Die Badewanne

Warne Marsh

Mitglied
"Aus der imaginären Badewanne und ihrem Duft-Kokon heraus sinnierte der Zürcher R. S. über das abstrakte Denken; und fand zu überraschend konkreten Einsichten." Oltener Tagblatt


DIE BADEWANNE

Die Badewanne ist der einzige Ort des absoluten Denkens. Nur dort vermag ich dies zu tun, was das wichtigste im Leben überhaupt ist, immerwährend konzentriert zu denken. In der Badewanne zu liegen - meine Nase wird vom Duft indischer Melisse und Hopfen umschmeichelt - ermöglicht überhaupt erst das Entstehen von vernünftigen Gedanken, welche man dann sorgfältig aus dem Bad heraus und in sein Leben hinein trägt.

Nur in der Badewanne herrschen die Zustände, welche das Denken ermöglichen.

Versuche ich hingegen auf dem Balkon sitzend zu denken, so werde ich von all den durch den Alltag erzeugten und demnach widerlichen Geräusche in perfid absichtsvoller Weise an der einzig wahren Tätigkeit, dem Denken nämlich, gehindert. Schreiende Bälger bohren sich unerbittlich in mein Gehirn. Deswegen kann man die Kinder nicht anders, als widerlich nennen, da sie die widerlichsten Wesen und Geräuscheerzeuger schlechthin sind. Kein anderes Wesen kann harmlose Unbeasichtigkeit so sehr in Anspruch nehmen, wie die Kinder, da sich deren Unschuldigkeit über die Jahrhunderte hinweg nicht hat als die grösste Menschheitslüge entlarven lassen. Da die Menschen gar nicht denken wollen, sind sie unfähig diese Lüge als eine ebensolche zu erkennen, denke ich, weil sie sich an der unschuldigen Niedlichkeit dieser widerlichen Wesen gerazu ergötzen.



Der Mensch muss als widerlich schlechthin angesehen werden. Vermag er es doch als einziger bei vollem Bewusstsein und vermeintlich klarer Gedankenwelt, wie kein anderes Wesen, das Denken durch Lärm zu verunmöglichen, wodurch er in letzter Konsequenz sich selbst verunmöglicht, da es den Menschen nicht möglich ist, denkend zu leben. Am Denken würden sie sich selber zugrunde denken, da sie das Denken nie zu lernen in der Lage waren. Deswegen verachten sie die Geistesmenschen, weil sie erahnen, was ihnen durch ihre Gedankenlosigkeit während Jahrtausenden abhanden gekommen ist, und genau deswegen rennen die Menschen zu hunderten an Lesungen und dergleichen, da sie selber nicht denken mögen, weswegen sie den Geistesmenschen beim Denken zuschauen und sich selber vermeindlich über die Nichtdenkenden Menschen erheben wollen, denke ich, was nur möglich ist, weil sich niemand wagt, den Menschen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, von der Bühne herunter zu schauen und sagen, was Sache ist, dem Publikum sagen, weswegen ihm der Speichel aus hunderten Mundwinckel läuft, weil selbst das kollektive Nichtdenken anstrengend ist, sie sollen sich doch mal Gedanken darüber machen, wie sie aussähen, würden sie zu eigenem Denken gezwungen, gäbe es auf der Bühne keine Denker mehr, welche ihnen die Illusion, am Denken mitwirkend zu sein, vermitteln, sondern sie unversehens zum eigenen Denken auffordern. Ich denke, - meine Nase vom Duft indischer Melisse und Hopfen umschmeichelt - die Auswirkungen wären ebenso verherend, wie bei einem Selbstmordanschlag.

Wer nicht denken will, muss sterben, denke ich, und ich denke, wer nicht sterben will, soll lesen. So einfach ist das, denn so lange man denkt, stirbt man nicht, was auch der Grund ist, weswegen Geistesmenschen sich zwischen lebendigen Leichen bewegen. Ich verlasse das Haus und betrete unfreiwillig den globalen Friedhof und sehe Leichen allüberall und denke, dass dies die Tragödie der Menscheit ist, dass man nicht sirbt, so bald man zu denken aufhört, dass diese Geistesgestorbenen weiter leben, das ist der Menscheit Tragödie, die wir Geistesmenschen zu ertragen haben, ausser wir schliessen uns ein in unseren Häusern. Nur gehen wir dann am Gedanken zu grunde, wie all die Denkleichen um unsere Häuser herum schleichen. Ich denke, man müsste als Geistesmensch sich in fremdsprachigen Ländern aufhalten, denn nur dann, wenn man nicht verteht, was um einen herum an Worthülsen gesprochen wird, muss man sich deswegen nicht mehrmals täglich übergeben, da man in der Illusion lebte, so denke ich, es würde nur gehaltvoll miteinander gesprochen.



In der Badewanne liegend, denke ich - meine Nase wird vom Duft indischer Melisse und Hopfen umschmeichelt - in dem duftenden Wasser in der Badewanne liegend, denke ich also, warum der Gang ins nahegelegene Einkaufszentrum einem Fussmarsch in und durch den Balkan gleich kommt. Ich denke in der Badewanne, weil es sich nur hier ungestört denken lässt, ich denke darüber nach, und ich denke, dass früher ein Einkauszentrum ein Einkaufszentrum war, ein Gebäude also, dessen ursprüngliche Bestimmung, so sagt mann, die, ein Einkaufszentrum zu sein war, und ich denke in was für schäbigen Geistezuständen müssen Menschen leben, die sich ein Einkaufszentrum zum Aufenthaltsort, zudem noch ein hässliches und lautes Einkaufszentrum zum Aufenthaltsort und demnach zu ihrer Heimat machen, freiwillig, wie man sagt, sich zur Heimat machen, so denke ich, der ich in der Badewanne und im Duft indischer Melisse und von Hopfen liege, dass es Menschen gibt, die sich freiwillig im Einkaufszentrum aufhalten, sich dieses zu ihrer Heimat machen und dasselbe nicht nur zum Erledigen ihrer Einkäufe betreten, mit leeren Taschen das Einkaufszentrum betreten, weil sie dort das machen wollen, wozu das Einkaufszentrum gebaut, erstellt wurde, wie man sagt, nämlich zum Einkaufen, und das Einkaufszentrum, welches zum Einkaufen einem zur Verfügung steht, mit vollen Taschen und also nach getätigtem Einkauf, wie man sagt, auf dem schnellsten Weg wieder verlassen, nein, denke ich in der Badewanne liegend,
das Einkaufszentrum ist zum Balkan geworden und bald werde ich mir ein Wörterbuch Deutsch-Balkanesisch kaufen müssen, welches sicher im Angebot sein wird, zusammen mit einer Reise in den Balkan als Hauptgewinn, auf den ich, denke ich in meiner Badewanne liegend, keineswegs spekuliere, gar nicht zu spekulieren brauche, da der Balkan vor meiner Haustüre und also mittlerweile, wie man sagt, überall ist.

Was bleibt, ist die Badewanne, denke ich - meine Nase vom Duft indischer Melisse und Hopfen umschmeichelt.
 

Duisburger

Mitglied
Hallo Renzo,

in ersten teil deines textes wird mir zuviel in der badewanne rumgelegen.
In ordnung, dort kannst du gut denken. Und weiter?
Diese dir so wichtige erkenntnis hast du bereitgewalzt, immer wieder, mal von hinten, mal von vorne, mal von ... . Und?
Die aussage war und ist immer noch: In der badewanne kann ich gut denken.
So weit, so ...

Schreiende Bälger bohren sich unerbittlich in mein Gehirn. Deswegen kann man die Kinder nicht anders, als widerlich nennen, da sie die widerlichsten Wesen und Geräuscheerzeuger schlechthin sind. Kein anderes Wesen kann harmlose Unbeasichtigkeit so sehr in Anspruch nehmen, wie die Kinder, da sich deren Unschuldigkeit über die Jahrhunderte hinweg nicht hat als die grösste Menschheitslüge entlarven lassen. Da die Menschen gar nicht denken wollen, sind sie unfähig diese Lüge als eine ebensolche zu erkennen, denke ich, weil sie sich an der unschuldigen Niedlichkeit dieser widerlichen Wesen gerazu ergötzen.
Egal, wie es gemeint ist. Das finde ich widerlich.

Der Mensch muss als widerlich schlechthin angesehen werden. Vermag er es doch als einziger bei vollem Bewusstsein und vermeintlich klarer Gedankenwelt, wie kein anderes Wesen, das Denken durch Lärm zu verunmöglichen, wodurch er in letzter Konsequenz sich selbst verunmöglicht, da es den Menschen nicht möglich ist, denkend zu leben. Am Denken würden sie sich selber zugrunde denken, da sie das Denken nie zu lernen in der Lage waren. Deswegen verachten sie die Geistesmenschen, weil sie erahnen, was ihnen durch ihre Gedankenlosigkeit während Jahrtausenden abhanden gekommen ist, und genau deswegen rennen die Menschen zu hunderten an Lesungen und dergleichen, da sie selber nicht denken mögen, weswegen sie den Geistesmenschen beim Denken zuschauen und sich selber vermeindlich über die Nichtdenkenden Menschen erheben wollen, denke ich, was nur möglich ist, weil sich niemand wagt, den Menschen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, von der Bühne herunter zu schauen und sagen, was Sache ist, dem Publikum sagen, weswegen ihm der Speichel aus hunderten Mundwinckel läuft, weil selbst das kollektive Nichtdenken anstrengend ist, sie sollen sich doch mal Gedanken darüber machen, wie sie aussähen, würden sie zu eigenem Denken gezwungen, gäbe es auf der Bühne keine Denker mehr, welche ihnen die Illusion, am Denken mitwirkend zu sein, vermitteln, sondern sie unversehens zum eigenen Denken auffordern. Ich denke, - meine Nase vom Duft indischer Melisse und Hopfen umschmeichelt - die Auswirkungen wären ebenso verherend, wie bei einem Selbstmordanschlag.
Aha. Woher kommt diese allgemeingültigkeit. Da vermisse ich doch den ich-bezug. Auf mich mag ich das daher nicht münzen lassen. Wenn es abstakt distanziert daherkommen sollte, so ist dir das sicherlich gelungen. Nur ist der mensch, den du da beschreibst, dermaßen diffus und nicht greifbar, das er ob der philosopischen "tiraden" vollkommen in den hintergrund tritt.

Wer nicht denken will, muss sterben, denke ich, und ich denke, wer nicht sterben will, soll lesen. So einfach ist das, denn so lange man denkt, stirbt man nicht, was auch der Grund ist, weswegen Geistesmenschen sich zwischen lebendigen Leichen bewegen. Ich verlasse das Haus und betrete unfreiwillig den globalen Friedhof und sehe Leichen allüberall und denke, dass dies die Tragödie der Menscheit ist, dass man nicht sirbt, so bald man zu denken aufhört, dass diese Geistesgestorbenen weiter leben, das ist der Menscheit Tragödie, die wir Geistesmenschen zu ertragen haben, ausser wir schliessen uns ein in unseren Häusern. Nur gehen wir dann am Gedanken zu grunde, wie all die Denkleichen um unsere Häuser herum schleichen. Ich denke, man müsste als Geistesmensch sich in fremdsprachigen Ländern aufhalten, denn nur dann, wenn man nicht verteht, was um einen herum an Worthülsen gesprochen wird, muss man sich deswegen nicht mehrmals täglich übergeben, da man in der Illusion lebte, so denke ich, es würde nur gehaltvoll miteinander gesprochen.
Sie an. Hier wird die abstrakte ebene verlassen und du wirst konkret. Dieser abschnitt gefällt mir gut, gerade weil er konkret und greifbar ist. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich diesen abschnitt auf mich projezieren kann, dass ich mich damit identifizieren kann.
Ich denke, man müsste als Geistesmensch sich in fremdsprachigen Ländern aufhalten, denn nur dann, wenn man nicht verteht, was um einen herum an Worthülsen gesprochen wird, muss man sich deswegen nicht mehrmals täglich übergeben, da man in der Illusion lebte, so denke ich, es würde nur gehaltvoll miteinander gesprochen
Dieser teil gefällt mir besonders gut. Da steckt viel wahrheit und nachdenkenswertes drin.

Den letzen teil, in dem du deine badewannengedanken auf das einkaufszetrum richtest, halte ich für überflüssig. Es sei denn, alles davor sollte auf diesen abschnitt hinführen, dann ist aber oben einiges überflüssig. Ich sehe momnetan die richtung nicht. Von oben nach unten oder von unten nach oben?

Noch etwas. Der text soll nach dem hinweis auf das tagblatt doch wohl ein jounalistischer sein. Also was soll er dann hier? Dafür gibt es hier ein extraforum.

lg
duisburger
 

Warne Marsh

Mitglied
Vielen Dank fürs Lesen und kommentieren, wenngleich ich Aversionen gegen halbmillitante Kleinschreibung und die Gleichsetzung von mir und dem Ich im Text habe!!!

Der Text ist die Slamversion eines längeren Textes, die ich erfolgreich an einem Poetryslam vorgetragen habe; in Olten -deswegen das Tagblatt.

Das Musikalische geht ab und an in der Literatur vergessen. Das Spiel mit Wiederholungen, Variationen und Kontrapunkten; was ich hier mitunter auf die Spitze treibe, ein sich unendlich drehendes Gedankenkarussel eines Individuums darstellen, weswegegen die Allgemeingültigkeitsfrage irrelevant ist, da es das Ich ist, welches in der ersten Person in diesem inneren Monolog dargestellt ist.

Durch dieses monologisch sich im Kreis drehende, wird die Stimmung vorbereitet, die es ermöglichen sollte, gar an Ironie zu denken, wodurch sowohl der Kinder-, als wie auch der Kosovoteil anders gelesen werden kann.
 

Duisburger

Mitglied
Hallo renzo,

halbmillitante Kleinschreibung
Also den fand ich nun richtig gut. Die permanente kleinschreibung ist gerade in literaturforen weit verbreitet und allgemein akzepziert. Es sei noch angemerkt, dass ich dies auch nur in selbigen praktiziere. Ansonsten ist mir solch ein zeigefinger vorne kurz wie hinten lang.

Du hättest dabeischreiben sollen, dass dies eine slamversion ist. Vor dem hintergrund ist solch ein text ganz anders zu lesen und zu bewerten. Bei einem slamtext muss "verbal" geschrieben werden, was mitunter auf dem papier etwas seltsam aussieht.
Dann machen die wiederholungen wieder sinn.

Trotzdem noch einmal zum einkaufsteil. Sollte der text vorher dahinführen oder ist der "bruch" (der vor dem slamhintergrund möglicherweise gar keiner mehr ist)beabsichtigt?

lg
duisburger
 

Warne Marsh

Mitglied
Die Tatsache, dass etwas weitverbreitet und akzeptiert ist, wertet dasselbige mitnichten auf; dagegen spricht die Geschichte; rechtfertigen tut's für das Individuum auch nichts, im Gegenteil! Stil ist eine Frage des Stils. Faulheit beim Schreiben im weitesten Sinne, der Literatur nicht würdig.

Der Text ist nicht eine Slamversion, weil ich ihn für einen Slam geschrieben habe, sondern weil die Version, welche ich am Slam vorgetragen habe speziell für diesen Anlass aus dem ursprünglichen, sich in Arbeit befindenden Projekt herausgekoppelt wurde.

"Sinn machen" ist ein an sich absurde Formulierung, da Sinn abstrakt, also nicht von sich aus tätig ist. Sinn kann nicht selber machen. Etwas hat z.B. Sinn; aber "Sinn machen", ergibt keinen Sinn; auch wenn die Mehrheit diese aus dem Englischen importiere Unformulierung gedankenlos anspricht.

"LTI" von Viktor Klemperer!!!

Kurzum: Hier steht kein Sprechtext. Die Prosa Thomas Bernhard's ist - um nur ein Beispiel zu nennen - geschriebene Prosa, die jedoch alles an Slams vorgetragene in den Schatten stellte, da sie flüssig zu sprechen ist, was Sinn ergibt, weiss man, dass er, der Bernhard, seine Texte immer und immer und immer wieder aufgenommen und auf Musikalität überprüft hat. Um sich an Wiederholungen zu gewöhnen, wäre der Bernhard, egal was: "Der Untergeher", "Holzfällen", "Auslöschung" eine empfehlenswerte Lektüre.
 

Duisburger

Mitglied
Die Tatsache, dass etwas weitverbreitet und akzeptiert ist, wertet dasselbige mitnichten auf; dagegen spricht die Geschichte; rechtfertigen tut's für das Individuum auch nichts, im Gegenteil! Stil ist eine Frage des Stils. Faulheit beim Schreiben im weitesten Sinne, der Literatur nicht würdig.
Hier habe ich aufgehört zu lesen.
Klapp den zeigefinger mal wieder ein, aus dem alter bin ich raus.

gehab dich wohl
duisburger
 

Warne Marsh

Mitglied
Das Erwähnen, Ansprechen, Diskutieren von Tatsachen hat nichts mit ausgeklapptem Zeigefinger zu tun. Aus dem Alter, sich mit Grundsätzlichem bezüglich der Sprache zu befassen, kann ein Schreibender nicht herauswachsen, ohne in Selbgefälligkeit zu erstarren.
 

Gandl

Mitglied
Das hätte ich sehr gerne geslamt gehört. Das ist pure Gedankenflussmusik. Schön.
Na, und inhaltlich wunderbar. Alles ist gedankenloswiderlich. Richtig schön widerlich.
 

Warne Marsh

Mitglied
Ich danke Dir, Gandl. "Gedankenflussmusik" - ein wunderschönes Wort!!! Genau das ist es, und widerlich, wunderbar widerlich; ganz genau. Der Text brachte mir übrigens 23 von 30 möglichen Punkten.
 



 
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