hielt mit beiden Händen die Mordwaffe, unfähig sich zu regen, entsetzt über den Gedanken, der blitzartig in sein Gehirn schoss, den bloßen Kopf des tief Gebückten in Hiebweite vor sich. Und Szenen der Demütigung und enttäuschter Hoffnung wirbelten in seinem Gehirn, verfinsterten sein Gemüt, legten sich wie dunkle Nacht über seinen Verstand. Und er hielt die Axt mit beiden Händen, starr vor Entsetzen über den Dämon in ihm, der sich gerade zu befreien suchte, um ihn in den größten Frevel zu treiben, der überhaupt vorstellbar ist. In diesem Augenblick blitzte des Bild des zu Tode getroffenen Jungbullen in seiner Vorstellung auf und er hörte das Splittern der Knochen und den Todesschrei des stolzen Tieres. Und der Körper gehorchte ihm nicht, wenn auch das Böse in ihm tobte; die gelähmten Arme vermochten nicht das Werkzeug nach oben zu reißen, hoch in den Himmel, um den vernichtenden Schlag auszuführen. Und die Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit zu weiten, der ewigen Verdammnis ähnlich, die man so gerne in der Kirche beschrieb, als der energisch fordernde Ruf des Vaters ihn in die Realität zurück riss: "Die Axt, wird's bald!" Und er reichte ihm mit zitternden Händen den Axtstiel und hörte, während er sich verstört abwandte, die kräftigen Schläge auf dem splitternden Holz; und er versteckte sich hinter dem Laden des Anhängers und erwartete, dass sich der Boden öffnen und den Frevler verschlingen müsse.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Bertl,

jetzt bin ich endlich dazu gekommen, diesen Text noch einmal in Ruhe zu lesen. Im Kampf um die besten Bewertungen und die für einige Autoren unverzichtbare Pole-Position gehen Geschichten wie Deine oftmals unter.

Ich mag diese bedächtige Erzählweise, die dem Leser eine Alltagssituation verstörend genau vor Augen führt. Es sind Geschichten, die man nicht sofort nach dem Ausloggen vergessen hat, sondern die noch eine ganze Weile nachhallen.

Einen klitzekleinen Kritikpunkt hätte ich aber doch:
Also zog der Junge [blue]wortlos[/blue] die alten Klamotten an
und luden [blue]wortlos[/blue] die Gerätschaften
Du verwendest "wortlos" zweimal kurz hintereinander. Vielleicht kann man einmal durch „schweigend“ ersetzen.
Ansonsten: Gern gelesen.

Schönen Sonntag
Ciconia
 
Die Axt


Nach dem Mittagessen belud der Vater den Anhänger hinter seinem blauen Lanz- Bulldog mit allerlei Werkzeugen und Gerätschaften: Spaten und Schaufel, Astsäge und Baumschere. Die vererbte, ziemlich verrostete Zweimann- Baumsäge durfte ebenfalls nicht fehlen, denn heute sollte es dem großen alten Apfelbaum an den Kragen, besser gesagt an die Wurzel gehen. Daher durfte er die schwere Axt nicht vergessen, deren besonders langen und massiven Stiel er erst kürzlich aus einem selbst gespalteten Buchenstamm nach seinen Maßen gefertigt hatte. Denn seiner Körpergröße entsprechend - er überragte die meisten Männer des Dorfes um eine Kopflänge - besaßen auch seine Gerätschaften meist Überlänge, wie beispielsweise die Heugabel, seine Schaufel oder eben die Axt, die heute für den heranwachsenden Sohn eine schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Äxte spielten im bäuerlichen Leben immer schon eine besondere Rolle; sie wurden nicht nur dazu gebraucht, Bäume zu fällen und Brennholz zu spalten; auch beim Schlachten der Hühner hatten sie eine entscheidende Funktion. Darüber hinaus verliehen sie, beiläufig in der linken Hand gehalten, einem Gespräch unter Nachbarn einen gewissen Nachdruck. Sogar wenn der Gerichtsvollzieher Einlass verlangte, was in der Nachkriegszeit nicht selten vorkam, konnte die wie ungefähr an die Wand gelehnte Axt den Lauf der Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. Dass sie auch bei der familiären Konfliktbewältigung zum Tragen kam, dürfte eher selten vorgekommen sein. Dennoch schien es bei dem väterlichen Jähzorn, der sich auch auf den Sohn vererbt hatte, nicht ausgeschlossen, dass dieses Werkzeug irgendwann Unheil anrichtete.

Einmal diente des Vaters Axt sogar der Abwehr höchster Gefahr; dieses Ereignis prägte sich dem vielleicht Siebzehnjährigen unauslöschlich ein: Damals hatte die Familie ein männliches Kalb nicht wie üblich geschlachtet, sondern aufgezogen, bis es zu einem stattlichen Bullen herangewachsen war. Irgendwann nahte aber der Schlachttag, denn das Fleisch sollte auch "über die Straße" an Interessierte aus dem Dorf verkauft werden und der klammen Haushaltskasse Auftrieb geben. Eine spürbare Nervosität lag über allen Beteiligten, denn ein solch starkes und mit fast zwanzig Zentnern auch ungewöhnlich schweres Tier brachte man nicht jeden Tag zu Fall. Außerdem kursierten seit alters her Gerüchte, dass Bullen im Todeskampf nicht beherrschbare Kräfte entwickeln konnten. So habe ein schwer verletztes Tier einen Bauern aus dem Dorf getötet, als es den Leiterwagen, an den es gekettet war, umwarf und den Unglücklichen unter dieser Last erdrückte.

Daher hatten sich die wenigen Zuschauer auf den Heuspeicher zurückgezogen, von wo man das Geschehen gefahrlos beobachten konnte. Der Metzger, ein überaus kräftiger junger Mann, ging die Sache zunächst locker an, streichelte dem Bullen über die Stirn und setzte dann den Schussapparat an. Der Vater stand daneben und hielt seine große Axt mit beiden Händen fest. Der Knall verhallte, doch das Tier fiel nicht. Wie vom Blitz getroffen stand es regungslos, dann aber ging ein Zittern durch den massigen Leib, der Schwanz stellte sich auf, der riesige Kopf senkte sich und ein böses, donnerndes Röhren entwich seiner Kehle. Diese Sekunde entschied zwischen Leben und Tod! Der Metzger schrie geistesgegenwärtig nach der Axt, ergriff den ihm entgegengestreckten Stiel, holte aus und hieb mit aller Gewalt zu. Ein hohles Krachen, ein grässliches Splittern, ein markerschütternder Schrei: die Vorderbeine des mächtigen Tieres knickten wie in Zeitlupe ein, dann kippte der massige Körper langsam zur Seite und fiel schließlich auf den staubigen Betonboden; die Axt steckte noch in der gespaltenen Stirnplatte. Verständlicher Weise blieb für den Heranwachsenden diese Szene für immer mit dem Anblick der Axt verknüpft.

Nun sollte es also dem ausgedienten Baum an sein altes Leben gehen. Dieser störte den Vater schon lange, da er kaum mehr Äpfel trug, aber mit seinem Wurzelwerk und der riesigen Krone ein beträchtliches Stück des kleinen Ackers beanspruchte, der in der Nachkriegszeit für die Versorgung der bäuerlichen Familie wichtig war. Die im Lauf der Jahre zwischen den Beeten gepflanzten Obstbäume versorgten die Familie ab Sommer mit Birnen, aromatischen Pfirsichen, Mirabellen und Zwetschgen, vor allem aber mit frischen Äpfeln vom Sommer bis in den Winter. Doch nun hatte der alte Baum, der Jahrzehnte rotbackige Winteräpfel geliefert hatte, ausgedient; seine Äste waren teilweise verdorrt; in einem der dicksten zeugte ein kreisrundes Loch von einer verlassenen Spechthöhle.

Dass der Vater diese Arbeit auf den Nachmittag legte, hatte einen besonderen Grund: Er wartete auf seinen Sohn, der um diese Zeit mit dem Bus aus der Stadt zurückkommen sollte. Doch der Herr Gymnasiast hatte wieder einmal, vielleicht in Vorahnung der anstehenden Arbeiten, den Bus verpasst und kam erst eine Stunde später nach Hause, wo inzwischen der Vater unruhig im Hof auf und ab ging, dazwischen noch ein vielleicht erforderliches Werkzeug auf den Anhänger lud und gelegentlich die Straße hinab schaute. Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, was der Sohn auf den ersten Blick erkannte, als er recht lustlos eintrudelte. Schließlich war er ja kein Kind mehr und hätte sich gern ab und zu dem eisernen Willen des Hausherrn entzogen, zumal er wusste, wie seine Klassenkameraden ihre Nachmittage in der Stadt verbrachten. In dieser Lage aber dringende Hausaufgaben vorzuschieben wäre ein großer Fehler gewesen, wusste er doch, dass einmal gefasste Vorhaben nicht umgestoßen wurden. Natürlich war der Alte stolz auf den angehenden Abiturienten, der meist gute Noten mitbrachte. Doch wenn geplante Feldarbeiten anstanden, waren diese immer wichtiger als alles andere. Also zog der Junge wortlos die alten Klamotten an, die seine Mutter in weiser Voraussicht bereitgelegt hatte, biss ein paar mal in das ebenfalls vorbereitete große Vesperbrot und setzte sich auf den Sitz des Hängers, während der Vater den Traktor startete und mit Vollgas Richtung Acker fuhr. Die Axt aber lag unauffällig zwischen den anderen Werkzeugen, die auf dem holprigen Feldweg durcheinander geschüttelt wurden.

Inzwischen waren sie auf dem Acker angelangt und luden schweigend die Gerätschaften ab. Der Vater brach die dürren Äste des alten Apfelbaumes mit bloßen Händen herunter, während der Sohn sich mit der Bügelsäge an einem gesunden Ast zu schaffen machte. Bald stand nur noch der Stamm und das Gehölz wurde zum Verbrennen auf einen Haufen geschichtet. Nun schlug der Sohn vor, den Stamm mit Hilfe des Traktors umzuziehen. Dazu sollte man die Zugkette so hoch wie möglich anbringen, um dabei die Hebelwirkung zu nutzen; auf diese Weise könnte man die Wurzel vielleicht ohne Anstrengung aus dem sandigen Boden wuchten. Doch der Vater lehnte diesen Vorschlag sichtlich gereizt ab mit dem Hinweis, er habe in seinem Leben schon zahlreiche Bäume gefällt und wisse, wie vorzugehen sei. Also bestand er darauf, dass zuerst der Stamm abgesägt werden müsse; dann werde man die Wurzel ausgraben. Der Sohn wusste, dass Widerspruch die Stimmung weiter verschlechtert hätte. Natürlich wollte er als Heranwachsender schon mal seine Meinung durchsetzen oder Vorschläge bei der Arbeit unterbreiten, die seiner Ansicht nach Erleichterung gebracht hätten. Doch in der direkten Konfrontation blieb er chancenlos, zumal der körperliche Unterschied zwischen beiden zu groß war. Dabei muss allerdings betont werden, dass der groß gewachsene, überaus kräftige Vater dem eher feingliedrigen, zart besaiteten Sohn gegenüber keine körperliche Gewalt ausübte, von dem einen oder anderen Klaps in der Kindheit abgesehen. Irgendwie schien er begriffen zu haben, dass ein solches Vorgehen das Verhältnis nachhaltig zerstört hätte. Wenn der Junge in seinen Augen zu weit gegangen war, fiel allerdings schon mal eine Woche oder länger kein Wort zwischen beiden.

War der Sohn schon deshalb innerlich aufgebracht, weil sein sinnvoller Vorschlag einfach ohne stichhaltige Begründung weggewischt wurde, so steigerte sich sein Zorn während der mühsamen Arbeit mit der alten Zweimannsäge immer mehr; denn diese Plackerei schien ihm nicht nur äußerst kräftezehrend, sondern auch überflüssig. Warum war es einfach unmöglich, ihn mit Argumenten zu überzeugen? Gerade der bei vielen Vorschlägen erfolgende Verweis auf die Tradition, man habe es eben schon immer so gemacht, hatte sich zu einem Reizwort entwickelt, das in dem jugendlichen Gehirn Kaskaden der Wut und der Auflehnung erzeugte, die aber nicht nach außen gelangen durften; schließlich war der Jähzorn des Vaters unberechenbar. Also biss er die Zähne aufeinander und versuchte beim abwechselnden Ziehen der Säge Schritt zu halten.

Es kam so, wie der Sohn vorausgesehen hatte: nachdem der Stamm abgesägt war, fehlte der Hebelarm und der Traktor konnte die nun angekettete Wurzel nicht bewegen. Daher hieß es die dicken Verzweigungen freizugraben, um sie dann mit der Axt zu kappen. Der Vater schaufelte wie gewohnt mit ganzem Einsatz die Erde nach oben und rief dann nach der Axt, diesem gefährlich scharfen Gegenstand, der in den falschen Händen größtes Unheil anrichten konnte. Wie viele Menschen waren wohl im Lauf der Jahrhunderte mit Streitäxten ums Leben gekommen! Wie häufig waren familiäre Zerwürfnisse mit dieser Waffe in einer Katastrophe geendet! Und nun hielt der junge, oft durch eisernen Willen unterdrückte Mensch ein solches, besonders schweres Exemplar in seinen verschwitzten Händen! Der Vater kniete tief unten im Wurzelwerk und entfernte die Reste des Sandes aus den Verzweigungen, um ungehindert arbeiten zu können.

Doch der Sohn hielt mit beiden Händen die Mordwaffe, unfähig sich zu regen, entsetzt über den Gedanken, der blitzartig in sein Gehirn schoss, den bloßen Kopf des tief Gebückten in Hiebweite vor sich. Und Szenen der Demütigung und enttäuschter Hoffnung wirbelten in seinem Gehirn, verfinsterten sein Gemüt, legten sich wie dunkle Nacht über seinen Verstand. Und er hielt die Axt mit beiden Händen, starr vor Entsetzen über den Dämon in ihm, der sich gerade zu befreien suchte, um ihn in den größten Frevel zu treiben, der überhaupt vorstellbar ist. In diesem Augenblick blitzte des Bild des zu Tode getroffenen Jungbullen in seiner Vorstellung auf und er hörte das Splittern der Knochen und den Todesschrei des stolzen Tieres. Und der Körper gehorchte ihm nicht, wenn auch das Böse in ihm tobte; die gelähmten Arme vermochten nicht das Werkzeug nach oben zu reißen, hoch in den Himmel, um den vernichtenden Schlag auszuführen. Und die Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit zu weiten, der ewigen Verdammnis ähnlich, die man so gerne in der Kirche beschrieb, als der energisch fordernde Ruf des Vaters ihn in die Realität zurück riss: "Die Axt, wird's bald!" Und er reichte ihm mit zitternden Händen den Axtstiel und hörte, während er sich verstört abwandte, die kräftigen Schläge auf dem splitternden Holz; und er versteckte sich hinter dem Laden des Anhängers und erwartete, dass sich der Boden öffnen und den Frevler verschlingen müsse.
 
Hallo Ciconia,

natürlich freue ich mich sehr, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meinen Text zu lesen. Ich habe lange gezögert, diese Kurzgeschichte einzustellen. (Bestärkt wurde ich dazu durch Deine Erzählung "Paul".) Mein Text trägt zwar autobiografische Züge, versucht aber pointiert den allgemeinen Konflikt zwischen Eltern und Kindern zu thematisieren. Du hast sicher recht, dass solche kleinen Begebenheiten im Kampf um Wertungen und vordere Plätze manchmal untergehen; dennoch sollten sie festgehalten werden. Daher nochmals mein Dank, vor allem auch für die gute Wertung (auch wenn ein anonymer Zeitgenosse sofort eine Fünf dahinter setzte; aber damit lässt sich leben). Deine Anregung habe ich schon umgesetzt.
Liebe Grüße und eine erfolgreiche Woche
Bertl
 
Die Axt


Nach dem Mittagessen belud der Vater den Anhänger hinter seinem blauen Lanz- Bulldog mit allerlei Werkzeugen und Gerätschaften: Spaten und Schaufel, Astsäge und Baumschere. Die vererbte, ziemlich verrostete Zweimann- Baumsäge durfte ebenfalls nicht fehlen, denn heute sollte es dem großen alten Apfelbaum an den Kragen, besser gesagt an die Wurzel gehen. Daher durfte er die schwere Axt nicht vergessen, deren besonders langen und massiven Stiel er erst kürzlich aus einem selbst gespalteten Buchenstamm nach seinen Maßen gefertigt hatte. Denn seiner Körpergröße entsprechend - er überragte die meisten Männer des Dorfes um eine Kopflänge - besaßen auch seine Gerätschaften meist Überlänge, wie beispielsweise die Heugabel, seine Schaufel oder eben die Axt, die heute für den heranwachsenden Sohn eine schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Äxte spielten im bäuerlichen Leben immer schon eine besondere Rolle; sie wurden nicht nur dazu gebraucht, Bäume zu fällen und Brennholz zu spalten; auch beim Schlachten der Hühner hatten sie eine entscheidende Funktion. Darüber hinaus verliehen sie, beiläufig in der linken Hand gehalten, einem Gespräch unter Nachbarn einen gewissen Nachdruck. Sogar wenn der Gerichtsvollzieher Einlass verlangte, was in der Nachkriegszeit nicht selten vorkam, konnte die wie ungefähr an die Wand gelehnte Axt den Lauf der Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. Dass sie auch bei der familiären Konfliktbewältigung zum Tragen kam, dürfte eher selten vorgekommen sein. Dennoch schien es bei dem väterlichen Jähzorn, der sich auch auf den Sohn vererbt hatte, nicht ausgeschlossen, dass dieses Werkzeug irgendwann Unheil anrichtete.

Einmal diente des Vaters Axt sogar der Abwehr höchster Gefahr; dieses Ereignis prägte sich dem vielleicht Siebzehnjährigen unauslöschlich ein: Damals hatte die Familie ein männliches Kalb nicht wie üblich geschlachtet, sondern aufgezogen, bis es zu einem stattlichen Bullen herangewachsen war. Irgendwann nahte aber der Schlachttag, denn das Fleisch sollte auch "über die Straße" an Interessierte aus dem Dorf verkauft werden und der klammen Haushaltskasse Auftrieb geben. Eine spürbare Nervosität lag über allen Beteiligten, denn ein solch starkes und mit fast zwanzig Zentnern auch ungewöhnlich schweres Tier brachte man nicht jeden Tag zu Fall. Außerdem kursierten seit alters her Gerüchte, dass Bullen im Todeskampf nicht beherrschbare Kräfte entwickeln konnten. So habe ein schwer verletztes Tier einen Bauern aus dem Dorf getötet, als es den Leiterwagen, an den es gekettet war, umwarf und den Unglücklichen unter dieser Last erdrückte.

Daher hatten sich die wenigen Zuschauer auf den Heuspeicher zurückgezogen, von wo man das Geschehen gefahrlos beobachten konnte. Der Metzger, ein überaus kräftiger junger Mann, ging die Sache zunächst locker an, streichelte dem Bullen über die Stirn und setzte dann den Schussapparat an. Der Vater stand daneben und hielt seine große Axt mit beiden Händen fest. Der Knall verhallte, doch das Tier fiel nicht. Wie vom Blitz getroffen stand es regungslos, dann aber ging ein Zittern durch den massigen Leib, der Schwanz stellte sich auf, der riesige Kopf senkte sich und ein böses, donnerndes Röhren entwich seiner Kehle. Diese Sekunde entschied zwischen Leben und Tod! Der Metzger schrie geistesgegenwärtig nach der Axt, ergriff den ihm entgegengestreckten Stiel, holte aus und hieb mit aller Gewalt zu. Ein hohles Krachen, ein grässliches Splittern, ein markerschütternder Schrei: die Vorderbeine des mächtigen Tieres knickten wie in Zeitlupe ein, dann kippte der massige Körper langsam zur Seite und fiel schließlich auf den staubigen Betonboden; die Axt steckte noch in der gespaltenen Stirnplatte. Verständlicher Weise blieb für den Heranwachsenden diese Szene für immer mit dem Anblick der Axt verknüpft.

Nun sollte es also dem ausgedienten Baum an sein altes Leben gehen. Dieser störte den Vater schon lange, da er kaum mehr Äpfel trug, aber mit seinem Wurzelwerk und der riesigen Krone ein beträchtliches Stück des kleinen Ackers beanspruchte, der in der Nachkriegszeit für die Versorgung der bäuerlichen Familie wichtig war. Die im Lauf der Jahre zwischen den Beeten gepflanzten Obstbäume versorgten die Familie ab Sommer mit Birnen, aromatischen Pfirsichen, Mirabellen und Zwetschgen, vor allem aber mit frischen Äpfeln vom Sommer bis in den Winter. Doch nun hatte der alte Baum, der Jahrzehnte rotbackige Winteräpfel geliefert hatte, ausgedient; seine Äste waren teilweise verdorrt; in einem der dicksten zeugte ein kreisrundes Loch von einer verlassenen Spechthöhle.

Dass der Vater diese Arbeit auf den Nachmittag legte, hatte einen besonderen Grund: Er wartete auf seinen Sohn, der um diese Zeit mit dem Bus aus der Stadt zurückkommen sollte. Doch der Herr Gymnasiast hatte wieder einmal, vielleicht in Vorahnung der anstehenden Arbeiten, den Bus verpasst und kam erst eine Stunde später nach Hause, wo inzwischen der Vater unruhig im Hof auf und ab ging, dazwischen noch ein vielleicht erforderliches Werkzeug auf den Anhänger lud und gelegentlich die Straße hinab schaute. Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, was der Sohn auf den ersten Blick erkannte, als er recht lustlos eintrudelte. Schließlich war er ja kein Kind mehr und hätte sich gern ab und zu dem eisernen Willen des Hausherrn entzogen, zumal er wusste, wie seine Klassenkameraden ihre Nachmittage in der Stadt verbrachten. In dieser Lage aber dringende Hausaufgaben vorzuschieben wäre ein großer Fehler gewesen, wusste er doch, dass einmal gefasste Vorhaben nicht umgestoßen wurden. Natürlich war der Alte stolz auf den angehenden Abiturienten, der meist gute Noten mitbrachte. Doch wenn geplante Feldarbeiten anstanden, waren diese immer wichtiger als alles andere. Also zog der Junge wortlos die alten Klamotten an, die seine Mutter in weiser Voraussicht bereitgelegt hatte, biss ein paar mal in das ebenfalls vorbereitete große Vesperbrot und setzte sich auf den Sitz des Hängers, während der Vater den Traktor startete und mit Vollgas Richtung Acker fuhr. Die Axt aber lag unauffällig zwischen den anderen Werkzeugen, die auf dem holprigen Feldweg durcheinander geschüttelt wurden.

Inzwischen waren sie auf dem Acker angelangt und luden schweigend die Gerätschaften ab. Der Vater brach die dürren Äste des alten Apfelbaumes mit bloßen Händen herunter, während der Sohn sich mit der Bügelsäge an einem gesunden Ast zu schaffen machte. Bald stand nur noch der Stamm und das Gehölz wurde zum Verbrennen auf einen Haufen geschichtet. Nun schlug der Sohn vor, den Stamm mit Hilfe des Traktors umzuziehen. Dazu sollte man die Zugkette so hoch wie möglich anbringen, um dabei die Hebelwirkung zu nutzen; auf diese Weise könnte man die Wurzel vielleicht ohne Anstrengung aus dem sandigen Boden wuchten. Doch der Vater lehnte diesen Vorschlag sichtlich gereizt ab mit dem Hinweis, er habe in seinem Leben schon zahlreiche Bäume gefällt und wisse, wie vorzugehen sei. Also bestand er darauf, dass zuerst der Stamm abgesägt werden müsse; dann werde man die Wurzel ausgraben. Der Sohn wusste, dass Widerspruch die Stimmung weiter verschlechtert hätte. Natürlich wollte er als Heranwachsender schon mal seine Meinung durchsetzen oder Vorschläge bei der Arbeit unterbreiten, die seiner Ansicht nach Erleichterung gebracht hätten. Doch in der direkten Konfrontation blieb er chancenlos, zumal der körperliche Unterschied zwischen beiden zu groß war. Dabei muss allerdings betont werden, dass der groß gewachsene, überaus kräftige Vater dem eher feingliedrigen, zart besaiteten Sohn gegenüber keine körperliche Gewalt ausübte, von dem einen oder anderen Klaps in der Kindheit abgesehen. Irgendwie schien er begriffen zu haben, dass ein solches Vorgehen das Verhältnis nachhaltig zerstört hätte. Wenn der Junge in seinen Augen zu weit gegangen war, fiel allerdings schon mal eine Woche oder länger kein Wort zwischen beiden.

War der Sohn schon deshalb innerlich aufgebracht, weil sein sinnvoller Vorschlag einfach ohne stichhaltige Begründung weggewischt wurde, so steigerte sich sein Zorn während der mühsamen Arbeit mit der alten Zweimannsäge immer mehr; denn diese Plackerei schien ihm nicht nur äußerst kräftezehrend, sondern auch überflüssig. Warum war es einfach unmöglich, ihn mit Argumenten zu überzeugen? Gerade der bei vielen Vorschlägen erfolgende Verweis auf die Tradition, man habe es eben schon immer so gemacht, hatte sich zu einem Reizwort entwickelt, das in dem jugendlichen Gehirn Kaskaden der Wut und der Auflehnung erzeugte, die aber nicht nach außen gelangen durften; schließlich war der Jähzorn des Vaters unberechenbar. Also biss er die Zähne aufeinander und versuchte beim abwechselnden Ziehen der Säge Schritt zu halten.

Es kam so, wie der Sohn vorausgesehen hatte: nachdem der Stamm abgesägt war, fehlte der Hebelarm und der Traktor konnte die nun angekettete Wurzel nicht bewegen. Daher hieß es die dicken Verzweigungen freizugraben, um sie dann mit der Axt zu kappen. Der Vater schaufelte wie gewohnt mit ganzem Einsatz die Erde nach oben und rief dann nach der Axt, diesem gefährlich scharfen Gegenstand, der in den falschen Händen größtes Unheil anrichten konnte. Wie viele Menschen waren wohl im Lauf der Jahrhunderte mit Streitäxten ums Leben gekommen! Wie häufig waren familiäre Zerwürfnisse mit dieser Waffe in einer Katastrophe geendet! Und nun hielt der junge, oft durch eisernen Willen unterdrückte Mensch ein solches, besonders schweres Exemplar in seinen verschwitzten Händen! Der Vater kniete tief unten im Wurzelwerk und entfernte die Reste des Sandes aus den Verzweigungen, um ungehindert arbeiten zu können.

Doch der Sohn hielt mit beiden Händen die Mordwaffe, unfähig sich zu regen, entsetzt über den Gedanken, der blitzartig in sein Gehirn schoss, den bloßen Kopf des tief Gebückten in Hiebweite vor sich. Und Szenen der Demütigung und enttäuschter Hoffnung wirbelten in seinem Gehirn, verfinsterten sein Gemüt, legten sich wie dunkle Nacht über seinen Verstand. Und er hielt die Axt mit beiden Händen, starr vor Entsetzen über den Dämon in ihm, der sich gerade zu befreien suchte, um ihn in den größten Frevel zu treiben, der überhaupt vorstellbar ist. In diesem Augenblick blitzte des Bild des zu Tode getroffenen Jungbullen in seiner Vorstellung auf und er hörte das Splittern der Knochen und den Todesschrei des stolzen Tieres. Und der Körper gehorchte ihm nicht, wenn auch das Böse in ihm tobte; die gelähmten Arme vermochten nicht das Werkzeug nach oben zu reißen, hoch in den Himmel, um den vernichtenden Schlag auszuführen. Und die Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit zu weiten, der ewigen Verdammnis ähnlich, die man so gerne in der Kirche beschrieb, als der energisch fordernde Ruf des Vaters ihn in die Realität zurück riss: "Die Axt, wird's bald!" Und er reichte ihm mit zitternden Händen den Axtstiel und hörte, während er sich verstört abwandte, die kräftigen Schläge auf dem splitternden Holz; und er versteckte sich hinter dem Laden des Anhängers und erwartete, dass sich der Boden öffnen und den Frevler verschlingen müsse. Der Abgrund aber war in ihm selbst.
 

Grauschimmel

Mitglied
Die Axt im Haus erspart das Nachdenken nicht!

Guten Abend Bertl, Ciconia hat Recht! Ein Text der Be8tung verdient. Flüssig erzählt, lebendige Bilder, nicht so „Adjektivüberfrachtet“ (Du erinnerst Dich) und über Stimmungen hinaus für den Leser nachvollziehbare Emotionen. Macht behalten, weil man in vielen anderen Situationen so ohnmächtig ist? In der „Mordszene“ bist Du aber nicht drastisch genug. Die Schmach des Sohnes wird nicht genug „innerlich deutlich“, dass er den Gedanken… ernsthaft das Beil zu heben…
Auch würde ich die „Vorahnung“ aus dem „Vorspann“ streichen, überlege überhaupt die allgemeinen Beschreibung zur Verwendung von Äxten.
Vielleicht noch an anderen, als von C. genannten Stellen Wortwiederholungen prüfen und lange Sätze entschachteln.
Gern gelesen und darüber nachgedacht; Gruß Grauschimmel!
 
Hallo Grauschimmel,
herzlichen Dank dafür, dass Du meine Geschichte wohlwollend und verständnisvoll kommentiert hast. Ich glaube, Du sprichst hier mehrere wesentliche Elemente einer Kurzgeschichte an.
Mit den Andeutungen zur Wichtigkeit der Axt schon am Ende des ersten Abschnitts (dann auch im 2., 4. und 6. Abschnitt) wollte ich beim Leser Neugier aufbauen; die Gefährlichkeit der Axt sollte sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen; ob dies gelungen ist, weiß ich nicht. Nun zur entscheidenden Szene im letzten Abschnitt: Du weist zu Recht darauf hin, dass die Beweggründe des Sohnes für seinen Mordgedanken hier etwas kurz kommen. (Allerdings enthält die Erzählung an verschiedenen Stellen Andeutungen über das autoritäre, keinen Widerspruch duldende Verhalten des Vaters.) Ich werde die Passage nochmals überdenken; doch allzu viel darf ich in diesen entscheidenden Teil nicht mehr hinein packen, sonst wird vielleicht der Höhepunkt verwässert. Meines Erachtens sollte eine Kurzgeschichte hier eine entscheidende, sehr kurz gefasste Wende nehmen, bevor sich die Spannung löst.
Eine Bemerkung noch zu meinem Sprachstil: Ich verehre zwar Kleist wegen seines kunstvollen Satzbaus, werde mich aber bemühen, meine Sätze etwas überschaubarer zu halten.
Danke nochmal fürs Lesen!
Gruß Bertl
 

achras

Mitglied
zur "Axt"

Hallo,

als Neuzugang in der Leselupe will ich ja nicht vorlaut sein, zumal sich die Erzählung anstrengungslos lesen lässt. Aber mindestens zwei Punkte sind mir, tendiere ich doch dazu, in meiner Lektüre vorgefundene Fakten auf Richtigkeit zu überprüfen, doch aufgefallen. Zunächst einmal der manuell aufgezogene Jungbulle, der, als er geschlachtet wird, auf annähernd 20 Zentner (das wäre immerhin eine Tonne) geschätzt wird. Das durchschnittliche Schlachtgewicht eines Bullen beträgt auch heutzutage bei verfeinerten Mastmethoden im Durchschnitt weniger als 350 kg.
(Nachweis: http://www.rindermastberatung.de/bullenmast.htm)
Ein Bulle mit mehr als 400 kg würde also schon eine erhebliche Ausnahme darstellen. Selbst die größten und schwersten Kampfstiere in Spanien sollen maximal 600 kg auf die Waage bringen.
(http://www.cetnotorolidia.es/opencms_wf/opencms/toro_de_lidia/fenotipo_de_raza/index.html)

Der zweite Punkte, der mich irritierte, betrifft den Kernpunkt der Geschichte, als es ans Entwurzeln des Apfelbaums geht. Apfelbäume strecken ihr Wurzelwerk oberflächennah dem Durchmesser ihrer Krone entsprechend aus - sie sind Flachwurzler.
(http://www.gartendatenbank.de/wiki/malus-domestica)
 
Hallo Achras,

ich freue mich, dass Du meine Kurzgeschichte gelesen hast. Nun zu Deinen Anmerkungen: Beim Gewicht des Bullen lag ich wirklich daneben. Dies ist sicher der Erinnerung eines Jugendlichen geschuldet, für den dieses Tier ein echtes "Urvieh" war. Der Name Jungbulle ist etwas irreführend; es handelte sich um ein ausgewachsenes Tier mit 63o Kg Gewicht, wie aus den Aufzeichnungen meines Vaters hervorgeht. Ich werde die entsprechende Passage ändern.
Dass ein Apfelbaum Flachwurzler ist, stellt niemand in Frage. Hast Du schon mal das Wurzelwerk eines solchen alten Riesen ausgegraben und die Hauptwurzeln gekappt?

Ich hoffe, dass die kleinen technischen Mängel der Intention der Geschichte keinen Abbruch tun.

LG Bertl
 
Die Axt


Nach dem Mittagessen belud der Vater den Anhänger hinter seinem blauen Lanz- Bulldog mit allerlei Werkzeugen und Gerätschaften: Spaten und Schaufel, Astsäge und Baumschere. Die vererbte, ziemlich verrostete Zweimann- Baumsäge durfte ebenfalls nicht fehlen, denn heute sollte es dem großen alten Apfelbaum an den Kragen, besser gesagt an die Wurzel gehen. Daher durfte er die schwere Axt nicht vergessen, deren besonders langen und massiven Stiel er erst kürzlich aus einem selbst gespalteten Buchenstamm nach seinen Maßen gefertigt hatte. Denn seiner Körpergröße entsprechend - er überragte die meisten Männer des Dorfes um eine Kopflänge - besaßen auch seine Gerätschaften meist Überlänge, wie beispielsweise die Heugabel, seine Schaufel oder eben die Axt, die heute für den heranwachsenden Sohn eine schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Äxte spielten im bäuerlichen Leben immer schon eine besondere Rolle; sie wurden nicht nur dazu gebraucht, Bäume zu fällen und Brennholz zu spalten; auch beim Schlachten der Hühner hatten sie eine entscheidende Funktion. Darüber hinaus verliehen sie, beiläufig in der linken Hand gehalten, einem Gespräch unter Nachbarn einen gewissen Nachdruck. Sogar wenn der Gerichtsvollzieher Einlass verlangte, was in der Nachkriegszeit nicht selten vorkam, konnte die wie ungefähr an die Wand gelehnte Axt den Lauf der Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. Dass sie auch bei der familiären Konfliktbewältigung zum Tragen kam, dürfte eher selten vorgekommen sein. Dennoch schien es bei dem väterlichen Jähzorn, der sich auch auf den Sohn vererbt hatte, nicht ausgeschlossen, dass dieses Werkzeug irgendwann Unheil anrichtete.

Einmal diente des Vaters Axt sogar der Abwehr höchster Gefahr; dieses Ereignis prägte sich dem vielleicht Siebzehnjährigen unauslöschlich ein: Damals hatte die Familie ein männliches Kalb nicht wie üblich geschlachtet, sondern aufgezogen, bis es zu einem stattlichen Bullen herangewachsen war. Irgendwann nahte aber der Schlachttag, denn das Fleisch sollte auch "über die Straße" an Interessierte aus dem Dorf verkauft werden und der klammen Haushaltskasse Auftrieb geben. Eine spürbare Nervosität lag über allen Beteiligten, denn ein solch starkes und mit etwa zwölf Zentnern auch ungewöhnlich schweres Tier brachte man nicht jeden Tag zu Fall. Außerdem kursierten seit alters her Gerüchte, dass Bullen im Todeskampf nicht beherrschbare Kräfte entwickeln konnten. So habe ein schwer verletztes Tier einen Bauern aus dem Dorf getötet, als es den Leiterwagen, an den es gekettet war, umwarf und den Unglücklichen unter dieser Last erdrückte.

Daher hatten sich die wenigen Zuschauer auf den Heuspeicher zurückgezogen, von wo man das Geschehen gefahrlos beobachten konnte. Der Metzger, ein überaus kräftiger junger Mann, ging die Sache zunächst locker an, streichelte dem Bullen über die Stirn und setzte dann den Schussapparat an. Der Vater stand daneben und hielt seine große Axt mit beiden Händen fest. Der Knall verhallte, doch das Tier fiel nicht. Wie vom Blitz getroffen stand es regungslos, dann aber ging ein Zittern durch den massigen Leib, der Schwanz stellte sich auf, der riesige Kopf senkte sich und ein böses, donnerndes Röhren entwich seiner Kehle. Diese Sekunde entschied zwischen Leben und Tod! Der Metzger schrie geistesgegenwärtig nach der Axt, ergriff den ihm entgegengestreckten Stiel, holte aus und hieb mit aller Gewalt zu. Ein hohles Krachen, ein grässliches Splittern, ein markerschütternder Schrei: die Vorderbeine des mächtigen Tieres knickten wie in Zeitlupe ein, dann kippte der massige Körper langsam zur Seite und fiel schließlich auf den staubigen Betonboden; die Axt steckte noch in der gespaltenen Stirnplatte. Verständlicher Weise blieb für den Heranwachsenden diese Szene für immer mit dem Anblick der Axt verknüpft.

Nun sollte es also dem ausgedienten Baum an sein altes Leben gehen. Dieser störte den Vater schon lange, da er kaum mehr Äpfel trug, aber mit seinem Wurzelwerk und der riesigen Krone ein beträchtliches Stück des kleinen Ackers beanspruchte, der in der Nachkriegszeit für die Versorgung der bäuerlichen Familie wichtig war. Die im Lauf der Jahre zwischen den Beeten gepflanzten Obstbäume versorgten die Familie ab Sommer mit Birnen, aromatischen Pfirsichen, Mirabellen und Zwetschgen, vor allem aber mit frischen Äpfeln vom Sommer bis in den Winter. Doch nun hatte der alte Baum, der Jahrzehnte rotbackige Winteräpfel geliefert hatte, ausgedient; seine Äste waren teilweise verdorrt; in einem der dicksten zeugte ein kreisrundes Loch von einer verlassenen Spechthöhle.

Dass der Vater diese Arbeit auf den Nachmittag legte, hatte einen besonderen Grund: Er wartete auf seinen Sohn, der um diese Zeit mit dem Bus aus der Stadt zurückkommen sollte. Doch der Herr Gymnasiast hatte wieder einmal, vielleicht in Vorahnung der anstehenden Arbeiten, den Bus verpasst und kam erst eine Stunde später nach Hause, wo inzwischen der Vater unruhig im Hof auf und ab ging, dazwischen noch ein vielleicht erforderliches Werkzeug auf den Anhänger lud und gelegentlich die Straße hinab schaute. Seine Laune hatte sich sichtlich verschlechtert, was der Sohn auf den ersten Blick erkannte, als er recht lustlos eintrudelte. Schließlich war er ja kein Kind mehr und hätte sich gern ab und zu dem eisernen Willen des Hausherrn entzogen, zumal er wusste, wie seine Klassenkameraden ihre Nachmittage in der Stadt verbrachten. In dieser Lage aber dringende Hausaufgaben vorzuschieben wäre ein großer Fehler gewesen, wusste er doch, dass einmal gefasste Vorhaben nicht umgestoßen wurden. Natürlich war der Alte stolz auf den angehenden Abiturienten, der meist gute Noten mitbrachte. Doch wenn geplante Feldarbeiten anstanden, waren diese immer wichtiger als alles andere. Also zog der Junge wortlos die alten Klamotten an, die seine Mutter in weiser Voraussicht bereitgelegt hatte, biss ein paar mal in das ebenfalls vorbereitete große Vesperbrot und setzte sich auf den Sitz des Hängers, während der Vater den Traktor startete und mit Vollgas Richtung Acker fuhr. Die Axt aber lag unauffällig zwischen den anderen Werkzeugen, die auf dem holprigen Feldweg durcheinander geschüttelt wurden.

Inzwischen waren sie auf dem Acker angelangt und luden schweigend die Gerätschaften ab. Der Vater brach die dürren Äste des alten Apfelbaumes mit bloßen Händen herunter, während der Sohn sich mit der Bügelsäge an einem gesunden Ast zu schaffen machte. Bald stand nur noch der Stamm und das Gehölz wurde zum Verbrennen auf einen Haufen geschichtet. Nun schlug der Sohn vor, den Stamm mit Hilfe des Traktors umzuziehen. Dazu sollte man die Zugkette so hoch wie möglich anbringen, um dabei die Hebelwirkung zu nutzen; auf diese Weise könnte man die Wurzel vielleicht ohne Anstrengung aus dem sandigen Boden wuchten. Doch der Vater lehnte diesen Vorschlag sichtlich gereizt ab mit dem Hinweis, er habe in seinem Leben schon zahlreiche Bäume gefällt und wisse, wie vorzugehen sei. Also bestand er darauf, dass zuerst der Stamm abgesägt werden müsse; dann werde man die Wurzel ausgraben. Der Sohn wusste, dass Widerspruch die Stimmung weiter verschlechtert hätte. Natürlich wollte er als Heranwachsender schon mal seine Meinung durchsetzen oder Vorschläge bei der Arbeit unterbreiten, die seiner Ansicht nach Erleichterung gebracht hätten. Doch in der direkten Konfrontation blieb er chancenlos, zumal der körperliche Unterschied zwischen beiden zu groß war. Dabei muss allerdings betont werden, dass der groß gewachsene, überaus kräftige Vater dem eher feingliedrigen, zart besaiteten Sohn gegenüber keine körperliche Gewalt ausübte, von dem einen oder anderen Klaps in der Kindheit abgesehen. Irgendwie schien er begriffen zu haben, dass ein solches Vorgehen das Verhältnis nachhaltig zerstört hätte. Wenn der Junge in seinen Augen zu weit gegangen war, fiel allerdings schon mal eine Woche oder länger kein Wort zwischen beiden.

War der Sohn schon deshalb innerlich aufgebracht, weil sein sinnvoller Vorschlag einfach ohne stichhaltige Begründung weggewischt wurde, so steigerte sich sein Zorn während der mühsamen Arbeit mit der alten Zweimannsäge immer mehr; denn diese Plackerei schien ihm nicht nur äußerst kräftezehrend, sondern auch überflüssig. Warum war es einfach unmöglich, ihn mit Argumenten zu überzeugen? Gerade der bei vielen Vorschlägen erfolgende Verweis auf die Tradition, man habe es eben schon immer so gemacht, hatte sich zu einem Reizwort entwickelt, das in dem jugendlichen Gehirn Kaskaden der Wut und der Auflehnung erzeugte, die aber nicht nach außen gelangen durften; schließlich war der Jähzorn des Vaters unberechenbar. Also biss er die Zähne aufeinander und versuchte beim abwechselnden Ziehen der Säge Schritt zu halten.

Es kam so, wie der Sohn vorausgesehen hatte: nachdem der Stamm abgesägt war, fehlte der Hebelarm und der Traktor konnte die nun angekettete Wurzel nicht bewegen. Daher hieß es die dicken Verzweigungen freizugraben, um sie dann mit der Axt zu kappen. Der Vater schaufelte wie gewohnt mit ganzem Einsatz die Erde nach oben und rief dann nach der Axt, diesem gefährlich scharfen Gegenstand, der in den falschen Händen größtes Unheil anrichten konnte. Wie viele Menschen waren wohl im Lauf der Jahrhunderte mit Streitäxten ums Leben gekommen! Wie häufig waren familiäre Zerwürfnisse mit dieser Waffe in einer Katastrophe geendet! Und nun hielt der junge, oft durch eisernen Willen unterdrückte Mensch ein solches, besonders schweres Exemplar in seinen verschwitzten Händen! Der Vater kniete tief unten im Wurzelwerk und entfernte die Reste des Sandes aus den Verzweigungen, um ungehindert arbeiten zu können.

Doch der Sohn hielt mit beiden Händen die Mordwaffe, unfähig sich zu regen, entsetzt über den Gedanken, der blitzartig in sein Gehirn schoss, den bloßen Kopf des tief Gebückten in Hiebweite vor sich. Und Szenen der Demütigung und enttäuschter Hoffnung wirbelten in seinem Gehirn, verfinsterten sein Gemüt, legten sich wie dunkle Nacht über seinen Verstand. Und er hielt die Axt mit beiden Händen, starr vor Entsetzen über den Dämon in ihm, der sich gerade zu befreien suchte, um ihn in den größten Frevel zu treiben, der überhaupt vorstellbar ist. In diesem Augenblick blitzte des Bild des zu Tode getroffenen Stiers in seiner Vorstellung auf und er hörte das Splittern der Knochen und den Todesschrei des stolzen Tieres. Und der Körper gehorchte ihm nicht, wenn auch das Böse in ihm tobte; die gelähmten Arme vermochten nicht das Werkzeug nach oben zu reißen, hoch in den Himmel, um den vernichtenden Schlag auszuführen. Und die Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit zu weiten, der ewigen Verdammnis ähnlich, die man so gerne in der Kirche beschrieb, als der energisch fordernde Ruf des Vaters ihn in die Realität zurück riss: "Die Axt, wird's bald!" Und er reichte ihm mit zitternden Händen den Axtstiel und hörte, während er sich verstört abwandte, die kräftigen Schläge auf dem splitternden Holz; und er versteckte sich hinter dem Laden des Anhängers und erwartete, dass sich der Boden öffnen und den Frevler verschlingen müsse. Der Abgrund aber war in ihm selbst.
 



 
Oben Unten